Interessante Möglichkeiten

Vor einigen Jahren galt das Web als gelobtes Land für Produzenten, die sich nicht dem Diktat der TV- und Kino-Distribution unterwerfen wollten und den direkten Weg zum Zuschauer suchten. Die von UFA und MME Moviement 2008 entwickelten Webserien hatten jedoch keinen nachhaltigen Effekt. TV- und Kino-Distribution bleiben das Maß der Dinge, um ein breites Publikum zu erreichen und Produktionen zu finanzieren. Betrachtet man die Webserie aber aus der Warte des Kreativen, bietet sie durchaus interessante Möglichkeiten, berichteten Katja Blichfeld und Ben Sinclair, Macher von „High Maintenance“, bei den Berlinale Talents 2015.

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Interessante Möglichkeiten

Die US-Webserie „High Maintenance“ wurde von der Casterin und dem mäßig erfolgreichen Schauspieler, die sich von ihrer Arbeit bei der Sitcom „30 Rock“ kennen, als „Calling Card“ initiiert, also als Nachweis für ihr Können, um an lukrativere Aufträge zu kommen. Als sie die Serie vor drei Jahren entwickelten, hatten sie keine Ahnung, was sie da taten. „Webserien werden als leichter Zugang mit geringer Erfolgsquote definiert“, erzählt Ben Sinclair. „Es gab nichts, an dem man sich fest halten konnte. Es war der Wilde Westen. Wir hatten keine Ahnung, weshalb wir solange so getan haben, als ob, bis wir es drauf hatten.“ (im Original: „Fake it, ’till you make it.“).

Inspiration kam von der TV-Sitcom „Party Down“, die 2009/10 mit zwei Staffeln beim Network-Start lief. Die Serie war billig gemacht und spielte in jeder Folge auf einer anderen Party. Lediglich die Mitglieder des Catering Service blieben gleich. „High Maintenance“ reduzierte die Zahl der durchgehenden Rollen auf exakt eine Person: einen von Ben Sinclair gespielten Marijuhana-Dealer, der einen Bringservice unterhält. So gibt es in jeder Folge neue Begegnungen an unterschiedlichen Orten. Die Geschichten spielen aus der Sicht der Episodencharaktere. Der Drogenhändler hat hier verschieden lange Auftritte und sorgt immer für eine tiefgreifende Wendung in der Geschichte. Die Drehbücher werden von Blichfeld und Sinclair innerhalb einer Woche geschrieben aber erst am Set und im Schnitt fertig entwickelt. Sie sind immer nur so lang wie notwendig, um eine Geschichte zu erzählen. Geschnitten werden sie von Sinclair, besetzt von Blichfeld. An der Serie wirken Freunde, Familie und Kollegen unentgeltlich mit. „Leute eben, die nicht ‘Nein’ sagen konnten“, sagt Katja Blichfeld. Die geringen Barmittel werden ausschließlich für die notwendige Technik aufgewendet. Die ersten Folgen mussten daher an einem Tag gedreht werden. Nach wenigen Drehs hatten sich Blichfeld und Sinclair so viel abgeguckt, dass sie anfingen selber Regie zu führen. Eine weitere Inspiration war der Vorspann der Serie „Six Feet Under“. Dort wird immer eine Person porträtiert bevor sie stirbt. „Das wollten wir auch“, erzählt Sinclair. „Wir wollten eine Serie, die die verschiedensten Charaktere vorstellt und von ihnen bestimmt wird und keine Stoner-Show.“

Von Anfang an war es den beiden wichtig, professionell aufzutreten. An der ersten Folge wurde neun Monate geschnitten, bis sie zufrieden waren. Sie haben ihre Serie auch nie selber breit promotet, sondern versucht, dass andere dies für sie übernahmen. „Die heutige Generation möchte nicht, dass man ihnen etwas verkauft“, ist sich Katja Blichfeld über die Grenzen des Marketings im Web im Klaren. Daher fiel ihre Wahl bei der Verbreitungsplattform auf Vimeo. „Vimeo war die natürliche Wahl, weil es hier keine Werbung gibt und die Plattform von Profis aus der Branche für ihre Projekte genutzt wird“, so Blichfeld weiter. Während der ersten beiden Cycles der Show (die Macher verwenden statt Staffel/Season lieber den Begriff Zyklus/Cycle) ging es den Machern in erster Linie um das Feedback. Ab Zyklus 3 wurden die Episoden länger und sie trauten sich mehr. Hinzu kam ein Agent, der sie unterstützte, wodurch die Aufmerksamkeit stieg. So konnte ab Zyklus 4 noch mehr Geld investiert werden und die Episoden fielen noch länger aus. Der Kabelsender fx network bot ihnen an, die Serie zu übernehmen. Bedingung war jedoch sie auf eine halbe Stunde pro Folge zu standardisieren. Das war der Grund warum der Deal nicht zustande kam. Blichfeld und Sinclair wollten die Inhalte ihrer Geschichten nicht der Länge unterordnen. Dafür sprang Vimeo ein. Seitdem kosten die einzelnen Folgen allerdings 1,99 US-Dollar pro Abruf. So konnten sie zwar zum ersten Mal so etwas wie Honorare zahlen, jedoch hat sich an den Bedingungen einer No-Budget-Produktion im Grunde nichts geändert.

Blichfeld und Sinclair sehen „High Maintenance“ nicht als Webserie, sondern als Kunstprojekt, mit dem sie immer wieder neue Wege des Erzählens ausprobieren. Technisch gesehen wären auch „House of Cards“ oder der Golden Globe-Gewinner „Transparent“ Web-Serien, da dies ihr primärer Verbreitungsweg ist. Allerding bestehen Netflix und Amazon noch immer auf Standardlängen. Als was genau man „High Maintenance“ dann bezeichnen kann, denn ‘Kunstprojekt’ ist eher Understatement, wissen die Macher auch nicht. „Wir befinden uns in einer Pioniersituation“, sagen sie. „Das gab es vorher noch nie.“ Dazu gehört auch, dass die Rechte komplett bei den beiden verbleiben. „Was uns die Rechte bringen, wissen wir noch nicht, weil wir noch am Anfang stehen“, räumt Sinclair ein und merkt selbstkritisch an: „Wenn wir besser im Geschäfte machen wären, wüssten wir es allerdings schon längst.“ Noch finanziert sich das Duo über Jobs, die sie auch mit Hilfe von „High Maintenance“ an Land ziehen konnten. Zwar wurden Blichfeld und Sinclair schon auf Branding angesprochen, etwa von Cannabis-Firmen, die in jenen US-Bundesstaaten tätig sind, in denen Cannabis-Konsum legalisiert wurde, jedoch lehnen sie Branding allgemein ab.

Die Kosten des ersten Zyklus beliefen sich auf circa 450 Dollar pro Folge. Gedreht wurde mit einer Canon 7D/t3i mit drei Festbrennweiten (24, 50, 85 mm) und einem Minidolly. Für die Tonaufnahme wurden zwei Zoom H4n und zwei Lavalier-Mikrofone genutzt. Für das Licht kamen China-Ballons, ein Kino Panel, schwarzer Molton, Clip Lights, drei c-stands und ein Reflektor zum Einsatz. Im zweiten Zyklus kam ein 70-200 mm-Zoom hinzu und die Kosten der um ein bis zwei Minuten längeren Episoden stiegen auf circa 600 Dollar. Mit dem dritten Zyklus kam nicht nur ein Sprung bei der Länge (ca. 9 Min.), sondern auch bei der Qualität des Equipments (Canon 5D und drei Sony F7; Ton: R44, Boom und Zubehör). Es gab nun zwei Kameraleute und es spielten auch bekanntere Schauspieler mit. Die Kosten beliefen sich nun auf 900 bis 1.300 Dollar pro Episode. Mit dem vierten Zyklus wurde erneut eine Schippe drauf gelegt. Nun traten auch schon mal berühmte Schauspieler auf, die Episoden wurden bis zu 15 Minuten lang und kosteten um die 1.400 Dollar. Bei den Kameras wurde auf die Sony F5 und eine RED aufgerüstet. Für die Zyklen fünf und sechs kam Vimeo an Bord. Die Kosten bleiben vorerst vertraulich. Die Folgen liegen nun zwischen zwölf und 19 Minuten. Die Sony blieb, die RED wurde gegen eine Canon C300 ausgetauscht. Hinzu kam ein Licht-LKW, Gaffer und Grip. Außerdem wurde erstmals jeder bezahlt, wenn auch unter Tarif.

Auf die Frage angesprochen, ob sie jungen Filmemachern den Aufwand und die (Eigen)-Kosten einer Webserie zuraten würden, um für sich selbst einen Platz in der Medienindustrie zu finden, antworteten beide unisono: „Wenn man die Chance dafür hat, weil man die Freunde hat, die Ideen und das Equipment, dann sollte man nicht warten, sondern sofort anfangen.“ Eines darf man aber nicht vergessen: „High Maintenance“ besteht bisher aus lediglich 19 Folgen. In den ersten vier Zyklen gab es nur drei beziehungsweise vier Folgen, die anfänglich én block veröffentlicht wurden. Der Aufwand ist also überschaubar. Der Trick ist lediglich, es professionell zu machen.

Thomas Steiger

MB 5/2015

© David Ausserhofer, Berlinale 2015

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