„Mit dem Programm Berlinale Residency streben wir an, Filmemacher mit ihren zukünftigen Projekte an die Berlinale zu binden”, erklärt der Festivaldirektor Dieter Kosslick. Dieses viermonatige Stipendium, für das sich Filmemacher aus der ganzen Welt bewerben können, stellt zugleich eine konsequente Weiterentwicklung der bisherigen Berlinale-Initiativen dar, die miteinander verzahnt werden. Beim Berlinale Talent Campus werden junge Autoren Regisseure, Produzenten, Kameramänner, Cutter, Produktionsdesigner, Filmkomponisten und Schauspieler aus der ganzen Welt in Seminaren und Workshops mit renommierten Experten zusammengebracht, um sich über neue Trends und Themen im Filmbereich auszutauschen. In sechs Tagen werden auf dem Campus jedes Jahr verschiedene Kurzfilme gedreht und Kontakte geknüpft, die mitunter entscheidend die Karriere der jungen Talente voranbringen.
Die Talentschmiede Berlinale Talent Campus
Mit dem World Cinema Fund hat die Berlinale 2004 ein internationales Förderprogramm für Filmemacher aus strukturschwachen Filmregionen wie Afrika, Lateinamerika, der Karibik, dem Nahen und Mittleren Osten sowie Südostasien aufgelegt. Die Produktionsfirmen aus diesen Ländern können sich beim World Cinema Fund zweimal im Jahr um Finanzspritzen von bis zu 100.000 Euro für einen Spiel- oder Dokumentarfilm bewerben, dessen Budget zwischen 200.000 Euro und einer Million Euro liegt. Das Fördergeld darf nicht mehr als die Hälfte des Budgets betragen und muss in der entsprechenden Region ausgegeben werden. Davon profitiert haben bereits zahlreiche Filme, die auf internationalen Festivals vorgestellt worden sind. Die beiden Word Cinema-Produktionen „Death for Sale” von dem marokkanischen Filmemacher Faouzi Bensaidi und der peruanische Film „Las malas intenciones” von Rosario García-Monteros sind sogar von ihren Ländern in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ für den Oscar 2013 eingereicht worden. Dieser Erfolgsbilanz ist es zu verdanken, dass es Dieter Kosslick gelungen ist, die Finanzierung des World Cinema Funds für fünf weitere Jahre zu sichern.
Als wichtige internationale Plattform für das Pitching von Projekten hat sich der Berlinale Co-Production Market etabliert, der vom 10. bis 12. Februar 2013 zum zehnten Mal stattfindet. In diesem Jahr werden dort 38 neue Spielfilm-Projekte 450 potentiellen Koproduktions- und Finanzierungspartnern vorgestellt, darunter auch fünf Projekte, die im Rahmen der ersten Berlinale Residency entwickelt worden sind.
Berlinale Residence-Absolventen beim Co-Production Market
Aus Chile kommt der preisgekrönte Regisseur Matías Bize, der bereits als 23jähriger für seinen ersten Film „Sábado: Das Hochzeitstape“ zahlreiche Auszeichnungen erhalten hat. In der Berlinale Residency hat er sein neues Projekt „The Memory of Water“ entwickelt, für das er die deutsche Produzentin Nicole Gerhards als Koproduzentin gewonnen hat. Die irische Filmemacherin Rebecca Daly, die 2010 für ihren Kurzfilm beim Berlinale Talent Campus für den Berlin Today Award nominiert war, präsentiert ihr jüngstes Spielfilmvorhaben „Mammal“.
Bereits 2005 beim Berlinale Talent Campus aktiv war der philippinische Filmemacher Raya Martin, auf dessen Konto bereits verschiedene preisgekrönte Kurz- und Langfilme gehen. Für „Independencia“ sowie für „Manila“, der 2009 im offiziellen Programm bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes lief, erhielt er Unterstützung vom World Cinema Fund. Für sein in der Berlinale Residency entwickeltes Projekt „The Empire“ suchen er und sein Produzent Arleen Cuevas beim Berlinale Co-Production Market nach passenden Partnern.
Mittlerweile Stammgast bei der Berlinale ist der iranische Filmemacher Rafi Pitts, der 2006 für sein Spielfilmdrama „Offside“ mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet worden ist. Sein Handwerk hat der Exil-Iraner in den 90er Jahren als Regieassistent von Leos Carax, Jacques Doillon und Jean-Luc Godard gelernt. Das Drehbuch zu seinem jüngsten Spielfilm „Soy Negro“, den Thanassis Karathanos mit der Berliner Twenty Twenty Vision realisiert, hat er gemeinsam mit seinem Co-Autor Razvan Radulescu verfasst.
Die fünfte Berlinale Residency-Absolventin beim Berlinale Co-Production Market ist die niederländische Filmemacherin Sacha Polak, die 2010 beim Campus zu Gast war und 2012 in der Berlinale-Sektion Generation 14plus ihren Spielfilm „Broer“ präsentiert hat. Ihr neues Filmprojekt „Luna“ stellt sie gemeinsam mit der niederländischen Produzentin Marleen Slot von Viking Film potentiellen Finanzierungspartnern in Berlin vor.
Bereits mehrere Koproduzenten an Bord hat der Berlinale Residency-Absolvent Samuel Maoz, für sein neues Filmprojekt „As We Live“, das Michael Weber mit seiner neuen Firma Pola Pandora produziert. Der israelische Filmemacher ist durch sein Spielfilmdrama „Lebanon“ bekannt geworden, in dem er den Libanon-Krieg aus der Perspektive eines jungen Soldaten im Panzer schildert. Für dieses ungewöhnliche Werk, das mit minimalistischen Stilmitteln aufwartet, hat er 2007 bei der Filmbiennale in Venedig den Goldenen Löwen erhalten.
Auf die Strategie, talentierte Autoren und Regisseure gezielt bei der Drehentwicklung zu unterstützen und das Publikumspotential des Projektes auszuloten, setzen mittlerweile zahlreiche internationale Filmfestivals wie Cannes, Venedig, Sundance oder Turin mit speziellen Förderprogrammen für Autoren. In den Project [&] Pitch Workshops des TorinoFilmLab werden den Filmemachern bei der Projektentwicklung „Audience Designer“ an die Seite gestellt.
Frühzeitig das Publikum einbinden
„Sie entwickeln innovative Strategien, um das Publikum bereits frühzeitig einzubinden“, erklärt Savina Neirotto, Leiterin des TorinoFilmLab.
Das Entwicklungslabor in Turin durchlaufen hat auch das exotische Kinomärchen „Die Nacht der Giraffe“, welches der indonesische Regisseur Edwin 2012 im Internationalen Wettbewerb der Berlinale vorgestellt hat. Diese ungewöhnliche Geschichte über ein kleines Mädchen, das allein bei den Tieren in einem Zoo aufwächst, fand auf Anhieb einen deutschen Verleih. Die Firma Neue Visionen hat „Die Nacht der Giraffe“ im Januar 2013 in den deutschen Kinos gestartet. An der Produktion dieses Spielfilms sind neben den Partnern aus Indonesien, Hongkong und China die deutschen Produzenten Karl Baumgartner und Thanassis Karathanos mit ihrer gemeinsamen Produktionsfirma Pallas Film beteiligt.
Die Kontakte zu den internationalen Koproduzenten hat der Filmemacher bereits in der Projektentwicklungsphase geknüpft. „Nachdem mein erster Film „Blind Pig Who Wants to Fly“ auf dem Festival in Rotterdam lief, bin ich von Savina Neirotti mit meinem Treatment zum TorinoFilmLab eingeladen worden“, berichtet Edwin. Um das Drehbuch zusammen mit Branchenexperten zu entwickeln, hat er über einen Zeitraum von zehn Monaten drei fünftägige Workshops in Turin besucht.
„Das Ziel im TorinoFilmLab ist, eine erste Drehbuchfassung zu erstellen“, berichtet der Programmchef Matthieu Darras. „Wir unterstützen auch Autoren, die noch keinen Produzenten für ihr Projekt gefunden haben.“ Nach der Drehbuchentwicklung werden die Projekte in Turin potentiellen Produzenten und Weltvertrieben vorgestellt. Zudem erhalten eine Handvoll der entwickelten Projekte jedes Jahr Production Awards in der Größenordnung von 50.000 bis 200.000 Euro. „Diese Preise sind eine wichtige Starthilfe für die Filmemacher, weil es sich dabei um freies Geld handelt, das nicht an einem bestimmten Standort ausgegeben werden muss“, erläutert Darras. Seit der Gründung des TorinoFilmLab sind schon rund 50 Projekte damit gefördert worden.
„Ich habe für ‚Die Nacht der Giraffe’ im TorinoFilmLab den Hauptpreis gewonnen“, erklärt Edwin stolz. Sein ambitioniertes Filmvorhaben wurde zudem im Lab des Sundance Film Festivals auf den Prüfstand gestellt. „Da die Mentoren im Sundance Lab mit Hollywoodautoren zusammenarbeiten, kennen sie die Erwartungshaltung des Mainstream-Publikums“, betont Edwin. In Sundance erhielt der indonesische Regisseur außerdem Unterstützung für die Postproduktion seines Films. „Das war sehr hilfreich“, betont Edwin, der mit seinem Spielfilmprojekt anschließend zur Cinéfondation nach Cannes eingeladen worden ist, wo die Filmemacher ihre Projekte einem ausgewählten Kreis von Branchenvertretern vorstellen können.
Auch beim Berlinale Co-Production Market bekommen jeweils zehn Newcomer vom Campus die Gelegenheit, ihr Projekt beim Talent Project Market erfahrenen Produzenten aus der ganzen Welt vorzustellen. „Ich halte es für notwendig, dass ein großes Festival wie wir solche Initiativen anbietet“, resümiert Berlinale-Direktor Kosslick. „Wir freuen uns aber auch auf weitere Filmemacher aus aller Welt, die das Programm nach Berlin locken wird.“
Birgit Heidsiek
(MB 02/13)