Aufstand gegen Netzanbieter

Als sich die Digitalisierungslawine aufzubauen begann, waren Inhalteproduzenten und –Verwerter der Kreativwirtschaft frohen Mutes und hatten die Parole „Content is King“ im Mund. Doch je mehr Fahrt die informationstechnologische Lawine vor allem mit dem Internet und Hybrid-TV aufgenommen hat, umso wertloser scheinen Inhalte und Urheberrechte zu werden. Wer ist denn nun Koch, und wer Kellner? Diese Frage stellt die neue Deutsche Content Allianz.

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Aufstand gegen Netzanbieter

Heute dominieren Technologien für Infrastrukturen und die Geschäftmodelle dafür die Trends im Medienmarkt. Sie bestimmen zunehmend auch die öffentliche und politische Diskussion. Auch Politiker wollen hipp und jung sein. Sie lieben deshalb – auch weil sie sich davon wirtschaftliches Wachstum versprechen – das Internet und haben sich sogar im Twittern geübt. Kulturelle Werte sind dabei nebensächlich geworden. Dagegen stellt sich nun die Deutsche Content Allianz auf, die sich erstmals am 13. April im kulturellen Rahmen des Dalí Berlin am Potsdamer Platz präsentierte.

Die Initiative zur Bildung der Deutschen Content Allianz ging von zwei Sendervertretern aus, die man üblicherweise auf öffentlichen Podien nur als Kontrahenten kennt: VPRT-Präsident Jürgen Doetz, der den privaten Rundfunk in Deutschland vertritt, und Monika Piel, WDR-Intendantin und ARD-Vorsitzende. Ihnen gelang es, nicht nur ZDF-Intendant Markus Schächter, sondern die geballte Branchenkraft der Kreativwirtschaft in Deutschland mit ins Boot zu holen: den Buchhandel, die Musikindustrie, Film- und TV-Produzenten. Auch die Zeitungsverleger, vertreten durch ihren Verband BDZV, werden demnächst einsteigen, hätten sich „nur aus formalen Gründen“ noch nicht der Allianz angeschlossen, sagte Doetz zu Beginn der Pressekonferenz. Seitens der Verwertungsgesellschaften ist schon die GEMA in der Allianz vertreten.

Der Wert der Inhalte

Die Deutsche Content Allianz, so erläuterte Doetz, sei „kein neuer Fachverband“, sondern eine Interessensgemeinschaft für den „Wert der Inhalte“, den man „gegenüber der Politik deutlich machen“ wolle. Er gab zu verstehen, dass die Vertreter in der „ungewöhnlichen Runde“ der Allianz jenseits dieses Themas natürlich künftig auch weiterhin ihre eigenen Interessen verfolgen – und auch untereinander streiten werden. Für die Medien forderte er „Vorfahrt!“ Denn die würden für die kulturelle Vielfalt in einer pluralistischen Gesellschaft sorgen. Die politische Diskussion um „Medien und Netzpolitik“, so Monika Piel in ihrem folgenden Statement, drehe sich in Europa und auf deutscher Bundesebene „in erster Linie um wirtschaftliche Gesichtspunkte“. Die „einzigartigen kulturellen Werte“, die die Produzierenden schaffen, kämen dabei zu kurz. Deshalb müssten in Zukunft „die Interessen von Produzierenden deutlich gemacht werden“, insbesondere „gegenüber den Netzanbietern“. Denn deren „Netze könnten ohne diese Inhalte gar nicht existieren“.

Man wolle „bei der Weichenstellung in der digitalen Welt mitreden“. Als konkreter nächster Schritt sei vom VPRT und WDR geplant, beim kommenden Medienforum im Juni in Köln gemeinsame Interessen in Sachen HbbTV zu vertreten. Auch Doetz hatte zuvor auf die Problematik um HbbTV hingewiesen. Man wolle verhindern, dass andere über die Inhalte der Sender Werbeeinahmen generierten.

Dieter Gorny, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Musikindustrie, hob in seinem Statement zunächst hervor, dass vor dem Hintergrund des rasanten Wandels der technologischen Infrastrukturen „der Schutz des geistigen Eigentums die größte Herausforderung“ sei. Anstatt vornehmlich nur technologische Debatten zu führen, so Gorny, müsse man eine „politisch motivierte Balance zwischen kulturellen und wirtschaftlichen Interessen“ erreichen. Auch das Internet sei nicht mehr und nicht weniger als ein Medium, das abhängig von Inhalten sei.

Harald Heker, Vorstandsvorsitzender der GEMA, sieht gar eine „existenzielle Bedrohung für Rechteinhaber“, da nicht gewährleistet sei, dass Urheber eine angemessene Vergütung erhalten. Die Provider, so forderte er, die „viel Geld“ mit Musik verdienen würden, müssten auch „herangezogen werden“. Es sei ein „skandalös niedriger Beitrag“, den die GEMA aus dem Internet erhalte.
Alexander Skipis vom Börsenverein des deutschen Buchhandels, treibt die Sorge, dass die Qualität von Inhalten auf’s Spiel gesetzt werde. Das Urheberrecht müsse verstärkt werden, da man Vielfalt und Qualität nicht mit Dilettantismus verwechseln dürfe, wie er charakteristisch für die so genannte „Schwarmintelligenz“ sei. Die wird von einigen Internet-Gurus als Argument gegen das Urheberrecht gestellt. „Ohne Inhalte ist die Technik nichts“, sagte Skipsis. Satte 90 Prozent der Kinofilme würden im Internet als kostenloser Download angeboten werden empörte sich Steffen Kuchenreuther von der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft, der auch die Produzentenallianz vertrat. Er nannte Beispiele dafür, wie diese Piraterie dem wirtschaftlichen Erfolg von Filmen an der Kinokasse nachhaltig schadet. Der Film „Zeiten ändern dich“ hatte beim Start einen riesigen Erfolg im Kino, der abrupt abbrach. Stattdessen wurde er im Netz rund acht Millionen Mal angeklickt und zum großen Teil auch herunter geladen. „Wir fühlen uns von der Politik schon seit Jahren im Stich gelassen“, sagte Kuchenreuther, womit er die Motivation, sich der Content Allianz angeschlossen zu haben, erläuterte.

Netzneutralität und Hybrid-TV

ZDF-Intendant Markus Schächter fasste die konkreten Ziele der neuen Allianz in vier, wie er formulierte, „scharfen Schlüsselwörtern“ zusammen. Erstens ginge es um die „Netzneutralität“. Da müsse verhindert werden, dass „kapitalstarke Netzanbieter wie Google und Facebook“ in Zukunft bei der Verbreitung ihrer Inhalte Vorteile erhielten. Hier geht es wohl darum, dass vor allem in den USA, von wo aus die Server-Logistik für das Internet gesteuert wird, Überlegungen bestehen, dass diejenigen, die dafür zahlen, bei der Datenvermittlung Vortritt erhalten. Zweitens gehe es um einen “diskriminierungsfreien Zugang zu Plattformen”. Inhalteanbieter dürften nicht abgelehnt werden, und es müsse auch sichergestellt werden, dass die Inhalte gefunden werden. Ähnliches hatte bereits Piel zuvor gefordert. Drittens stehe Hybrid-TV auf der Agenda. Hier wehre man sich dagegen, „dass Inhalte, die für eine kulturelle Vielfalt sorgen, diskriminiert werden“. Tatsächlich tauchen ja auf den hybriden TV-Bildschirmen sogar in vorderster Front immer mehr kommerzielle Angebote aus dem Netz als Apps auf. Viertens, so Schächter, gehe es um ein „gemeinsames Urheberrecht“, das „der beste Schutz gegen Piraterie“ sei.
Gleichzeitig kündigte er an, man werde zu diesen vier Punkten auf dem Medienforum NRW Gespräch mit Brüssel aufnehmen. Auch in Brüssel, so fügte Piel hinzu, würden man vor dem Hintergrund der wachsenden Internetattraktivität vermehrt die wirtschaftlichen Aspekte in den Vordergrund rücken und die kulturelle Seite der Medien vernachlässigen.

Wie stark ist denn nun aber die Power der neuen Allianz wirklich, zumal sich da ja Interessensgruppierungen zusammengefunden haben, die ansonsten eher als Streithähne auftreten? Es ist kein Sprecher, keine große Organisation dafür geplant. Das sei auch „nicht notwendig“ sagte Piel. „Wir haben alle auch eigene Interessen, aber auch eine gemeinsame Botschaft“. Gorny betonte, das Thema gewinne allein deshalb an Relevanz, indem nun sichtbar würde, dass sämtliche Inhalteanbieter der Kreativwirtschaft davon betroffen seien. Er monierte, dass in der aktuellen Debatte rund um Medien alles als „cool“ und „mit der Zukunft verknüpft“ gelte, was mit Technologien zu tun habe. So werde „eine modernistische Meinung einer Minderheit zum Allgemeingut“.
Schächter beschwichtigte: Noch sei es nicht „5 nach 12“. Die Diskussion nehme jetzt Fahrt auf. Die Geschäftsmodelle der digitalen Welt hätten mittlerweile konkretere Umrisse gewonnen, wie man an HbbTV erkennen könne. Es gehe jetzt nicht um Geschäftsmodelle, sondern um Inhalte. Oder anders ausgedrückt, so Schächter, darum „wer Koch, oder wer Kellner sei“.

Vielleicht aber noch ein kleines Nachwort dazu: Natürlich haben die Inhalteanbieter mit ihrem kulturell wertvollem Content zu Beginn der Internet-Euphorie selber zum Erfolg der Netzanbieter beigetragen. Die einen, weil sie durch deren Werbung Cash machen konnten. Die anderen, weil sie sich, wie heute noch die Politiker, damit als hipp und jung profilieren wollten. Jedenfalls hatten alle Inhalteanbieter einmal hoffnungsvoll geglaubt, sie könnten über Mehrfachverwertung ihrer Inhalte über neue digitale Transportwege auch zusätzliche Einnahmen oder Aufmerksamkeit bei den Konsumenten erzeugen. Das hat sich als Trugschluss erwiesen. Es ist nur alles komplizierter geworden.
Erika Butzek
(MB 05/11)

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