Aus für die klassische „Quote“?

Nutzungsmessung für das digitale Fernsehen Noch ist die Einschaltquote eine Art „heilige Kuh“: für TV-Sender, Produzenten und last but not least für die Werbetreibende Wirtschaft und ihre Mediaagenturen. Doch umso mehr die Sender crossmedial auch ins IPTV- und Web-TV-Geschäft einsteigen, um so mehr bekommt die Quote Konkurrenz von anderen Messmethoden. Ein MEDIEN BULLETIN-Report zur Veränderung der Lage.

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Der Obolus für ihre Tätigkeit ist ziemlich klein, es war mal von zehn Euro pro Monat die Rede. Doch die Macht von TV-Guckerin Petra Mustermann ist gigantisch. Sie gehört zu den rund 13.000 Teilnehmern in exakt 5.640 Fernsehhaushalten, die sozusagen im Auftrag der AGF/GFK repräsentativ für alle Deutschen Fernsehen gucken, jeden Tag. Das dürfen die anonymen Probanden aber niemandem verraten, sonst fliegen sie aus dem „Panel“ raus. Alles geheim.
Im Ergebnis entscheiden die Musterpersonen bekanntlich darüber, welche Programme und Sender wirtschaftlich erfolgreich sind, welche Programme im Angebot bleiben und welche im Nirwana verschwinden. Vor allem entscheiden sie, wie viel Geld die Sender beim Verkauf ihrer Werbezeiten verdienen.
Deshalb ist Petra Mustermann beim Fernsehgucken mit einem elektronischen Messgerät verbunden, dem sie, wenn sie folgsam ist, brav meldet, wann sie vor dem Schirm sitzt oder wann sie ihren Guckplatz verlässt, zum Beispiel, um mal zur Toilette, zum Kühlschrank in die Küche oder ins Bett zu gehen. Die gleiche Verpflichtung im Haushalt haben ihre Familienmitglieder und in Zukunft – so ist es seitens AGF/GFK geplant – auch ihre bis zu 16 Gäste. Zum Beispiel, wenn man sich mal zusammen ein Fußballspiel anschauen will.
Ist das Messgerät erst einmal mit „Ein“ statt „Aus“ auf Trab gebracht, ist es clever genug, alle andere Daten, die man zur Messung der Einschaltquote braucht, selber zu generieren. Es soll beispielsweise automatisch erkennen, welcher Sender, welches Programm wie lange bei einem Pobanden eingeschaltet bleibt. Dem Messgerät ist einprogrammiert worden, ob die Programme via Satellit oder via Kabel oder sonst wie empfangen werden, welche Tasten sie auf der jeweiligen Fernbedienung belegen.
Dann schickt das Messgerät, ein Computer, via Telefonleitung die frisch eingesammelten Daten in den zentralen Forschungsrechner nach Nürnberg. Dort werden sie mit all den anderen vorab erhobenen und eingespeicherten soziografischen Daten der Panel-Teilnehmer verknüpft, einschließlich ihrer so genannten Sinus-Milieus, eine soziopsychologische Komponente.
Jeden Morgen um Punkt 9 Uhr steht schließlich die Quote fest und auch die sekundengenaue Messung dazu, wie sie über Tag und Abend zustandekam, wie die Panel-Teilnehmer sich in Sekundenschritten durch die Programme zappten, welche Zuschauerwanderungen es im Panel von Sender zu Sender, von Sendung zu Sendung gegeben hat.
Je nach Ergebnis knallen bei den Verantwortlichen der Sender oder Produzenten, wie man so schön sagt, entweder die Sektkorken oder es laufen ihnen Tränen über die Wangen. Auch die Mediaagenturen und die werbetreibende Wirtschaft, die die TV-Spots für mehr als 4,5 Milliarden Euro im Jahr schalten, beäugen die Quoten als Währung für ihre Spendings täglich. So hat Petra Mustermann scheinbar alle und alles im Griff: die Programmmacher, die werbetreibende Wirtschaft, einen Haufen Geld – und die Qualität des Fernsehprogramms, das allen Fernsehzuschauern in Deutschland geboten wird.
Was genau hinter den Kulissen der Quotenmessung passiert, weiß niemand. Es ist – wie gesagt – geheim. Vordergründig geht es ungemein wissenschaftlich mit entsprechender Fachterminologie zu. Man hat auch nicht wie bei Big Brother eine Beobachtungskamera in den Haushalten installiert. Ob die Quote qualitativ stimmig ist, wo und wie viele Fehlerquellen bei der Erhebung eingebunden sind, darüber ließen sich Dutzende, Hunderte von offenen Fragen für schlaue Dissertationen ableiten. Auch werden von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent verschiedenste Messmethoden mit verschiedensten Messgeräten angewandt.

Absprache unter den Sendern
Ohne Zweifel: Laufend wird an der Validität der Quotenmessung forschungsmäßig gefeilt. Doch der einzige triftige Grund, warum die Quote auch heute noch quantitativ – und in ihrer Auswertung und Interpretation auch qualitativ – das Maß aller Dinge in der Fernsehforschung ist: Die Quote ist eine Konvention, eine verbindliche Absprache unter den großen Sendern in Deutschland – wie entsprechende Messmethoden in anderen Ländern ebenso. Nicht von irgendwelchen Sendern wohlgemerkt, sondern von den historisch gewachsenen etablierten Mächtigen, die es bis heute noch sind.
Nur: Die Konvention, die hinter der Quote steht, kommt in der digitalen Welt, in der es mobile Empfangsgeräte, zeitversetztes Fernsehen und TV – oder erst einmal „Bewegtbild-Angebote“ – übers Internet gibt, gefährlich ins Schlittern. Die Quote als Fels in der Brandung wird mehr und mehr unterspült: von der Explosion an audiovisuellen Angeboten und den sie produzierenden oder anbietenden neuen Interessensgruppen, die sich neben die professionellen Sender stellen – und wie sie Geschäfte machen wollen: werbe- und marketingorientiert, crossmedial. Auch die neuen Player brauchen eine Währung, um Reichweite, Effizienz nachweisen zu können. Auch sie kreieren Messmethoden, Argumente für die Werbewirtschaft. Im kleinen wie im großen Geschäft ist Unübersichtlichkeit die Folge, für Werber wie für Konsumenten.
Konkret: Hinter der Quote als Konvention und als Leit-Währung der aktuellen deutschen Fernsehforschung stehen die vier großen öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Fernsehanbieter: ARD, ZDF, die ProSiebenSat.1 Media AG und die Mediengruppe RTL Deutschland mit ihren vielen einzelnen Sendern. Zusammen bilden sie die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung, AGF, die vor 20 Jahren, 1988, – als es noch keine Senderfamilien, sondern nur marktbeherrschende „Vollprogramme“ gab – aus der Taufe gehoben wurde.
Die AGF wiederum hat die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung, GFK, mit der Ermittlung der Einschaltquoten beauftragt mit einem Etat von jährlich rund 20 Millionen Euro, wie es heißt. Methodisch wurde die Quotenermittlung in den vergangenen Jahren immer wieder neuen Gegebenheiten im Fernsehmarkt wie auch an neuen Erkenntnissen in der Forschung und der Weiterentwicklung diesbezüglicher Messgeräte aufwändig angepasst. Klar: Man befindet sich immer an der aktuellen Forschungsfront.
Tatsächlich lassen die vier großen Sendergruppen nicht nur ihre eigenen Quoten, sondern auch die von anderen in den Testhaushalten zu empfangenen Fernsehsender erheben, soweit sie erfassbar sind. Einen Anspruch darauf, diese Daten auch übermittelt zu bekommen, haben die kleineren Sender aber nur, wenn sie sich als „Lizenznehmer“ an der AGF beteiligen, was sich aus Kostengründen nur die größeren von ihnen leisten können.
So wird die Validität der Quote, seitdem es einen Boom von neuen Sendern gibt, von diesen immer wieder bezweifelt, zumal es ja allein die genannten großen vier Senderketten sind, die – mittlerweile unter Einbeziehung ihrer Werbekunden und Vertretern der Mediaagenturen – die Vorgaben zur Art und Weise der Quotenermittlung diktieren, wissenschaftlich begründet, natürlich.
Dennoch beginnt schon an diesem Punkt die Quote als anerkanntes eindeutiges Währungssystem für die Fernsehforschung zu wackeln, weil, wenn überhaupt, Geschäftsmodelle von kleineren Sendern von den Großen nicht implizit berücksichtigt werden. Ein Problem, das sich potenziert, umso mehr die Digitalisierung und die Vermehrung der Kanäle über verschiedenste Vertriebswege fortschreitet.
Mehr noch: So komplex, so kompliziert und so interessensorientiert die Ermittlung der Quote heute schon ist, umso unübersichtlicher bleibt ihr Ermittlungsprinzip, zumal solange der Fernsehmarkt noch mit einem Bein in der analogen Welt steht, mit dem anderen aber bereits in der digitalen Welt spielt. Auch wollen Spartensender nicht unbedingt eine repräsentative Bevölkerungsschicht mit ihren Programmen ansprechen, sondern eher ohne Streuverlust eine ausgewählte spezifische Zielgruppe thematisch begrenzt anpeilen. Genau dafür bietet das AGF/GFK-Panel mit den ausgesuchten 5.640 repräsentativen TV-Haushalten, von denen jährlich 1.500 ausgetauscht werden, in der Regel keine adäquate Basis.

„Follow the content“
Vor dem Hintergrund der vielen neuen Verbreitungswege für TV in der digitalen Welt hat sich die AGF entschlossen, ab Mitte nächsten Jahres – zunächst war schon Anfang 2009 vorgesehen – eine große Veränderung zu wagen. Sie will den neuen Mediennutzungsgewohnheiten auch im Internetzeitalter gerecht werden. Dazu wird eine neue Messmethode für die Quotenermittlung eingeführt, die sich dann nicht mehr auf die Senderkanäle bezieht, sondern auf verschiedenste Vertriebswege nach dem neuen Prinzip „Follow the content“.
Es werde „nicht auf einer geräte-, orts- oder zeitabhängigen Definition von Fernsehnutzung“ basieren, sondern habe die „möglichst vollständige Erfassung sämtlicher Nutzung von TV-Content zum Ziel“, heißt es in der AGF-Pressemitteilung. Nachdem seit vielen Jahren das Herzstück der Messung auf TV-Geräte via Kabel, Terrestrik und Satellit im analogen und digitalen Markt gewesen sei, wolle man nun auch die Nutzung von Fernsehen am Computer via IP-TV einbeziehen wie auch die zeitversetzte Fernsehnutzung über Videorecorder, Festplatten- und DVD-Recorder. Auch das Handy-TV habe man bereits im Auge.
Realisiert werden soll die Messung im Auftrag der AGF mit einem neuen, vom Schweizer Tochterunternehmen der GfK, Telecontrol, entwickelten Gerät namens TC Score. Im Huckepackverfahren soll die neue Messtechnik weitere Verbesserungen bringen, verspricht die AGF. Sie sei so flexibel, dass zukünftige Technologien problemlos integriert werden können. Man könne Werbeformen wie „Split Screens und andere parallele Ereignisse auf dem Bildschirm analysieren“. Auch die „außerhäusliche Fernsehnutzung“ werde im Panel berücksichtigt. Last but not least will die AGF mit der neuen Messmethode einen „immer wieder geäußerten Irrglauben begegnen, das AGF-System sei für die Abbildung kleinerer Sender nicht geeignet“. Das Gegenteil ist laut AGF der Fall: „Kein anderes Zuschauerpanel in Europa verfügt über eine größere Haushaltsbasis, und kein anderes über eine derartige Datentiefe.“
Trotz so vieler Neuerungen für die Quotenerhebung, die dann ja eigentlich ab Juli nächsten Jahres auch zu neuen Ergebnissen für die Reichweiten in der digitalen Medienwelt führen müsste, weiß die AGF vorab, wie sie in der Presseerklärung im Dezember letzten Jahres unterstrich, dass „Fernsehen das Massenmedium Nummer eins ist und bleibt“.
Warum die Quotenmessung dennoch auf viele andere Vertriebswege wie Internet und Offline-Medien übertragen werden soll, liegt auf der Hand: Alle großen, in der AGF eingebundenen Sender von ARD bis RTL haben das Ziel, ihre Inhalte crossmedial zu vertreiben, um die in den letzten Jahren mit der Messmethode „Quote“ erhobenen, immer niedriger werdenden Reichweiten wieder aufzupeppen.
Also wollen sie jetzt mit ihrer Quote auch ins Internet rein. Diese Intention ist indessen bei der Arbeitsgemeinschaft Online Forschung, AGOF, auf wenig Gegenliebe gestoßen. Wie die AGF versteht sich nämlich die AGOF neuerdings – seitdem die Bewegtbilder im Internet boomen – keinesfalls nur als eine Forschungsgemeinschaft, deren Kompetenz in der Reichweitenerfassung allein auf eine Gattung, nämlich Online im Internet, beziehen. Man hat jetzt auch den Anspruch sich auf die Gattung TV zu beziehen, wie es in einer Pressemitteilung heißt.
2002 gegründet ist die AGOF im Vergleich mit der AGF zwar noch viel jünger, doch steht auch hinter ihrer Organisation konzentrierte Medienmacht-Power. So gehören zu ihren 17 Mitgliedern mit IP Deutschland und SevenOne Interactive nicht nur Töchter der zwei großen kommerziellen Senderketten der RTL- und ProSiebenSat.1-Gruppe, die ja auch in der AGF aktiv sind, sondern gleichzeitig auch führende Werbeträger aus dem Online- und Verlagsbereich wie etwa Microsoft Advertising, Lycos Network Europe, Yahoo! Deutschland oder Axel Springer, Bauer Media und G+J Electronic Media Sales.
Hinzu kommt: Die AGOF arbeitet bei der Reichweitenmessung mit der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern, IVW, zusammen. Bei der Reichweitenmessung geht es zuvorderst um „Unique User“, das heißt „Netto-Reichweite eines Werbeträgers“, und „Page Impression“, eine Kontaktgröße, die wegen ihrer Ungenauigkeit, die zum Beispiel auch RTL-Chefin Anke Schäferkordt bemängelte, zurzeit überarbeitet wird.
Die IVW wurde schon 1949 – damals als Tochter des Zentralverbands der Werbewirtschaft, ZAW – als Prüfinstitution gegründet und ist heute noch durch Vorstand und Hauptgeschäftsführer eng mit dem mächtigen ZAW verbündelt. Seit 2002 hat die IWF das Unternehmen Infonline mit der Messung von Reichweiten im Internet betraut und liefert für diesen Bereich die führende Währung. Wie die Quote, so beruht auch die Reichweitenmessung der AGOF auf eine Konvention, eine Verabredung unter den Marktführern im Internet. Die einen gehen vom Internet auf das Fernsehen zu, die anderen machen es umgekehrt. Kein Wunder, dass sich AGF und AGOF im September geeinigt haben, ihre „Kompetenz in Sachen Bewegtbild“ zu bündeln. Dazu werde man eine gemeinsame Arbeitsgruppe bilden.
So geht die Quote, der Altar des Fernsehens, in die Niederungen der Newcomer ein. Immer mehr Interessensgruppen werden zumindest erst einmal im Internetbereich eingebunden. Schön für die Pluralität. Schlecht für die Übersichtlichkeit und Transparenz und die Akzeptanz der „Quote“ als wichtigste, mächtigste und besonders souveräne Messeinheit im Mediendschungel.
Während man nun in Deutschland um die neu zu bestimmende Währung „Quote“ für die digitale Welt ringt, galoppiert der globale Player Google mit seinen Werbegeschäftsmodellen mal einfach ins hiesige Gefilde ein und bietet all denen, die jenseits der Interessensgruppen von AGF und AGOF stehen, an, seine Quoten-Messung im Internet, den so genannten „AD Planner“, kostenlos zu nutzen. Das Messinstrument, von dem man noch nicht genau weiß, wie es funktioniert, hat Google wohl im Huckepackverfahren entwickelt.
Google verfügt über alle möglichen Daten und Nutzerprofile, vor allem, wenn sich Internet-User nicht nur einfach der Suchmaschine, sondern auch noch den speziellen Tools bedienen und sich dabei registrieren lassen. Achtung: Datenschutzprobleme!

Kostenlose Quotenmessung per Google
Doch was Google mit seinem kostenlosen Reichweiten-Service für Werbetreibende anbietet, ist tatsächlich nicht weit von der Idee entfernt, die die AGF mit der Quote anbietet. Vier starke Werbeträger – die genannten Sendergruppen – bieten ja im Prinzip der Werbewirtschaft, vor allem ihren Mediaagenturen, einen kostenlosen Reichweitenservice mit der Quote an. Natürlich ist Google im Vergleich zu der AGF-Gemeinschaft ein deutlicher – und auch noch globaler – Monopolist. Das Prinzip ist aber ähnlich: Einerseits betätigt sich Google in seiner Funktion als Suchmaschine als Werbeträger, andererseits bietet er dafür kostenlose Quotenmessung als Argument für die Werbeplatzierung an.
Kompliziert – wie bei der Anwendung der Quote in der Werbewirtschaft –, was dahinter steht. Im Falle von Google geht es um ein „Versteigerungs-Prinzip für die Platzierung von Werbung (wohingegen bei kommerziellen Sendern in Deutschland – verkürzt – ein „Rabatt-Prinzip herrscht). Was Werbemanager Sebastian Turner von Scholz & Friends folgendermaßen erklärt: „Wenn das Werben bei Google umsonst wäre, dann wäre es vielleicht so etwas wie das Paradies.“ Doch durch den Versteigerungsmechanismus – „die Milliardenumsätze von Google müssen ja von irgendwo kommen“ – werden „bei Google beachtliche Preise aufgerufen“. Beispiel: Ein Autohändler, der mit dem Verkauf eines Cabrios 1.000 Euro verdienen würde. Könnte er das Stichwort „Cabrio“ von Google für ein Euro bekommen und würde auf hundert via Google vermittelter Klicks ein Käufer kommen, dann blieben 900 Euro, „ein gutes Geschäft“, sagt Turner. „Kostet das Suchwort aber zwei Euro, und auf fünfhundert Klicks käme nur ein Käufer, wäre die gesamte Gewinnmarge weg.“
Tja, auch im Internetzeitalter ist effiziente Werbung nicht einfach. Und wie in der analogen Zeit steht auch für die digitale Welt die Frage im Raum, ob man effiziente Werbung tatsächlich 100pro planen kann. Oder ob nicht nach wie vor der weise Werberspruch gilt, dass die eine Hälfte des Etats rausgeschmissenes Geld sei, man aber leider nicht wisse, um welche Hälfte es sich handele. So geht es übrigens ja auch den Programm-Produzenten, die nie vorher wissen, ob sie Flops oder Kassenschlager kreieren.
Turners Kollege Bernd M. Michael, Deutschlands Senior-Werbebranchenpapst und Präsident des Deutschen Marketing Verbands, ist überzeugt, dass die Medien sowieso keine offene, vergleichbare Währung für Reichweitenmessung und Forschung anstreben würden. Was da angeboten werde, sei „keine Forschung, sondern Verkaufsförderung“, sagte er dem Werbefachblatt Horizont und wiederholte es auf den Münchner Medientagen. Nun will aber natürlich Michael auch etwas verkaufen, sonst wäre er wohl kaum Werber. Schon seit langem wurmt es kreative Werber, dass sie für die Erfindung ihrer Kampagnen und deren Umsetzung viel weniger Geld kriegen als die Mediaagenturen, die mit Rabatten rund um die Quoten vor allem in der so genannten „werberelevanten Zielgruppe 14 bis 49 Jahre“ zocken.
Dabei, so verriet Ex-RTL-Chef Helmut Thoma neulich im Spiegel, sei die von ihm für den deutschen Fernsehmarkt erfundene „Grenzziehung“ zwischen Jungen und Alten damals „reine Willkür“ gewesen. Er empfiehlt Sendern und Werbern, nicht länger der „selbst geschaffenen Schimäre“ hinterher zu rennen: „Die Macht der 14- bis 49-Jährigen geht zu Ende.“ Heute müssten „kleine Zielgruppen“ definiert werden, die man „auch mit spezifischen Programm bedienen kann“. Die „werberelevante Zielgruppe“ und die Quote, die hinter ihr steht, sind schlichte statistische, elektronisch erfassbare Größen, jenseits der menschlichen Rezeption von Medien, die auch mit Gefühlen und Werten verbunden ist. Werber Bernd M. Michael sagt: „New Media ist zum Marktplatz mit dem höchsten Geräuschpegel und dem niedrigsten Wirkungsnachweis avanciert.“ Doch, so Michael weiter, „Gespür und gesunder Menschenverstand“ sei „hilfreicher als manche Analyse“.
Erika Butzek (12/08)

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