Agilität als Flucht vor der Festlegung

Beim Executive Roundtable-Gespräch von MEDIEN BULLETIN am 9. Oktober in München ging es um „Tools für mehr Workflow Effizienz in der Produktion“. Wolfgang Wagner, Direktor Produktion und Technik beim WDR nutzte die Gelegenheit auch, um über die Einführung agiler Prozesse zu sprechen.

59
Agilität als Flucht vor der Festlegung

Wer in diesen Tagen auf Broadcast-Messen oder Medienkonferenzen unterwegs ist, wird mit vielen neuen Begriffen konfrontiert. Manche davon sind nichts weiter als hippe Marketing-Vokabeln, andere versuchen, innovative Entwicklungen und Prozesse zu beschreiben. Dazu zählt auch Agility oder Agilität. Die Idee vom agilen Arbeiten, oder vom beweglichen Arbeiten, wurde bereits 2001 von Softwareentwicklern im sogenannten Agile Manifest geprägt. Dahinter verbirgt sich eine Art Methodenkoffer zur Optimierung der Softwareentwicklung bei zunehmender Komplexität von Projekten. Agilität wird heute nicht nur bei der Softwareentwicklung, sondern auch in Verbindung mit Workflows verwendet. Das heißt: Im Zuge der Digitalisierung, die heute alle Arbeitsprozesse betrifft, werden agile Methoden auch in Nicht-IT-Bereichen eingesetzt – um Kosten und Zeit zu sparen. Agile Technik erfordert agile Teams und agiles Arbeiten sowie das Aufbrechen von Hierarchien und traditionellen Strukturen – auch im Broadcast-Bereich. Begriffe wie Agility stehen für den wachsenden Einfluss der IT in der Broadcast-Welt.

Wolfgang Wagner, Direktor Produktion und Technik beim WDR, äußerte sich skeptisch, ob sich die damit verbundenen Prinzipien in der Broadcast-Branche so einfach umsetzen lassen. So sei Agilität in der Software-Entwicklung eigentlich nur die Flucht vor der Festlegung, findet Wagner. Agile Projekte mache man nur, wenn man sich nicht dazu bereit erklären wolle, was das Endziel sein soll.

„Bei Agilität ist der Weg das Ziel. Man legt nur fest, wie lange man an etwas arbeiten soll und was man dafür zahlen will, aber man legt kein inhaltliches Ergebnis fest. Und das macht es am Ende so kompliziert und führt dazu, dass man immer wieder mal zwischen drin aufhört, weil man sich bereit erklärt, sich auf ein Teilergebnis zu beschränken, weil die Komplexität zu groß wird“, findet Wagner und führt aus: „Andererseits verstehe ich, dass wir heute agil arbeiten müssen, weil unser Geschäft so flexibel geworden ist und weil die Rahmenbedingungen sich ständig so schnell ändern, dass wir uns es nicht mehr leisten können, ein Leistungsverzeichnis über Jahre zu schreiben und dann noch der Software einen mehrstufigen Qualitätssicherungsprozess zu unterziehen, damit sie auch wirklich funktioniert.“ In der Zeit hätten sich beim WDR jegliche Anforderungen komplett geändert.

Anzeige
Riedel Ad

Das sei eine der großen Herausforderungen, die auch in aktuellen WDR-Ausschreibungen und Projekten festzustellen sei. Alle Projekte, die auf mehr als drei Jahre ausgelegt seien, würden sich überholen: “Anforderungen sind nach drei Jahren gar nicht mehr vergleichbar sind mit denen, die man am Anfang des Projektes noch hatte”, sagte Wagner. 

“Besonders schwierig wird es, wenn es sich um unternehmensweite Anwendungen handelt, wo vielleicht tausende User dranhängen oder Millionen Investitionen damit verbunden sind. Wir müssen den Aufwand deshalb konzentrieren und begrenzen. Wir werden uns wohl damit abfinden müssen, allein aus Budgetgründen, kleinere Brötchen zu backen, die auf kürzere Zeiträume ausgelegt sind und effektiv genutzt werden können. Damit man dann nach fünf Jahren kein schlechtes Gewissen haben muss, wenn man sie dann abschreiben muss”, erklärte Wagner.

SaaS als Agilitäts-Booster

Auf die Frage ob skalierbare Software auf SaaS-Basis der Agilität eines Unternehmens zu Gute komme oder das nur Wunschdenken der Hersteller sei, antwortet Wagner: “Agilität ist kein Unternehmensziel, sondern nur ein Werkzeug. Agilität strebe ich auch nicht an, agile Arbeitsprozesse nutze ich, wenn sie mir helfen, ansonsten aber nicht. Wie schafft man es also die redaktionellen Workflows in Einklang zu bringen mit Standardsoftware, die angeboten wird. Wenn ich SaaS-Lösungen anmiete, dann ist das Standardprodukt zumindest in beschränktem Kreis nutzbar und erst dann richtig effektiv, wenn ich meine Workflows daran anpasse.”

Die spannende Frage sei daher, wie viel Standardisierung herbeigeführt werden könne, um Software zu nutzen, die bereits vorhanden ist. “Meine Erfahrung ist ehrlicherweise, dass unser Business, insbesondere wenn es um Aktualität geht, relativ schwer zu standardisieren ist, weil Aktualität eben nicht vorhersagbar ist. Bei einer Live Produktion wissen sie nicht, was in den 45 Minuten einer Sendung passiert. Standardisierung herzustellen, wie man es in der Buchhaltung mit SAP tun kann, ist hier sehr schwer.”

Ein ausführlicher Bericht zum Executive Roundtable von MEDIEN BULLETIN findet sich in der kommenden Ausgabe von MEDIEN BULLETIN / mebulive, die am 25. November erscheint. (11/19)