Learning by Doing

Nach ersten Tests bei Live-Übertragungen von Fußballspielen konnte Ultra HD (UHD) nun auch bei Konzert-Produktionen ausprobiert werden. Trotz gelegentlicher, deutlich zu sehender Artefakte war die Live-Übertragung des Linkin Park-Konzerts am 19. November 2014 in der O2-World in Berlin ein überzeugender visueller und technischer Erfolg für die daran beteiligten Unternehmen Samsung, SES Astra, TopVision, MTI Teleport und die Produzenten Futuretainment Media Group und Music-Delight Productions. die Möglichkeiten und die Zukunftsfähigkeit von UHD im Live-Einsatz konnten hier eindrucksvoll belegt werden.

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Learning by Doing

Die Übertragung initiiert hatte Rüdiger Schneider mit seiner Futuretainment Media Group (FMG). Die Koordination der Produktion übernahm Marcel Gonska mit seiner Firma WLC, der schon länger eng mit Rüdiger Schneider zusammen arbeitet. Als Auftraggeber kam Samsung an Bord. Sang-Won Byun, Manager Product Marketing AV bei Samsung Electronics und verantwortlich für das Marketing der 4k/UHD-TV-Produkte, half bei der Vermittlung der Projektgespräche zwischen dem Management von Linkin Park und der FMG und beauftragte letztendlich die Futuretainment Media Group zusammen mit Thomas Borrmann, Head of CE Marketing, die 4k-Live-Produktion durchzuführen. Die dahinter stehende Leistung wird umso beeindruckender, wenn man berücksichtigt, dass die Vorbereitung nur knappe drei Wochen dauerte. Linkin Park unterstützte die Produktion mit einer einfachen Einstellung: „Macht was ihr wollt, solange es nicht unsere Bühnenshow und unseren Ablauf stört.“ Das ließ sich mit guter Koordination relativ einfach umsetzen. So wurde die Technik für die Übertragung zuerst verbaut. Die Band packte ihre oben drauf, damit sie sie nach Konzertende sofort in gewohnter Routine abbauen und an den nächsten Konzertort verschiffen konnte. Auch Positionen für die zwölf Kameras wurden so gefunden, dass sie weder Band noch Zuschauer störten und gleichzeitig überzeugende, packende Bilder gelingen konnten, wie man sich während der Übertragung überzeugen konnte. Während die Umprogrammierung der Leuchtwände von 60 auf 50 Hz, damit sie mit dem 50p-Aufnahmemodus der Kameras kompatibel wurde, keine Auswirkungen auf die Show hatte, verhielt es sich mit der generellen Anhebung der Lichtleistung anders. Die wurde notwendig damit die UHD-Kameras genügend Grundhelligkeit hatten, um gut durchzeichnete, scharfe Bilder liefern zu können. „Wir haben lediglich das bestehende Lichtdesign verstärkt, das Design selbst und die Programmierung jedoch unverändert gelassen“, erklärte Regisseur Gerd F. Schultze und fügt hinzu: „Die Amerikaner sind uns in unserem Umsetzungskonzept immer gefolgt.“ Was natürlich auch daran lag, dass noch nie zuvor eine Live-Übertragung eines Konzerts in UHD durchgeführt wurde und es somit auch keine Erfahrungswerte für die Durchführung gab. Klar war jedoch, dass man mit der Bildsprache Rücksicht auf Bewegung, Unschärfen und allgemeine Bildinformation nehmen musste.

Grundsätzlich sollte man eine UHD-Kamera nicht zu sehr schwenken, da durch die hohe Bildrate rasch Bildunschärfen entstehen. Zudem ist die Bildinformation so groß, dass man langsam machen muss, damit das Gehirn die vielen Informationen überhaupt verarbeiten kann. „Das Ganze war Learning by Doing“, so Schultze. Um sich möglichst gut vorbereiten zu können, war man bei den Konzerten in Köln und Oberhausen, um zu wissen, was auf die Produktion zukommt. Leon Schultze, Regie-Assistent von Gerd F. Schultze erinnert sich: „Die erste Zusammenkunft mit Linkin Park-Tourmanager Jim Digby und seiner Crew fand bei dem Auftritt in der Lanxess Arena am 6. November in Köln statt. Man lernte sich kennen und besprach die technischen, logistischen aber auch ästhetischen Einzelheiten. Es gab eine Reihe von technischen Hürden, die allesamt genommen werden mussten. Das Bühnenbild etwa war schlicht und dunkel gehalten, es gab keine Requisiten öder Ähnliches, die die Räumlichkeit im aufgenommenen Bild vermitteln können. 4k ist jedoch eine Art 3D ohne Brille, wenn man alles richtig in Szene setzt. Kein Detail bleibt dem Zuschauer bei dieser Tiefenschärfe verborgen, wenn Vorder-, Mittel- und Hintergrund klar zu erkennen sind. An diese Baustelle wurde Manfred „Ollie“ Olma gesetzt, der für die Produktion als 1. Kameramann und Lichtdesigner eingesetzt und damit zu einer der Schlüsselpositionen der Unternehmung wurde, um die Show für die Kameras optisch sendetauglich zu machen. Nach dem 4k-Testhooting am 9. November in Oberhausen und bei der Vorbesichtigung der O2 World in Berlin am 11. November präsentierte man Ergebnisse, präzisierte Pläne und traf die nötigen Kompromisse, um die richtige Mischung zu finden und ein Endkonzept zu erstellen, das den Anforderungen einer Weltpremiere in dieser Größenordnung entspricht.“

Im Gegensatz zum Fußball, wo man es mit einer relativ ausgeglichenen „Ausleuchtung” zu tun hat, stellten die stark schwankenden Lichtverhältnisse eines Konzerts die wahre Herausforderung der Übertragung dar. Das also die extremen, dynamischen Lichtverhältnisse, die mehr Bandbreite erfordern, die Technik vor sich her treiben würden, war gewollt. Schließlich ging es ja darum herauszufinden wie die Kameras und die Kompression darauf reagieren würden. Zum Einsatz kamen elf Sony F55-Kameras sowie die 4KH, eine 4k-Minikamera, von Toshiba, die fest am Keyboard installiert war und über ein Weitwinkel verfügte. Alle Kameras erhielten ein Firm-Update bevor es los ging. Die F55-Kameras waren im Graben rechts und links vor der Bühne positioniert, auf zwei ferngesteuerten, auf 9,50 Meter ausfahrbaren MAT-Tower rechts und links der Bühne, als Handkameras (2x) auf der Bühne selbst, eine Cruise-Cam von MAT, die auf einem ferngesteuerten Schienen- und Teleskopsystem, das auf 2,80 Meter ausfahrbar war, montiert war sowie die beiden Front of House (FoH)-Kameras, die hinter der Cruise Cam fest auf einem Podest etwa 40 Meter von der Bühne entfernt im Zuschauerraum standen. Weitere Kameras befanden sich hinter der Bühne, am entgegen gesetzten, 80 Meter entfernten Ende der Halle im Oberrang, wo sich zudem noch eine Krankamera befand. Die Optiken stammten von Fuji und Canon. Jede Kamera war in vier Quadranten aufgeteilt. Die Full-HD-Signale (UHD ist viermal HD) wurden über vier 3GBit-HDSDI-Kabel in den UHD-Ü-Wagen von TopVision geleitet. Um die Datenmenge verarbeiten zu können wurden drei PWS-4400 4k Server-Rigs von Sony in ein RAID-System integriert. So konnten die Signale von zehn Kameras (zwei mal zwei mussten sich den Übertragungsweg per Kreuzschiene teilen) aufgezeichnet werden, um das Konzert später in technisch verbesserter Form verwerten zu können. TopVision hatte seinen HD Ü2 für die Produktion mit einem 84 Zoll-Produktionsmonitor von Sony ausgestattet. Außerdem war er mit 4k PVM-X300 Monitoren aufgerüstet worden.

Im Ü-Wagen wurde das Bild live von Nadja Zonsarowa, die eigentlich Regisseurin ist, gemischt und mit 12 GBit über vier Glasfaserleitungen zum SES Astra Playout-Center in Unterföhring geschickt. Die Glasfaserkabel wurden von MTI Teleport extra für die Übertragung mit der O2-World verbunden. In Unterföhring wurde das Signal auf einem Rohde [&] Schwarz-Encoder AVHE100 in HEVC gerendert. Auch für den Encoder ein Stresstest, denn zuvor musste er diese Leistung noch nicht erbringen. Von Unterföhring legte das Signal dann die nicht gerade kurze Strecke zum Uplink Center in Betzdorf/Luxemburg in einem Kupferkabel zurück, von wo es mit 35 MBit auf den Transponder geschickt wurde. Bis es auf einem der UHD-Fernseher, die im Empfangsbereich des Satelliten stehen, ankam, waren trotz der Strecke gerade einmal 7,5 Sekunden vergangen. Zusätzlich mit Steuerungssignalen und dem Ton, bei dem es sich um den regulären Saal-Ton, dem Front of House, handelte, war das Datenpaket dann fast 40 MBit groß. Zur Erinnerung: HD-Signale haben eine Größe von zwölf MBit. Astra übertrug das Konzert über seinem HD-Testkanal, der kostenfrei auf 19.2 Grad Ost zu empfangen ist. Für den UHD-Empfang ist ein digitaler DVB-S2-Empfänger sowie ein Decoder für den H.265/HEVC-Standard notwendig. Beides bietet Samsung in seinen UHD-Fernsehern an, die die Firma durch Events wie diesen promoten möchte. So ganz unbeteiligt an der Produktion war Linkin Park letztendlich aber nicht. Die Band hat den Wert einer Konzertaufzeichnung in 4k – wie zuvor schon Muse oder Peter Gabriel – durchaus erkannt. Im Fall von Linkin Park kam jedoch noch der Aspekt der Live-Übertragung hinzu.

Die Band wollte ausdrücklich, dass die Energie ihrer Live-Konzerte auch bei der Übertragung spürbar würde. Bandmitglied Joseph ‘Joe’ Hahn, der auch die Regie bei vielen Videos der Band sowie bei Videos für andere Bands übernommen hatte, übernahm zusammen mit dem aus L.A. eingeflogenen DoP Richard Henkels für die Band die künstlerische Kontrolle. Von Hahn stammen die Ideen für die Auswahl der Objektive sowie der hochwertigen Image Shaker und Blue-Streak-Filter, die zum ersten Mal in Verbindung mit 4k verwendet wurden. Zusätzlich schuf er eigene Filter aus dem Boden von Plastikflaschen und ließ weitere Effekte dadurch erzeugen, dass mit einer kleinen Taschenlampe von der Seite in die Objektive geleuchtet wurde. Außerdem übernahm Marc Fiori, ein von der Band ausgewählter Kameramann, auf der Bühne die linke Handkamera.

Für Sophie Lersch, Chief Commercial Officer der SES Platform Services war die Übertragung ein voller, zukunftweisender Erfolg: „Die größte Herausforderung ist sicher noch das Encoding. Es ist einfach extrem anspruchsvoll, in Echtzeit aus einem Signal des Ü-Wagens mit rund 12 Gbit/s ein 25- oder 35-Mbit-Signal mit möglichst hoher Bildqualität für die Ausstrahlung zu erzeugen.

Dabei geht es nicht nur um die Verarbeitung unvorstellbar hoher Datenraten in Echtzeit, sondern auch um die performante Implementierung des HEVC-Algorithmus. Wir konnten durch den extrem knappen Vorlauf ja erst einen Tag vor dem Konzert wirklich mit dem Signal aus der Halle testen. Noch am Tag des Konzerts wurde ständig optimiert und das Ergebnis war wirklich eindrucksvoll. Wir erzielen von Test zu Test große Fortschritte. Mit den Erfahrungen aus Berlin und einer neuen Encoder-Version ist es uns bei der Ultra-HD-Übertragung des Konzerts der Fantastischen Vier im Dezember von Sky gelungen, die Bildqualität nochmals deutlich zu optimieren.“

Auch TopVision sieht in den gemachten Erfahrungen die Bestätigung, dass 4k/UHD-Live-Produktionen Teil der Zukunft sind.

Produktionsleiterin Kerstin Fluhrer erklärt: „Nach den ersten UHD-Workflow-Tests haben wir am 26. April 2014 unsere erste Liveproduktion vom Fußballspiel FC Bayern München – Werder Bremen erfolgreich durchgeführt. Danach folgten weitere Fußballspiele wie das Pokalfinale 2014 oder das Champions League Spiel am 4. November 2014 in Dortmund. Beim Pokalfinale hatten wir erstmals den neuen Sony Server PWS-4400 im Einsatz, da dieser die Möglichkeit bietet, das UHD-Signal durch die Verwendung neuer Codecs möglichst hochwertig wieder auszuspielen. Bei der Linkin Park Produktion waren dann drei dieser Server im Einsatz, da wir unserem Kunden für die Postproduktion einen hervorragenden Standard bieten wollten. Im Bereich Optiken haben wir die derzeit auf dem Markt verfügbaren Optiken eingesetzt. Unter anderem die von uns bereits käuflich erworbene Canon CN7x17 KAS S/P1 sowie die Canon CN20x50 IAS H P1. Im Moment ist der Markt in diesem Bereich noch sehr überschaubar, aber sicherlich wird der Bedarf die Entwicklungen an dieser Stelle zügig vorantreiben.“ Sie berichtet weiter: „Unser Part und die unkomprimierte Signalübertragung bis zur Uplinkstelle SES haben wunderbar funktioniert. Für uns war vor allem wichtig, eine Produktion dieser Größenordnung sauber auf den Satellit zu bringen und weitere Erfahrungen im Signalprozessing, im Bereich der Optiken sowie der Aufzeichnungs- und Ausspielmöglichkeiten zu sammeln. Wir sind mit dem Ergebnis dieser einmaligen Weltpremiere hoch zufrieden und das bei einem Vorlauf von nur drei Wochen.“

Bei Astra/SES erwartet man nun einen echten UHD-Regelbetrieb im Laufe des Jahres 2016. „Dann wird das Thema aus unserer Sicht auch kommerziell relevant“, so Sophie Lersch. Der Dienstleister bereitet sich vor indem er automatische Workflows aufbaut und im Playout mit den ersten Systemen arbeitet, die Ultra HD-Material ausspielen können. Diese müssen mit den unterschiedlichsten Daten- und Bildraten arbeiten können, was für Ultra HD nicht mit allen Systemen möglich ist. „Doch“, erklärt Sophie Lersch, „Aus technischer Sicht sind wir definitiv bereit.“

Thomas Steiger

MB 1/2015

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