You Never Stream Alone

Auf dem hart umkämpften Sportrechtemarkt sind Live-Übertragungen von Großsport-Events für klassische Broadcaster allein kaum mehr zu refinanzieren. Spezialisierte Streaming-Dienste profitieren von der erschwinglichen Live-streaming-Technologie und der gestiegenen Akzeptanz bei den Zuschauern. Das Streaming-Angebot für Livesport wird deshalb immer üppiger, Nutzer können sich im Sportstreaming-Dschungel verlieren und nicht immer auf den ersten Klick die Rechtmäßigkeit eines Angebots erkennen.

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You Never Stream Alone

Alle wollen sie, keiner hat sie exklusiv. Die Fußball-Bundesliga ist in digitalen Zeiten begehrt wie nie. Neu auf dem Rasen ist nicht nur der Video-Schiedsrichter, sondern auch veränderte Anstoßzeiten und Anbieter. „Die großen Bundesliga-Rechte sind kaum noch zu refinanzieren“, weiß Siegfried Schneider, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM). „So sind seit diesem Sommer gleich zwei Abos nötig, um alle Spiele der Bundesliga live zu sehen. Insgesamt haben sieben Sender nun Bundesliga-Rechte.“ Mehr Masse statt Klasse? Sky hält die Live-Rechte fürs Pay-TV nicht mehr allein, 45 Begegnungen werden ebenfalls kostenpflichtig bei Eurosport übertragen.

ARD und ZDF zeigen Zusammenfassungen der Samstagspartien, die Mainzer zusätzlich live das Eröffnungsspiel und den Rückrundenauftakt. Auf RTL Nitro gibt es am Montagabend Highlights des Spieltags, Sport 1 zeigt am Sonntagmorgen Zusammenfassungen. Nicht zu vergessen die Angebote im Netz. „Im Bereich der Audio-Übertragung im Internet hat etwa Amazon die entsprechenden Rechte erworben. Außerdem können Kunden von Amazon Prime die von Eurosport gezeigten Spiele im Live-Stream verfolgen“, zählt Schneider auf. „Auch die Perform Media Group, die das Portal Spox.com und den Streaming-Dienst DAZN betreibt, sicherte sich weitere Rechte zur Übertragung von Zusammenfassungen der 1. und 2. Bundesliga im Internet.“ Ab der Saison 2018/ 19 gibt es die Spiele der UEFA Champions League hierzulande nur noch von Sky im Pay-TV und von DAZN per Livestream im Internet. Dazu sicherte sich DAZN die Rechte für die Europa League – nur 15 der 205 Partien werden ab 2018/ 19 jeweils drei Spielzeiten lang im frei empfangbaren Fernsehen gezeigt. Die Zukunft des Livesports – ein Stream?

Sublizenzen an ARD und ZDF
„Live-Sportübertragungen sind im Fernsehen wie auch im Internet sehr beliebt, weil man in Echtzeit dabei sein kann. Doch die Live-Übertragung gerade von Großsport-Events ist aufgrund der teuren Übertragungsrechte oft für einen klassischen Fernsehsender allein gar nicht mehr zu stemmen“, beobachtet Schneider. Über die Olympischen Spiele in Pyeongchang 2018, Tokio 2020, Peking 2022 und Paris 2024 werden sowohl ARD und ZDF, als auch Discovery Communications berichten. Das weltweit agierende US-Medienunternehmen, mit einer Reichweite von rund drei Milliarden Zuschauern in 220 Ländern, verspricht den Sportfans ein Premium-Produkt. Alles inklusive: Kein Augenblick der mehr als 100 Wettbewerbe bleibt ungesendet. Das frei empfangbare Eurosport 1 soll das Herzstück der Nonstop-Berichterstattung über die Olympischen Winterspiele bilden. Ausgewählte Sportarten wie Snowboard, Shorttrack, Eiskunstlauf und Eishockey, die Spiele der deutschen Mannschaften sowie das Finale ausgenommen, sind exklusiv live bei Eurosport zu erleben. Mit zwanzig der größten europäischen Sendeanstalten hat Discovery Free-TV-Vereinbarungen getroffen. Für die audiovisuellen Rechte in Deutschland haben ARD und ZDF Sublizenzen erhalten, sie berichten im täglichen Wechsel aus Südkorea. „Die Olympischen Winterspiele 2018 laufen live im Ersten und im ZDF sowie bei Eurosport“, resümiert ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky. „Gemeinsam mit dem ZDF wird die ARD täglich maximal drei parallele Livestreamings sowie ein Simulcasting Feed von den Olympischen Spielen in Pyeongchang anbieten. Im TV werden wir an unseren Sendetagen ab circa 2 Uhr nachts bis circa 17 Uhr des jeweiligen Folgetages berichten.“ Die ungewöhnliche Übertragungszeit ist Folge der siebenstündigen Zeitverschiebung zwischen Südkorea und Deutschland. Generell streamt das Erste sein Sportangebot parallel zur TV-Ausstrahlung. „Allein stehende Streaming-Angebote gibt es ab und zu, beispielsweise im Wintersport, wenn parallel zu Live-Übertragungen im Ersten wichtige andere Ereignisse live statt finden“, erklärt Balkausky. „Im Sommer haben wir solche Angebote unter anderem bei der Beachvolleyball-WM oder auch bei der Tischtennis-WM umgesetzt. Die Nutzung unserer Streaming-Angebote ist allerdings eher zurückhaltend.“

Livestream als Alleinstellungsmerkmal
Auch beim ZDF spielen die Olympischen Winterspiele 2018 im Hauptprogramm und Online-Angebot eine Hauptrolle. „Mehr als 200 Stunden Live-Berichterstattung und Zusammenfassungen stehen allein im TV auf dem Olympia-Programm“, freut sich Thomas Stange von der ZDF-Pressestelle. „Dazu kommen rund 300 Stunden Livestream-Übertragungen. Wegen des verkürzten Vorlaufs in Zusammenhang mit der langwierigen Rechtevergabe Discovery/

ARD/ZDF steht das endgültige Sendekonzept noch nicht fest.“ Das ZDF hat 2017 bis dato rund 115 Stunden Sportprogramm via Livestream übertragen. „Dabei gibt es keine Sportarten, die nur online oder im TV angeboten werden.“ Vom Wintersport über Leichtathletik, Kanu, Schwimmen, Rudern, Beachvolleyball bis hin zur Rad-WM ist alles dabei. „Als Vollprogramm kann das ZDF nicht zu jeder Zeit Sport oder sehr lange Wettbewerbe übertragen und bietet deshalb als Zusatzangebot verstärkt Sportprogramme online an“, weiß Stange. „Bei Olympia oder in der Wintersportsaison werden oftmals zahlreiche Disziplinen und Wettkämpfe parallel ausgetragen – auch dann bietet Livestreaming eine gute Möglichkeit, den interessierten Zuschauer zu informieren beziehungsweise die ’Programm-Wahl’ zu überlassen.“

Das Netflix des Sports
Als zusätzliches Angebot haben Live-Streams ein Alleinstellungsmerkmal. „Schon die letzten Sommerspiele haben den Mehrwert von Streaming-Angeboten deutlich herausgestrichen“, glaubt Kay Dammholz, Managing Director Rights & Distribution bei DAZN. „Neben den Angeboten in linearen Kanälen haben damals die öffentlich-rechtlichen Sender kleinere Sportarten im Stream gezeigt und waren damit erfolgreich.“ Seit August 2016 betreibt die Perform Group den Livesport-Streamingdienst DAZN in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Fans können rund um die Uhr bis zu 8.000 Live-Events pro Jahr auf dem „Netflix des Sports“ sehen. „DAZN zeigt im deutschsprachigen Raum europäische Topfußball-Ligen live – so zum Beispiel die englische Premier League, die spanische LaLiga, die italienische Serie A und die französische Ligue 1“, so Dammholz. Zusätzlich laufen Livespiele aus vielen anderen europäischen und südamerikanischen Ligen. Die Highlights der deutschen Bundesliga und 2. Bundesliga sind bereits 40 Minuten nach Abpfiff der Spiele verfügbar. „DAZN ist auch ’Home of US-Sports’ und zeigt ausführlich die National Football League (NFL), die National Basketball Association (NBA), die National Hockey League (NHL) und die Major League Basketball (MLB) live.“ Auch Feldhockey, Rugby, Darts, Tennis, Motorsport, Golf, Boxen und Kampfsport haben ihren festen Platz. Die Anzahl der Sportarten wechselt je nach Rechtelage – aktuell hat DAZN laut Dammholz Lizenzen für 15 Sportarten. Zusätzlich bietet das Perform-Group-Portal Spox.com regelmäßig Sporthighlights im kostenfreien Livestream, beispielsweise während der Saison, jede Woche ein Spiel der NBA.

Technische Fallstricke
Livesport zu streamen, ist für die Anbieter eine technische Herausforderung. Der Eurosport Player patzte gleich bei seiner Freitagsspiel-Premiere der Fußball-Bundesliga 2017/18, Nutzer klagten über verpixelte Bilder. Ein Super-GAU für Eurosport. Beim zweiten Spiel kam es erneut zu zwei Aussetzern – einer kurz vor dem Spiel und einer in der ersten Halbzeit. „Wir haben mit unserem Technologie-Partner sofort eine Lösung gefunden, die bereits während der Halbzeit-Pause griff“, erklärt Daniela Allgayer-Koreimann, Managerin Communications & PR bei Discovery Networks Deutschland. „Das System, das in der zweiten Halbzeit für eine einwandfreie Übertragung gesorgt hat, ist nun dauerhaft im Betrieb und wird für alle weiteren Spieltage eingesetzt werden.“ Hohe Last lässt sich nur sehr schwer testen beziehungsweise im Vorfeld simulieren, weiß Matthias Kohtes, Managing Director TV Spielfilm live. Mit dem Streaming-Dienst lassen sich via Netz gratis oder in der Premium-Version kostenpflichtig mehr als 70 TV-Sender auf Smartphones, Tablets, PCs und TV-Geräten sehen. „Menschen sind es heutzutage gewohnt, Inhalte überall abrufen zu können. Entsprechend hoch ist die allgemeine Akzeptanz, was Streaming-Angebote angeht – das gilt nicht nur für Live-Sport.“ Allerdings ist die durchschnittliche Nutzung von TV Spielfilm live über das mobile Internet bei Sport-Events doppelt so hoch wie normal. Die Übertragungsqualität bei den Sport-Streams ist sehr unterschiedlich.

Das Spektrum reicht vom Pixelbrei bis zur gestochen scharfen HD-Qualität. „Das hängt jeweils von der Datenrate der Internetverbindungen in den Haushalten ab“, weiß Schneider. „Auch im Internet ist eine HD-Verbreitung, sogar eine UHD- beziehungsweise 4K-Verbreitung technisch heute schon möglich.“ Aber für die Anbieter gibt es technische Fallstricke. „Die Qualität ist dabei vom jeweiligen Produktionsaufwand, der technischen Ausrüstung und dem Know-how des Anbieters, sowie der verfügbaren Bandbreite auf der ’letzten Meile’ und dem Endgerät des Nutzers abhängig“, bringt es Dammholz auf den Punkt. „DAZN bietet seine Streams in HD-Qualität an und verbessert das Produkt stetig. So wird aktuell an der Bereitstellung von 50 Frames per Second gearbeitet, was eine weitere Verbesserung des Seh-Erlebnisses zur Folge hat.“ Für die Liveübertragungen von schnellen Ballsportarten wie Fußball oder Eishockey ein Segen. „Eine Übertragung auf DAZN – bei einer handelsüblichen Breitbandanbindung und einem aktuellen Endgerät, wie zum Beispiel einem Smart-TV – unterscheidet sich in der Qualität nicht von den Premium-Angeboten linearer, traditioneller Broadcaster. Damit sehen wir DAZN als Branchenprimus“, gibt sich Dammholz selbstbewusst.

Korrosionseffekt
Für klassische Broadcaster hat die digitale Nutzung bewegter Bilder einen Korrosionseffekt. Wie der Digitalisierungsbericht 2017 der Medienanstalten konstatiert, nutzt nur noch der ältere Teil der deutschen Bevölkerung mehrheitlich klassisches Fernsehen. Die Jüngeren verabschieden sich dagegen sukzessive vom linearen Fernsehen und seinen Angeboten. Sie favorisieren YouTube, Netflix und Twitch.tv – oder streamen Livesport. Produkt-Piraterie ist dabei ein bekanntes Problem in der Branche. „Gerade weil Nutzer nicht immer auf den ersten Blick die Rechtmäßigkeit eines Angebots erkennen können, ist es umso wichtiger, unmittelbar gegen die Anbieter illegaler Streams vorzugehen“, fordert Schneider. Oft werden für illegale Dienste internationale Domains genutzt, um eine rechtliche Verfolgung zu erschweren. Attraktive Angebote in bester Qualität und zu einem fairen Abo-Preis sind die besten Argumente, um User von illegalen Quellen abzuhalten. Unabhängig ob illegal oder legal. „Ein Grund für das Abwandern von Sportevents zu spezialisierten Streaming-Diensten im Internet ist mit Sicherheit die mittlerweile erschwingliche Livestreaming-Technologie und die gestiegene Livestreaming-Nutzung in den Haushalten“, glaubt der DLM-Vorsitzende Schneider. „Daher etabliert sich das Onlinestreaming auch als Plattform für preiswertere Übertragungen weniger populärer Sportarten oder Fußball aus niedrigeren Ligen.“ So boomt die Fußball-Regionalliga bei Sport1: Mit den Livestreams von zwei Spielen des TSV 1860 München erzielte der Ismaninger Sender jeweils beachtliche 120.000 Video-Views, während das im Free-TV ausgestrahlte Spiel der Stuttgarter Kickers gegen Hessen Kassel mit 350.000 Zuschauern im Schnitt einen Zuschauerrekord für Regionalligaspiele bedeutete. Das Free-TV-Angebot von Sport1 ist seit kurzem in HD-Qualität auch über die IP-Plattform waipu.tv empfangbar. Der Clou: Mit waipu.tv verschwindet die Set-Top-Box aus dem Wohnzimmer, die Steuerung erfolgt bequem über das Smartphone direkt auf dem Fernsehgerät. „Streaming-Angebote sind heutzutage aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken“, ist Ivo Hrstic, Chefredakteur Digital bei Sport1 überzeugt. Dies zeigt sich besonders im Mediennutzungsverhalten der sogenannten Millennials. „Die Hälfte der 14- bis 25-Jährigen nutzt allgemein Streaming-Dienste bereits mehrmals pro Woche, wie eine aktuelle Studie der Sport1-Medienforschung ergibt. Auch unser Livestream-Bereich wird überwiegend von einer jungen Zielgruppe genutzt: Fast ein Viertel unserer User ist hier 18 bis 24 Jahre und über die Hälfte jünger als 34 Jahre.“ Im laufenden Jahr wird Sport1, so Dirc Seemann, Chefredakteur und Director Content bei Sport1, rund 1.500 Stunden Live-Sport im Free-TV zeigen – von Fußball, Eishockey, Hockey, Basketball, Volleyball, Darts, Baseball, Football über Motorsport, Futsal, Beachsoccer bis hin zu neuen Programmfarben wie eSports und Drone Racing. „Wir sind überzeugt, dass im digitalen Zeitalter ein crossmediales Live-Angebot unabdingbar ist, um so jede Zielgruppe auf den von ihr bevorzugten Kanälen anzusprechen“, meint Hrstic.

„Selbst klassische TV-Sportarten wie Fußball finden daher auch in der digitalen Sport1-Welt in Form von Livestream-Übertragungen statt – und die zunehmende Nachfrage nach digitalen Live-Angeboten bestätigt uns in diesem Ansatz.“ Das Positive: Kannibalisierungseffekte bleiben aus. „Unsere eigenen Studien zeigen, dass digitale Medien bei der Sportmediennutzung noch keinen Ersatz, sondern vielmehr eine Ergänzung zum TV darstellen.“ Hrstic stellt nicht mehr die Gretchenfrage: TV oder Stream, Facebook und You Tube? „Vielmehr bieten wir Livestreams in der Regel parallel auf allen Plattformen an und erreichen damit mehr Menschen und vor allem auch jüngere Zielgruppen.“

Die Nadel im Heuhaufen
Wie es im hart umkämpften Sportrechtemarkt anders geht, zeigt ein Beispiel aus Austin/Texas: Mit Nischensportarten wie Ringen, Laufen, Gewichtheben und sogar Cheerleading hat es das 2006 gegründete Start-up FloSports geschafft, den Platzhirschen in punkto Online-Livestreaming die Nase zu zeigen. Mit einer Mischung aus frei abrufbaren, werbefinanzierten Sportnews und einem Abo-Modell von hochwertig aufbereiteten Livesport-Übertragungen gelang es den Brüdern Martin und Mark Floreani, ein Digital-Imperium aus 25 Sportkanälen mit 256 Mitarbeitern aufzubauen, wie die Marketing-Plattform OMR berichtet. Das digitale Biotop hat sich für manche Randsportart schon ausgezahlt – so ist das Ringen in den USA dank FloSports heute populärer denn je. Auch hierzulande ein Zukunftsmodell? Statt einem Wetteifern um die größten, besten und teuersten Sportrechte könnte man die ultimative Trendportart im Heuhaufen suchen. Diese durch Livestreams für den Mainstream attraktiv und massentauglich machen und sodann die exklusiven Rechte meistbietend an Amazon, Facebook, Google & Co. verkaufen.

Wolfgang Scheidt

MB 4/2017

© SPORT1

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