Noiz statt News

Am 5. August ist in Berlin mit joiz ein neuer Jugendsender als bundesweites, 24-stündiges Free-TV gestartet. Der Sender rühmt sich selber der „erste Social-TV-Sender Europas“ zu sein. Was ist neu an joiz, welches Geschäftsmodell steckt dahinter?

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Noiz statt News

Bleib dran, mach mit!: Wer den Jugendsender joiz eingeschaltet hat, wird permanent auf Trapp gehalten. Unentwegt fordern die adretten, hippen Moderatoren ihre Zuschauer auf, Meinungen und Kommentare zu schicken, an einem Voting teilzunehmen, Videos oder Fotos zu posten oder mit dem Sender zu skypen. Zwar ist das Mitmach-Prinzip längst bei allen Sendern als Zusatzkomponente in Magazin- oder Livesendungen wie Show und Sport eingebunden, und man probiert immer wieder auch aus, fiktionale Formate in den Online-Bereich hinein zu verlängern. Doch all das soll bei joiz keine Zusatzkomponente, sondern Programmkonzept für die Generation Y, die sogenannten „Digital Natives“ sein – eine bei der Werbewirtschaft höchst beliebte Zielgruppe.

Ob joiz-Programmchefin Jennifer Mival oder Carsten Kollmus, Geschäftsführer von joiz in Deutschland, unisono stellen beide als Besonderheit des Senders denn auch nicht die Inhalte, sondern seine „interaktive Vernetzung“ mit dem Publikum in den Vordergrund. In einem an die Werbewirtschaft gerichtetem Statement betont Kollmus, dass joiz klassisches Fernsehen „in einem Ausmaß mit dem Netz, Mobile und Social-Plattformen verknüpft, das bisher noch kein Sender erreicht hat“. Damit komme man „der Vorliebe unserer Zielgruppe, zwischen 15 und 34 Jahren, zum ‚posten’, ‚liken’ und ‚sharen’“ entgegen. Genau das sei das einmalige Konzept für die Programm-Gestaltung. Interaktion ist für Kollmus „der Nährboden unseres Modells, das in der Schweiz sehr gut funktioniert und das wir nun für Deutschland adaptiert haben“. Als klassisches Free-TV-Programm wird joiz hierzulande via Kabel, Satellit, im Pay-TV von Entertain empfangen. Ebenso wird joiz als Livestream in Kombination mit VoD im Web-TV und als Mobile App angeboten.

Das joiz-Studio in Berlin, wo der Sender nach Angaben von Mival täglich 3,5 Stunden frisches Live-Programm für die Primtetime zwischen 17 und 20.30 Uhr produziert (und es danach im linearen Programm wiederholt und als VoD online bringt), sieht aus wie ein großes WG-Wohnzimmer. Eine vergleichbare Kulisse, wie sie etwa auch beim Scripted-Reality-Format „Berlin – Tag & Nacht“ (RTL II) ein TV-Zuhause für junge Zuschauer schafft. Bei joiz allerdings ist im Unterschied ein gemütlicher Teppich ausgelegt, weshalb die Kamerafrauen und -Männer, die häufig im Bild in Action mit eingeblendet werden, aufpassen müssen, dass sich ihre Kabel darin nicht verwickeln. Um für Abwechslung in der Kulisse zu sorgen, ist in einem zweiten Studio bei joiz eine Green Box installiert. Das Programm wird mit Musik- und YouTube-Clips und Bildern der Agentur GettyImages bestückt. Dass joiz keine großen Sprünge hinsichtlich Programm-Investition machen kann, räumt Mival ein. Als Start-up müsse joiz eher experimentieren. Damit joiz das Programm möglichst kostengünstig produzieren und ausspielen kann, hat das Systemhaus Wellen+Nöthen entsprechende Technik am Berliner Standort installiert: „Ingest-, Video-, Grafik-, Ton-, Playout- und Automationstechnik für eine durchgängige HDTV-Produktion“, samt „Media Asset Management sowie ein Werbe- und Scheduling-System“, das das Playout an TV-Distributionswege und Web-Plattformen einschließlich Video-on-Demand anbindet.

In der Schweiz ging joiz bereits im März 2011 als Start-up mit Wagniskapital der Creathor Venture Management GmbH auf Sendung. Zum damaligen Zeitpunkt war die konsequente Verbindung von klassischem TV mit den Social-Media-Kommunikationsfunktionen wie Twitter, Facebook und YouTube höchst innovativ. Doch mittlerweile ist das gängig geworden und etwa Pro7, Sat.1 und RTL haben dafür auch spezielle Apps für Mobilgeräte auf den Markt gebracht. Hinzu kommt, dass mit SmartTV die Verschmelzung von TV mit Internet ohne Medienbruch obligatorisch wird. Dafür bieten alle großen Sender seit längerem den „Red Button“ an, der vom Zuschauer auf der Fernbedienung gedrückt werden muss, um zum zusätzlichen interaktiven Programm (HbbTV) in den Servern der Sender zu gelangen. Damit der rote Knopf auch genutzt wird, wollen die großen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendergruppen dafür gemeinsam mehr Reklame machen. Und auch joiz versucht den Red Button zu popularisieren. Wer ihn häufig drückt, der wird mit Preisen belohnt. Wie überhaupt: Ein joiz-Zuschauer, der sich fleißig in Zulieferung von Kommentaren und Mitmach-Aktionen zeigt, ist an Gewinn-Spielen beteiligt, wobei man Punkte einsammelt. Dafür kriegt er dann beispielsweise eine kostenlose Tasse Kaffee bei Starbucks, und wer viele Punkte hat, auch Kosmetik-Sets oder andere Livestyle-Produkte.

Facebook als Newslieferant

Zwar produziert joiz in Deutschland ein anderes Programm als in der Schweiz. Doch drei Erfolgsformate wurden mit Start des Jugendsenders in Deutschland adaptiert, erklärt Mival. Das Format „Living Room“ ist eine Entertainment Show, in der die Moderatoren, Musiker oder Schauspieler als Gäste begrüßen und mit ihnen talken, so ungefähr wie es auch einmal beim Musiksender VIVA war. Die WG-Wohnzimmer-Kulisse im größeren Studio bietet genügend Platz, eine Band live auftreten zu lassen. Überhaupt ist Musik mit einem Programm-Anteil von 40 Prozent neben Fashion und Lifestyle thematisch führend. JoiZone ist indessen ein Talkformat, an dem sich ähnlich wie beim ZDF-Format „log in“ die Zuschauer höchst selbst über Facebook, Twitter oder Skype mit Fragen und Meinungen einbringen können. Last but not least wurde aus der Schweiz das Format „noiz“ übernommen, das der Sender selber als News-Magazin bezeichnet. Der Grund offenbar, warum die mabb joiz als einen Vollprogrammsender lizensiert hat. Früher einmal war mit einer Vollprogramm-Lizenz der Zwang verbunden, politische Nachrichten zu bringen. Die allerdings sind bei „noiz“ nur sehr selten zu finden.

Nach welchen Kriterien werden Talk- und Newsthemen von der joiz-Redaktion herausgefiltert, so dass sie maßgeschnitten für die junge Zielgruppe sind? Mival erklärt: Es werde in den großen Internet-Portalen der „üblichen Verdächtigen“ recherchiert. Als Quelle wichtiger sei aber Facebook, wo man herausfinden könne, mit welchen Themen sich das anvisierte Publikum selber beschäftige. Letztlich sei ein Filter dadurch gegeben, dass die Redaktion im Alter von 20 bis 30 Jahren sei und damit „von der Zielgruppe für die Zielgruppe“ über die Auswahl entscheide, mit einem „subjektiven Blick auf die Welt“. Als Beispiel für ein gesellschaftlich-relevantes Thema mit guter Resonanz nennt Mival das Anti-Homosexuellen-Gesetz in Russland, das die joiz-Community sehr emotional diskutiert habe. Beliebt war Ende August auch folgendes Thema: Nachdem Filmstudenten aus Baden-Württemberg mit einem Werbespot Furore gemacht hatten, in dem ein Mercedes Adolf Hitler als Kind überfährt, und sie im Schlussbild den Slogan für die Marke Mercedes stehen ließen „Erkennt Gefahren, bevor sie entstehen”, hat die „noiz“-Redaktion sogar ein Skype-Interview mit den Machern geführt. Die Idee, so kam heraus, stammte von der Werbeagentur Jung van Matt. Da joiz zeitgleich zum Bundestagswahlkampf gestartet war, hatte Mival zu diesem Anlass mit „Jung und naiv – Politik für Desinteressierte“ etwas echt Politisches vorübergehend ins Programm geholt. Die interessante Idee stammt von Tilo Jung, der sich „Freier Chefredakteur“ nennt und mit Politikern auf Du und Du in subjektiver Manier Interviews führt, die er normaler weise auf YouTube veröffentlicht. Bei joiz hat das Format offensichtlich nicht gezündet. Es soll dort nicht weiter laufen. „Neue Formate müssen immer zu unserem Programm passen“, weiß Milval. Zum Beispiel: „Flirt Kitchen“, ein Dating-Game, bei dem die weibliche joiz-Community mit „drei heißen Singlemännern“ chatten können. Social TV hat schließlich nichts mit Politik zu tun, und soziale Netzwerke sind dafür da, kostenlose Inhalte an die zu liefern, die damit Geschäfte mit der Werbewirtschaft machen.
Erika Butzek
(MB 10/13)

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