Parallelität der Content-Produktion

joiz ist der erste interaktive Social-TV-Sender. Als Tochter der Schweizer joiz AG ging er 2013 in Deutschland an den Start. Im Dezember 2014 folgte die Insolvenz. Nun bemüht sich der Sender nach erfolgtem Sanierungsplan und dem neuen Mitgesellschafter der Mediengruppe M. DuMont Schauberg, der 20 Prozent der Anteile übernahm, neu durchzustarten. MEDIEN BULLETIN sprach mit der neuen joiz Germany Geschäftsführerin Britta Schewe, dem Head of Marketing Torben Glander und dem Head of Broadcast and Production Lars Quetting über Ziele und Herausforderungen.

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Parallelität der Content-Produktion

Welche Senderstrategie verfolgt joiz?

Torben Glander: Wir verstehen uns mit dem Social-TV-Ansatz als Multiplattform, als transmedialer Taktgeber für die Pop- und Netzkultur für junge Erwachsene. Wir sind nicht nur Fernsehen, wir sind Online, Mobile, Social Media, Off-Air – wir sind überall dort aktiv, wo sich unsere Zielgruppe bewegt, mit uns treffen und in den Austausch treten möchte.

Woraus besteht das Programm?

Britta Schewe: Es werden pro Tag vier Stunden Liveprogramm produziert und ausgestrahlt. Der Rest sind Wiederholungen, lizensierte Clip-Inhalte oder im Sommer einzelne Filme durch die Kooperation mit Tele 5 bei „SchleFaZ – Die schlechtesten Filme aller Zeiten“. Aufgeteilt in die fünf Themenfelder News und Stories, Games, Musik + Stars, Beauty und Lifestyle sowie Filme und Serien. Die Gewichtung im täglichen Programm hängt von den Gästen ab und wir geben vor allem jeder Story den Raum, den sie braucht. Das heißt, dass es eine thematische Planung gibt, wir uns aber spontan nach den aktuellen Gegebenheiten richten. Dabei richten wir uns auch nach dem Rückfluss aus der Community. Wenn es Bedarf gibt ein Thema tiefer zu behandeln, werden wir das nicht abwürgen. Inhalte individuell auszuspielen, haben wir zwar nicht erfunden, aber die Konsequenz in der Durchführung ist das Neue, was uns unique macht!

TG: Das heißt, Mitarbeiter sind, die auf Kommentare und Posts mit einem Statement, einem Feedback reagieren – und zwar fast den ganzen Tag. Das ist aktuell noch der große Unterschied, denn auch wenn Social Media allgemein als wichtig eingeschätzt wird, heißt es nicht, dass andernorts nach Büroschluss auch noch jemand da ist für seine Community. Für uns heißt dies u. a. sorgfältige Ressourcenplanung, direkte Informationsverarbeitung, schnelle Reaktionszeiten und zügige Integration ins Programm – was ein wesentlicher Aspekt von Social Media ist, schnell reagieren und eben konzeptionell damit umgehen. Darüber, was Social Media wirklich alles bedeutet, macht man sich am Anfang weniger umfängliche Gedanken, die Erkenntnisse gewinnt man im laufenden Arbeitsprozess und handelt danach. Die Begleitung in Form von Social Media ist eine gute Möglichkeit, den Dialog mit der Community am Laufen zu halten, mit neuen Gedanken anzureichern und so weiter zu entwickeln. Oder um neue Geschichten aufzunehmen. Das ist für uns Gold wert.

Was ist Ihre Zielgruppe?

BS: Die werberelevante Zielgruppe ist 14 bis 29 Jahre alt. Wir stellen über die verschiedenen Verbreitungswege unterschiedliche Altersgruppen fest. Über Kabel sind die Zuschauer etwas älter, als im Internet. Diejenigen, die uns regelmäßig kontaktieren und die am aktivsten sind, sind Teenager.

TG: Auch wenn das Alter traditionell noch immer die Einteilung in Zielgruppen bestimmt, geht man mittlerweile immer stärker von sog. ‚Mindsets‘ aus. Das heißt, wie zuhause fühle ich mich bei den Themen, die joiz anbietet? Wie stark entsprechen sie meinen Interessen, meiner Denkweise, meiner geistigen Haltung. So können Künstler, die bei uns zu Gast sind und eine tolle Performance abliefern, den 15-Jährigen genauso begeistern wie den 34-Jährigen. Es handelt sich um altersunabhängige Interessen und Denkweisen – was für uns eine sehr viel entscheidendere Rolle spielt.

Wie leicht oder wie schwer ist es, das Lebensgefühl der Zielgruppe zu erkennen und mit entsprechenden Angeboten zu bereichern?

BS: Da haben wir ein wenig das Henne-Ei-Problem. Einerseits beobachten wir die verschiedenen Kanäle und machen Angebote in unseren fünf Themenbereichen, von denen wir meinen, dass sie ankommen.

TG: Wir prüfen im Stundentakt wie die Interaktionen auf den einzelnen Kanälen laufen und schauen welche Kanäle für unsere Zwecke in diesem Moment am besten geeignet sind. Hinzu kommt, dass wir die Kommentare, die man auf unserem Facebook-Profil und YouTube-Kanal hinterlassen kann, sehr genau auswerten. Da geht es nicht nur darum, ob es das richtige Thema ist, sondern auch, ob es die richtige Plattform für das jeweilige Thema ist.

BS: Wir sind überall dort aktiv, wo der Kunde sich bewegt. In Deutschland also auf allen vertretenden Social Media-Plattformen. Sei es Twitter, Facebook, Snapchat, Instagram oder YouTube. Die wichtigsten Plattformen sind jedoch der joiz-Live-Stream mit Chatfunktion und die joiz-App, über die man den Stream mobil gucken kann. Das zusammen zu bekommen ist die Kunst, denn in erster Linie produzieren wir für den Live-Stream.

Wo und unter welchen Umständen schaut die Zielgruppe joiz?

BS: Die Live-Strecken schauen die Meisten auf dem klassischen Fernseher. Bei der Webseite schaut der überwiegende Teil der Leute unseren Live-Stream über das Smartphone. Der Traffic wird sehr häufig über Social Networks zugeführt. Das ist eine Entwicklung, von der fast alle Medien betroffen sind. Das bedeutet, dass unsere Teaser und andere Materialien technisch so aufbereitet werden müssen, dass sie auf mobilen Endgeräten auch bei geringerer Bandbreite gut abrufbar sind. joiz hat eine eigene App, aber da auch die mobile Webseite genutzt wird, muss hier technisch zweigleisig gefahren werden.

Wie viel joiz gibt es neben dem linearen Programm?

BS: Das lineare Programm ist über Unity Media, Kabel BW, dem HD-Paket von Net Cologne empfangbar und wir sind in Verhandlungen mit anderen Netzbetreibern über die Wiederaufschaltung von joiz. Satellit ist raus. Wir haben weitere TV-Programmfenster bei Family TV und bei TV Berlin. Dann IPTV, mit Vodafone TV und Entertain, und Magine TV sowie Zattoo im Segment Web-TV. Die strahlen alle das 24-Stundenprogramm aus und bieten bestimmte Catch-up-Funktionalitäten an. In Österreich sind wir noch bei A1 zu sehen. Darüber erreichen wir etwa zehn Millionen Haushalte. Hinzu kommen noch die On-Demand-Plattformen, die auf Basis von Syndizierungsvereinbarungen Einzelinhalte von uns auswählen. Da hat man verschiedene Möglichkeiten. Entweder man nimmt nur Clips und Ausschnitte oder Inhalte, die auf Partnerwebseiten zu einer bestimmten Rubrik oder Kanal zusammengestellt werden können. Wir arbeiten zum Beispiel auch mit dem Mobile-TV-Anbieter Dailyme TV zusammen, der einen joiz-Kanal hat, auf dem Video-On-Demand-Inhalte von uns angeboten werden. Darüber hinaus sind wir beim Angebot „TV Spielfilm live“ (16 Mio. App-Downloads) mit unserem joiz Live-Stream verfügbar.

Parallel zu Live-Sendungen produzieren wir Material, das wir dann nach der Sendung auf anderen Plattformen zugänglich machen. Wir produzieren etwa Clips ausschließlich für den YouTube-Kanal. Es kommt nicht jeder Inhalt auf jede Plattform. Das ist eine Parallelität der Content-Produktion, die es sonst nirgends gibt.

Lars Quetting: Um das zu bewerkstelligen, hat joiz sich zu einer Community-Plattform entwickelt, um die Aktivitäten in den sozialen Netzwerken und das, was wir bewusst angestoßen haben, zu kanalisieren und beispielsweise wieder in die Live-Sendung zu integrieren.

Eine Technik, die man lizensieren kann…?

BS: Ja, Köln.tv, das zur Mediengruppe DuMont-Schauberg gehört, hat das schon gemacht. Die Website dort sieht vom Gerüst her genauso aus wie unsere – mit Chatfunktion, Red Button – einem Aktionsknopf, den man in der App und auf der Webseite anklicken kann, um schnell und bequem weitere Infos zu bekommen oder an Gewinnspielen teilzunehmen. Für die Lizensierung und technische Umsetzung ist unsere Unternehmenstochter joiz Global zuständig.

Was steht hinter dem Modell von joiz Global?

BS: joiz ist ein Firmenkonglomerat, das sich der Etablierung von Social TV verschrieben hat. Also Interaktionsmodelle zu entwickeln und diese für das Fernsehen zu optimieren und so eine Brücke zu schlagen zwischen Internet und Fernsehen. Und das steht als Leitmotiv über allen Plattformen, die wir betreiben sowohl dem Schweizer und deutschem Sender – und der dafür erforderlichen technischen Plattform. Und diese Technik steht für Lizensierungen zur Verfügung. Entweder werden weitere Sender in anderen Ländern gegründet, oder wir lizensieren nur die Technik. Ebenfalls möglich ist, dass wir nach dem Franchise-Prinzip agieren. Unsere Technik wurde in Deutschland zuerst für Köln.tv lizensiert. Dort ist sie aber noch nicht implementiert. Es gibt internationale Verhandlungen und in zwei Ländern stehen wir kurz vor dem Abschluss.

Wie läuft das technisch, wenn so viele Plattformen bedient werden müssen?

LQ: Unser technischer Anspruch bei der Belieferung der unterschiedlichen Plattformen ist, schnell zu sein. Die größten Herausforderungen bilden hier die Live-Strecken. Sie werden während der Produktion vollautomatisiert in Full-HD aufgezeichnet und nahtlos in ein Low-Res-Format konvertiert. Noch während der Live-Ausstrahlung erstellt die Redaktion auf eine simple Art und Weise in einem Web-Browser Video-Schnipsel. Diese können beispielsweise als Highlights-Sequenzen über das Media Asset Management-System in unterschiedliche Formate exportiert und an die Plattformen verteilt werden.

Um den Zuschauern online die bestmögliche Qualität unseres Live-Streams zur Verfügung zu stellen, liefern wir diesen in fünf unterschiedlichen Qualitätsstufen aus. So erhält das Endgerät des Zuschauers/Users je nach Bandbreitenverfügbarkeit immer die bestmögliche Qualität.

Unsere Verbreitungspartner und Plattformen, die unser lineares HD-Signal verbreiten, beliefern wir auf zwei unterschiedlichen Wegen. Einerseits über einen gesicherten Weg durchs Internet und andererseits als klassisches DVB-Kontributionssignal über einen Broadcast-Delivery-Network-Service. Hier haben wir spezifische Point-to-Point-Verbindungen aufgesetzt, unterhalten aber auch sehr effiziente Single-to-Multipoint-Strukturen.

Darüber hinaus haben wir klare Prozesse bei der Bewirtschaftung der Content-Syndizierung-Kunden, die On-Demand Content von uns erhalten. Je nach Komplexität arbeitet die Technik mit zu, wobei die Redaktion meist autark, ohne große Zwischen-Hops, die Auswahl und Übertragung an die Partner inhaltlich und technisch abwickelt. Wir haben verschiedene halb- und vollautomatisierte Wege etabliert, bei denen unser MAM wieder eine zentrale Rolle spielt. Im Augenblick ist das aber noch alles sehr individuell gestrickt, weshalb wir an Lösungen arbeiten, die die Workflows optimieren.

BS: Jeder Partner, an den wir On-Demand-Inhalte lizensieren, hat seine individuellen technischen und inhaltlichen Anforderungen. Dem muss man programmlich gerecht werden. Es gibt keine automatische Ausspielung aller Inhalte für alle Plattformen, sondern die Individualität spielt eine große Rolle.

LQ: Die Verbreitung ist keine triviale Angelegenheit. Da ist viel in Bewegung. Über klassische, geschützte Corporate-Netzwerke, um hochwertige Signale mit einem hohen Service zu übertragen bis hin zu Partnern und Unternehmen, die sagen, wir gehen gesichert durchs Internet und bauen eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung, was meist preiswerter ist. Da wird sich der Markt stark verändern und wir sind hier ein treibender Player.

Haben in Zeiten von Big Data die Social-Media-Streams und die Meldungen über die Rückkanäle und Cookies einen größeren Wert, als die Quotenmessung für traditionelles Fernsehen?

BS: Absolut. Wir haben eine Kooperation mit dem Zürcher Institut für angewandte Kommunikationswissenschaften, dem IaKom. Mit dem Institut haben wir ein zertifiziertes Reichweitenmesstool entwickelt, das sich in erster Linie aus den Daten von Social Media-Plattformen speist. Da werden Kampagnen verhashtagt. Damit können präzise kumulierte Reichweiten erfasst werden. Mit den neuen digitalen Methoden lassen sich sehr viel validere Daten erheben, als wir jemals aus dem Gfk-Messpanel ziehen können. Das heißt aber noch lange nicht, dass dieses Verfahren von allen Media-Agenturen oder Werbetreibenden dankbar aufgenommen wird.

Wie kommt das? Big Data gibt es ja nicht erst seit gestern.

BS: Weil die Umstellung unbequem ist.

TG: Es ist sehr komplex und es hängen sehr viele Aspekte an den Informationen, die man analysieren muss. Alleine die seriöse und sinnvolle Auswertung der Daten ist sehr anspruchsvoll. Selbst Unternehmen mit deutlich mehr Ressourcen als joiz bekommen es nicht immer hin, diese Informationen in der erforderlichen Qualität auszuwerten. Letztendlich geht es darum, Kenntnisse zu gewinnen, um verbesserte Angebote für die User zu erstellen, weil das dann wieder zu positiven Nutzungseffekten führt. Dieses Feedback über alle unsere Social-Media-Kanäle ist die perfekte Marktforschung. Das ist natürlich aufwändig. Aber es ist Teil unseres operativen Geschäfts und der redaktionellen Tätigkeiten bei joiz. Für Mediaagenturen ist es komfortabler, Reichweiten nach klassischen Methoden und Media-Tools zu planen und auszuwerten. Kleinteilige und individuell über eine Vielzahl von Social-Media-Plattformen ausgesteuerte, speziell zugeschnittene Kampagnen sind aufwändiger. Unsere Kunden wollen mit ihrem Angebot eine junge, aktive Zielgruppe ansprechen und erreichen. Wir werden daher häufig für maßgeschneiderte, integrative Konzepte angefragt. Mit unserer Multiplattform-Strategie und dem damit verbundenen Know-how können wir diese Zielgruppe sehr effizient an allen ihren Touchpoints erreichen. Marken kommen so näher an ihre Kunden heran als z. B. mit klassischen Spots. Durch unsere Kanäle, den permanenten Dialog mit unseren Usern und durch ihre Nutzungsgewohnheiten gewinnen wir wichtige Informationen für unsere Angebotsgestaltung. Es geht dabei A um die qualitativ bestmögliche Auswertung der Daten und B um den verantwortungsvollen Umgang mit ihnen. Wenn man es ordentlich angeht, kann man durch die Erkenntnisse zügig sein Produkt verbessern und die Relevanz steigern.

Sind die Medienagenturen dann nicht überflüssig? Beim NewTV Summit der Bitkom Ende Januar (siehe MB 01/15, S. 42) in Berlin wurde genau dies erläutert und Procter & Gamble als erste Firma genannt, die ihre Werbung selbst verteilt.

BS: Noch sind sie es nicht. Je mehr man die Technik jedoch zu nutzen weiß, desto radikalere Veränderungen wird es geben. Welche Auswirkungen dies auf die Media-Agenturen hat, müsste man schon sie fragen. Innovation entsteht nicht nur aus dem kreativen Bodensatz, sondern auch aus dem, was die großen Sender – egal ob privat oder öffentlich-rechtlich – daraus machen. Und die machen diesbezüglich nichts. Denn es besteht die Gefahr, dass neue Messtechniken dazu führen, dass sich Marktanteile von ihnen auf die kleinen Sender verschieben. Wenn man dann noch sieht, dass die GfK und die AGF maßgeblich von den großen Sendern finanziert werden, kann man sich schon denken wo die Interessen liegen. Der Innovationsdruck ist auf dieser Seite also bei weitem nicht so hoch wie auf unserer Seite, die davon profitieren würde.

Wie sehen Sie die Gründung von Yuniq, einem interaktiven TV-Sender, der joiz ähnelt und Anfang August auf Sendung ging?

BS: Freundlich und interessiert. Ich empfinde es als Kompliment, wenn innerhalb von zwei Jahren schon ein Konkurrenzangebot an den Markt kommt. Da kann man nicht allzu viel falsch gemacht haben.

TG: Dadurch rückt das Thema auf der Agenda eher nach oben und bekommt so erneut Aufmerksamkeit, die der Sache als solche weiter hilft. Wir sind da gelassen.

Thomas Steiger

MB 5/2015