Der von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Etat für das Förderprogramm Creative Europe beläuft sich für den Zeitraum von 2014 bis 2020 auf 1,8 Milliarden Euro, was einer Erhöhung von 37 Prozent entspricht. Über das Budget für Creative Europe entscheidet das Europäische Parlament, das auch die entsprechenden Parameter zwischen Kultur und den anderen Bereichen setzen wird. „Danach ist es die Aufgabe der Kommission, dieses Ergebnis in den verschiedenen Bereichen, Projekten und Programmen entsprechend umzusetzen“, berichtet Ignasi Guardans, CEO der Brüsseler Agentur Cumedia (culture & media agency europe). Als positives Signal wird es gewertet, dass das Creative Europe-Programm Ende 2012 vom Kulturausschuss des Europäischen Parlaments mit 22 von 24 Stimmen genehmigt worden ist. „Dieses fast einstimmige Votum unterstreicht die strategische Relevanz des kulturellen Sektors“, betont die italienische EU-Parlamentsabgeordnete Silvia Costa. „Wir setzen beim Creative Europe-Programm auf einen ganzheitlichen Ansatz. Wir möchten die bekannte Marke MEDIA, die in den letzten zwanzig Jahren gut von der Branche angenommen worden ist, beibehalten und weiter stärken.“
Unter der irischen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2013 soll Creative Europe eine Top-Priorität erhalten. Wie die nähere Ausgestaltung dieses Programms zur Förderung der audiovisuellen Industrie aussehen soll, ist jedoch noch unklar. „Wir setzen uns für unsere Interessen ein, aber wir wissen nicht, in welche Richtung das Programm geht und wie viel Förderung wir künftig bekommen“, bestätigt Adeline Monzier, Geschäftsführerin des unabhängigen europäischen Verleiherverbandes von Europa Distribution. „Wir befürchten, dass die Europäische Kommission den Kern des Programms, der aus dem Kinoverleih und der Kinoauswertung besteht, aus den Augen verliert. Wenn zu viele neue Programme aufgelegt werden, führt das zu einer starken Streuung der Mittel.“
Die Liste der Maßnahmen, die im Rahmen von Creative Europe künftig MEDIA-Unterstützung erhalten könnten, ist lang. Neben Training, Entwicklung und Kinoverleih sollen Koproduktionen, Weltvertriebe, die Entwicklung von Marken, der Aufbau neuer Geschäftsmodelle, aber auch Maßnahmen zur Generierung neuer Zuschauergruppen wie Festivals unterstützt werden.
Kulturvermittlung hat oberste Priorität
„Die oberste Priorität für die Europäische Kommission ist, die europäische Kultur dem Publikum zu vermitteln. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, uns in unserem Entwurf für das Creative Europe-Programm auf die Entwicklung von neuen Zuschauergruppen zu konzentrieren“, erklärte die EU-Kulturkommissarin Androulla Vassiliou letzten Herbst auf der Konferenz „European Audiences: 2020 and beyond“ in Brüssel. Bei diesem Event erhielten mehr als 800 Teilnehmer aus ganz Europa Anregungen, mit welchen Strategien und Techniken sich neue Publikumsschichten generieren lassen. In Projektpräsentationen gaben Vertreter von kulturellen Organisationen aus verschiedenen Bereichen wie Film, Kunst, Oper, Theater oder interaktive Technologien Aufschluss über ihre Ansätze, um das Publikum stärker an sich zu binden.
„Die digitale Revolution eröffnet unbegrenzte Möglichkeiten für Kulturveranstalter. Konzerte und Theatervorstellungen können über das Streaming im Netz einem weltweiten Publikum zugänglich gemacht werden, die solche Events sonst nur lokal erleben können. Dadurch werden auch Zuschauer in Regionen erreicht, die nur über ein begrenztes kulturelles Angebot verfügen“, betont Ann Branch, die in der Kommission die Abteilung „Kulturprogramme und Aktionen“ leitet. „Creative Europe setzt deshalb den Schwerpunkt auf die Entwicklung von Zuschauern und bringt sie mit den Kreativen in Verbindung, die Werke kreieren und verbreiten.“ Zum ersten Mal soll durch das MEDIA-Programm auch die reine Produktion unterstützt werden. „Koproduktionen haben größere Chancen gesehen und in mehreren Ländern herausgebracht zu werden“, sagt Guardans. Creative Europe soll zudem den Europäischen Investmentfonds stärken, der als Garantiefonds ein Kreditvolumen von über 200 Millionen Euro erhält. „Der Multiplikatoreffekt wird wesentlich höher sein und schätzungsweise bei über einer Milliarde Euro liegen“, versichert der Brüssel-Experte. Der Garantiefonds soll es der audiovisuellen Branche in allen Bereichen von der Entwicklung bis hin zur Auswertung erleichtern, Kredite von ihren Banken zu erhalten. Nach Einschätzung von Insidern wird er wieder gekippt, wenn das beantragte Budget nicht bewilligt wird.
Zeitplan ist nicht aufgegangen
Auf dem Prüfstand in Brüssel befindet sich ebenfalls die Kinomitteilung, in der die Kriterien für die Vereinbarkeit der nationalen und regionalen Filmförderungsprogramme der Mitgliedsstaaten mit dem EU-Wettbewerbsrecht festgelegt werden. „Ohne die Kinomitteilung müsste jede Förderregelung von Fall zu Fall geprüft werden“, sagt Guardans. „Das wäre sehr kompliziert und vom praktischen Verfahren her unmöglich.“ Mit Inkrafttreten der neuen Kinomitteilung sollten die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Filmförderungen in Europa pünktlich zum Jahresbeginn 2013 neu geregelt sein. Doch der Zeitplan der Europäischen Kommission ist nicht aufgegangen, da sich masssiver Widerstand in der Branche geregt hat. Insbesondere die Neuregelung der Territorialisierung birgt nach Ansicht der Produzenten und Filmförderer ein großes Risiko mit nicht absehbaren Folgen.
Bis Ende März soll eine einvernehmliche Einigung erarbeitet werden, damit die Revision der Kinomitteilung erfolgen kann und Rechtssicherheit geschaffen wird. „Wir hoffen, dass wir bald zu einer Lösung kommen“, betont Gisela von Raczeck, EU-Beauftragte der Filmförderungsanstalt (FFA), „denn wir brauchen eine Kinomitteilung, die dem Sektor die notwendige Rechtssicherheit gibt.“ Mit der Revision der 2001 initiierten Kinomitteilung strebt die Europäische Kommission an, genauere Kriterien zu definieren, die den kulturellen, wirtschaftlichen, technischen und finanziellen Entwicklungen der europäischen Film- und Fernsehindustrie stärker Rechnung tragen.
Vor allem die Neuregelung der Territorialisierung ist den europäischen Filmförderern ein Dorn im Auge. Diese sieht vor, die territoriale Bindung von Fördermitteln von 80 Prozent des Produktionsbudgets auf 100 Prozent der Fördersumme zu reduzieren mit einer Begrenzung auf 50 Prozent des Produktionsbudgets „Bei schwierigen Filmen mit Förderintensitäten von zum Beispiel 80 Prozent sinkt die zulässige Territorialisierung also unter 100 Prozent der Fördersumme“, erläutert von Raczeck. „Das führt zu einer weiteren Benachteiligung von schwierigen Filmen. Als „schwierige Filme“ gelten Erstlingswerke, Dokumentarfilme, aber auch Produktionen aus Ländern, die nur einen kleinen Sprachraum besitzen.
„Wir brauchen in der neuen Kinomitteilung eine Rechtssicherheit und Klarheit für die Regelungen bezüglich der Territorialisierung und Förderintensität“, bekräftigt Charlotte Applegren, Generalsekretärin von Cine-Regio. „Kleine und schwierige Filme dürfen nicht diskriminiert werden. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf der regionalen Kultur liegen, was bisher jedoch nicht der Fall ist.“ Die Mitglieder von Cine-Regio sind davon überzeugt, dass die Terrritorialisierung auf regionaler Ebene positive Effekte besitzt. „Sie trägt zum Erhalt der kulturellen Identitäten bei“, versichert Applegren, „zur Herstellung einer kritischen Masse an audiovisuellen Aktivitäten sowie zur Solidarität zwischen den Regionen, vor allem durch die Unterstützung von Koproduktionsprojekten.“
Da die Länder die regionalen Fördermittel überwiegend aus Steuermitteln finanzieren, sind die wirtschaftlichen Effekte ein politisches Argument, um diese Gelder bereitstellen zu können. Wenn dieser Regional-Effekt entfällt, fehlt auch der Anreiz für die Region, diese Fördermittel zu gewähren. Der Kommission widerstrebt diese Konstruktion, weil diese sich nicht mit der Vorstellung von einem freien Binnenmarkt vereinbaren lässt, in dem der Produzent an keinen Standort gebunden ist.
Wettbewerbskommission prüft Fördersysteme
„Da die Wettbewerbskommission für die staatliche Förderung zuständig ist, müssen alle wichtigen Fördersysteme von der Kommission überprüft werden“, sagt Obhi Chatterjee, Mitglied der Wettbewerbskommission in Brüssel. „Ein Bestandteil dieses Überprüfungsprozesses ist, ob die Fördersysteme gesetzlich zulässig sind und zwar nicht nur in Bezug auf die Wettbewerbsrichtlinien. Wir untersuchen auch, ob sie mit den anderen Regeln kompatibel sind, die wir in der Kinomitteilung formuliert haben.“ Neben den selektiven Fördersystemen der Regionen verfügen viele europäische Länder über automatische Fördersysteme, bei denen die Projekte als Fördervoraussetzung festgelegte Kriterien erfüllen müssen. Aufgrund ihrer größeren Transparenz sind diese Systeme für Antragsteller aus dem Ausland besonders attraktiv. Die Europäische Kommission möchte jedoch dem Subventionswettlauf der Mitgliedsstaaten um internationale Projekte mit ihren Neuregelungen für „Tax- und Spendsysteme“ Einhalt gebieten.
Davon betroffen sind der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle in Straßburg zufolge mindestens 17 Steuer- und Spendsysteme in 15 Mitgliedsstaaten. Darunter befindet sich auch der Deutsche FilmFörderFonds (DFFF), der mit 60 Millionen Euro im Jahr 2012 für Folgeinvestitionen in Höhe von 352 Millionen Euro in der deutschen Filmwirtschaft gesorgt hat, wovon 80 Spielfilme, 32 Dokumentarfilme und drei Animationsfilme profitierten. Die deutschen und internationalen Produzenten dieser Filme haben rund das Sechsfache dieser staatlichen Zuschüsse in Deutschland ausgegeben.
Dieser Hebel-Effekt soll auf eine 1:1-Wirkung reduziert werden. „Dies ist ein Kampf gegen die Bürokratie“, ereifert sich Alfred Hürmer, Produzent und Präsident des Vereins Deutsch-französisches Filmtreffen. Die Kommission habe den DFFF hinsichtlich einer Wettbewerbsverzerrung prüfen lassen, doch im Gutachten sei dies weder verneint noch bestätigt worden. „Dennoch wollen sie unsere Finanzierungsinstrumente abschaffen.“ Eine weitere grundlegende Veränderung in der neuen Mitteilung betrifft die Ausweitung des Anwendungsbereiches. Bisher war durch die Kinomitteilung ausschließlich die Film- und Fernsehproduktion geregelt. Im neuen Entwurf umfasst der Anwendungsbereich sämtliche Stufen der Verwertungskette vom Drehbuch und der Entwicklung über die Produktion bis hin zur Promotion und dem Vertrieb. Zur Zielsetzung der Europäischen Kommission gehörte es zunächst, die Fensterregelungen aufzuheben, die bisher in den Förderrichtlinien festgeschrieben sind. Jede Verbindung zwischen Förderung und Auswertungsfenster sollte verboten werden. Darüber hinaus sollten die Verleiher sämtliche Rechte abgeben, die sie nicht auswerten. „Das Prinzip lautet ‚Use it or lose it‘, erläutert Guardans. Diesem Vorschlag liegt die Idee zugrunde, dass sämtliche Produktionen allen EU-Mitgliedern per Video-Streaming zugänglich gemacht werden. „Sämtliche geographischen Grenzen sollten fallen“, berichtet der Brüsseler Medienberater, was bedeutet hätte, dass die Kabel- und Satelliten-Direktive auf das Kino angewendet wird.
Nachdem die Kommission im März 2012 den ersten Entwurf der Kinomitteilung vorgelegt hatte, war die Branche in einer zweiten Konsultationsrunde aufgefordert, Stellung dazu zu nehmen. Die vorgeschlagenen neuen Regelungen stießen auf massive Kritik. Die European Film Agency Directors (EFAD) sieht durch die vorgeschlagenen Neuregelungen die Existenzfähigkeit der nationalen und regionalen Fimförderungen in vielen Mitgliedsstaaten gefährdet, was zu zunehmender Unsicherheit der Produzenten führe, Arbeitsplätze bedrohe und die Vielfalt der europäischen Filmproduktion in Gefahr bringe. Das CNC in Frankreich konstatierte, die Neuregelungen würden eine grundlegende Überarbeitung seiner bisherigen Förderregelungen erfordern und das British Film Institute (BFI) warnte vor einer Reduzierung der verfügbaren Finanzmittel mit zerstörerischen Effekten für die Filmwirtschaft.
In dem jüngsten, nicht veröffentlichten Entwurf aus Brüssel ist zwar die umstrittene Fensterdebatte nicht mehr enthalten, da diese nicht im ausschließlichen Kompetenzbereich der Kommission liegt, doch neue einschneidende Territorialisierungs-Klauseln sind nach wie vor Bestandteil des Mitteilungsentwurfs. „Wir sind nicht bereit, die unterschiedlichen Rezepte, die jedes Land hat, mit einem Handstreich von Europa wegwischen zu lassen“, betonte der FFA-Vorstand Peter Dinges. „Es ist uns keine Zeit geblieben, uns mit der EU-Kommission zusammenzusetzen, um die Auswirkungen auf die Filmproduktion in Europa evaluieren zu können.“
Den Vorschlag, diesen Punkt aus der Neuregelung auszuklammern, um die neue Kinomitteilung zeitgerecht zu verabschieden, hat die Kommission abgelehnt. Bei einem informellen Treffen der EFAD-Staaten, Anfang November in Brüssel, schlugen Dinges und sein französischer CNC-Kollege Eric Garandeau vor, die derzeit zulässige territoriale Bindung von Fördermittel beizubehalten, bis eine einvernehmliche Lösung gefunden sei. „Wir haben alle Anstrengungen unternommen, um der Kommission zu erklären, dass es essenziell wichtig ist, nicht zu zerstören, was gut in Europa funktioniert“, berichtete Garandeau. „Unsere größte Sorge ist, dass die Europäische Kommission manchmal dazu neigt, Probleme mit Lösungen zu verwechseln.“
Kultur kontra Wettbewerb
Die Auswertungsfenster, staatliche Förderung und Steuererleichterungen seien Elemente, die den europäischen Film stärken, damit sich dieser im Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung gegen die Konkurrenz aus Hollywood behaupten könne. Die Kommission glaube, diese Regelungen und Förderinstrumente beschränkten den freien Wettbewerb sowie die Umsetzung des EU-Binnenmarktes. „Ohne die territoriale Bindung der Fördermittel und die Auswertungsfenster wird es bald keine Filme mehr in Europa geben und auch keinen Markt. Europa wird nur noch eine Auswertungsplattform für amerikanische Filme sein“, warnte Garandeau in seinem düsteren Szenario.
Unterstützung erhielten die EFAD-Mitglieder von dem deutschen Staatsminister für Kultur Bernd Neumann und der französischen Kulturministerin Aurélie Filippetti, die im November beim EU-Kulturministerrat den Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia mit dieser Problematik konfrontierten. „Meine Amtskollegin Filippetti und ich haben uns beim EU-Kulturministerrat gegenüber der Europäischen Kommission für eine uneingeschränkte Fortsetzung unserer nationalen Filmförderungen im Rahmen der neuen Kinomitteilung eingesetzt“, bestätigte Neumann. Daraufhin habe Almunia signalisiert, die Veröffentlichung der Kinomitteilung auf Anfang 2013 zu verschieben, damit eine einvernehmliche Lösung gefunden werden könne. Die Chefs der FFA und der französischen Filmförderung CNC haben der Europäischen Kommission ihre Unterstützung angeboten, eine zügige Lösung zu erarbeiten, die keine negativen Auswirkungen auf die europäische Filmindustrie befürchten lässt. „Die EU-Wettbewerbsregeln müssen den Bedürfnissen der Filmindustrie angepasst werden und nicht umgekehrt“, resümieren die Förderchefs. Bis Ende März soll nun ein gemeinsamer Konsens gefunden werden.
Birgit Heidsiek
(MB 02/13)