Das Ding funktioniert!

Mittlerweile ist das im August 2011 gestartete Digitalradio DAB+ mit seinem bundesweit ausgerichteten Multiplex, über den 14 Hörfunkprogramme ausgestrahlt werden, ein halbes Jahr on Air. Zudem kann man auch immer mehr Digitalradio von regionalen und landesweiten ARD-Rundfunkanstalten empfangen. MEDIEN BULLETIN hat beim Deutschlandradio und bei der privaten Radiogruppe Regiocast Digital, die unter anderem das Fußballradio 90elf auch über den bundesweiten Multiplex von DAB+ verbreitet, nachgefragt, welche Erfahrungen bislang vorliegen.

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Das Ding funktioniert!

Das besondere am bundesweiten Multiplex für Digitalradio DAB+ ist, dass er langfristig erstmals in Deutschland den Betrieb von nationalen Radios möglich macht, die man on Air in allen Bundesländern von Norden nach Süden, von Osten nach Westen ohne Frequenzzusammenbruch empfangen kann. Besonders bei Autobahnfahrten ist das nützlich. Sowieso wird Radio bekanntlich besonders gerne beim Autofahren genutzt.

Aus unterschiedlichen Gründen haben sich sowohl Deutschlandradio wie die private Radiogruppe Regiocast frühzeitig entschlossen, diese Entwicklung als Haupttreiber zu puschen. Vor allem seitens des Deutschlandradios war das Interesse am neuen Digitalradio-Netz von Anfang an riesengroß. Denn obwohl es ein nationales Radio per Rundfunkgesetz ist, verfügt es über UKW-Frequenzen nur über einen UKW-Flickenteppich im Bundesgebiet mit einer Flächendeckung von nur rund 60 Prozent (vergl. MEDIEN BULLETIN, Ausgabe 05/2010).

Für die private Radiogruppe Regiocast ist es eine „historische Chance“, bundesweit ausstrahlendes Radio in Deutschland zu realisieren, sagt Regiocast Digital-Geschäftsführer Christoph Kruse. Es ermöglicht neue Geschäftsmodelle für privates Radio, mit größtmöglicher Reichweite, auch für Zielgruppen-, beziehungsweise Spartenprogramme wie beispielsweise 90elf. Regiocast ist ein deutschlandweit führendes Radiounternehmen mit Beteiligungen an rund 30 reichweitenstarken Radiosendern mit rund elf Millionen Zuhörern täglich, Hörfunkvermarktern und weiteren Dienstleistungsunternehmen aus dem Medienbereich. So konnte es sich das Radiounternehmen leisten, schon vor ein paar Jahren Regiocast Digital als Tochterunternehmen zu gründen, um alle neuen Aktivitäten und Geschäftsmodelle für die digitale Welt auszuloten.

Regiocast Digital ist nun der größte private Veranstalter im bundesweiten Multiplex für DAB+, mit drei Programmen: dem Bundesliga-Sender 90elf, der schon seit 2008 im Internet ist, und den bereits in regionalen Bereichen zum Beispiel auch über UKW und Kabel erfolgreichen Musiksendern Radio Bob! und sunshine live.
Der Netzaufbau wird von Media Broadcast geleistet und insbesondere von Deutschlandradio initiiert. Damit werden, – einschließlich Zusatzdienste, – die drei Programme von Deutschlandradio („Deutschlandfunk“, „Deutschlandradio Kultur“, „Dradio Wissen“) sowie sein Sonderkanal „Dokumente und Debatten“ übertragen. Weil die Sendeleistung immer für den gesamten bundesweiten Multiplex technisch realisiert wird, sind auch die elf weiteren privaten Hörfunkwellen, einschließlich der drei Regiocast-Sender, in der Regel immer dabei. Regiocast hat sich gegenüber Media Broadcast vertraglich für zehn Jahre verpflichtet, die Entwicklung mit voran zu treiben.

Schwierige Geburt

Zum besseren Verständnis kurz zur Erinnerung: Der Neustart von Digitalradio im August 2011 war eine sehr schwierige Geburt. Bei den meisten deutschen Privatradios war DAB+ mehr als umstritten. Weder hatten die Mehrzahl der privaten UKW-Radios Lust, in ein neues digitales Sendenetz zu investieren, das zunächst simultan zum UKW-Netz betrieben werden muss, noch an einer neuen Konkurrenz, die im digitalen Netz entstehen könnte. Auch die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) hatte lange gezögert, die Investitionsgelder zum Aufbau des Sendenetzes für die drei Programme des Deutschlandradios und der ARD-Radios frei zu geben, wofür Kosten in Höhe von 42 Millionen Euro im Gespräch waren. Schließlich hatte sich die Vorgängertechnik DAB als Flop bewiesen. Digitalradio kann man längst via Internet bundesweit abrufen und Hörer fühlen sich bis heute mit der Klangqualität von UKW bestens bedient. Wie sieht nun die Bilanz nach rund einem halben Jahr bundesweitem Digitalradio DAB+ in Deutschland aus?

Laut Deutschlandradio lassen sich folgende Fakten mit Stand Dezember 2011 zusammenfassen: Das Sendernetz für den bundesweiten Multiplex, für den Media Broadcast bislang 27 Sendemasten installiert hat, erreicht eine potentielle Versorgung der Bevölkerung Deutschlands von circa 60 Prozent bezogen auf den mobilen Empfang. Die In-Haus-Versorgung liegt bei circa 47 Prozent der Bevölkerung. Die Netzversorgung betrifft bislang zuvorderst die Ballungsgebiete.
Mehr als 100 neue Sendemasten werden notwendig sein, um ab 2015 eine flächendeckende Versorgung zu erreichen. Bis wann der letzte ländliche Winkel Deutschlands versorgt sein wird, ist allerdings noch nicht bekannt. Der Aufbau schreitet allerdings zurzeit schneller voran als vorher angenommen, ist von Deutschlandradio-Sprecher Dietmar Boettcher wie von Regiocast Digital-Geschäftsführer Kruse zu erfahren. Wie viele Hörer es mittlerweile für den bundesweiten Multiplex gibt, ist wiederum noch unbekannt, weil das Digitalradio noch nicht in der Media Analyse (ag.ma) einbezogen ist, sagen beide. Weil DAB+ nicht über einen Rückkanal dafür verfügt, könne man es auch nicht direkt messen, erläutert Kruse.

150 verschiedene DAB+ Endgeräte

Sicher dagegen ist: Es sind bereits rund 150 verschiedene Endgeräte für den DAB+-Empfang auf dem Markt, als Autoradios wie als mobile Endgeräte und für die In-Haus-Nutzung. Man kann sie – je nach Leistung für einen Preis von rund 70 Euro bis zirka 700 Euro kaufen; und auch die Automobilindustrie bietet bereits „für fast alle Fahrzeugtypen den Einbau von DAB+-fähigen Empfangsgeräten an“, weiß Kruse. Obwohl gerade die Versorgung von Automobilen mit DAB+ für die – auch bei der Werbewirtschaft sehr begehrten – jungen Männer „eine besonders wichtige Nutzungssituation ist“ sei ihm, so betont Kruse, auch die In-Haus-Versorgung mit DAB+-Empfangsgeräten „genauso wichtig“, weil es letztlich nur auch mit beispielsweise dem Küchenradio gelingen könne, die angestrebte flächendeckende Penetration für das Digitalradio zu erreichen.

Ein UKW-Chip, so weiß Boettcher, kostet heute in der Herstellung nur noch um die 1,5 Euro. So ist der UKW-Empfang bei den meisten neuen Empfangsgeräten für Digitalradio eingebunden. Ebenso ist die Kombination mit dem Internet- bzw. Web-Radio auf dem Markt. Dank der Flatrate ist Web-Radio für Konsumenten nicht besonders teuer. Doch für die Sender wird Web-Radio umso teurer, je mehr Hörer man hat, wegen der Streaming-Kosten.
„Flaggschiff im nationalen Bouquet von DAB+“, so erklärt Kruse selbstbewusst sei 90elf. Das Mutterunternehmen Regiocast hat sich seit 2008 die digitalen Radio-Verbreitungsrechte an der 1. und 2. Bundesliga besorgt. Das „große Nischenprogramm“, wie es Kruse nennt. Kruse liebt in seiner Erfahrungsbilanz an DAB+ vor allem die Einfachheit für die Hörer. Es sei genauso „wie das UKW-Radio“ meint er, „Gerät gekauft, Stecker rein“, und – natürlich – „90elf eingeschaltet!“ Dass es so funktioniert, sei „ein ganz wichtiger Punkt“, um die Konsumenten überzeugen zu können.

90elf ist ein Konzept, das zuvor für das Web-Radio über IP entwickelt worden war. Da hatte man schon auch die individualisierte Bundesliga-Konferenz zum Abhören der parallel laufenden fünf Spiele der Bundesliga am Samstag realisiert. Einerseits gibt es – vergleichbar zu den ARD-Radios – als Hauptprogramm eine linear hörbare Konferenzschaltung zu allen parallel stattfindenden Bundesliga-Spielen der 1. Liga zu hören. Andererseits kann man im Internet auch selektiv auf das jeweilige Vereins-Favoriten-Spiel zugreifen. Man war sich nicht so sicher, so Kruse, ob das auch über DAB+ gut funktioniert. Aber es hat geklappt. Und jetzt freut sich Kruse darüber, eine „Weltneuheit“ für das Radio geschaffen zu haben, auf die viele im Ausland aufmerksam geworden seien. Man kann bei 90elf neben dem Bundesliga-Konferenz-Hörprogramm auch auf „Unterkanäle“ zugreifen, um mit dem Ohr beim favorisierten Spiel dabei zu sein. Auf dieses Angebot ist Kruse besonders stolz. Überhaupt ist 90elf für Kruse ein Paradebeispiel dafür, was man mit DAB+ innovatives Neues als im Bundesgebiet flächendeckendes Radio bieten kann. Wobei 90ef ein „Content-Radio“ sei mit einem ausgesprochen hohen Wortanteil. Der rockige Musikanteil betrage nur 30 Prozent – außerhalb der Winterpause.

Überhaupt ist Kruse „sehr zufrieden“ mit dem Start von DAB+, „sowohl inhaltlich als auch technisch“. „Es hat alles reibungslos funktioniert, es gab keine Ausfälle“, sagt er. Das sei sehr wichtig gewesen. Es sei von Media Broadcast alles „sauber installiert“ worden. Der Endverbraucher wisse nun, dass es sich „nicht um einen Schnellschuss“ handele, sondern um eine langfristige Innovation, die nicht etwa wieder nach einiger Zeit abgeschaltet werde.
Boettcher hat für die neue digitale Verbreitung der Programme von Deutschlandradio wegen der Vorgängertechnik DAB ein „unterschiedliches Echo“ registriert. Diejenigen, die die Programme von Deutschlandradio bereits via DAB+ empfangen können, „sind von der Qualität begeistert, und schreiben es uns auch“. Aber Hörer in Regionen, die vorher mit DAB versorgt waren, wurden zwangsweise abgeschaltet und seien entsprechend empört.

Um Abhilfe zu schaffen wurden Programme von Deutschlandradio in Mitteldeutschland zusätzlich – „im Wege einer Amtshilfe seitens des MDR“, wie Boettcher sagt – auch in den Landesnetzen des MDR übertragen, was die Reichweite über das bundesweite Startnetz hinaus deutlich vergrößert hat. In Schwerin wurde ein neuer regionaler Sender des NDR dank eines Deals mit Media Broadcast so ausgebaut, so dass damit gleichzeitig auch der bundesweite Multiplex mitsamt seiner elf Privatradios übertragen werden kann. Ebenso wurde das bundesweite Digitalradio-Sendenetz durch die Aufschaltung des Senders Eifel in Daun Ende 2011 erweitert. Auch in der Eifel hatte es zuvor durch die Zwangsabschaltung von DAB Probleme gegeben.

Wo immer Deutschlandradio Initiative ergreift, um über eine Kooperation mit den ARD-Anstalten einen zusätzlichen effektiven Aufbau einer DAB+-Antenne für den bundesweiten Multiplex zu erreichen, sind dann auch die privaten Radiounternehmen als Nutznießer im Huckepack dabei. Darüber, dass es „Sonderfälle“ gibt, in denen Media Broadcast auf Initiative des Deutschlandradios die Sendeplattform für DAB+ schneller voran treibt als geplant, „freuen wir uns sehr“, sagt Kruse und lobt Deutschlandradio „für den guten Job“, mit dem es DAB+ voran treibt.

Nachdem 2011 zunächst die Versorgung von Ballungsräumen im Fokus gestanden habe, werde sich der weitere Ausbau mit DAB+ in diesem Jahr vor allem auf die möglichst lückenlose Versorgung entlang der Autobahn beziehen, erklärt Boettcher: Gemeint sind damit insbesondere die Strecken in Rheinland Pfalz, NRW und Berlin-Brandenburg. Sowohl Boettcher wie Kruse registrieren mittlerweile eine wesentlich bessere Stimmung in der privaten Hörfunkbranche gegenüber DAB+ als sie vor Start vorhanden war. „Man sieht jetzt, das Ding funktioniert!“, sagt Kruse begeistert, „und die Programme klingen gut.“ Boettcher betont in diesem Zusammenhang den Fakt dass die Hörfunkverbreitung via DAB+, nachdem die Aufbauinvestitionen abgeschlossen sind, wesentlich preiswerter ist, weil der Betrieb eines im Vergleich zum UKW-Sender genauso leistungsstarken DAB+-Senders 80 bis 85 Prozent weniger Kosten habe.

Nach vollständiger Verbreitung von DAB+, so Boettcher, könnten alle Anbieter, also auch die ARD-Sender, UKW in ihren jeweiligen Verbreitungsgebieten einstellen. Natürlich ist der Zeitpunkt dafür noch nicht absehbar. Politisch müsse zuvor sichergestellt werden, dass die abgestellten UKW-Frequenzen nicht neu verteilt werden, betont Boettcher. So gehe die Ära UKW irgendwann auf ihr Ende zu. Und ab Mitte 2012 sei bei der ARD sogar im Fernsehen Promotion für das neue Digitalradio geplant.

Gretchenfrage an Christoph Kruse: Welche Relevanz hat denn nun DAB+ als Verbreitungstechnologie zum Beispiel auch im Vergleich mit der Übertragung von Web-Radio über die IP-Technologie? Antwort: „Unsere Gruppe ist davon überzeugt, dass es durch DAB+ keinen Verdrängungswettbewerb gibt, sondern eine Koexistenz in der Wertigkeit der einzelnen Verbreitungswege. Für mich ist DAB+ ein weiteres, sehr wichtiges Standbein in unserem Verbreitungsart-Portfolio. Das Internet wird aber weiterhin – insbesondere aus Vermarktungssicht – eine sehr wichtige Rolle spielen. Wir denken immer vom Produkt her und wollen schlicht und einfach erreichen, dass beispielsweise unser Produkt 90elf von so vielen Hörern wie möglich empfangen wird“.
Erika Butzek
(MB 02/12)

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