Überraschungen mit Genre-Mix

Jochen Ketschau, Deutsche-Fiction-Chef von ProSiebenSat.1 Deutschland, stellte Ende letzten Jahres im Hamburger Theater Kehrwieder sein Fiction-Line-Up für das Frühjahr 2013 vor. Mit MEDIEN BULLETIN sprach er Am Rande des Events über sein Fiction-Konzept. Bei der Hamburger Präsentation war auch der frisch zum Sat.1-Geschäftsführer gekürte Nicolas Paalzow zugegen. Er hatte eine markige Botschaft dabei.

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Überraschungen mit Genre-Mix

Applaus! Nachdem acht neue Sat.1-TV-Movies, zwei fiktionale TV-Events und die vierte Staffel der Serien „Der letzte Bulle“ und „Danni Lowinski“ in Ausschnitten vorgestellt worden waren, gaben sich die TV-Programmkritiker, an die sich der Event zuvorderst wandte, sehr zufrieden und erfreut. Am meisten geklatscht und gelacht worden war, als „Der Minister“ als Trailer über die Leinwand ging. Zu diesem Stoff hatte sich Nico Hofmanns renommierte Produktionsfirma teamWorx 2011 vom Auf- und Abstieg des ehemaligen Ministers Karl-Theodor zu Guttenberg inspirieren lassen. Der Drehbuchautorin Dorothee Schön ist es dann aber jenseits des Originals offensichtlich gelungen, eine komödiantisch bis satirische Geschichte über einen Minister Franz Ferdinand von und zu Donnersberg (Kai Schumann) zu erfinden. Auch eine Angela Murkel (Katharina Thalbach) hat sie in den fiktionalen Stoff eingebaut, die in ihrem Kleiderschrank jede Menge bunte Kostümjacken hängen hat. Obwohl alles fiktiv sei, werde der Zuschauer „die eine oder andere Parallele erkennen“, erklärt Jochen Ketschau. Das Besondere an dieser TV-Event-Produktion sei, das sich die komödiantische Ebene, „die mit einer hohen Gag-Reihe erzählt wird, mit einem dramatisch relevanten Thema verbindet“, der Politik. Ketschau ist sich sicher: „Ich denke, dass wir beides haben werden, gute Kritiken und ein großes Publikum“. Ein Sendetermin für „Der Minister“ steht noch nicht fest. Und wie Ketschau in Hamburg im Gespräch verriet, müsse man in der Postproduktion auch noch viel am Projekt basteln.

Dagegen ließ der neue Sat.1-Chef Nicolas Paalzow den zweiten großen vorgestellten Sat.1-Fiction-Event „Der Feind in meinem Leben“ überraschend bereits für Januar programmieren, wie auch die präsentierten neuen Sat.1-Movies „Drei in einem Bett“ und „Achtung Polizei“. Das passt auch gut zu seiner Beteuerung, die er in Hamburg abgegeben hat: „Die deutsche Fiction ist das Herzstück von Sat.1“. Das wollte Paalzow dann wohl auch gleich zum Jahresbeginn als Position gegenüber dem Kölner Sender RTL beweisen, der „im Gegensatz zu uns keinen festen Sendeplatz für deutsche TV-Movies hat“, wie Ketschau weiß. So hatte Sat.1 noch flink im alten Jahr die Programmierung ab Januar so umgebaut, dass es neben dem Prime-Time-Sendeplatz am Montag für deutsche fiktionale Serien, auch noch in der Prime-Time am Dienstag und Mittwoch in der Reihe „FilmFilm“ und „Das große Sat.1 TV-Event“ deutsche eigenproduzierte Movies zu sehen gibt, einschließlich Wiederholungen von älteren Sat.1-Movies oder deutschen Kinofilmen wie „Vincent will Meer“, „Karat“ oder auch mal einer internationalen Produktion wie „Das verlorene Labyrinth“.

Jedenfalls: Eine mutige Entscheidung von Paalzow vor dem Hintergrund, dass Sat.1 2012 gleich mit drei neuen deutschen fiktionalen Serien gescheitert war und mit seinen TV-Events „Die Wanderhure“ und der vierteiligen Ken Follett-Verfilmung „Die Tore der Welt“ nicht an die früheren Erfolge anknüpfen konnte. Woran lag es?

Ketschau nennt mehre Gründe. So haben die Fragmentierung im Fernsehmarkt und das große Sportjahr 2012 bei ARD/ZDF bei Sat.1 insgesamt zu einer „geringeren Flughöhe“ in Sachen Quoten geführt, die man nicht schnell genug wieder anheben konnte. Er räumt gleichzeitig ein, dass man auch mit den Serien-Formaten nicht optimal aufgestellt gewesen sei. Zwar sei die Serie „Es kommt noch dicker“ mit Wolke Hegenbarth mit einer Doppelfolge „gut eingestartet“. Das Publikum habe dann aber nicht verstanden, dass es sich bei der Körperwandel-Komödie um eine wöchentliche Serie handele.

Bei der Arztserie „Auf Herz und Nieren“ habe man im Nachhinein in der Analyse festgestellt, dass Ärzte aktuell in Deutschland ein so schlechtes Image haben, dass man mit ihnen als Charaktere keine guten Chancen bei Neustarts haben könne. Damit die vierte produzierte Serie „Familie Undercover“ nicht auch noch in den negativen Sog des letzten Herbstes hineingezogen wurde, hat Ketschau den Start auf das Jahr 2013 geschoben. Er will sie dann bringen, „wenn sich Sat.1 wieder im Aufwind befindet“. Laut Ketschau verfügt „Familie Undercover“ im Vergleich zu den drei gescheiterten Serien über ein „großes Alleinstellungsmerkmal“. Zum einen handele es sich um eine „klassisch zu Sat.1 passende Familienserie“. Zum anderen biete „Familie Undercover“ eine „Kombination zwischen Familienserie und Crime, die so noch nie im Deutschen Fernsehen gezeigt“ worden sei. Es geht um einen alleinstehenden Vater (Stephan Luca) mit zwei Kindern, der im Zeugenschutzprogramm steht. Der ehemalige Top-Ermittler hatte in Hamburg einen Teil der ukrainischen Mafia überführt. Deshalb wird er in die Provinz, in ein kleines Sauerland-Städtchen, verfrachtet, wo er sich seiner neuen jungen Chefin (Susan Sideropoulos) unterordnen muss. „Diese Prämisse ist neu“, sagt Ketschau. Und mit Sideropoulos ist die Rolle der Polizeikommissarin erstaunlich jung und frisch besetzt. Überhaupt wirkte alles, was beim Hamburger Sat.1-Screening an deutscher Fiction in Trailern gezeigt worden war, wie einmal durch den Jungbrunnen gezogen, als habe man versucht eine Generation jünger zu werden. Dabei sind natürlich auch die altbekannten Sat.1-Gesichter alle eingebunden. Zum Beispiel Hannes Jaenicke im Drama „Im Alleingang – Elemente des Zweifels“. Oder er und Rebecca Immanuel in der Komödie „Alle Macht den Kindern“. „Wir machen aber im Vergleich zu früher auch Filme mit einem „ausgesprochenen jungen Cast“, erklärt Ketschau.

Es werden sowohl Schauspieler wieder neu besetzt, die schon bei Sat.1 eine Rolle spielten und „gleichzeitig versuchen wir immer neue Gesichter zu entdecken, die nachrücken können“. Ketschau nennt Jenniffer Ulrich in der neuen Komödie „Herztöne“ eine „sehr talentierte junge Schauspielerin“. Oder auch Lisa Maria Potthoff, die neben Christoph Maria Herbst und Sebastian Ströbel in der Karnevals-Komödie „Achtung Polizei! – Alarm um11Uhr11″ schon am 30. Januar zu sehen ist. Und bei „Drei in einem Bett“ habe man mit Nadja Becker und Maximilian Grill bekannte Gesichter in wichtigen Nebenrollen der Serien „Danni Lowinski“ und „Der letzte Bulle“ nun in Hauptrollen eines Movies besetzt. „Das ist ganz gut gelungen“, meint Ketschau. Während das Prinzip, alte Talente mit neuen aufzumischen, mittlerweile selbst bei ARD/ZDF angekommen ist, ist Ketschau‘s besonderer Stolz der Genre-Mix, den Sat.1 bietet und für den immer neue große Stoffe gesucht werden. Zwar führt Sat.1 auch die romantische Komödie weiter, mit deren Einführung Sat.1 früher als Fiction-Sender große Erfolge feierte. Es wäre aber fatal, wenn man da stehen bliebe und dem Publikum nichts Neues biete. Genau das hat Ketschau vor. Er will das Publikum mit einer Vielfalt an Genres „überraschen“ und auch die Genres mal miteinander verbinden, von Komödie über Drama bis zum Thriller. Alles immer weiter entwickeln.

Mit „Hannah Mangold & Lucy Palm – Tod im Wald“ wagt Ketschau ein neues Krimi-Movie, das beim Publikum zwar nicht wirklich ankam, trotzdem aber eine zweite Chance erhält. Denn Ketschau plant beharrlich, mit einem Genre-Mix das Alleinstellungsmerkmal, das Sat.1-auf seinen Sendeplätzen für deutsche TV-Movies hat, weiter auszubauen. Einen Genre-Mix wie ihn Sat.1 in der Reihe „FilmFilm“ biete, „gibt es in Deutschland auf keinem Sendeplatz“, betont er. Ebenso sei die Art und Weise „wie wir die Themen umsetzen“ unique. Man arbeite mit „höheren Prämissen“ im Bereich Drama und Thriller. Und Komödien erzähle man „so mainstreamig“, wie man es sonst nur aus dem amerikanischen Kino kenne. „Da sind wir einen Schritt weiter als die Komödien des ZDF am Donnerstag oder was die ARD macht“, behauptet er selbstbewusst. Mainstream ist bei allen großen Sendern Trumpf, weil man hofft, damit die Reichweiten trotz der Fragmentierung des Marktes einigermaßen stabil zu halten. Auffällig beim Screening war auch, dass Sat.1 mit seinen neuen TV-Events mehr in der Gegenwart angekommen ist. Einst hatte Sat.1 mit „Der Tunnel“ und „Das Wunder von Lengede“ das große Fiction-Event mit historischen Themen als Leuchtturm und Markenzeichens eines Senders erfunden. Daran kleben ARD/ZDF weiterhin, während sich RTL eher auf Katastrophen-Action, die mehr oder weniger in der Vergangenheit angesiedelt ist, kapriziert. Neben „Der Minister“ besetzt auch das zweite TV-Event „Der Feind in meinem Leben“ ein Thema, das durch die Presse ging. Darin spielt Eisprinzessin Katarina Witt selbst einen Ausschnitt ihrer eigenen Lebensgeschichte, in der sie von einem Stalker bedroht worden war. Daraus hat Sat.1 einen Thriller gestrickt. Auch die Serien „Danni Lowinski“ und „Der Bulle“, die 2013 in der vierten Staffel gezeigt werden, sind noch einmal jünger und frischer geworden. Wie auch Ketschau am Beispiel „Der letzte Bulle“ erklärt: Dieser „anarchische, grundehrlich bodenständige kraftvolle Männertypus Henning Baum alias Mick Brisgau wird noch anarchischer und wilder werden, noch mehr anecken“. Jochen Ketschau ist schon seit 1996 in der Spielfilm- und Serienredaktion von Sat.1 beschäftigt. „Für mich prägend“, so weiß er rückblickend,war der Einstieg in die redaktionelle Arbeit für die damalige Arztserie „Alpha Team“. Unter vielen anderem war er auch für die erfolgreichen Produktionen „Der Tanz mit dem Teufel“, „Der König von St. Pauli“, „Marco W. – 247 Tage im türkischen Gefängnis“ und „Barfuss bis zum Hals“ redaktionell verantwortlich. In seiner Position als Sat.1-Chef der deutschen Fiction, eine Abteilung mit vierzehn Mitarbeitern, die er seit Oktober 2011 innehat, ist er nun ein Garant für Kontinuität und Weiterentwicklung im Bereich der deutschen Fiction geworden. Etwas, was dem Sender Sat.1 ansonsten in allen anderen Programmbereichen und im Management fehlt. Und weil Sat.1 in Sachen deutscher Fiction die letzte kleine Oase im Privatfernsehen ist, kann man ihm nur den Daumen drücken.
Erika Butzek
(MB 02/13)