Die Zukunft in der Broadcast-Technik gehört IP-basierten Infrastrukturen. Sie werden über kurz oder lang existierende SDI-Lösungen ersetzen. Darüber ist man sich einig. Nur welcher Weg ist bei diesem Wechsel der richtige? Welche Standards und Marktinitiativen sind die erfolgversprechendsten? Wer auf der NAB 2016 dazu ein Showdown erwartet hatte, wurde enttäuscht. Es gibt keinen Kampf um Standards mehr. Alle Hersteller sind bemüht, sich im Sinne von offenen, interoperablen Systemen miteinander zu arrangieren. Der Anwender soll davon profitieren. Und er wird, das hoffen alle Hersteller, seine bisherige Kaufzurückhaltung aufgeben, wenn er mehr Investitionssicherheit bei neuen IP-basierten Technologien erkennt.
Das war auch ein Argument, das auf der NAB immer wieder zu hören war. Beispiel für die Bereitschaft zur Zusammenarbeit war die Ankündigung von Sony und Grass Valley, gemeinsam IP-Standards in der Branche voran treiben zu wollen. Sony wird Mitglied der AIMS (Alliance for IP Media Solutions) und Grass Valley entwickelt eine IP-zu-IP-Gateway-Karte als Brücke zu Sonys IP-Live-Produktionssystemen und zum Networked Media Interface (NMI), das HD- und UHD/4k-Video, Audio und Metadaten in Echtzeit über Standard-Netzwerkinfrastrukturen paketiert, überträgt und optimiert. Ziel ist die branchenweite Kompatibilität zwischen den IP-basierten Lösungen und Geräten der beiden Unternehmen. Mit Grass Valley verzeichnet Sony jetzt 49 NMI-Unterstützer. Umgekehrt stärkt Sonys AIMS-Engagement auch diese Marketing-Inititiative weiter. AIMS fördert offene Standards für die IP-basierte Interoperabilität wie SMPTE ST2022-6, AES67 sowie VSF TR-03 und TR-04. „Der Wunsch der Branche ist klar: Sie will echte ISO-Standards, die sich auch langfristig bewähren und umfassende Interoperabilität liefern“, betonte Michael Cronk, Senior VP Strategic Marketing bei AIMS-Gründungsmitglied Grass Valley.
Auf der NAB gezeigt wurde auch die ASPEN-basierte Interoperabilität der IP-Live-Produktionssysteme von Sony mit den „Software Defined Video Networking“ (SDVN) Lösungen von Evertz. ASPEN ermöglicht individuelle IP-Multicast-Streams für Video, Audio und Metadaten. Sony ist seit der IBC 2015 Mitglied der ASPEN-Community und will seine Kameras und Produktionsmischer ASPEN-kompatibel machen. Am ASPEN-Stand zeigte Sony funktionierende Prototypen im Zusammenspiel mit anderen ASPEN-Produkten.
Unternehmen wie Evertz und AJA unterstützen derweil möglichst alle IP-Interessensgruppen im Broadcast-Business. AJA präsentierte in Las Vegas die Kona-IP-I/O-Karte, die künftig alle IP-Standards unterstützen soll (heute SMPTE 2022-6). „AJA ist traditionell partnerorientiert aufgestellt. Wir arbeiten schon länger an Produkten, um Brücken bei IP-Workflows zu schlagen. In den nächsten Monaten wird man mehr davon sehen“, versprach AJA Marketing Manager Bryce Button.
Und Sebastian Ruchti von Evertz meinte: „Als Partner von AIMS, NDI, Aspen und IP Alliance wollen wir sicherstellen, dass unsere Kunden, egal was passiert, auf der sicheren Seite sind. Interoperabilität und Offenheit werden immer wichtiger.“
Auch bei Ross Video ist diese Erkenntnis angekommen. Man hat sich der ASPEN Community angeschlossen. Für den Top-Videomischer-Serie Acuity gibt es eine ASPEN I/O-Karte mit der zum Beispiel das Magnum-Kontrollsystem von Evertz verbunden werden kann. Sie ist S2022-6- und, laut Ross, bald auch TR-03-kompatibel. Zur NAB ist Ross mit ASPEN-Mitglied Hitachi eine offene IP-Technologie-Partnerschaft eingegangen. Hitachi zeigte wie Kamera-Set-up und -Kontrolle über das Ross DashBoard-Kontrollsystem, voll integriert in das Robotics-Kamerakontrollsystem von Ross, funktioniert. „In der heutigen Technikwelt kann keine Firma mehr eine Insel sein. Kooperationen mit Industriepartnern sind nicht nur wichtig in Sachen Ausbau der eigenen Expertise sondern auch, um schneller ans Ziel zu kommen mit gemeinsamen Standards und Plattformen“, erklärte David Ross, CEO von Ross Video.
Hitachi zeigte auch das Zusammenspiel seiner Kameras mit der Media Links IP-Transport-Plattform MD8000. Dabei wurden 4k-Aufnahmen als unkomprimierte IP-Streams via Glasfaserverbindung zum Media Links-Stand gesendet.
Eine weitere IP-Workflow-Präsentation kam von Panasonic und Canon. Sie zeigten auf der NAB eine Video-over-IP (VoIP)-Lösung mit einem neuen VoIP-Gateway für 4k und HD zur Übertragung hochauflösender Videos über IP-Netzwerke (10 GB Ethernet). Das VoIP Gateway arbeitet mit TICO-Kompression und konvertiert 4k/60p Basisband-Signale in IP-Pakete. „Es gibt wachsende Nachfrage in der Broadcast-Industrie nach Live-Produktionen in UHD, 4k und 8k”, sagt Guilhem Krier, Leiter Produktmarketing & Business Development Europe bei Panasonic. „IP-Technologie hat die Kapazität und Flexibilität, um diese Nachfrage zu befriedigen. Dank Videokompression sind 4k-Übertragungen möglich. Dafür arbeitet Panasonic mit intoPIX zusammen, der Firma, die den TICO-Codec entwickelt hat.“ Panasonic ist seit März 2016 auch AIMS-Mitglied. Um Produktionsequipment nahtlos durch VoIP verbinden zu könnnen will das Untrernehmen in Zukunft VoIP-Gateway-Funktionalitäten direkt in Produkte integrieren.
AIMS-Gründungsmitglied Imagine Communications unterstützte die IP-Diskussion auf der NAB mit den ImagineLIVE! Power Sessions auf seinem neu gestalteten Stand in der Nordhalle. Imagine-CTO Steve Reynolds erklärte: „Auf der NAB 2015 waren die Kunden wegen der unterschiedlichen Strategien bei IP-Workflows noch sehr verunsichert. Deshalb haben wir die AIMS-Initiative zur Förderung einer gemeinsamen Entwicklung, auch mit Blick auf den Einsatz bereits vorhandener Standards und Spezifikationen von SMPTE 2022-6 als Grundlage zur Interoperabilität über den Audio-over-IP-Standard AES 67 bis hin zu VSF TR-04 und VSF TR-03. Bis heute haben wir damit viel Konsens erzielen können. Wir sehen der IP-Entwicklung deshalb mit großer Zuversicht entgegen.“
Eher skeptisch sieht man das bei Axon. “Es ist noch ein holpriger Weg bis es zu wirklich funktionierenden IP-Workflows kommt. Probleme gibt es hier ja nicht auf der Transportlayer-Ebene, sondern auch beim Bandbreitenmanagement, Traffic Shaping, etc. Die unterschiedlichen Lager bei IP scheinen sich anzunähern. Aber erst einmal abwarten, wie echt das wirklich ist“, meint Jan Eveleens, CEO von Axon. Das Unternehmen hat in der Vergangenheit AVB-Lösungen unterstützt, ist nun aber dazu übergegangen, den SMPTE 2022-6-Standard zu implementieren und will auch den Weg hin zu TR-03 mitgehen.
Blackmagic unterstützt TICO Alliance
Bei Blackmagic Design betrachtet die IP-Entwicklung vor allem aus dem Aspekt der allgemeinen Erschwinglichkeit. Firmenchef Grant Petty stellte zur NAB 2016 seine IP-Video-Strategie vor und gab in dem Zusammenhang die Beteiligung von Blackmagic Design an der TICO Alliance bekannt. Petty: „Wir haben vor allem die Kundenanforderungen im Blick. Und die zielen auf kostengünstige, leicht handhabere Produkten und Lösungen auf Basis offener Standards. Um dies zu realisieren, werden wir einige unserer 12G-SDI-Produkte, die reguläre Gigabit-Ethernet-Verbindungen verwenden, mit IP-Videosupport aufrüsten, der den TICO-Codec für HD nutzt. TICO ist ein fantastischer Codec mit äußerst geringer Latenz, den Sie für die Live-Produktionsarbeit verwenden können. Wir sind der TICO-Allianz beigetreten, um das Unsere zu tun, diesen Codec zu fördern und für die übergreifende Kompatibilität zwischen den IP-Videoprodukten diverser Hersteller zu sorgen.“ Zum unkomplizierten Einsatz von IP-Video will Blackmagic Design sein reguläres Videohub-Steuerpanel modifizieren, sodass es künftig die Verwaltung von IP-Videogeräten unterstützen wird. Sämtliche IP-Videogeräte in einem Sendekomplex sollen so als „simple Broadcast-Router“ verwendet werden. Anwender, so Petty, müssten lediglich bestimmen, wie groß dieser „Broadcast-Router“ sein sollten und dann die Geräte an die Ein- und Ausgänge anschließen. „Das verwendete Protokoll ist das reguläre Videohub Control Panel Protocol, sodass aktuelle Router-Hardware und Software-Panels schlicht und einfach funktionieren”, meinte der Blackmagic Design Chef. „Wir glauben, dass man allein auf diesem Weg zu niedrigpreisigen IP-Videolösungen gelangt, die überdies einfach umzusetzen und zu verwenden sind. Weil wir offene Standards benutzen, bleibt die Kontrolle jederzeit beim Kunden.“
NewTek startet IP-Lösung NDI
NewTek stellte zur NAB sein Network Device Interface (NDI) vor und bringt dazu ein lizenzfreies, kostenloses Software Development Kit (SDK) auf den Markt. Die Technologie ermöglicht die Nutzung IP-basierter Workflows via Ethernet-Netzwerke bei Live-Produktionen. NDI ist auch rückwärts-kompatibel mit Geräten vieler Hersteller und -Entwickler, die bereits NewTeks bisherige Technologie nutzen. Damit ist eine IP-Konnektivität zwischen den Geräten möglich. So erstreckt sich die Unterstützung für NDI laut NewTek auf weit mehr als 100.000 weltweit im Einsatz befindliche kompatible Systeme. Diese Anzahl wird voraussichtlich deutlich ansteigen, so NewTek, sobald weitere Produkte von den mehr als 200 Unternehmen verfügbar werden, die sich als NDI-Entwickler angemeldet haben. NDI ermöglicht es, dass sich mehrere Video-Systeme erkennen und miteinander über IP kommunizieren und viele framegenaue, hochqualitative Video- und Audio-Datenströme mit niedriger Latenz in Echtzeit kodieren, senden und empfangen können. Dies ist für alle im Netzwerk angeschlossenen Videogeräte von Vorteil. So ist es möglich, die Anzahl der Quellen zum Mischen einer Live-Produktion exponentiell zu steigern, ohne direkt mit Geräten verbunden zu sein, Standorte zu wechseln oder in teure, breitbandige Netzwerke investieren zu müssen, die SDI-basierte Workflows einfach ersetzen. Dr. Andrew Cross, der Präsident und CTO von NewTek: „NDI arbeitet mit Anwendungen fast aller wichtigen Hersteller und praktisch jeder I/O-Karte auf dem Markt. Es besteht kein Zweifel, dass dieser Schritt hin zur IP-basierten Produktion unsere Branche grundlegend verwandelt.“
Lawos V__matrix
Eine der interessantesten Neuvorstellungen in Sachen IP-Lösungen war auf der NAB Lawos Software-definierte IP Core Routing- und Processing-Plattform V__matrix. Sie baut auf den Prinzipien von Datenzentren auf und bietet Flexibilität, Fabric Computing und Wirtschaftlichkeit mittels Standard Switches. V__matrix stellt eine vollständig virtualisierte Echtzeit-Produktionsinfrastruktur bereit und nutzt sie für viele Cores, die an einen Hochleistungs-Switch mit redundanter 10GE- und 40GE-Konnektivität angebunden sind. So lässt sich eine verteilte IP Routing- und Processing-Matrix mit frame-genauem Clean Switching wie bei herkömmlichen Baseband-Kreuzschienen aufbauen. Generische Hochleistungs Core-Processing-Blades und software-definierte „Virtual Modules“ bieten jede erforderliche Funktionalität. So können ganze Arbeitsabläufe im Wechsel der Produktionen und ihren entsprechenden Anforderungen ausgetauscht werden. Die Core Processing Blades sind in Gehäusen von 1, 2 oder 3 HE untergebracht. Über optionale V__matrix I/O-Cards bieten sie physikalische Konnektivität zu herkömmlichem SDI-Equipment, wobei das Lawo VSM Broadcast Control und Monitoring System als Steuerungsebene dient. Das System ermöglicht das Schalten und Routen von Signalen sowohl in der IP- als auch in der SDI-Domäne und beinhaltet die Lawo SDN-Steuerung für Videorouting mit Frame-genauen Clean Switching in der IP-Domäne wie auch die Steuerung und das Monitoring für bestehende SDI-Infrastrukturen und IP-basierte Drittgeräte. Als vollständig IP-basierte Plattform kann V__matrix laut Lawo überall – in einem Ü-Wagen, einem Fernsehstudio oder einem Hauptschaltraum – als virtualisierte Core-Infrastruktur für Live-Produktion eingesetzt werden. Da die Möglichkeiten des Systems und die Funktionalität der Signalketten nicht von physikalischer Konnektivität von Hardwaremodulen bestimmt sind, kann das Routing und das Processing sowohl dezentralisiert und über eine oder mehrere Gebäude verteilt sein als auch zentralisiert an einem Standort wie einem Ü-Wagen geleistet werden. Die funktionsagnostische Core-Processing-Hardware von V__matrix erlaubt es den Anwendern, komplexe Workflows abzubilden, indem sie einfach die entsprechenden Virtual Modules laden und aktivieren. Die Virtual Modules können je nach Produktionsanforderungen während des Betriebs ausgewechselt werden. Durch Kaskadieren vieler Virtual Modules kann V__matrix linear bis zu mehreren Tausend SDI I/Os und Audio/Video Processing-Funktionen skaliert werden, was eine beispiellose Flexibilität, Vielseitigkeit und Kosteneffizienz darstellt. V__matrix basiert vollständig auf offenen Standards und erfüllt die AIMS Roadmap: SMPTE 2022-6/-7, VSF TR-03/04, AES67 sowie SMPTE VC-2 und Ember+ gewährleisten den Übergang zu einer vollkommen IP-basierten Umgebung.
Riedel verabschiedet traditionelle Router
Thomas Riedel, Geschäftsführer von Riedel Communications, nutzte die NAB-Pressekonferenz seines Unternehmens zur „Closing Ceremony“ für die traditionelle Routing-Technik. Mit einer Kettensäge rückte er dabei einem hölzernen Router-Modell zu Leibe. Zuvor berichtete Riedel über die Erfolgsgeschichte von MediorNet. Das Glasfaser-Signaltransport- und Routing-System ist seit sieben Jahren mit weltweit mittlerweile 2745 Nodes auf dem Markt. Als aktuelles Referenz-Projekt nannte Riedel den Bau von zwei neuen Ü-Wagen beim französischen TV-Dienstleister AMP Visual TV. „Beide haben keine monolithischen Router an Bord, sondern arbeiten bei Transport, Routing und Prozessing von Audio- und Videosignalen ausschließlich mit MediorNet als dezentralisiertem Konzept”, erklärte Riedel. Die Ü-Wagen seien auch für den 4k-Einsatz geeignet und erstmals beim 24-Stunden Rennen in Le Mans mit 80 HD-Live-Kameras am Start. Beide Ü-Wagen seien hier zusammengeschaltet und agierten dabei wie ein System. Bei 4k-Produktionen kann AMP mit den neuen Ü-Wagen bis zu 30 4k-Kameras einsetzen. MediorNet unterstützt laut Riedel auch den Audio- und Video-Transport via IP auf Basis des SMPTE 2022-6-Standards „und erlaubt uns mehr und mehr in Richtung IP zu migrieren”, betonte er. „Wir sind ein Pionier im Audio- und Video-Netzwerkbereich. Unsere Lösung ist Plug & Play und ideal, um von traditionellen Broadcast- auf IP-Workflows zu migrieren.” MediorNet sei die Antwort auf alle offenen Fragen, die Broadcaster und TV-Dienstleister bei der Planung zukunftssicherer IP-Workflows hätten. Riedel: „Wir reden nicht über ein Konzept, wie das viele hier auf der Messe tun, sondern über ein seit Jahren auf dem Markt bewährtes System.“
Eckhard Eckstein
MB 2/2016