Auf den Gängen der NAB Show in Las Vegas herrscht geschäftiges Treiben, das Messeparkett ist ein Kaleidoskop aus blinkenden Monitoren, leuchtenden Logos und technikverliebten Gesprächen. Inmitten dieser Welt aus Algorithmen und Antennen sitzt Jan Weigner, President und CTO des Münchener Broadcast-Software-Unternehmens Cinegy, im mebucom-Interview. Er spricht pointiert, mit einer Mischung aus lakonischem Humor und technischem Tiefgang. Und mit einer Klarheit, die in einer Branche, die gerade mächtig durcheinandergewirbelt wird, fast erfrischend wirkt.
Untertitel in zwei Sekunden – ein echtes KI-Anwendungsbeispiel
Weigner ist keiner, der sich von Hypes mitreißen lässt. Auch nicht vom KI-Hype. „Wir haben unsere Buzzwords sortiert“, sagt er trocken. Was Cinegy an KI tatsächlich einsetzt, sei schlicht und funktional: automatische Untertitelung in Livestreams. Möglich macht das OpenAIs Whisper-Engine – in Cinegys Fall so getuned, dass zwischen gesprochenem Wort und Untertitel gerade mal zwei bis drei Sekunden vergehen. „Das sieht dann fast aus wie in Echtzeit“, sagt Weigner. Und: „Das funktioniert in hundert Sprachen. Auch in Deutsch, mit bis zu 97 Prozent Genauigkeit – besser als jeder menschliche Logger.“
Ein geopolitisches Beben trifft die Broadcast-Welt
Doch das Gespräch dreht sich schnell von Technologie zu Politik. Die Folgen globaler Spannungen sind auf der NAB greifbar, auch für Cinegy. Weigner berichtet von Sendern, die über Nacht verschwunden sind, Mitarbeiter, die vor verschlossenen Studiotüren standen. Voice of America? Totalschaden. „Ein, zwei meiner Kunden gibt es nicht mehr“, sagt Weigner knapp.
Selbst in stabileren Regionen wie Mitteleuropa gerät das Fundament öffentlich-rechtlicher Finanzierung ins Wanken. „Bei ARD und ZDF mag das noch relativ stabil sein, aber in anderen Ländern wird bereits das Budget halbiert.“ Der Broadcast-Markt, so Weigner, sei seit Jahren auf dem Weg zur Null – „alles billiger, günstiger, schneller.“
Der Software-Vorteil: keine Zölle auf Code
In dieser Zeit wirtschaftlicher Unsicherheit sieht sich Cinegy im Vorteil – gerade weil man keine Hardware verkauft. „Wir sind Software“, sagt Weigner fast mit einem Schulterzucken. „Da gibt’s keine Importzölle.“ Während Wettbewerber mit Lieferkettenproblemen kämpfen oder sich von geopolitischen Entscheidungen ausbremsen lassen, bleibt Cinegy flexibel. Und günstig. „Was andere für ihren SLA-Support zahlen, reicht bei uns für eine komplette Lösung.“
Diese Flexibilität mache Cinegy attraktiv – besonders für Kunden, denen das Budget davonläuft. Noch vor wenigen Jahren, erzählt Weigner, hätten viele potenzielle Kunden abgewunken: „Wir bleiben bei den Großen.“ Heute sind es genau diese Kunden, die sich auf dem Cinegy-Stand nach Alternativen umsehen.
Künstliche Intelligenz ersetzt nicht nur Tools – sondern ganze Interfaces
Doch zurück zur KI: Was sie kann, wird oft über- und gleichzeitig unterschätzt, meint Weigner. „Die Leute verstehen nicht, dass KI kein Bewusstsein hat. Sie ist ein Datenfilter, mehr nicht.“ Trotzdem sieht er darin enormes Potenzial. Klassische Benutzeroberflächen, wie sie Cinegy seit Jahren baut – Tabellen, Icons, Filter – werden künftig obsolet. „Wenn ich der KI sage: ‘Finde mir ein Video, das so aussieht, aber etwas fröhlicher’, brauche ich kein Menü mehr.“
Das führt zu einem grundlegenden Wandel im Softwaredesign. Cinegy denkt bereits radikal um. Die Vision: Systeme, die nicht mehr über klassische Interfaces funktionieren, sondern über kontextbasierte Interaktion mit der KI – lokal gehostet, unter voller Datenkontrolle. Denn Weigner ist skeptisch gegenüber der Idee, sämtliche Unternehmensdaten an US-Konzerne wie OpenAI oder Meta zu übermitteln. „Ich will, dass das auf meinem Server läuft. Sicher. Transparent. Und meins.“
ChatGPT empfiehlt Cinegy – und hat recht
Anekdoten wie diese illustrieren, wie präsent KI bereits ist – auch jenseits technischer Fachkreise. „Ein Kunde kam zu uns, weil er ChatGPT gefragt hatte, was das günstigste und zuverlässigste Fernsehsystem sei. Antwort: Cinegy.“ Weigner lacht. „War keine Werbung von uns. Das Ding wusste es einfach.“
Ein nüchterner Blick in eine rasante Zukunft
Trotz aller Disruption bleibt Weigner ruhig. Vielleicht, weil er die Broadcast-Branche kennt wie wenige andere. Vielleicht, weil er weiß, dass in dieser Industrie Pragmatismus über Utopie siegt. Oder weil er längst verstanden hat, dass sich die wirklich großen Fragen – über Souveränität, Datenhoheit, technologische Unabhängigkeit – nicht durch Buzzwords beantworten lassen.
Und so steht er auf der NAB nicht als Prophet der Innovation, sondern als Architekt pragmatischer Systeme. Seine Botschaft ist schlicht: „Hauptsache, wir bleiben on air.“