Vorteil Metropole Berlin

Zwar ging es um die Frage, ob der Medienstandort Berlin gut für die Zukunft gerüstet ist. Doch um sie zu beantworten, stellte Robin Houcken, stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung Studio Hamburg GmbH, mit seinem Referat am 27. November beim Medien Dialog Berlin erst einmal die wichtigsten Veränderungen im Fernsehmarkt dar. Zudem nannte er Ergebnisse einer Befragung der Produzentenallianz zum Vergleich der Medienstandorte München, Berlin, Köln und Hamburg – und machte sich dazu dann selber Gedanken.

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Vorteil Metropole Berlin

Aus dem Munde des zweitwichtigsten Managers von Studio Hamburg, eine hundertprozentige Tochter des NDR, ist es schon ein Hammersatz, den Robin Houcken mit größter Selbstverständlichkeit zu Beginn seines Vortrags salopp formulierte: „Die Sender verlieren ihr Monopol“. Das hänge damit zusammen, dass „mit der Digitalisierung die Distributionskosten für Fernsehprogramme drastisch gesunken sind“.

Damit sei gleichzeitig sowohl die technische als auch die kreative Produktionswirtschaft mit einer „Vielfalt von neuen Abnehmern und Geschäftsmodellen“ konfrontiert. Und die bisherige Systematik der Auftragsvergabe zwischen Sendern und der Zulieferindustrie müsse stark in Frage gestellt werden. Vor allem die durch die Digitalisierung möglich gewordene „individuelle Adressierbarkeit der Konsumenten“ führe zu neuen beziehungsweise in Zukunft tragfähigen Geschäftsmodellen. Zum Beispiel: Pay-TV, VoD oder Consumer Generated Content als ein „Kreativmarkt mit neuen Formaten“.

Als wichtigstes Wachstumssegment aus Sicht von Studio Hamburg beziehungsweise Studio Berlin nannte Houcken „Live-Inhalte“: alles, was mit Sport und den damit verbundenen hochwertigen Rechten zu tun habe. Es sei „das einzige Programmsegment, das hohe Zuschauerreichweiten als Alleinstellungsmerkmal für das Fernsehen dauerhaft generieren kann“. Nur Show-Veranstaltungen wie die Sat.1-Show „Voice of Germany“, die im Studio Berlin produziert wird, erzielten ebenfalls große Reichweiten, wenn auch nicht mehr in der Größenordnung wie vor 20 Jahren. Doch spielten solche Shows für die Werbewirtschaft immer noch eine sehr wichtige Rolle.

Ein starkes Wachstum sieht Houcken ebenso in der „Programmfläche Scripted Reality“, vor allem, weil sie so preisgünstig sei. Manche nennen es Trash TV und keiner gibt zu, dass er es guckt, fügte er hinzu. Die Zulieferung in diesem Programmumfeld sei sehr industriell. Weil man so kostengünstig produzieren könne, sei es für Freelancer sehr einfach in das Genre hinein zu kommen. Die Sehgewohnheiten, so Houcken, seien im Scripted Reality-Segment „sehr nahe dran, an dem was in Consumer Generated Content-Bereich passiert“. Die Zulieferindustrie für diesen Bereich gehe in „fließende Formen“ über.

Immer mehr Relevanz nehme im Fernsehbereich „Talk“ und „Quiz“ in verschiedensten Formen ein, weil mit diesen Formaten eine „starke Zuschauerbindung durch Moderatoren“ – und damit „sehr stabile Programmplätze“ erreicht werden können. Diese Stabilität käme dann auch dem jeweiligen Medienstandort zugute. Bestes Beispiel sei „Jauch“, der mit einem eigenen Studio in Berlin fest verhaftet sei.

Das hochwertigste TV-Segment allerdings „ist mit Blick auf die Programmkosten die Fiction“, sagte Houcken. Die entwickle sich in Deutschland aber zunehmend zu einem rein öffentlich-rechtlichen Terrain: Vom Privatfernsehen werde heute „deutlich weniger“ Fiction in Auftrag gegeben. Allerdings, so fügte er hinzu, haben sich die Privatsender sehr stark auf das Thema „Event“ mit hochwertigen Produktionen fokussiert, die als Marketing-Tool besetzt werden können. Für die Standortbindung spiele aus dem Fiction-Bereich im Grunde genommen nur die „Serie“ eine bedeutende Rolle. Einzelstücke würden mehr on Location standortunabhängig produziert. Bei langlaufenden Serien hingegen würden die Studio-basierten Möglichkeiten gerne genutzt. Und wenn sich eine Serie erst einmal auf einen Senderplatz etabliert hat, wird ein Sender daran ohne Not nichts verändern. Beispiel GZSZ. Wenn Fiction oder fiktionale Serien für große Sender produziert werden, so Houcken, könne man sie nicht differenziert auf Zielgruppen ausrichten. Mit dieser Art von neuer Fiction werde „der deutsche Zuschauer mittlerweile sehr stark aus dem Ausland bedient, zumal da bereits die VoD-Plattformen sehr erfolgreich ausgeprägt sind“. Als Beispiel für solche Zielgruppen-Serien nannte Houcken die US-Serie „Mad Men“, die hierzulande keine großen Reichweiten schaffen können, aber in Amerika als Sparte erfolgreich sind. Dieser Markt boome zurzeit. In 2009 gab es nur 39 Serien dieser Art, in 2011 waren es schon 110. Das sei aber in Deutschland mangels eines signifikanten Zweitverwertungsmarktes noch ein unerschlossenes Terrain. Das Thema könne aber, wie Houcken meint, spannend hinsichtlich der Standortförderung sein.

Medienstandort-Wettbewerb

Laut dem Gesamtergebnis der Produzentenallianz-Befragung zur Frage, wie die Medienstandorte München, Berlin, Köln und Hamburg abschneiden, ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Spitzenposition zwischen Berlin und München heraus gekommen. Als Aufholer hat Berlin den Vorteil auf der Überholspur zu sein. Houcken nannte Einzelergebnisse. Münchens Produktionsinfrastruktur wurde zwar von den Befragten am besten bewertet, Berlin liege aber „dicht dahinter“. Houcken gab sich als Studiodienstleister überrascht von dieser Bewertung, weil er eher Berlin oder Köln vorne gesehen hätte. Auch was Lebensqualität und Freizeit-Möglichkeiten angeht, hat München wegen der Nähe zu den Bergen vor Berlin knapp die Nase vorn. In Sachen qualifiziertes Personal wiederum schneidet Berlin am besten ab, bei verkehrsgünstiger Anbindung gewinnt wieder München. Bei Mietpreis, Personalkosten, Lebensunterhaltungskosten ist Berlin unangefochten an der Spitze. „Aus den Erfahrungen unserer Mitarbeiter kann ich aber sagen, diese Lücke beginnt sich zu schließen“, merkte Houcken dazu an: Und bei „unkomplizierte Kooperation mit Behörden, da war ich selber etwas überrascht“: Der „Law-and-Order-Staat Bayern“ wurde als am Unkompliziertesten bewertet. Allein zum Aspekt „Kundennähe“ entpuppte sich Köln als am Stärksten, was sicher an RTL und WDR mit ihrem großen Produktionsvolumen liegt. Sogar in Puncto „Filmförderung“ liegt München vorn, obwohl das größte Förderungsbudget nach wie vor von Köln geboten wird. Es ist „eine Befragung, da geht es mehr um die Wahrnehmung“, schränkte Houcken den Erkenntnisgewinn ein.

Er habe sich dann selber Gedanken gemacht, welche Standortfaktoren wirklich eine Rolle spielen. Dazu habe er bei der Lektüre eines Buches, in dem es darum gehe, wie Menschen und Kreativität zusammenspielen, interessante Anregungen erhalten. Kurzum zusammengefasst: Der einzige Vergleichsfaktor ist, dass je größer eine Stadt ist, umso mehr Menschen treffen sich in der Stadt, umso kreativer ist der Output. Das lasse sich sogar empirisch nachweisen. Und weil Berlin die größte Stadt in Deutschland ist, habe man einen Wettbewerbsvorteil, den andere Städte nicht einfach aufholen können, stellte Houcken fest.

Weil der Mediendialog Berlin eine Veranstaltungsreihe der Fördereinrichtung Medienboard Berlin-Brandenburg und IHK Berlin ist, meldete Houcken auch zwei Förderwünsche an. Er sehe einen Bedarf für Hardware und für die Produktion von Serien am Standort Berlin. Sowieso sei „weniger die Höhe der Fördersumme entscheidend“, die in der Regel nur zu Wanderungen dorthin führt, wo die Töpfe gerade aufgefüllt werden, um sich danach wieder umzuorientieren. Vielmehr komme es auf eine individuelle Förderungsstrategie an, um Formate und ihre Vermarktungsmöglichkeiten in Berlin als internationale Metropole mit ihrem großen kreativen und digitalen Potential zu stabilisieren und zu stärken.
Erika Butzek
(MB 02/13)

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