Daten statt Bauchgefühl, Look statt Standardbild, Plattformdenken statt Silos: Beim DACH-Forum von SVG Europe und Sky Deutschland wurde deutlich, dass sich die Regeln im Sport-Broadcasting ändern – und dass Technologie nur dann relevant ist, wenn sie Nähe, Relevanz und Erlös schafft.
Ein „Closer to the Game“ reicht nicht mehr. Wer im Broadcast-Business bestehen will, muss heute nicht nur näher ans Spiel, sondern auch näher an die Zuschauer – und an die Einnahmen. Beim DACH-Forum 2025 in München machten Vertreter:innen von Ligen, Broadcastern und Tech-Firmen klar: Der medientechnische Werkzeugkasten ist prall gefüllt. Doch der Unterschied liegt nicht mehr in der Ausrüstung, sondern in der Fähigkeit, aus Technologie echte Produkte zu formen – mit klarer Handschrift und wirtschaftlicher Relevanz.
Die Produktionsfrage ist eine Businessfrage
Es war kein Zufall, dass Alexander Harkenthal von Tata Communications den Tag eröffnete. Der Netzwerkspezialist ist längst mehr als Transporteur von Signalen – er sieht sich als Partner für Produktion, Distribution und Monetarisierung. Das neue „MIMIC TX“-System ermöglicht cloudbasierte Workflows mit hoher Flexibilität – etwa für die MotoGP, die E1-Powerboat-Serie oder die Ski-WM 2026. „Wir liefern keine Infrastruktur um der Infrastruktur willen“, so Harkenthal sinngemäß. Ziel sei es, Produktionen skalierbar zu machen – und damit Umsatzquellen zu eröffnen, die jenseits klassischer Rechteverwertung liegen.
Damit war der Ton gesetzt: Es geht nicht mehr nur darum, neue Technik einzusetzen – sondern um die Frage, wie Produktionsentscheidungen Erlösmodelle beeinflussen. Technologie ist kein Selbstzweck mehr. Sie wird zur strategischen Investition.
Riedels Weckruf: Nicht die Technik macht den Unterschied, sondern das Ziel
Thomas Riedel, CEO von Riedel Communications, formulierte es in seiner Keynote zum ESC noch deutlicher: „Technologisch gesehen wird jedes Jahr ein neues Schwein durchs Dorf getrieben – und alle fragen sich, wie sie das in ihre Produktion einbauen können. Aber das ist der falsche Ansatz.“ Stattdessen müsse man vom gewünschten Ergebnis her denken – etwa von einem „Hollywood-Look“ im Sport. „Wenn ich weiß, wie meine Bilder aussehen sollen, finde ich auch die richtige Kamera dafür. Nicht umgekehrt.“
Riedels Perspektive ist geprägt von Jahren der Lückenbesetzung: Intercom-Systeme beim ESC, Ref-Cams in der Bundesliga, neue Formate im Sportumfeld. Seine These: Innovation entsteht nicht aus dem Technikfetisch, sondern aus dem Mut, alte Abläufe in Frage zu stellen. Nur so lassen sich neue Geschäftsmodelle aufbauen – etwa für zusätzliche Signale, immersive Formate oder datengetriebenes Zusatzmaterial für Plattformen.
Bundesliga-Produktion: Zwischen Standardisierung und radikaler Öffnung
Wie sich das konkret anfühlt, wurde in der Paneldiskussion zum neuen Bundesliga-Rechtezyklus greifbar. Vertreter:innen von DFL, Sportcast, Sky und DAZN sprachen offen über Fortschritte und Friktionen. Markus Beisiegel (DFL) erklärte, das neue Medienprodukt sei modular aufgebaut, um alle Szenarien der Rechtevergabe zu bedienen – mit gleichzeitiger Standardisierung der Basisprozesse und Freiraum für kreative Veredelung. „Wir brauchen stabile Grundlagen – aber auch die Offenheit, neue Wege zu testen“, so Beisiegel.
Alexander Günther (Sportcast) sprach von einer „Grenze der Komplexität“, an der Produktionen operieren – zwischen wöchentlicher Innovation und verlässlicher Qualität. Er plädierte für mehr strukturelle Vereinheitlichung, aber auch für flexible Spielräume: „Wir müssen uns fragen, wie wir systemisch schneller werden – und gleichzeitig Mut zur Abweichung zulassen.“
Haruka Gruber (DAZN) und Charly Classen (Sky) brachten die Plattformperspektive ein: Beide betonten die Notwendigkeit, Geschichten rund um das Live-Spiel zu erzählen – nicht nur 90 Minuten abzubilden. Doch während die Technik längst bereitsteht, hapert es oft am redaktionellen Mindset. Gruber: „Was fehlt, sind nicht Tools – sondern Menschen mit Gespür für Storytelling.“ Classen ergänzte: „Clips werden produziert, aber nur wenige Clubs nutzen sie. Da ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig.“
Technologie ist kein Selbstläufer
Auch der Talk mit Elif Dogan (AWS) zeigte: Technologie allein schafft keine Fanbindung. Daten bieten laut Elif Dogan enormes Potential für das Storytelling, insbesondere auch in sendungsbegleitenden Apps etwa zur Formel 1 oder zur Fußball-Bundesliga. Bei jedem Bundesliga-Spiel, sagte sie, würden rund 3,6 Millionen Datenpunkte durch Trackingsysteme generiert – unter anderem zu Spielerbewegungen, Ballbesitz oder Laufwegen. Doch als Thomas Riedel, gewohnt provokant, ins Publikum fragte, wer denn solche Apps tatsächlich schon genutzt habe, gingen nur vereinzelt Hände hoch. Seine Reaktion: „Das sagt alles.“
Die Lücke zwischen technischer Möglichkeit und tatsächlicher Zuschauerinteraktion bleibt ein zentrales Thema. Zwar ist die Infrastruktur vorhanden – doch sie wird oft nicht in Produkte übersetzt, die Fans emotional erreichen oder Plattformen strategisch nutzen. Die Technik liefert Werkzeuge. Entscheidend ist, wie daraus Formate entstehen, die relevant sind – visuell, redaktionell, ökonomisch.
Was bleibt: Die Technik ist da. Die Fragen bleiben dieselben.
Was also bleibt nach diesem DACH-Forum 2025? Nicht die Auflistung von Tools, Netzwerken oder Use Cases – sondern ein klares Gefühl: Die Sportproduktion steht an einem Punkt, an dem sie neu verhandelt werden muss. Zwischen Effizienz und Wirkung, zwischen Plattformlogik und Live-Emotion, zwischen IP-Infrastruktur und redaktionellem Handwerk.
Oder, wie es Thomas Riedel formulierte: „Die Technik ist da. Die Frage ist: Was wollen wir eigentlich erreichen?“