Stuttgarter Kongress diskutiert Disruption in den Medien

Die Digitalisierung führt zu rasanten Veränderungen in der Medienbranche. Dies bringt zahlreiche Herausforderungen mit sich, bietet Chancen und zwingt alle Akteure zum Umdenken. Deutlich wurde dies bei der zweiten Ausgabe des Innovationskongresses „Change Media Tasting", zu dem sich am 11. Juli 2017 rund 200 Medienmanager in Stuttgart trafen.

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Stuttgarter Kongress diskutiert Disruption in den Medien

Den sich beschleunigenden Prozess der Digitalisierung aller Lebensbereiche verdeutlichte Prof. Dr. Klaus Goldhammer in seinem Eingangsstatement zum Thema Data Driven Media. Während wir uns hier in Deutschland immer stärker mit dem Trend Mobile First auseinandersetzen, treiben Google, Amazon, Facebook, Microsoft [&] Co. längst schon die nächste Entwicklungsstufe Künstliche Intelligenz voran. Chat Bots und digitale Sprachassistenten werden in den kommenden fünf bis zehn Jahren in jeden Haushalt Einzug halten. Alles was sich standardisieren lässt, wird zukünftig automatisiert. Dies zeigt sich am Beispiel Roboterjournalisten. Goldhammer erwartet, dass automatisierte Informationen mit 90 Prozent und mehr zu den Medieninhalten beitragen werden. Ähnliche Automatisierungstendenzen sieht er beim Robotervideojournalismus. Auf der Basis von Big Data und Personalisierung wird zukünftig personalisiertes Marketing perfekt auf die Spitze getrieben und jeden Verbraucher im Internet nach der automatisierten Versteigerung an virtuellen Marketingbörsen seiner Daten in Echtzeit ansprechen.

Diese vielfältigen Veränderungsprozesse stellen insbesondere auch die Medienbranche rechtlich und ökonomisch vor große Herausforderungen. Für den Präsidenten der Landesanstalt für Kommunikation (LFK), Wolfgang Kreißig, stellt sich die wichtige Zukunftsfrage, wie Regulierung mit dem Thema Internet umgeht, um etwa bewährte Schutzfunktionen für die Jugend beim Fernsehen auf Online-Medien zu übertragen. „Wir müssen Brücken schlagen. Und wir müssen intensiv in der Tiefe diskutieren, welche Art von Regulierung wir künftig für das Netz wollen und erwarten. Zudem müssen diese passenden Regelungen auch umsetzbar sein.“

Für den Intendanten des Südwestrundfunks, Peter Boudgoust, haben die digitalen disruptiven Trends beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk längst zum Umsteuern geführt. Der multimediale Umbau ist längst eingeleitet und es sei gelungen auch junge Menschen wieder mit ins Boot zu holen. Den veränderten Nutzungstrends tragen neben neuen, teilweise jüngeren linearen Inhalten vor allem die immer vielfältigeren non-linearen Inhalteangebote über die Mediatheken und die Webseiten der Sender Rechnung. Als eine der obersten Aufgaben des Rundfunks in der digitalen Gesellschaft sieht er nach wie vor „die Sicherung des freien Informationsflusses als Gegengewicht zu rein ökonomisch getriebenen Inhalteanbietern.”

Für Country Managerin Susanne Aigner-Drews von Discovery Communications Deutschland, wachsen Plattformbetreiber und Inhalteanbieter im Zuge des sich rasch veränderten Nutzungsverhalten der Verbraucher immer enger zusammen. Denn der Wunsch nach einem immer leichteren Zugang zu Inhalten zwinge zur Präsenz auf allen Verbreitungsplattformen. Auch der TV-Markt stellt sich gegenwärtig neu auf. Dies ist insbesondere beim Abwandern großer Sportevents ins Pay-TV sichtbar.

Allerdings ist dies für SWR-Intendant Peter Boudgoust nur ein Zwischenschritt. Denn wenn die öffentliche Wahrnehmbarkeit aufgrund wirtschaftlicher Interessen der Pay-TV Anbieter zurückgeht und sich der Druck der werbetreibenden Industrie erhöht, wird mittel- bis langfristig ein Umdenken der Sportverbände stattfinden. Zugleich wolle der öffentlich-rechtliche Rundfunk weiter an der Nicht-Verschlüsselung festhalten. Wobei dies nicht unbedingt ein Dogma sein, wie Kooperationen etwa mit Sky bei der TV-Produktion Babylon zeige.

Dass Veränderungsprozesse auch nicht vor erfolgreichen Playern wie YouTube halt machen, zeigte Social Media Experte Oguz Yilmaz auf. Selfmade werde in den USA zunehmend durch einen Mix an Management, Venture Capital und Ex-Influencer kommerzialisiert und professionalisiert. Die verlorene Unschuld von YouTube bietet jedoch auch Chancen. So setzt der SWR seit etwa neun Monaten auf junge YouTube Talente für neue Funkformate und verzeichnet zunehmend Erfolge.

Wie weit Deutschland tatsächlich von der mobilen Zukunft entfernt ist, präsentierte Stefan Justl von Storyteller China am Beispiel WeChat. Der 2011 gegründete Dienst ist die Nummer 1 App in China, hat 938 Millionen Nutzer und zwölf Millionen Business Accounts. WeChat hat eine bemerkenswerte Transformation vom sozialen Medium zum mobilen, modernen Way of Live durchlaufen. Schlüssel des Erfolgs ist das Nutzen des QR-Codes in beinahe allen Lebensbereichen als Zugang zu Informationen, Waren, Dienstleistungen, sozialen Netzen und selbst den Bezahlbereich. So ersetzt WeChat mit dem QR-Code in China inzwischen die meisten Geldautomaten, ist Treiber des elektronischen Handels und verändert das elektronische Bezahlen in für Deutschland ungeahnten Ausmaßen.

„Die Change Media Tasting“ ist aus der TV Komm. hervorgegangen. Gestartet vor 10 Jahren als reiner Bewegtbildkongress mit dem Schwerpunkt digitales Fernsehen, heißt die TV Komm. seit 2016 Media Tasting und findet unter dem Motto “Change” in Stuttgart statt. (7/17)