Schon damals hatte Thomas Langheinrich, Beauftragter für Programm und Werbung der Medienanstalten, im Verzicht der ProSiebenSat.1-Senderfamilie auf eigene Nachrichtengestaltung eine „Erosion des Selbstverständlichen“ erkannt. Denn seiner Auffassung nach seien nach geltendem Rundfunkrecht nicht nur ARD/ZDF, sondern auch private TV-Vollprogrammsender wie Sat.1 und Prosieben verpflichtet, eigene Nachrichten auszustrahlen, um ihrer Verantwortung für die öffentliche Meinungsbildung gerecht zu werden.
Ebeling hingegen interpretierte die rechtlichen Vorgaben anders. Es gehe nicht um Nachrichten, sondern um Information, die seine Sender selbstverständlich bieten würden. Und es reiche in vielen Fällen auch aus, Nachrichten mit einem Foto zu bringen, stellte er trocken zum Entsetzen seiner damaligen Nachrichtenredakteure fest. Auch von Langheinrichs Lockangebot, für den hauseigenen Erhalt der Nachrichten möglicherweise Werbevergünstigungen oder privilegierte Plätze in digitalen Programmführen zu erhalten, ließ sich Ebeling nicht von seinem Vorhaben abhalten, den Sender N24 zu verkaufen, der nun als externer Dienstleister die Nachrichten für ProSiebenSat.1 produziert.
Anreize für Leistungen zur öffentlichen Meinungsbildung seitens der Medienanstalten!? Da war die geschäftstüchtige Chefin der Mediengruppe RTL Deutschland, Anke Schäferkordt offensichtlich gleich hellhörig geworden. Erst kürzlich hatte sie der Debatte Zündstoff gegeben und kundgetan, wie sie sich Anreize vorstellen würde. Wer wie RTL seiner gesellschaftlichen Verantwortung mit teuren Inhalten und eigener journalistischer Handschrift tagtäglich gerecht werde, wie es die RTL-Nachrichten beweisen, der müsse dafür belohnt werden und Benefits erhalten. Es sei an der Zeit, „den Grundgedanken der Regulierung vom Zwangs- zu einem Motivationssystem umzubauen“.
Auch die Medienanstalten blieben in der Angelegenheit nicht untätig. Sie haben in den vergangen Monaten etliche wissenschaftliche Experten beauftragt, das Angebot von Nachrichten und ihrer Nutzung zu untersuchen und das Hans-Bredow-Institut beauftragt, ein Gutachten zu erstellen, um auszuloten, welche Optionen es auf Basis des geltenden Medienrechts gibt, um eine anreizorientierte Regulierung der Leistungen privater Fernsehsender zu ermöglichen. All das wurde am 17. März in Berlin im Rahmen eines DLM-Symposiums unter dem Titel „Public Value – Was soll der private Rundfunk für die Gesellschaft leisten?“ vorgestellt und diskutiert, unter anderem von Schäferkordt und Andreas Bartl, Managing Director German Free TV der ProSiebenSat.1 Group. Hier stellte nun Langheinrich fest, den Medienanstalten fehlten für den Erhalt der guten Funktionen des Dualen Systems „konkretere gesetzliche Programmierungen für Informationsqualität als Leitbild“.
Zuvor waren die Analysen zur Veränderung der Nutzung von Nachrichten in den Vollprogrammen der beiden Senderfamilien von RTL und ProsiebenSat.1 vorgestellt worden. Danach ist der Zeitumfang in ihren Nachrichtensendungen in den vergangenen zwölf Jahren sukzessive zurückgegangen. Er liegt bezogen auf die politischen Beiträge in den Hauptnachrichtensendungen im Durchschnitt bei vier Minuten am Tag, die Bandbreite liegt dabei zwischen zwei Minuten (RTL 2) und sieben Minuten (RTL). Zwar sei der Informationsanteil insgesamt am Programm deutlich höher, beinhalte aber überwiegend Zerstreuungs- sowie Angstthemen mit eher unterhaltendem Charakter, stellte beispielsweise die Göfak Medienforschung fest.
Es kam raus, was man schon seit einiger Zeit vermutet: Die Nachrichtensendungen werden in den einzelnen Altersgruppen sehr unterschiedlich genutzt. Jüngere Zuschauer in der Altersgruppe bis 29 Jahre bevorzugen, wie der Geschäftsführer von GG Media, Gerhard Graf darlegte, generell Privatfernsehen. Dabei stoßen sie allerdings – wie aus der Erhebung der Göfak Medienforschung hervorgeht – auf immer geringere politische- und Sachinformationen. Mehr noch als RTL aktuell erreichen die Nachrichten der Tagesschau alle Altersgruppen, als auch die ganz Jungen wie die Generation 50+. Dabei sei die Bedeutung des Fernsehens für die Informations- und Meinungsbildung nach wie vor sehr groß wie Prof. Dr. Susanne Fengler, Professorin für Internationalen Journalismus am Institut für Journalistik an der Technischen Universität Dortmund, heraus gefunden hat. Trotz der immer stärkeren Bedeutung des Internets bleibe Fernsehen immer noch wichtigstes „informierendes“ Medium. Zudem sei Fernsehen das „einzige schichtenübergreifende Medium“.
Während insgesamt nur 4,3 Prozent der Internet-Nutzung auf „News & Information“ entfalle, rufen 41 Prozent der 14-29jährigen täglich aktuelle Nachrichten online ab, wie aus der Langzeitstudie Massenkommunikation hervorgehe. In der Altersgruppe 14 bis 29 Jahre würden nur 14 Prozent Fernsehen als „informativ“ wahrnehmen und die Rolle von TV als Leitmedium schwinden. Allerdings würden Jugendliche das Internet „nicht als glaubwürdig“ einstufen. Diese Rolle würden sie eher den Zeitungen zuschreiben, deren Homepages sie mehr als die Älteren aufsuchten.
Dr. Wolfgang Schulz, Direktor des Hans-Bredow-Institut, der die Ergebnisse der Studie für Anreizmodelle zur Förderung von privaten Public Value-Angeboten referierte, stellte fest, dass es zahlreiche rechtliche Restriktionen dafür gebe, so dass die Möglichkeiten für Anreize sich in Grenzen hielten. Denkbar seien beispielsweise weniger strenge Werberegelungen oder besser auffindbare Plätze in der Kabelbelegung. Man könne etwa auch so genannte Single-Spots, die nicht in Werbeblöcken untergehen, in Ausnahmefällen bei Vollprogrammen erlauben. Insgesamt, so resümierte er, sei es empfehlenswert, für alle Anreize – sprich Privilegien – , in deren Genuss die privaten TV-Veranstalter kommen könnten, indem sie sich für besondere Qualitätsmaßnahmen verpflichteten, eine strukturelle Evaluation nach Schweizer Vorbild einzuführen. Die Anforderungen für die Evaluation sollten von den Landesmedienanstalten festgelegt werden.
Dafür wäre dann, sollte der Gesetzgeber den Vorschlag aufnehmen, die Bildung einer speziellen Einrichtung bei den Medienanstalten erforderlich. Vermutlich eine Zunahme von Bürokratie.Schäferkordt und Bartl zeigten sich nicht besonders begeistert von der Idee, in Zukunft möglicherweise Länge und Anteil von Nachrichten messen zu lassen, um Anreize zu erhalten, die sie gleichzeitig auch verhalten befürworteten. Beide befürchten, auf diese Weise mit noch mehr rundfunkrechtlichen Regulierungen konfrontiert zu werden. „Durchreguliert sind wir definitiv genug“, sagte Schäferkordt. Die Politik müsse in einem ersten Schritt solche Rahmenbedingungen schaffen, dass die privaten Sender die gesellschaftliche Verantwortung, die sie mit ihren Programmen nachkommen würden, auch in Zukunft im Wettbewerb mit neuen Online-Konkurrenten wahrnehmen könnten, beispielsweise auch via Hybrid-TV. Während private Fernsehsender kontinuierlich via Lizensierungsbestimmungen Kontrollen durch die Medienanstalten durchlaufen würden, gebe es für Online-Anbieter keine Regulierungen wie durch den Rundfunkstaatsvertrag. „In einer sehr regulierten Fernsehwelt“, so Schäferkordt, „bieten wir schon heute eine enorme Bandbreite an Informationsformaten in der Mediengruppe RTL Deutschland: Neben dem umfangreichen Nachrichtenangebot bei RTL und dem sehr hohen Dokumentationsanteil in der VOX Primetime leisten wir uns mit n-tv einen eigenen Informationskanal“, der wirtschaftlich „sogar noch in der Verlustzone“ liege. Wenn man über die Informationsqualität der Programme spreche, dürfe man „nicht nur über den Anteil der Nachrichten“ diskutieren. Schäferkordt forderte, dass „die Schieflage“ beseitigt werden müsse, die es bei der regulativen Behandlung verschiedener Mediengattungen in der digitalen Welt gebe. Und das gehe nicht durch mehr Auflagen, sondern es brauche neue Denkansätze in der Regulierung. „Wir leisten einen gesellschaftlichen Beitrag und nehmen Verantwortung wahr“, sagte Schäferkordt. Es müsse in der konvergenten Medienwelt vermieden werden, dass durch zusätzliche Regulierungen, „der Gute zum Dummen werde“.
Ähnlich argumentierte Bartl.
Die grundsätzliche Idee, Anreize für Qualitätsprogramme bei den privaten Sendern zu bieten, sei „interessant genug“, um es zu diskutieren, „mehr Regulierung steht bei uns aber nicht auf dem Zettel“. Durchaus begrüßte Bartl die Idee, ein Leitbild für gesellschaftspolitische Verantwortung des Rundfunks aufzustellen und zu diskutieren. Dabei müsse man aber auch den Informationsbegriff klären. Im Rundfunkstaatsvertrag würde Information nicht nur allein durch Nachrichten definiert, sonder vielmehr wesentlich weiter ausgelegt. Bartl bemängelte wie Schäferkordt, dass zurzeit beim Hybrid-TV, wo Fernsehen und Internet verschmolzen werden, verschiedene Rahmenbedingungen aufeinander stoßen: Anbieter, „die reguliert werden und die anderen nicht“.
Die besondere Rolle der öffentlich-rechtlichen Sender, so forderte der Präsident der bayerischen Medienanstalt Prof. Dr. Wolf-Dieter Ring, müsse genauer definiert werden und Grenzen für ihre Expansion festgelegt werden. Davon hänge ab, „was wir von den Privaten erwarten können“: „Wo genau geht das Geld für Gebühren hin?“, fragte Ring. Nach aktuellen Meldungen wolle die ARD 54 Millionen Euro für Boxrechte ausgeben, das ZDF wolle Sat.1 die Champions League für 85 Millionen abjagen. Vor diesem Hintergrund sei festzustellen, dass das, was Information ausmache, im Rundfunkstaatsvertrag nicht hinreichend definiert sei. Man darf gespannt sein, wie die medienpolitische Tauschhandelsdebatte um Programmqualität in die nächste Runde geht.
Erika Butzek
(MB 04/11)