Sourcing treibt das Business

Wohin bewegt sich die Fernsehlandschaft? Welche Herausforderungen an Technik, Refinanzierung und Zuschauergenerierung muss sie in den kommenden Jahren bewältigen? Diesen Fragen ging die Bitkom-Konferenz NewTV Summit 2015 Ende Januar in Berlin nach. Lineares Fernsehen wird als eine der stärksten Säulen auf absehbare Zeit erhalten bleiben. Doch Fragmentierung von Zuschauerinteressen sowie OTT-Angebote erfordern neue Strategien und den Netzausbau.

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Sourcing treibt das Business

Lineares Fernsehen wächst – zwischen 2007 und 2014 um 14 auf 221 Minuten am Tag. Doch absolute Zahlen sind trügerisch und so wagte Dr. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer von BITKOM, in seiner Eröffnungskeynote einen genaueren Blick. Überdurchschnittlich wuchs der Fernsehkonsum in der Gruppe ab 50. Durchschnittlich bei den 30 bis 49-jährigen. Bei 14- bis 29-jährigen sank er, während er bei den Kindern zwischen drei und 13 Jahren stagnierte. Gleichzeitig nutzen 73 Prozent aller Internetnutzer mobile Endgeräte oder das Smart-TV um sich Videostreams anzusehen. 53 Prozent um sich kurze Videos anzusehen, 46 Prozent nutzen die Mediatheken, 37 Prozent sehen das aktuelle TV-Programm (also eine lineare Nutzung) und nur 19 Prozent nutzen On-Demand-Portale. On-Demand, so ein Ergebnis des Summits, ist ein klarer Wachstumsmarkt. IHS Technology, eine Firma, die Hintergrundinformationen zu den verschiedensten Industrien sammelt und zur Verfügung stellt, prognostiziert im VoD-Bereich ein Wachstum von 42 Prozent auf 458 Millionen Euro allein in Deutschland.

Tom Morrod, Senior Director for TV and Broadcast Technology bei IHS, nannte in seinem Vortrag „The Future of Multiscreen Delivery & Monetization“ Tablets als die am meisten genutzten Endgeräte für OTT-Angebote, gefolgt von SmartTV. Smartphones hingegen liegen auf dem letzten Platz. Dies macht den Kompromiss zwischen Mobilität und Displaygröße deutlich und einen der Gründe, warum lineares Fernsehen nicht ausstirbt: Die Konsumenten wollen ein großes, state-of-the-art Display, vor dem sie es sich gemütlich machen können. Dr. Moritz Holzgraefe, Senior Investment Manager bei Axel Springer, sagte in seinem Vortrag hierzu lapidar: „Es gibt gar nicht so viele gute Serien, die man den ganzen Tag non-linear sehen kann und mit Live-Fernsehen lässt sich die Zeit dazwischen füllen.“ In der Veränderung des Konsums hin zu Online-basierten Vertriebswegen sieht Morrod Potential für die Betreiber der Vertriebsinfrastruktur. Für 2015 hat IHS bei den Media Management Services ein Investitionsvolumen von 35 Milliarden US-Dollar errechnet, für 2017 sind es 44 Milliarden. Dabei entfällt allein die Hälfte auf den Transport, 30 Prozent auf die Verarbeitung und 20 Prozent auf Speicher und Wiederherstellung. Die größte Refinanzierungsplattform durch Werbung, ist laut Morrod nach wie vor lineares Fernsehen.

Noch steckt Video-on-Demand in Deutschland in den Kinderschuhen, erklärte Klaus Böhm, Director Technology, Media & Communication bei Deloitte Consulting. Der Anteil liegt bei schlanken zwölf Prozent regelmäßiger Nutzung. In Deutschland gibt es sieben VoD-Anbieter, was Böhm schon fast für zu viel hält. Jedoch solle der Markt mit einem CAGR (Compound Annual Growth Rate = durchschnittliche jährliche Wachstumsrate) von 21 Prozent von 100 Millionen Euro Umsatz in 2013 auf 385 Millionen Euro in 2020 wachsen. Wachstumstreiber werden die Abonnement-Modelle (SVoD) gegenüber dem Einzelabruf (TVoD) sein. SVoD wird laut Prognose bis 2020 circa zwei Drittel des VoD-Marktvolumens auf sich vereint haben.

Reicht es bei VoD die Bequemlichkeit für den Konsumenten zu erhöhen, brauchen werbefinanzierte Special-Interest-Kanäle alternative Ansatzpunkte zur Refinanzierung. Hier gewinnt Progammatic Adressable TV an Bedeutung. Jean-Pierre Fumagalli, CEO von smartclip, erläuterte was heute bereits möglich ist und was heute schon gemacht wird. Mit Programmatic Adressable TV wird Werbung massgeschneidert auf das Smart-TV des Konsumenten gebracht. In den USA werden so schon ein Drittel aller Smart-TV-Haushalte erreicht, das sind 50 Millionen Stück. Die Werbung wird dort per Straße oder Viertel ausgegeben und noch nicht nach Erkenntnissen, die aufgrund der individuellen Daten des jeweiligen Haushalts gewonnen wurden. Fumagalli sagte zwar nicht voraus, dass es soweit kommen wird, seine ganzen Ausführungen deuteten aber auf dieses Szenario hin. Dass PA-TV in Deutschland noch nicht eingesetzt wird, liegt an der deutschen Einstellung zum Datenschutz, nicht an der Technik. Diese ist bereits vorhanden und wird auch schon eingesetzt. Mit dem HbbTV-Standard gibt es in Deutschland die perfekte Plattform. Die Software für den Red Button gibt Rückmeldung über das Fernsehverhalten. Allein im Januar 2015 wurden über den Red Button 12.000.000 Geräte überprüft. Die Hardware-Hersteller haben Technik verbaut, die dies ebenfalls tun kann. In ihren AGBs lassen sie sich prophylaktisch die Erhebung und Nutzung der Daten zusichern. Selbst wenn man über sein SmartTV keine Internetanwendungen nutzt, kann es mit Datensammlern kommunizieren. Dafür reicht es, es anzuschließen, was fast jeder Nutzer tut, da man beim Einrichten des Geräts dazu aufgefordert wird. Die Anschlussquote liegt bei 85 Prozent so Fumagalli. Jedoch werden in Zukunft immer mehr Inhalte aus dem Internet bezogen. Dies muss gar nicht mal bewusst geschehen. Der Sendersuchlauf des Geräts schlägt neben den klassischen Programmen auch ‘Sender’ vor, die via Internet verbreitet werden. Gerade für diese Nischensender ist adressierbare Werbung, die von einem Ad-Server eingespielt wird besonders attraktiv, weil sie zielgerichtet ausgegeben wird und so der Schlüssel zur erfolgreichen Monetarisierung sein kann. „Wir können diese Art der Verbreitung von Werbung nicht den Facebooks dieser Welt überlassen“, mahnt Fumagalli. „Wir müssen uns umstellen, denn sonst machen es die US-Internet-Konzerne.“ Grundlage hierfür sind die Daten, die man über die direkte Rückmeldung der verschiedenen Geräte erhält. Denn letztendlich geht es um plattformübergreifende, zielgerichtete Werbung. „Deswegen wird es darum gehen, wer die Daten kontrolliert“, so Fumagalli. Dadurch werden auch Agenturen für Media-Planung überflüssig. Allerdings auch deshalb, weil Computer diese Arbeit viel besser machen können. Procter & Gamble verzichtet in den USA mittlerweile auf eine Agentur und ‘verteilt’ seine Werbung selber. Grundlage hierfür sind genaue Daten. Die können die herkömmlichen Panel-Messungen, wie sie die Agf hierzulande oder Nielsen in den USA anbieten, nicht leisten. Deshalb sind in den USA Group M und Zenith bereits von Nielsen zu Rentrak gewechselt, die ihre Daten über direkte Rückmeldungen aus den Geräten und dem Verhalten ihrer Nutzer beziehen. In Deutschland erlaubt das Telemediengesetz die Erhebung solcher Daten, die eine Inanspruchnahme von Telemedien ermöglicht. Die Zustimmung muss transparent und widerrufbar sein. Zudem dürfen die Daten nur anonymisiert und pseudonymisiert verwendet werden und sie dürfen nicht mit der Identität der Nutzer zusammen geführt werden. Darüber hinaus plant die EU eine übergreifende Datenschutzgrundverordnung. Im Klartext heißt dies, dass die Erstellung von Nutzungsprofilen für Werbung erlaubt ist, ebenso die Nutzung von Profilen, um individuelle Werbung zu schalten, so Dr. Christian Dressel von PwC.

Allerdings dienen Daten nicht nur der maßgeschneiderten Werbung. Auch Programme werden so erstellt. „Sourcing treibt das Business“, erklärt Dr. Malte Probst, Mitte des Jahres scheidender Vice President PPV & VoD Business bei Sky. Damit bezieht er sich auf Netflix und Amazon, die ihre Eigenproduktionen aufgrund ausgewerteter Nutzerdaten konzipieren.

Doch wie etabliert man einen erfolgreichen OTT-Service? Wenn der VoD-Anteil in Deutschland bei schlappen zwölf Prozent liegt, ist ja noch genügend Platz vorhanden. Doch von Neugründungen rät Tanja Hüther, Head of Business Development bei Siemens Convergence Creators ab. Die großen Drei geben in den USA in diesem Jahr 6,8 Milliarden Dollar allein für Inhalte aus. Der Größte vor Amazon und Hulu, Netflix gibt neben seinen drei Milliarden Dollar für Inhalte zusätzlich 500 Millionen Dollar für das Marketing und 400 Millionen Dollar für die Technologie aus. Um hier gegen halten zu können, braucht man tiefe Taschen. Aber man braucht vor allem große Bandbreiten. „Zattoo funktioniert zwar gut bei den Hipstern in Berlin, weil es hier große Bandbreiten gibt, aber im Westerwald ist Schluss“, zeigt sie die Grenzen des Wachstums auf, wie sie sich heute präsentieren. Um gegen die Giganten aus den USA bestehen zu können, sieht Tanja Hüther nur einen Weg: Special Interest. Neben Sport stehen hier Angebote für Kinder ganz vorne. Bei ihnen nimmt die Tablet-Dichte rasant zu und somit die Chance Inhalte abzusetzen. Zusätzlich rät sie, sich die Nutzergruppen genauer anzuschauen und ihnen mehr und besseren Service zu bieten sowie die Benutzeroberflächen rigoros zu entschlacken. Auch würde es helfen den CTO zum CMO zu machen. „In der digitalen Welt ist man ein Technologie- kein Medienunternehmen“, sagt sie. „Entsprechend muss man agieren!“

Und wie bewältigt man diese Anforderungen? Das erklärte Christian Schneider von arvato Systems am Beispiel der Handhabung des kanadischen Hauses Rogers und seinem TV/Multimediadeal mit der kanadischen Eishockeyliga. Rogers hat ein komplexes System aus Rechtemanagement, Media Asset Management und Cross Media Advertising Sales aufgebaut und mit einem Customer Experience Management verknüpft. Ebenfalls Teil dieser integrierten Gesamtlösung ist die Analyse der Medienberichterstattung.

Thomas Steiger

MB 1/2015

© Agentur Baganz

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