Auslaufmodell mit Vorzügen

In diesem Frühjahr sendet das Erste zwei Tatort-Produktionen des RBB, die auf 16mm gedreht wurden. Was über Jahrzehnte selbstverständlich war, entspricht heute nicht mehr dem Trend. Mit der neuen Generation der digitalen Vollchip-Kameras, die sogar mit 35mm-Objektiven bestückt sind, wie Arris Alexa oder die RED, wird der digitale Dreh für fiktionale TV-Produktionen zunehmend zum Alltag.

5
Auslaufmodell mit Vorzügen

Bereits vor gut einem Jahr erklärte der Produktionschef der Studio Hamburg-Gruppe Michael Lehmann aus Anlass der Dreharbeiten des TV-Films „Vater, Mutter, Mörder“ (Regie: Niki Stein): „Der Weg zu den elektronischen Kameras wurde im Fictionbereich erst einmal über die Serie beschritten. Hier haben wir auch die Telenovela „Roten Rosen“ auf HD-Produktion umgestellt. Ich denke, diese Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten, denn die Qualität der elektronischen Kameras ist gestiegen und der Workflow hat sich vereinfacht.“ Am 1. April gesendet wurde der rbb-Tatort „Alles hat seinen Preis“ mit den Kommissaren Felix Stark (Boris Aljinovic) und Till Ritter (Dominic Raacke). In dem Mordfall um einen Berliner Taxiunternehmer, der in seinem Büro erschlagen aufgefunden wird, führen die Spuren ins Umfeld des Kleinunternehmers aber auch in die Welt der Banken.
Der vergangenen November in Berlin gedrehte Tatort wurde mit der Arri SR3 (auf Kodakmaterial Vision 3 250D Color Negative Film und Kodak Vision3 500T) aufgenommen und bei der Berliner Schwarzfilm postproduziert.

Die Herstellungsleiterin von Eikon Media Manuela Scheidt erklärt, es seien keine künstlerischen Entscheidungen für den Dreh auf 16mm ausschlaggebend gewesen. Grund sei vielmehr, dass der Sender noch nicht über eine Datenspeicher-Lösung entschieden habe und deshalb noch auf 16mm drehen lasse. Scheidt weiß auch, ob das Ergebnis hinterher eher nach Film oder Videolook aussehe, sei nicht mehr unbedingt die Frage des Aufnahmeformats, da in der Postproduktion noch mit Graining- oder Degraining-Programmen das Aussehen in die eine oder andere Richtung korrigiert werden könne. Kameramann Bernd Fischer betont, er drehe nach wie vor gerne auf Film und sei gerade bei dieser Tatort-Produktion froh über das filmische Arbeiten gewesen, auch wenn er inzwischen ebenso gerne mit der Alexa arbeite. „Wir hatten in diesem Film zwei Welten zu erzählen. Auf der einen Seite das alte Berlin, das aussterbende mittelständische Milieu: Die Welt der Hinterhofgaragen und der kleinen Leute.

Auf der anderen Seite die Szene in den oberen Büro-Etagen der Banken. Und dies alles dezent und ohne stylisch zu werden.“ Fischer setzt den 250er Negativfilm für die Tagszenen ein und den 500er für die Nachtaufnahmen: „Ich mag beide Materialien sehr gerne und bin immer wieder erstaunt, wie weit man gerade mit dem 500er gehen kann.“ Für Fischer weist der Trend in der TV-Produktion inzwischen klar zu den digitalen Formaten. „Bei Fernsehproduktionen werde ich als Kameramann immer seltener gefragt, ob digital oder auf Film gedreht werden soll. Hier sind die Kosten der entscheidende Faktor. Bei Kinoproduktionen wird sich das noch etwas hinauszögern.“

Kollege Ralph Netzer hat im Februar und März den Berliner Tatort „Machtlos“ (Regie: Klaus Krämer) aufgenommen, der ebenfalls in diesem Frühjahr auf Sendung geht. Diesmal bekommen es die Berliner Kommissare mit einem äußerst raffinierten Kindesentführer zu tun, gespielt von Edgar Selge, der erstmals mit seinem Sohn Jakob Walser gemeinsam vor der Kamera steht. Auch für diesen Tatort hat sich der rbb für den Einsatz von 16mm entschieden. Netzer findet, beide Formate besitzen nach wie vor ihre Vorzüge: „In diesem Fall hätten wir sogar lieber digital gedreht, weil wir ein besonders hohes Drehverhältnis hatten“, erklärt er. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil von Film liege nach wie vor im Belichtungsumfang insbesondere in den Lichtern. Die HD-Kameras RED und Alexa seien dem 16mm-Film mit ihren 35mm-Chips im Tiefenschärfenbereich überlegen. Dies zwinge dazu, dass mit der geringeren Tiefenschärfe noch akkurater gearbeitet werden müsste.

Die gleichen Erfahrungen haben der Regisseur Niki Stein und sein Kameramann Arthur Ahrweiler bei den Dreharbeiten zu dem TV-Film „Vater Mutter Sohn“ gemacht, der mit einer Alexa und 35mm-Optiken gedreht wurde. „Das Schöne an der Alexa war für uns, dass 35mm im Fernsehen Einzug hält“, sagt Ahrweiler: „Wir haben oft auf Grund der Schärfendramaturgie mit offener Blende, langer Brennweite und bewegter Kamera (Master) gearbeitet, was für meinen Focus Puller Thomas Bader eine enorme Herausforderung war.“

Kinolook unter Fernsehbedingungen, das klingt gut, hat aber auch seine Kehrseite, wie Niki Stein ausführt: „Es ist ein schöner und gefährlicher Weg, den wir beschreiten, weil er mehr Zeit erfordert. Denn wir müssen noch exakter mit den Schärfen arbeiten, als wir das eh schon immer mit 16mm gemacht haben“. Auch die Arbeitsweise am Set verändert sich mit den elektronischen Kameras. Irgendwelche Schatten sehe das Team auf dem großen Monitor am Set sogar schneller als der Kameramann in seinem Sucher. Netzer schätzt die visuellen Eigenschaften des Filmmaterials. Vor allem das Filmkorn sei hilfreich, den Zuschauer in die fiktionale Welt der Geschichte hinein zu ziehen. Das digitale Bild wirke schnell zu realistisch.
Torsten Klein, Herstellungsleiter beim rbb, bestätigt, dass die beiden 16mm-Produktionen für den rbb-Tatort letztlich der augenblicklichen Übergangsphase geschuldet sind. Klein will den Film für TV-Produktionen allerdings nicht endgültig abschreiben. „Klar, der Trend geht eindeutig hin zu HD-Produktionen. Dem können wir uns nicht verschließen.“

Klein sagt aber auch: „Wir wollen den Film nicht verbannen. Wenn Regisseure, Produzenten kommen, und wollen aus künstlerischen Entscheidungen auf Film drehen, werden wir uns dem ebenfalls nicht verschließen.“
Für Klein ist die Langzeitarchivierung generell noch nicht geklärt. Speichermedien wie CDs, DVDs oder Magnetbänder besitzen eine relativ geringe Lebensdauer und sind daher nur begrenzt geeignet. Ganz zu schweigen davon, ob es zukünftig noch Abspielgeräte für diese Formate gibt. Hier schlägt wieder die Stunde des Filmmaterials, das hervorragende Langzeitstabilität besitzt und als Speichermedium für Langzeitarchivierung in Frage kommt.

Der nächste Berlin-„Tatort“ des rbb steht im Herbst an. In welchem Format gedreht wird, sei noch nicht entschieden. Gerade abgedreht hat der rbb die Verfilmung des Grimm-Märchens „Hänsel und Gretel“. „Da war der CGI-Anteil so hoch, das wäre auf Film kaum machbar gewesen. Deshalb haben wir uns in diesem Fall für den digitalen Dreh entschieden.
Bernd Jetschin
(MB 05/12)

Anzeige