Das Konzept der neuen ARD-Mediathek

Das Konzept der neuen ARD-MediathekNews:Distribution Das Konzept der neuen ARD-Mediathek Im Wettbewerb mit den neuen VoD-Streamingplattformen Netflix und Amazon Prime Video positionieren alle großen deutschen TV-Sendergruppen ihre Mediatheken neu. Ende letzten Jahres fand auch der Relaunch der ARD-Mediathek statt. Thomas Laufersweiler, der als Redaktionsleiter von ARD.de die neue ARD-Mediathek mit verantwortet, erläutert das Konzept - technisch und inhaltlich.

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Das Konzept der neuen ARD-Mediathek

Herr Laufersweiler, im Vorfeld unseres Gesprächs habe ich die neue ARD-Mediathek über drei Versionen abgerufen und angeschaut: via Smartphone (Android) im Web, via MagentaTV in der dortigen „Megathek“ und via PC. Optimal aber waren Angebot, Präsentation und Navigation nur über den PC. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Eine unserer großen Herausforderungen bei unserem Ziel, die neue ARD-Mediathek möglichst allen Menschen in Deutschland zugänglich zu machen, ist die große Zahl der verschiedenen Ausspielwege. Diese vielen Ausspielwege konnten wir nicht alle auf einen Schlag umstellen, zumal die neue ARD-Mediathek eine neue technische Infrastruktur einsetzt. Wir konnten die Anpassungen, über welche Wege die Daten laufen sollen, nur Stück für Stück nacheinander realisieren. Das heißt: Wir sind mit der Webversion für den Browser gestartet und haben diese erst einem Teil der Nutzer angeboten und dann allen.

Können Sie bitte die verschiedenen Ausspielwege beispielhaft skizzieren?

Für Smartphone-Nutzer ist der optimale Weg der Download unserer App. Dafür stellen wir native Apps sowohl für Android als auch für iOS zur Verfügung. Allein bei Connected TV müssen wir eine Vielzahl unterschiedlichster Anpassungen vornehmen. Wir erfüllen den Standard HbbTV, der auf fast allen SmartTV-Geräten verfügbar ist. Gleichzeitig verfolgen die SmartTV-Hersteller wie unter anderen Samsung, Phillips oder Sony jeweils aber auch ihre eigene Philosophie, um mit spezifischen App-Systemen, die wir auch alle bedienen, den Nutzern On-Demand-Angebote zu machen. Hinzu kommen Streamingboxen oder Sticks wie AppleTV oder Amazon Fire TV. Wie gesagt: Weil es so viele Plattformen gibt, handelt es sich um einen längeren Prozess.

Was ist das für eine neue technische Infrastruktur, auf die die ARD-Mediathek neuerdings aufsetzt?

Im Zentrum der neuen Technologie steht ein Event-basiertes System, das es uns ermöglicht, auf jedes Ereignis im Videoworkflow direkt zu reagieren. Gleichzeitig haben wir die einzelnen Blöcke unserer Infrastruktur in kleinen Einheiten (Microservices) komplett neu gedacht. So können wir uns kontinuierlich verbessern, schneller neue Features anbieten und bei Lastspitzen schnell skalieren. Es wird dauern, bis wir die gesamte Welt umgestellt haben – zumal dies auch die ARD- Audiothek und das gesamte ARD-Produktportfolio umfasst. Aber die jetzigen Ergebnisse zeigen schon, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Ganz schön aufwändig, den dynamischen technischen Entwicklungen und gleichzeitig auch den damit verbundenen Business-Modellen und Ausspielwege von zum Beispiel TV-Geräteherstellern zeitnah zu folgen?

Wir nennen es auch das „Planetensystem“, weil wir auf vielen verschiedenen technologischen Planeten landen müssen, damit wir alle Menschen bedienen können und unsere Mediathek immer reibungslos funktioniert, egal für welche Geräte und Ausspielwege sie sich entschieden haben.

Worüber wird denn die ARD-Mediathek am meisten abgerufen?

Das teilt sich zurzeit in drei Bereiche auf: Ein Drittel über Browser, also das Webangebot via PC, Notebook und so weiter. Ein Drittel über Smartphone-Apps. Und ein Drittel über Connected TV, also SmartTV, HbbTV und Streamingboxen. App-Nutzung und Connected TV wachsen zurzeit in der Nutzung.

Wie wird die Nutzung gemessen?

Die traditionelle Messung im Internet läuft über Visits und Pageviews. Aussagekräftiger für eine Mediathek sind aber die Videoabrufe. Diese Messung erfolgt unter anderen über die Streaming-Media-Messung der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung, AGF.

Fließt die AGF-Streaming-Messung in die Quote ein?

Im ersten Schritt nicht. Die AGF-Panelmessung zeigt die Anzahl der Videoabrufe, die Quote hingegen arbeitet mit einer anderen Währung, nämlich der Anzahl von Zuschauern. Mit der Zusammenführung dieser beiden unterschiedlichen Währungen beschäftigt sich die AGF.

Was genau ist an der aktuellen ARD-Mediathek im Vergleich zur Vorgängerversion inhaltlich neu?

Unser Ziel war der Aufbau einer ARD-Gesamtplattform, über die die Nutzer auf alle Highlights von Das Erste, der Dritten der neun Landesrundfunkanstalten sowie ONE und ARD alpha zugreifen können – auch auf die Livestreams dieser Sender. Die bisherige ARD Mediathek und die Mediathek von Das Erste haben sich gemeinsam zur neuen ARD-Mediathek weiterentwickelt. Dabei haben wir größere Bildflächen eingeführt, um die Vielfalt und Attraktivität unserer Highlights besser zeigen zu können. Und wir berücksichtigen die Streaming-Nutzungsgewohnheiten, die sich bei den Plattformen wie Netflix oder Amazon Prime gebildet haben in unserer Usability: mit Slidern, die den Nutzern Filme, Dokus, Serien, Livestreams und mehr erschließen. Integriert sind Zusatzinformationen, die die Nutzer interessieren. Etwa wie lang ein Videostream ist, und bis zu welchem Zeitpunkt er noch in der Mediathek verfügbar ist. Das alles klingt einfach, ist aber mit einem großen technologischen und logistischen Aufwand verbunden.

Wie haben Sie die Herausforderung gemeistert?

Das haben wir als ARD.de beim SWR in Mainz nicht alleine stemmen können. Vielmehr haben wir uns mit dem Team von DasErste.de, das Teil der ARD-Programmdirektion in München ist, zusammengeschlossen. Die Münchner Kollegen sind Experten, was die Programmierung von Apps für iOS und Android betrifft. Wir von ARD.de in Mainz haben die Web-Version programmiert und kümmern uns um die anderen Varianten wie zum Beispiel HbbTV …

Gleichzeitig verantworten Sie vom SWR die Redaktion?

Wir sind insbesondere auch für die Kuratierung der ARD-Inhalte für die ARD-Mediathek verantwortlich: Wir suchen die besten, informativsten, die gesprächswertigsten, die unterhaltsamsten und relevantesten Inhalte aus und stellen sie für die Nutzer zusammen.

Nach welchen Kriterien?

Das erfolgt auf der Basis unseres öffentlich-rechtlichen Profils: Information, Unterhaltung, Orientierung und Teilhabe. Fiktionale Unterhaltung genauso wie verschiedenste Arten von Dokumentationen und Reportagen, eine Mischung wie sie auch das lineare ARD-Fernsehen bietet: sowohl Report Mainz als auch Helene Fischer. Berücksichtigen müssen wir dabei allerdings die Grenzen, die uns durch die rundfunkrechtlich geregelten Verweildauern und vereinbarte Lizenzrechte gesetzt sind.

Nachrichten, Tageschau, Tagesthemen sind aber auf der Startseite der ARD-Mediathek nur eher unter ‚ferner liefen‘ zu finden – wie übrigens auch Sport, wenn nicht gerade beispielsweise die Handball-WM mit einer erfolgreichen deutschen Mannschaft läuft. Warum?

Es geht darum, welches Portfolio das ARD-Gesamtgefüge hat, und welches Einzelangebot öffentlich-rechtlich wofür steht. Die Tagesschau und die Tageschau App haben sich in der digitalen Welt als erste Anlaufstelle durchgesetzt für alle Menschen, die sich nachrichtlich informieren wollen. Das gilt auch für die Sportschau und die Sportschau App. Diese Angebote werden ergänzt durch die ARD Mediathek.

Das ZDF hat seine Mediathek mit einem Log-In personalisiert. Das bieten Sie nicht. Das wollen Sie nicht?

Personalisierung ist schon ein wichtiges Feature und ist auch von uns geplant. Ich gehe mal einen Schritt zurück: Wir haben die neue ARD-Mediathek auf der IFA 2018 in einer Beta-Version präsentiert. Wir wollten von den Menschen wissen, was sie sich von der Mediathek im Einzelnen erwarten und welche Verbesserungsvorschläge sie haben. Seit der IFA sammeln wir Feedback über Fragebogen ein und haben 4000 Antworten erhalten, neben vielen Mails, die wir auch sehr intensiv auswerten. Bei der Auswertung haben wir festgestellt, dass die Personalisierung tatsächlich bei den meisten Nutzern nicht im Mittelpunkt steht. Die Nutzer legen vielmehr Wert auf längere Verweildauer – was aber ein rundfunkrechtliches- und lizenzrechtliches Problem für uns ist. „Babylon Berlin“ konnten wir nicht solange anbieten, wie es viele Nutzer in der ARD- Mediathek haben wollten. Den Nutzern ist auch die Offline-Verfügbarkeit und HD-Auflösung wichtig. Aber auch wenn die Personalisierung nicht im Fokus des Nutzerinteresses steht, können wir bestimmte Services nur über das Log-In anbieten.

Was heißt das?

Grundsätzlich sind wir überzeugt, dass ein großes digitales Produkt nicht mehr mit allen Features so auf den Markt kommen kann, dass es lange unverändert bleibt. Wir müssen das Produkt vielmehr ständig und schnell weiterentwickeln. Deswegen haben wir ein schrittweises Vorgehen eingeführt, mit dem Resultat, dass wir fast jeden Monat ein neues Feature präsentieren – und in diesem Prozess werden wir im Laufe dieses Jahres auch ein Log-In und die Personalisierung über Empfehlungsalgorithmen anbieten. Auf freiwilliger Basis für die Nutzer, wie es auch das ZDF macht.

Sind Empfehlungsalgorithmen auf Basis von KI geplant?

Der beste Empfehlungsalgorithmus ist immer noch eine erfahrene Redaktion. Für Empfehlungen wollen auch wir zukünftig Algorithmen einsetzen. Man muss sich aber überlegen, welchen Rahmen man einer KI setzt. Unser Ziel ist die Erschließung der Vielfalt unserer ARD-Angebote. Also kann es nicht nur darum gehen, dass der Nutzer immer mehr vom Gleichen bekommt und sich eine Filterblase bildet. Es geht auch um Abweichung, nicht nur um Ähnlichkeit der Inhalte. Wir wollen die Nutzer auch auf angenehme Art überraschen – Serendipity heißt das.

In welchem Konkurrenzumfeld steht die ARD-Mediathek – Zattoo, Netflix oder TV NOW von RTL?

ARD und ZDF stehen mit ihrem Mediathekenangebot gut da. Als Konkurrenten sehe ich nicht Zattoo, Netflix, TV NOW von RTL oder Amazon, die kommerzielle Geschäftsmodelle haben. Die eigentliche Konkurrenz besteht darin, dass sich die Mediennutzungsgewohnheiten der Menschen ändern – und sich viele Nutzer mehr oder weniger auf Unterhaltung konzentrieren. Es geht um einen Aufmerksamkeits-Wettbewerb, um die Frage, wofür die Menschen Zeit investieren.

Wird das VoD-Streaming über Mediatheken lineares Fernsehen ablösen?

Da gibt es kein entweder oder, sondern ein sowohl als auch. Das Fernsehen wird immer von Bedeutung sein, alleine schon durch TV Events wie Sport, „Tatort“ oder die „Tagesschau“ um 20 Uhr. Das zeitversetzte Sehen über die Mediathek ist eine andere Nutzungsform, die den Zuschauer im Mediennutzungsverhalten unabhängiger macht, aber das lineare Fernsehen nicht ersetzt.

Sie sind Redaktionsleiter von ARD.de. Aber wie man an Ihrem Beispiel erkennt, haben sich Redaktions-Aufgaben in der digitalen Welt drastisch geändert?

Für uns hat sich das Berufsbild verändert. Wir sind im Grunde genommen Mediatheksexperten mit journalistischer Ausbildung und Kompetenz. Es geht um technologisches Verständnis, um Fragen von Präsentation, Usability, Design und um die Distribution: Wie bekommen wir unsere attraktiven und relevanten Inhalte dahin, wo die Menschen sind?

Welche Aspekte sind dabei entscheidend?

Wie können wir unser Produkt auf Basis des neuen Medienverhaltens verbessern? Entscheidend dabei ist beispielweise das Audience Development, also die Kunst auf den Nutzer einzugehen. Dadurch ist unser redaktionelles Aufgabenfeld wesentlich breiter geworden. Ein sehr schöner Zusatz der neuen ARD Mediathek ist übrigens, dass wir mehr Möglichkeiten haben, barrierefreie Services für Hör- und Sehbeschädigte anbieten können – zum Beispiel über einen Slider mit Beiträgen mit Audiodeskription.

Wieviel Leute sind bei der ARD-Mediathek beschäftigt, in Mainz, in München und dann noch an den vielen Standorten der Dritten und Spartensender, die ja selber die in der ARD Mediathek eingebauten Channel kuratieren, also die jeweiligen Highlights bestimmen?

Das ist ganz schwer zu sagen, weil wir uns mit vielen Partnern aus der ARD abstimmen und darüber hinaus auch mit externen Dienstleistern zusammenarbeiten. Für ARD.de kann ich sagen: In den verschiedenen Bereichen zum Beispiel Development, Produktmanagement, redaktionelle Kuratierung, Distribution, Audience Development und Design – für die ARD Mediathek, ARD Audiothek, ARD.de und Onlinekoordination – sind wir etwa 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Wie hoch ist die Nutzung der ARD-Mediathek, und hat sie sich seit dem Relaunch erhöht?

Im Monat verzeichnen wir um die 53 Millionen Visits (IVW). Nach AGF verzeichnet allein die Webversion im Monat durchschnittliche 33 Mio. Videoabrufe (AGF Streaming Media-Messung). Die SWR-Produktion „Labaule & Erben“ hat schon vor der Ausstrahlung in der ARD Mediathek 500.000 Videoabrufe erzielt, elf Millionen Mal wurde „Babylon Berlin“ aufgerufen. Für einen Vergleich zwischen der bisherigen und der neuen ARD Mediathek ist es aber noch zu früh.

Erika Butzek

Foto: Thomas Laufersweiler, Redaktionsleiter von ARD.de ©SWR/A.Kluge

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