Der gemeine Kino-Konsument erwartet heute vom Genre „Science Fiction Film“ nicht nur Zukunftsfantasie, sondern hochaufgelöste spektakuläre, im Computer animierte Bild-Kaskaden, die begleitet vom großem Sound-Getöse seine Sinne betören oder schockieren. Diese Erwartungshaltung hatte nicht zuletzt der Filmproduzent und Regisseur Roland Emmerich vor 20 Jahren mit seiner grandiosen Weltzerstörung in „Independence Day“ etabliert. Von den mit einem Oscar prämierten Spezialeffekten, etwa Morphing, waren damals selbst intellektuelle Kritiker höchst beindruckt und begeistert. Das ist vorbei. Obwohl Emmerich das Sequel „Wiederkehr“, das Mitte Juli dieses Jahres in die Kinos kam, hinsichtlich computergenerierter Tricktechnik samt 3D-Support und Produktionsbudget mächtig aufgeblasen hat, waren sich Feuilletonisten einig: inhaltsleer.
Aliens seien langweilig geworden, weil sie längst unter uns weilen, und das Raumschiff erinnere an „eine gigantische verkohlte Pizza“, urteilte beispielsweise Spiegel online. Ist der SciFi-Film womöglich, zumal im Blockbuster-Format, ein Auslaufmodell? Sind speziell Jugendliche heute vielmehr in Augmented Reality vernarrt, die sie beispielsweise als niedliche kleine Monster über die Smartphone-App „Pokémon go“ selber spielend an beliebigen Orten der Wirklichkeit live jagen und bekämpfen können? Und ist es nicht so, dass wenn man heute eine Tageszeitung aufschlägt, bei jeder zweiten Meldung das Gefühl erhält: „Science Fiction ist heute, die Zukunft ist schon da?“, fragt „Things to come“-Kuratorin Kristina Jaspers.
Der SciFi-Film ist offensichtlich schon museumsreif. Jedenfalls hat sich die Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen (am Sony Center in der Potsdamer Straße) dieses Genres angenommen und mittels Finanzierung durch die Kulturstiftung des Bundes eine Sonderausstellung dazu realisiert (30.6.2016 bis 23.4.2017), die danach voraussichtlich auch nach Paris und Toronto wandert. Man will die historische und aktuelle gesellschaftspolitische Relevanz des SciFi-Genres in Abhängigkeit von Zeitphänomenen wie Digitalisierung, Robotik, neue Flüchtlingsströme, Ängste und Hoffnungen beleuchten und es dabei mittels ungewöhnlicher Exponate atmosphärisch erlebbar machen.
Also hat das dreiköpfige Kuratoren-Team der Deutschen Kinemathek, zu dem – neben Jaspers – Nils Warnecke und Gerlinde Waz gehören, in den letzten beiden Jahren 150 SciFi-Filme aus aller Welt gesichtet. Angefangen von „Le voyage dans la lune“ von Georges Méliès (1902) über die TV-Serien „Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion“ (ARD/1966) und „Star Trek“ (NBC/ 1966 -1969) oder „2001: A Space Odyssey“ (1968) und verschiedene Episoden von „Star Wars“ (zwischen 1977 und 2002), „Armageddon“ (1998) bis hin zu „Interstellar“ (2014) und neue TV-Serien „Real Humans – Echte Menschen“ (Schweden 2012 – 14) sowie „Extant“ (USA 2014 – 15).
Die Ausstellung umfasst neben Szenenausschnitten und Making Ofs rund 300 Exponate. Ein Großteil davon stammt aus der in Europa wohl einzigartigen Filmfantastik-Sammlung vom Filmwissenschaftler Rolf Giesen, der seit vielen Jahren Mitarbeiter der Deutschen Kinemathek ist. Schon 1985 hatte Giesen im Rahmen der Berlinale-Retrospektive mit einer ersten umfassenden Darstellung zu „Special Effects – die Tricks im Film. Vom Spiegeleffekt bis zur Computeranimation“ Furore gemacht. Zudem haben etliche Hollywood-Studios den Kuratoren eine Vielzahl teils spektakulärer Exponate zur Verfügung gestellt. Und weil Emmerich seine gruselige „Independence Day“-Alien-Puppe aus dem Jahr 1996 nicht länger im Büro vor Augen haben wollte, hat er sie der Kinemathek als Schenkung überlassen.
Für das Ausstellungskonzept haben die Kuratoren drei konstituierende Themeninseln des SciFi-Films ausgemacht: „Der Weltraum“ als Entgrenzung von Raum und Zeit. Die „Gesellschaft der Zukunft“, bei der sich die Frage stellt, wie sich das soziale Miteinander unter den Bedingungen des technischen Fortschritts und gesellschaftspolitischer Entwicklungen in Zukunft gestaltet. Und last but not least die Begegnung mit dem „Fremden“, mit Außerirdischen (u.a. David Bowie), Replikanten, Robotern oder Avataren, die Ausstellungsbesucher zur Frage anregen sollen: „Wer bin ich, und was ist das Fremde?“ Wenn man Etage für Etage in die drei verschiedenen Themenbereiche eingetaucht ist, fällt als erste spontane Beobachtung auf: Mehr als andere Filme lechzt ein phantastischer SciFi-Film nach präzisen analogen Körperlichkeiten, die wohl kaum mittels Computeralgorithmen generiert werden können, sondern der menschlichen Fantasie entstammen und in ihrer Fertigung immer noch viel Handwerk brauchen: von der Erfindung der Physiognomie von Fremden und ihrer Kostüme, der Gestaltung des Architektur-Designs futuristischer Städte und Set-Situationen über visionäre Raumschiffe, bis hin zur aufwändigen Maske in beispielweise „Echte Menschen“, die eigentlich Roboter sind. Zu all dem zeigt die Ausstellung eine Fülle von Vorvisionen, per Hand gezeichneter Entwürfe mit „verführerischer konstruktiver Schlüssigkeit“, wie Giesen in einem der vielen pointiert informativen Texte im Ausstellungskatalog (Kerber Verlag) formuliert, der jenseits der Ausstellungsexponate auch zusätzliche exklusive Bilder offeriert. Natürlich kommen in SciFi-Filmen wie Ridley Scotts „Prometheus“ (2012) allerneueste CGI-Techniken zum Tragen oder holografische 3D-Bildschirme als Navigationsinstrumente. Man verlasse sich aber „nie auf nur die eine oder die andere Technologie“, sondern bemühe sich, „sie kombiniert voneinander profitieren zu lassen“, weiß Production Designer Arthur Max in einem Interview im Katalog. Und: Mit gebauten Kulissen schaffe man sich nicht nur „eine bessere Illusion, eine glaubwürdigere Welt“, sondern ebenso „genügend physikalisches Referenzmaterial für ein CGI-Modell“, mit der man das Set digital erweitern kann.
Geht man nun der Frage nach, die Kuratorin Waz aufgestellt hat, wieviel Wissenschaft tatsächlich in Science Fiction Filmen steckt, kann man mit Giesen zur Erkenntnis gelangen: Es ist nicht der Inhalt, der wissenschaftlich ist, sondern die Technik, die in SciFi zum Einsatz kommt, wofür vielfach in den Blockbuster-Produktionen große aus Wissenschaftlern bestehende Beraterstäbe eingesetzt wurden. Was zu einer zweiten Beobachtung beim Gang durch die Themeninseln passt: Die Zukunft wird in der Vergangenheit erfunden. Oder anders ausgedrückt: Womit sich aktuell die Internetkonzerne Google und Facebook rühmen jenseits ihres höchst profitablen Werbegeschäfts in die ferne Zukunft vorzustoßen – Künstliche Intelligenz (KI) und Virtual Reality zum Beispiel – ist in SciFi-Filmen Gegenwart. Mit dem Raumschiff-Computer Hal 9000 in „Odyssee“ thematisierte Stanley Kubrick schon vor Jahrzehnten die Problematik der KI: Was passiert, wenn Computer selbst zu denken und zu fühlen beginnen und sich bemüßigt fühlen, den Kampf mit Menschen aufzunehmen, die selbstredend schon über Tablets verfügten. Selbstfahrende Autos? Die hat Steven Spielberg schon 2002 für “Minority Report“ erfinden lassen – neben Smartwatches! Schon zuvor, hatte Wim Wenders für seinen Film „Bis ans Ende der Welt“ (1991) eine schicke Armbanduhr mit integriertem Minicomputer kreieren lassen, die auch die Uhrzeit für verschiedene Zeitzonen zeigte. In Fritz Langs „Metropolis“ (1927) gab es nicht nur rasende Hoch- und Schwebebahnen und Flugobjekte, sondern auch das Bildtelefon. Mobiltelefone und Körperscanner waren obligatorisch in „Startrek“ (“Beam me up, Scotty!”) und die Wisch-Navigation in „The Matrix“ (1999). Ganz abgesehen davon, dass in vielen SciFi-Filmen neue für die jeweilige Zeit innovative Visualisierungsverfahren erfunden wurden wie etwa rechnergesteuerte Motion-Control-Kameras, Bullet-Time-Effekt oder Performance-Capture-Technik, die menschliche Bewegungen auf Computerfiguren überträgt. Auch die Entkörperlichung des menschlichen Hirns in eine virtuelle Realität ist seit Jahren Thema von SciFi, verbunden mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, wie Giesen meint. Wohin sich VR entwickeln wird, hängt wie bei anderen wissenschaftlichen Errungenschaften von der ethischen Verantwortung ab, mit der sie begleitet werden müssten.
Was ist mit der „Gesellschaft der Zukunft“? Angefangen bei „Metropolis“, wo es eine Oberstadt mit luxuriösen Penthouses für Reiche und eine düstere Unterstadt für Arme gibt, überwiegen bis heute dystopische Szenarien in den SciFi-Filmen, analysiert Kurator Warnecke. Albträume „von Überwachung und Uniformität, von perfekter Kontrolle und Strafe für Abweichung“. Es werden „hypermoderne Städte“ visualisiert, „die von humanoiden oder noch als Maschinen erkennbare Roboter bevölkert sind“. Letzte noch lebende Menschen streifen durch verödete Landschaften oder in Trümmern liegende Städte, nach Kriegen, Klimakatastrophen oder Pandemien. Offensichtlich halten die meisten SciFi- wie auch Medienmacher negative Visionen, schlechte Nachrichten für reizvoller als die positiven Utopien. Vielleicht, weil sich Zerstörung und Untergang wie bei „Independence Day“ bombastischer in Szene setzen lässt als Harmonie. Dabei wird in vielen SciFi-Filmen der kommende Untergang auch gerne mit Breaking News eingeleitet. Interessanterweise haben sich die Kuratoren aber den Titel der Ausstellung „Things to come“ („Was kommen wird“) von einem der offensichtlich wenigen SciFi-Filme entliehen, die eine Dystopie in eine positive Utopie dreht. Der britische Film (Regie: William Cameron) stammt aus den „technikgläubigen 1930er Jahren“, wie Warnecke im Katalog beschreibt, und hatte schon 1936 den Zweiten Weltkrieg vorhergesehen wie auch Fernsehen und andere audiovisuelle Medien samt E-Learning. Nachdem alles zertrümmert war einschließlich zivilisatorischer Errungenschaften und auch noch eine Seuche ausbrach, „tauchte plötzlich eine Gruppe von Menschen auf, die sich technisch weiterentwickeln konnten und die eine neue, weiß strahlende Zivilisation etablieren“. Auf zur positiven Utopie!
Erika Butzek
© M. Stefanowski
MB 3/2016