Je filebasierter, desto besser

Die Digitalisierung bietet die Chance, Arbeitsprozesse in den Medien neu zu gestalten und Technologien und Verfahren miteinander zu vernetzen. Jedoch wird dies nach Ansicht der Initiatoren des dwerft-Bündnisses zu wenig oder zu ineffizient genutzt. dwerft ist nun angetreten, eine Technologieplattform für die Film- und Fernsehbranche zu entwickeln, die eine verlustfreie Vernetzung zur Produktion, Archivierung und Distribution audiovisueller Inhalte erlaubt.

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Je filebasierter, desto besser

In seiner einleitenden Keynote sagte Peter Effenberg, dem die Projektsteuerung von dwerft obliegt: „IT ist nicht nur ein Formatwechsel. Es ist eine neue Kerntechnologie mit zwei zentralen Effekten. Zum ersten Mal wird Content gemeinsam mit Context speicherbar. Zum anderen lässt sich dieser Context auf den Endgeräten der Nutzer abbilden.“ Im Grunde ist es der Kontext, der zu mehr Effizienz und erweiterten Möglichkeiten bei der Auswertung führt. Durch die digitale Verknüpfung lässt sich eine sehr feinmaschige Verschlagwortung erzeugen, mit deren Hilfe sich Inhalte in Postproduktion, Rechteverwaltung oder Auswertung rasch finden und in neuen Konstellationen zusammen stellen lassen. Die große Herausforderung hierbei ist es die Metadaten in eine sinnvolle Beziehung zueinander zu setzen. Auch hierfür hat dwerft bereits einen Vorschlag: die Linked Production Data Cloud.

Die Idee Informationen nur einmal zentral zu speichern und verschiedensten Anwendungen Zugang zu gewähren, ist nicht neu und orientiert sich an der Linked Open Data Cloud. So werden einerseits Ressourcen gespart, anderseits werden so von der Community gepflegte Informationen an einem Ort gesammelt und ergänzt, anstatt bruchstückhaft an mehreren Orten. Die Cloud ermöglicht im Herstellungsprozess kollaboratives, ortsunabhängiges Arbeiten, da jedes Material und alle Metadaten ständig zur Verfügung stehen. Es muss nichts mehr gesucht oder geschickt werden. Bei fertigen Filmen, kann man sich unkompliziert Zusatzmaterial für die Auswertung aussuchen oder über den Rechtestatus informieren. Gerade Unklarheiten über Rechte, die teilweise nur mit hohem Aufwand oder gar nicht mehr, zu recherchieren sind, verhindern oder erschweren oft eine weitere Auswertung. Die Grundvoraussetzung hierfür ist jedoch die akribische Erstellung und Verknüpfung der Metadaten.

Und hier setzt dwerft an: der Erhebung, fast kann man schon sagen Rettung, von Metadaten und Kontext im Augenblick ihres Entstehens. Denn noch werden viele Daten einfach ignoriert, obwohl die produktionsrelevanten bereits automatisch am Set in der Kamera generiert werden. Andere werden mit der Hand aufgezeichnet und später gar nicht oder mangelhaft übertragen. Dies kann mittlerweile mit Hilfe eines Tablets geschehen und direkt im File gespeichert werden. Sind Metadaten erst einmal verschwunden, können sie entweder gar nicht oder nur mit viel Aufwand rekonstruiert werden. In der Regel heißt dies, dass das betroffene Material für eine weitere Auswertung de facto verloren ist. Der Grund für dieses Verhalten findet sich in der deutschen Produktionsweise. Egal ob im Fiktion-, Dokumentar- oder Reportagebereich geht es nur um das beauftragte Produkt. Deutsche Kreative und Produzenten verdienen ihr Geld mit seiner Erstellung. Vertrieb und Auswertung von eventuell sonst noch angefallenen Materials ist nicht mehr ihre Sache. Oft haben sie auch gar nicht die Rechte dazu. Warum also Metadaten über den eigentlichen Herstellungsprozess hinaus erheben, wenn man selber nichts davon hat und es nicht bezahlt wird?! So herrscht in Deutschland noch immer das modulare Arbeiten vor, bei dem die einzelnen Module entsprechend der Herstellungsanforderungen des individuellen Projekts angepasst werden. „Die dwerft arbeitet daran, dass es zum kollaborativen Arbeiten kommt, bei dem Daten in der Vernetzungstechnologie austauschbar sind“, sagt Peter Effenberg. Denn intelligente Systeme funktionieren nur, wenn Kontext mit Inhalten verknüpft ist. „Mit Kontext kann man Content besser auswerten“, schreibt Peter Effenberg den zentralen Merksatz ins Stammbuch. „Perspektivisch kann man unter diesen Bedingungen auch andere Formen von Werbung erfinden.“ Dies ist eine mögliche Auswertungsform, denn Effenberg versäumte nicht darauf hinzuweisen, dass die Produktionsinvestitionen bei 40 Milliarden US-Dollar stagnieren, während die Serviceinvestitionen – also die Investitionen in die Zugänglichmachung von Inhalten – 2012 auf etwa die gleiche Summe angestiegen sind.

Das dwerft-Bündnis besteht aus fünf Verbundprojekten: Produktion, Archivierung, Rechtemanagement, Distribution, Zukunftsforschung und Wissenstransfer, die alle bei der dwerft-Konferenz im November vergangenen Jahres vorgestellt wurden. Im Bereich Produktion kam es zu einem Dialog zwischen Katrin Isberner, Herstellungsleitung bei gebrüder beetz filmproduktion und Sven Slazenger von Interlake, der das Verbundprojekt 1 (Produktion) vertrat. Katrin Isberner konnte sich hier Tools wünschen und Fragen stellen und Sven Slazenger gab die Antworten. So berichtete er, dass es bereits ein Tool gibt, das die Metadaten der Kamera sowie Daten, die traditionell mit der Hand notiert werden, automatisiert mit den Inhalten speichert, wie etwa die Vermerke über die Güte eines Takes. Dies wird notwendig, wenn man lange Zeit nach Drehende alternative Aufnahmen für andere Produktionen sucht. Slazenger verwies darauf, dass das Sammeln von Metadaten bereits beim Drehbuch anfängt. Denn dort steht alles drin, was ein Film braucht. Ein Knackpunkt ist jedoch das Geld. Ein digitaler Dreh hat eigene, spezifische Kosten, die nicht notwendigerweise von Sendern und Förderern bei der Kalkulation anerkannt werden und insofern vom Produzenten getragen werden müssen. So muss ein Data-Wrangler eingestellt werden, der die technische Qualität der Daten prüft, sie überspielt und archiviert. Im Grunde ist es auch seine Aufgabe die Metadaten zu verwalten. „Digitale Angebote sind zur Zeit noch teurer, als das traditionelle Notizpapier“, sagte Katrin Isberner. „Für mich stellt sich daher zuerst einmal die Frage, woher ich das Geld für den Data-Wrangler bekomme.“ Auch die vielen verschiedenen Formate und Anlieferungsanforderungen, bereiten Katrin Isberner Kopfschmerzen, da sie nur Zeit und Geld kosten. „Je filebasierter, desto besser“, sagt sie. „Es wäre toll, wenn es einen Standard gibt und man die Datenpakete nur noch auf einen Server packen muss.“ Einen Standard, das wurde bei der dwerft-Konferenz immer wieder betont, wird es aufgrund des Wettbewerbs der Anbieter nicht geben. Die filebasierte Arbeitsweise hingegen, würde jedoch einen Quasi-Standard schaffen. Das würde auch einen weiteren Kostenpunkt eliminieren, von dem Isberner berichtete: aufgrund von Förderanforderungen wird die Postproduktion oft zwischen verschiedenen Ländern aufgeteilt. Die Produzenten arbeiten jedoch selten mit denselben Systemen. Dadurch kommt es zu teuren Wartezeiten während derer das Material konvertiert wird. Zudem fehlen oft Informationen, die dann auf Anforderung per Kurier verschickt werden müssen. Ideal wäre eine Cloudlösung. „Aber da haben wir Angst vor Datenverlust“, so Isberner selbstkritisch. Slazenger versuchte denn auch diese Angst als unbegründet zu zerstreuen: „Die Daten werden auf den Servern einer Cloud dreimal gespiegelt. Das ist sicherer als auf dem eigenen Server im Keller. Eine Cloud ist nichts anderes als ein Rechenzentrum. Sogar DAX-Unternehmen nutzen sie, weil sie die Angelegenheit rational angehen.“ Und sogar der Standort der Server kann bestimmt werden. Es müssen keine Daten mehr außerhalb des eigenen Hoheitsgebietes, namentlich den USA, gespeichert werden.

Bei der Archivierung und im Rechtemanagement führen Metadaten zu schnellen Resultaten. Hier liegt die große Herausforderung jedoch nicht bei neu entstehenden Produktionen, sondern bei bereits vorhandenen. Bei der Archivierung stecken automatisierte Verfahren wie Gesichts- und Stimmerkennung noch in den Kinderschuhen. So muss hier nach wie vor jeder Meter Film zeit- und geldaufwändig mit Hand ausgewertet werden. Beim Rechtemanagement ist es unter Umständen sehr langwierig und teuer die Rechte zu recherchieren. Teilweise lassen sie sich gar nicht klären. Um einen Film zugänglich machen zu können, müssen jedoch alle Rechte eingeholt werden. Abhilfe kann hier in gewisser Weise die EU-Richtlinie zu verwaisten Werken bringen, die von Experten jedoch als unzureichend angesehen wird. Ebenfalls keine Hilfe sind die unterschiedlichen Urheberrechte in der EU. Noch befindet sich in der Datenbank für verwaiste Werke in Alicante, die Mitte 2016 online gehen wird, kein einziger Film. In der EU geht man von 350.000 Filmen aus, deren Rechte geklärt werden sollen. Unabhängig vom Erfolg, wären verwaiste Werke oder Teile daraus nicht kommerziell nutzbar. Meldet sich nach Zugänglichmachung eines als verwaist geltenden Werks ein Rechteinhaber, bedeutet dies vorerst, dass das Werk der Öffentlichkeit wieder entzogen wird, bis die Ansprüche geregelt sind.

Thomas Steiger

MB 1/2015