Keine feste Nutzungsordnung

Der 3D-Hype ist vorüber, doch die Stellung des Fernsehers als das Goldene Kalb eines jeden Eigenheims wird dadurch keineswegs geringer, sondern größer. Größer sowohl im Sinne von Bedeutung als auch Erscheinung. Toshiba und Sony haben 4K-Fernseher mit Diagonalen vorgestellt, die mühelos eine Wohnzimmerwand füllen. Sharp bringt den mit 90 Zoll größten LED-Fernseher der Welt auf den Markt und die Möglichkeiten von Smart-TV- und Second Screen-Nutzung nahmen die vorherrschende Stellung auf diversen Podien sowie dem Internationalen Medienkongress medienwoche@IFA ein.

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Keine feste Nutzungsordnung

„Die feste Nutzungszuordnung von Geräten werden aufgehoben“, beobachtete Heinz-Joachim Weber, Vorsitzender der PTKO, in seiner Einführung zum traditionellen ARD/ZDF-PTKO-IFA-Presseforum. „Alle Geräte nähern sich dem Computer an, was einen großen Teil der Zuschauer bei der Beherrschung der Endgeräte vor Probleme stellt.“ Gemeint ist hiermit der Umbau des traditionellen Fernsehens zum Connected- oder Smart-TV, das einen direkten Zugang ins Internet bietet, der den Zugriff auf sämtliche dort befindlichen Bewegtbildportale ermöglicht. Zusätzlich ermöglicht Smart-TV HbbTV, eine Funktion, die Sendern und ihren Kunden eine Plattform für zusätzliche Angebote sowie einen verbesserten Videotext bietet. Allerdings, so Eckhard Matzel, Leiter Programmverbreitung ZDF, in seinem Impulsreferat: „Das Thema muss zuerst einmal beim Zuschauer ankommen, denn wer HbbTV und den Internetzugang nutzt, findet das gut.“ Eine Einschätzung, die er mit eindrucksvollen Zahlen belegt. So hat der Anteil der verkauften Fernseher mit 46,3 Prozent beinahe die Hälfte aller verkauften Fernseher erreicht. 29,4 Prozent der verkauften Fernseher sind überdies HbbTV-fähig. Nutzten nach einer GFK-Studie aus dem vergangenen November 13 Prozent der Smart-TV-Besitzer den Internetnetzugang hatten im Juli 2012 laut eines GFK Consumerpanels 59 Prozent ihr Gerät an das Internet angeschlossen. Davon nutzen 76 Prozent regelmäßig die Online-Funktion, wobei Videoclips schaue mit 37 Prozent an Platz 1 steht, gefolgt von Catch-Up-TV mit 34 Prozent. Interaktive Dienste, für die HbbTV genutzt wird, waren mit 28 Prozent verzeichnet. Bei Video on Demand liegt die HbbTV-Nutzung jedoch lediglich bei ein Prozent. Neu hinzu kommt neuerdings der Second Screen – gemeint sind Tablets und Smartphones – für erweiterte Nutzungen, den laut einer zur IFA vorgestellten Studie von Deloitte und dem Branchenverband Bitkom 77 Prozent nutzen, während sie fernsehen. Dies tun sie nicht nur, um laufende Sendungen auf sozialen Netzwerken zu kommentieren oder weitergehende Informationen zur Sendung abzurufen, sondern auch zur Parallel-Beschäftigung wie Nachrichten lesen, E-mails bearbeiten und so weiter.

Eckhard Matzel stellte in seinem Vortrag die Frage, wem in dieser Konstellation der Bildschirm (bei HbbTV und Internet) und wem der Zuschauer (bei zusätzlicher Second-Screen-Nutzung) gehört? Wären dies je nach Bildschirm der Gerätehersteller, der Sender, der Hersteller des Betriebssystems – wie etwa Google, der Portalbetreiber, der App-Anbieter oder sogar der Nutzer selbst? Natürlich, so Matzel, eröffnete die Internet-Anbindung auch neue Geschäftsmöglichkeiten durch OTT-Angebote wie etwa das kostenpflichtige Formel-1-App oder die Formel-1-Interaktionseite von RTL. Für Matzel ist die Doppelnutzung der Medien inzwischen fest geschrieben. Allerdings wird seiner Überzeugung nach lineares TV auch weiterhin die Pole Position einnehmen! HbbTV sieht er als zartes Pflänzchen mit starkem Wachstumspotenzial, das man nutzen sollte. Um die Akzeptanz der SmartTV-Möglichkeiten zu steigern, müssten allerdings dringend Prozessorleistung, Grafikkartenpower und Speicherplatz der Fernseher gesteigert werden, die zur Zeit noch zu elend langen Ladeprozessen führt, die an die Anfänge der Mediennutzung von PCs erinnert. Offenbar ein wichtiger Aspekt, der zur Second Screen-Nutzung führt, da es auf ihnen deutlich schneller geht.

Doch SmartTV ist nur ein Teil des Ganzen. Der andere Teil ist das Smart oder Connected Home, wo das Internet der Dinge eine Rolle spielen wird. Beides wächst im Fernseher, dem zentralen Bildschirm des Hauses zusammen. „Der Fernseher ist der größte Screen im Haus“, sagt Dr. André Schneider von Samsung Electronics beim neu eingerichteten Panelformat branchenforum@IFA. „Zu ihm gibt es eine emotionale Bindung.“ Für Schneider liegt gerade darin die Chance des erweiterten Smart-TVs, das über die reine Unterhaltungsfunktion via Internetzugang hinaus geht und über das der Heim-Server für die komplette häusliche Infrastruktur gelenkt wird, von der Steuerung der Energiezufuhr und Rollläden über das automatische Einschalten der Kaffeemaschine bis hin zur Kontrolle des Kühlschrankinhalts. Schneider erweiterte Matzels Zahlen um weitere Aspekte: bis Ende des Jahres werden konkret 5,7 Millionen SmartTVs in deutschen Haushalten stehen. Was einem Marktanteil von 30 Prozent entspricht. Um den Nutzer die erweiterten Möglichkeiten schmackhaft zu machen, bietet Samsung eine kleine Tastatur für das SmartTV an – etwas, was vor wenigen Jahren von Fachleuten noch als lächerlich und vom Verbraucher ungewünscht und daher zukunftslos erachtet wurde. Aber der Smartphone- und Tablet-Nutzung hat wohl auch hier als Korrektiv gedient. Zudem wird für die Verbindung zwischen dem Heim-Server und weiteren Geräten eine Cloud eingerichtet, um von überall Zugriff auf Daten zu haben.

Dieser Vision widmet sich seit Jahren die Deutsche Telekom, die dafür sogar schon vor geraumer Zeit ein Musterhaus errichtet hat. Mit dem System Qivicon nimmt sie nun einen neuen Anlauf im Bereich der Heimvernetzung. „Qivicon verwaltet sämtliche Funktionen im Haus“, sagt Thomas Knops von der Deutschen Telekom. „Es ist ein Kompatibilitätsstandard, der mit Partneranwendungen funktioniert, über Funk läuft und individuell programmierbar ist.“

Prof. Dr. Viktor Grinewitschus vom Fraunhofer-inHaus-Zentrum ist wie der Telekom klar, dass das Smart Home nur als Zusatznutzen eines Netzwerks entstehen kann, das durch Unterhaltung getrieben wird. „Der Schlüssel, die Klammer des Ganzen ist die Multimedia-Technologie, die gezeigt hat, dass die Techniken Video, PC und Audio zusammen wachsen können“, sagte er und fügte hinzu: „Die Techniken für das Smart Home sind vorhanden. Man muss sie nur einsetzen.“ Doch noch haben die funktionalen Anwendungen einen schweren Stand. Vodafone etwa bietet mit der HomeCloud ein Speicherzentrale für zu Hause an. Allerdings ist lediglich von Schnittstellen für „alle Medien“ die Rede, nicht von der Vernetzung aller elektronischen Geräte.

Auch bei der medienwoche@IFA, dem während der IFA stattfindenden Internationalen Medienkongress, wurde deutlich, dass Smart-Funktionen nur dafür da sind, dass Unterhaltungsbedürfnis der Menschen noch stärker zu bedienen und darüber zu monetarisieren. In der Eröffnungsveranstaltung verwies Thomas Ebeling, Vorstandvorsitzender von ProSiebenSat.1 Media darauf, dass die kostenfrei nutzbare, firmeneigene Plattform MyVideo eine starke flankierende Einheit für das traditionelle Fernsehprogramm der Gruppe bilde und die Sozialen Netzwerke dazu genutzt würden, die Zuschauer stärker zu binden. Im Mittelpunkt des Geschäfts stünde aber nach wie vor das Fernsehen. „Es ist das Fernsehen, das den kreativen Köpfen des Landes eine Plattform gibt, um bekannt zu werden“, sagt er. „Allerdings nutzen wir unsere Fernseh-Power, um in den angrenzenden Geschäftsfeldern zu agieren.“

So steht auch erst einmal das Fernsehen im Mittelpunkt des Interesses. Doch wie bekommt man das Fernsehen zum Zuschauer, wenn er nicht auf dem Sofa sitzt? Zattoo, das Fernsehsender ins Internet streamt, hat die Maxime „Any Content, Anywhere“ ausgegeben. Jörg Meyer, Vice President Content [&] Consumer von Zattoo International stellte das Zattoo-Model vor, wie es in der Schweiz funktioniert. Bei den Eidgenossen herrscht ein großer Wettbewerb im Bewegtbildbereich im Internet. 1,5 bis 3 Prozent des Fernsehkonsums in der Schweiz erfolgt über diesen Transportweg. Die Wachstumsraten sind zweistellig. „Das zeigt, dass sich Nutzer vom ihrem Gerät im Wohnzimmer lösen wollen“, so Meyer, der darüber hinaus ausführte, dass Zattoo immer dann genutzt würde, wenn der klassische Fernseher nicht zur Verfügung stünde wodurch die Zattoo-Nutzung zusätzliche Zuschauer brächte. Da Zattoo in aller Regel als Live-Stream genutzt wird (es gibt auch eine VoD-Funktion), würde auch die Werbung gesehen, denn zappen lohne sich nicht, da jeder neue Stream mit einer Pre-Roll-Werbung beginnt. Da kann man auch bleiben, wo man ist, so Meyer. „Die Zattoo-Nutzung geschieht on Top und führt nicht zu einer Kannibalisierung“, betont Meyer daher.

Während Zattoo zugänglich macht, was ohnehin vorhanden ist, bieten Sky und die Öffentlich-rechtlichen über neue Sender weitere Inhalte an. Sky mit Sky Atlantic HBO-Serien, die in Deutschland immer wieder als das Qualitätsfernsehen schlechthin bezeichnet werden und die sich auch hierzulande einer relevanten Fangemeinde erfreuen. Die Serien werden bei Sky Atlantic zeitnah zum US-Sendestart in deutscher Fassung ausgestrahlt. Einige der Serien werden auch unmittelbar nach US-Start im Original gezeigt, jedoch nicht bei Sky Atlantic, sondern über das Sky-Mobilportal SkyGo. Sky Atlantic versteht sich nicht nur als der Sender, auf dem in Zukunft alle HBO-Serien in deutscher Erstausstrahlung laufen, sondern auch als legale Alternative zu illegalen Downloads von beliebten HBO-Serien wie „True Blood“ oder dem Spitzenreiter für illegal herunter geladene und gestreamte Serien „Game of Thrones“.

ARD und ZDF haben ihre innovativen Programme in ihre digitalen Spartenkanäle ausgelagert. ZDFneo versucht Innovation mit dem TV-Lab zu erreichen. Aus 100 Vorschlägen hat die Redaktion sieben pilotiert aus denen die Zuschauer jenes Format wählen konnten, das sie gerne in Serie sehen würden. Zumindest der Gewinner geht in Serie, eventuell auch der zweite und dritte Platz. Die ersten drei Plätze des diesjährigen TV Lab nehmen Ideen ein, die alle das Gefühl evozierten, sie bereits auf MTV gesehen zu haben. Die Verlierer hingegen machten einen typisch „trutschigen“ öffentlich-rechtlichen Eindruck.

EinsPlus geriert sich als „Fernsehen für Digital Natives“ – was immer damit gemeint ist. Wie ZDFneo ist EinsPlus Experimentierfeld, um die den Hauptsendern verlorene Jugend zurück zu gewinnen. „Aufgabe des Senders ist es junge und crossmediale Formate, die im Fernsehen, Radio und Internet funktionieren, und junge Produktionsformen zu entwickeln sowie junge Autoren und Gesichter zu finden“, erklärte Alexander von Harling, Leiter von EinsPlus. Immerhin steht hier nicht günstig gemachte Unterhaltung wie bei ZDFneo im Fokus sondern Information – wenn auch unterhaltend aufgemacht.

Aber auch andere Anwendungen drängen dank Internet-Verbindung auf den Fernseher, allen voran YouTube, das auch auf Mobilanwendungen stark vertreten ist. Nun will auch der Stern mit Bewegtbildbeiträgen präsent sein und hat stern.de Digital-TV gegründet sowie eine TV-App entwickelt, die Ralf Klassen, stellvertretender Chefredakteur und Leiter von Digital-TV stern.de vorstellte. Sein Ziel ist es auf der Fernbedienung der Zukunft, die auch digitale Medienanbieter berücksichtigt, den Platz neun zu belegen. Zum Beweggrund auch auf dieses Feld zu gehen, sagte Klassen: „Bewegtbildcontent ist stark nachgefragt und es geht immer mehr um Marken, weniger um Sender.“ Dabei hat er immer den User im Blick: „Wir syndizieren unsere Inhalte, denn wir wollen den User erreichen und der ist nicht zwangsläufig bei stern.de.“

Auch auf die Frage, wie man hier noch den Überblick bewahren kann, gibt es eine Antwort: Marcel Düe, Gründer von Tweek erklärte die Funktionsweise der Plattform, die durch Social Recommendations zum personalisierten TV-Programmführer wird. Mit Hilfe von Facebook will er alle Bewegtbildquellen in einem nach Relevanz geordneten Empfehlungs-Portal bündeln. Das Prinzip folgt dabei dem Amazon-Empfehlungs-Algorithmus.

Auch die Apps von Couchfunk basieren auf dem Community-Empfehlungsgedanken. „Die Angebote von Couchfunk sind ein Social-TV-Service, der die eigenen Interessen über das Bindeglied Community zusammen führt“, beschreibt Uz Kretzschmar, Geschäftsführer [&] Gründer von Couchfunk die Idee.

Und wer nicht still sitzen kann oder nie zufrieden ist mit dem, was gerade auf dem großen Schirm läuft, dürfte Swipe von Siemens CMT zu schätzen wissen. Die App ermöglicht es Inhalte von einem Second Screen, wo es ausgewählt wird, mit einem Fingerwisch auf den Fernseher oder einen anderen Screen zu senden oder die laufende Sendung auf das Tablet zu übernehmen, um es woanders weiter zu sehen – etwa im Bett.

Stellt sich nur die Frage, wer all diese neuen Angebote wann sehen soll und was mit all den anderen Nicht-TV-Aktivitäten passiert, wenn man das Fernsehen überall mit hinnehmen kann, sei es auf den Golf-Platz oder ins Schlafzimmer.
Thomas Steiger
(MB 10/12)