Ruf nach „Mutti“

Die deutsche Content Allianz hat am 7. Oktober in Berlin ein Forderungskatalog an die neue Bundesregierung vorgelegt, der im Notruf gipfelt „Inhalte – und Urheberrechtsfragen müssen zur Chefsache im Bundeskanzleramt erklärt werden“.

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Ruf nach „Mutti“

„Wir brauchen kein neues Urheberrecht“, sagte Dr. Knut Boeser, renommierter Buch- und Drehbuchautor in seiner Funktion als Vorstand Deutscher Drehbuchautoren (VDD), der als letzter der acht Vertreter der Deutschen Content Allianz sein Statement in der Pressekonferenz in der Bertelsmann Repräsentanz Berlin vortrug. Ganz beiläufig hatte er damit die scheinbare Harmonie der Allianz torpediert, die ganz im Gegenteil die Forderung nach einem neuen modernen Urheberrecht, „das den Anforderungen der digitalen Welt gerecht wird“, in den Mittelpunkt ihres 2. Grundsatzpapiers stellt, das den hieroglyphischen Titel „Inhalte sind Mehrwert“ trägt. Dabei hatte sich Boeser zuvor „einsam als Urheber“ in der Runde vorgestellt und selber die Frage aufgeworfen, warum sich die Autoren als Urheber von Inhalten überhaupt an ihr beteiligen? Ganz einfach: Die Content Allianz repräsentiere die Institutionen, die dafür sorgen, dass das, was Urheber an Inhalten kreieren auch produziert und verbreitet werde, und sie somit die Existenzgrundlage für Inhalte-Urheber schaffen. „Die Finanzierung und Refinanzierung muss geregelt werden“, weiß Boeser. Deshalb sei man in der Runde dabei. Und auch dafür, warum man selbst in Bezug auf das Internet aus seiner Sicht kein neues Urheberecht brauche, hatte Boeser eine plausible Erklärung. Schließlich seien die Bedingungen für Urheber im Internet nicht anders als in anderen Medien. Wenn etwas geklaut wird, zum Beispiel Inhalte, müsse „der Dieb gefasst und bestraft“ werden. Überall müssten die gleichen Gesetze und Regeln gelten. Wer genau ist die Deutsche Content Allianz (DCA), welche Ziele verfolgt sie, und was hat das mit dem Urheberrecht zu tun? DCA-Hauptinitiator ist Jürgen Doetz. Als sich die DCA erstmals am 14. April 2011 präsentierte, war er noch Präsident des Privatfunkverbands VPRT. Mittlerweile versucht Doetz die DCA-Idee als Bevollmächtigter des VPRT-Vorstands voran zu treiben. Um die DCA ins Leben rufen zu können, hatte sich Doetz von Anfang an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit ins Boot geholt. Was erstaunte, da ja zuvor ARD/ZDF und der Privatfunkverband mehr oder weniger als natürliche Feinde galten. Ebenso von Anfang an als DCA-Partner mit dabei waren der Bundesverband der Musikindustrie (BVMI), die GEMA als Vertreter der Verwertungsgesellschaften, die Produzentenallianz, die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) und der Börsenverein des deutschen Buchhandels. Eine etwas längere Anlaufzeit als DCA-Partner hatte der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) gebraucht. Vermutlich, weil man sich damals gerade mit der ARD um die Tagesschau-App stritt und deshalb wohl ein gemeinsamer Auftritt in einer Interessensgemeinschaft mit ihr nicht besonders glaubwürdig gewirkt hätte. Immerhin: Doetz schaffte es, die einflussreichsten Interessensverbände von Film, Rundfunk, Buch, Musik und Presse zusammen zu trommeln, die, wie er selber meint, die gesamte deutsche „Kreativwirtschaft“ in Bezug auf die Produktion von Inhalte repräsentieren. Die Deutsche Content Allianz, so erläuterte Doetz damals, sei „kein neuer Fachverband“, sondern eine lockere Interessensgemeinschaft für den „Wert der Inhalte“, den man „gegenüber der Politik deutlich machen“ wolle. Das klang in einer digitalen, vom Internet geprägten Medienwelt, in deren Diskussion sich alles nur noch um technische Aspekte und wirtschaftliche Mehrwerte drehte und dreht, idealistisch verheißungsvoll. Zumal die damalige ARD-Vorsitzende Monika Piel „einzigartige kulturellen Werte“ nannte, die Herzensangelegenheit der DCA sein sollten, und die man endlich in die politische Diskussion um „Medien und Netzpolitik“ einbringen wolle. Nachdem die DCA Anfang 2012 erfolglos von der Bundesregierung gefordert hatte, das Handelsabkommen ACTA unverzüglich und ohne Änderungen zu unterschreiben, merkten Kritiker an, die DCA solle sich weniger als einen Verbund für Inhalte, sondern als einen Verband der Urheberrecht verwertenden Industrie bezeichnen. Die Verbände der Zeitungsverleger und Drehbuchautoren traten übrigens erst später, im April 2012, offiziell in den DCA ein. Die Ziele der DCA Welche Ziele verfolgt die DCA aktuell? Die Statements ihrer Vertreter auf der jüngsten Pressekonferenz wie der schriftlich vorgelegte Forderungskatalog an die neue Bundesregierung legen zwar nahe, dass sich alles irgendwie um das Urheberrecht dreht. Was aber im Einzelnen konkret gefordert werden soll, darüber sind sich die DCAler keineswegs einig, weshalb nicht Klartext, sondern Allgemeinplatz-Formulierungen verwendet werden, deren Schlagwörter im Nebulösen hängen bleiben. So werden die Forderungen etwa unter Rubren wie „Inhalte als Schlüssel für die Wertschöpfung in der Kreativwirtschaft – auch im Internetzeitalter!“ oder „Modernes Urheberrecht schaffen“ oder „Rechtsrahmen fortentwickeln“ gestellt, dessen kurze Erläuterungen den Leser noch ratloser machen. „Es ist kompliziert“, räumte denn auch NDR-Intendant und ARD-Vorsitzender Lutz Marmor auf den Einwurf von Boesig ein, dass man gar kein neues Urheberrecht brauche. Ziel sei es, auch im Interesse der Urheber, Inhalte leichter ins Internet zu bringen, was die gegenwärtige Rechtslage aber verbaue. Dieter Gorny, Vorstand der Bundesverbands Musikindustrie, meinte, man müsse das Urheberrecht hinsichtlich der Anforderungen der digitalen Welt „feintunen“, so dass sowohl die Rahmenbedingungen für legale Angebote verbessert werden würden als auch die Eindämmung der Urheberrechtsverletzungen gelinge. Alexander Thies, Vorstand der Produzentenallianz stellt sich eine Professionalisierung der Rechtslage vor, mit der man beispielsweise auch für Freie in der Kreativindustrie neue Jobs schaffen könne. Und Doetz drängt darauf, erst einmal die gemeinsamen Interessen der DCA hinsichtlich des Schutzes des geistigen Eigentums gegenüber der Bundesregierung zu betonen, danach könne ja „jeder wieder seinen Weg gehen“. Und Boesig ließ sich einen Tag später nach der Pressekonferenz in einer gemeinsamen DCA-Mitteilung, die von ARD und VPRT verbreitet wurde, im Sinne der DCA-Gemeinschaft geglättet zitieren: „Das Urheberrecht muss endlich unter Berücksichtigung neuer Angebots- und Nutzungsformen weiterentwickelt werden. Wir können unsere kreativen Inhalte nur gemeinsam herstellen“. Na bitte! Worum geht es denn nun wirklich? Ganz klar sind in der digitalen Welt insbesondere auf Basis der IT-Technologie Internet unübersichtlich viele neue Distributionswege für Inhalte geschaffen worden, über die man sie mehrfach verwerten kann. Gretchenfrage ist, wer davon den Profit, den wirtschaftlichen Mehrwert haben wird? Wie werden die Urheber selber daran beteiligt, wie viel Geld fließt in die Kassen der Auftraggeber und Verbreiter von Inhalten ein? Dabei sind die klassischen Vertreter der Bereiche Film, Rundfunk, Buch, Musik und Presse nun mit den neuen Playern aus der IT-Wirtschaft konfrontiert, beispielsweise Google oder Telkos, die mit den automatisierten digitalen Vertriebssystemen und Suchmaschinen ohne zum größten Teil auch ohne definierte Rechtsgrundlage mit Inhalten Geschäfte machen, ohne dass es einen Rückfluss in die Infrastruktur der Kreativwirtschaft gibt. So will die GEMA eine „Providerhaftung“ durchsetzen, die Zeitungsverleger fordern „angemessene Entgelte“ von den Suchmaschinen. Und Marmor fordert stellvertretend für ARD/ZDF „Netz- und Suchmaschinenneutralität“, – „keine Verschlüsselung, keine versteckte Diskriminierung, sondern Transparenz“. Fehlt noch eine Forderung aus den großen TV-Sendergruppen RTL und ProSiebenSat.1, die sich allerdings offensichtlich allein durch Doetz vertreten ließen. Gewiss ist, dass beide Sendergruppen längst Kooperationen mit Vertretern der IT-Industrie wie Telkos, Google/YouTube oder Startups eingegangen sind, um aus vorhandenen Inhalten noch mehr Geld – häufig als Paid Content – zu machen. Nun lautet die Hauptforderung der DCA an die neue Bundesregierung, dass Inhalte- und Urheberrechtsfragen zur „Chefsache im Bundeskanzleramt“ gemacht werden müsse. Da zumindest mit Stand Oktober anzunehmen ist, dass die bisherige Bundeskanzlerin Angela Merkel auch die neue sein wird, klingt das ein bisschen wie der „Ruf nach Mutti“, die endlich das mal regeln soll, wozu man selber noch keine klare Linie gefunden hat. Zum einen verwundert es, weil die DCA-Vertreter der bisherigen Merkel-Regierung durchweg eher Nichtstun in ihrer Inhalte-Angelegenheit vorwarfen und ausschließlich Kulturstaatsminister Bernd Neumann lobten. Zum anderen ist es ein fragwürdiges Unterfangen vor dem Hintergrund der Pressefreiheit, der im Rundfunkstaatsvertrag verankerten Länderhoheit und der nach dem Zweiten Weltkrieg eroberten Souveränität der Medien, plötzlich die Regelung von Inhalten für Medien an oberster politischer Stelle verankern zu wollen. Es sei denn, man fordert eine bundes- oder europaweite Neuregelung des Medienrechts. Doch Gemach. Tatsächlich fordert die DCA lediglich einen „intensiveren Dialog mit den Kreativschaffenden“, für den ein „Inhalte-Gipfel“ geschaffen werden soll. Der soll dann wohl ein Pendant zum „IT-Gipfel“ sein, an dem die Bundesregierung Jahr für Jahr beteiligt ist. Dass die Produktion von Inhalten ein nicht minderer Wirtschaftsfaktor für Deutschland ist, als dass was die IT-Branche leistet, dafür hat der DCA neue Zahlen vorgelegt. Nach ihren Berechnungen repräsentiert die Kreativwirtschaft in Deutschland „ein Umsatzvolumen von über 140 Milliarden Euro“ und beschäftigt „rund eine Million Erwerbstätige“. Zum Vergleich: Die IT-Branche, für die der Verband Bitkom steht, gab für 2012 ein Umsatzvolumen in Höhe von 152 Milliarden Euro mit 895.000 Arbeitsplätzen bekannt und stellte dazu fest, dass man „der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland noch vor der Automobil- oder Elektroindustrie“ sei. Um wohl gegenüber der IT-Industrie noch mehr aufholen zu können, fordert die DCA die neue Bundesregierung auf, „ihre bisherige Fokussierung auf die Förderung technischer Infrastrukturen zugunsten einer ausgewogenen Linie anzupassen“.
Erika Butzek

(MB 11/13)