Rechtsfreier Raum?

Ganz offensichtlich hinken die Landesmedienanstalten als Aufsichtsbehörden des privaten Fernsehens und die ihnen dafür zugrunde liegenden Rechtsgrundlagen den schnellen technologischen Entwicklungen im IP-TV-Bereich hinterher. So ist noch völlig ungeklärt, unter welchen Voraussetzungen nicht nur neue Fernsehsender, die ihr Programm über herkömmliche Übertragungswege (Antenne, Kabel, Satellit) ausstrahlen, Lizenzen bei ihnen beantragen müssen, sondern auch die, die im Internet als IP-TV senden.

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Man kann von ihm halten, was man will. Sicher ist: Ingo Wolf, Chef und Eigentümer der Firma Grid-TV, kurbelt schon seit vier Jahren das Thema IP-TV nicht nur in der Öffentlichkeitsarbeit, sondern auch in der Praxis wie ein Daniel Düsentrieb an. 250 IP-TV-Sender seien bereits in seinem IP-TV-Netz eingebunden, 110 davon betreibt er nach eigenen Worten selbst.

Wolf rühmt sich, über einen Filmstock mit 330.000 Videos zu verfügen. Als neuesten Coup hat er von der ARD/ZDF-Sportrechtetochter SportA die Sendelizenzen für ein riesiges Paket an Sportarten von Radfahren, Squash, Wasserski bis Eisschnelllauf gekauft. Damit baut er nun sukzessive den IP-TV-Sender www.speedup-tv.com auf, wo man ihn auch selber als Moderator erleben kann, wie er für das neue Programmangebot Reklame macht. Als einen weiteren seiner Sender, die ihm höchstpersönlich viel Spaß machen, hebt er www.bahnorama-tv.de hervor, der vermutlich vor allem Eisenbahnliebhaber glücklich machen wird. Bei seinem Lieblingsprojekt „Wissen der Welt“ unter www.science-tv.com bekommt man allerdings, zumindest beim einmaligen Testversuch, nur ein interessantes Menu-Angebot, aber keine Videos zu sehen.
Zu seinen Kunden, die über seine IP-TV-Leitungen senden und, wie Wolf sagt, aus den vier Bereichen „Wirtschaftunternehmen“, „Verlage“, „Associations/ Verbände“ und „Broadcaster“ stammen, gehören allerlei renommierte Kunden, zum Beispiel Siemens, Allianz, ProSieben. Da entstehen, inspiriert von der relativ preiswerten IP-TV-Sendemöglichkeit (ab 2.500 Euro monatlich für die Leitungsgebühr), jede Menge neue Kommunikations- und Handelsideen auf Basis des Einsatzes von Bewegtbildern. Nach einem ersten Versuch hat beispielsweise das Auktionshaus am Viktualienmarkt in München schon spitz gekriegt, dass man das Geschäft noch weiter ankurbeln kann, wenn die Versteigerungen live im Web übertragen werden und Internet-User in Realtime die Möglichkeit haben mit zu steigern. Ab August will man in Verbindung mit einer größeren Lagerfläche den Sender www.auktionshaus-TV.de kontinuierlich einsetzen.

Wer von München aus so viele private IP-TV-Sender mit unterschiedlichsten Inhalten betreibt, Sendeleitungen verteilt, und obendrein auch behauptet, man könne das alles nicht nur im Internet, sondern auch auf dem Fernsehschirm sogar teilweise in HD-Qualität empfangen, der müsste doch eigentlich schon von der Bayerischen Landesmedienzentrale, BLM, als Aufsichtsbehörde unter die Lupe genommen worden sein…? Oder muss ein Sender, der im Internet – oder als IP-TV – sendet, im Gegensatz zu den Sendern, die via Antenne, Kabel und Satellit senden, nicht lizenziert werden?
Die Frage stößt bei der ansonsten in Sachen Kommunikation sehr rührigen BLM auf Granit. Dazu wolle man sich nicht äußern. Man verweist auf eine offensichtlich höhere Instanz: Die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, DLM, oder man könne es ja auch bei der Landesmedienanstalt Berlin-Brandenburg probieren, mabb, da ihr Direktor Hans Hege zuständig für die Stelle Digitaler Zugang bei der DLM sei.

mabb-Justitiarin Ingeborg Zahrnt ist auskunftsfreudiger und meint im Tenor, man sei bei der Frage, ob man für IP-TV eine Sendelizenz braucht, „noch nicht am Ende der Diskussion“ angelangt. Also: Ein rechtsfreier Raum?
Die DLM-Pressestelle leitet zu einer weiteren Zuständigen weiter, die offenbar die Unterarbeitsgruppe „IP-TV“ in der Arbeitsgruppe „Gemeinsame Stelle Programm, Werbung- und Medienkompetenz“ koordiniert, wo dem Vernehmen nach bereits ein Arbeitspapier zur Frage existiert. Aber auch hier wird man weiter verwiesen an den Sprecher der genannten Oberarbeitsgruppe, der gleichzeitig Sprecher der Landesanstalt für Medien NRW, lfm NRW, ist. Dr. Peter Widlok muss es übernehmen.

Rundfunk oder nicht?
Noch einmal von vorne: Ist es tatsächlich so, dass man eine Fernsehlizenz nur dann beantragen muss, wenn man über herkömmliche Übertragungswege senden will, bei IP-TV aber gleich lizenzfrei loslegen kann? Handelt es sich um einen rechtsfreien Raum? „Das stimmt ansatzweise“, sagt Widlok. Als Richtlinie zur Beantwortung der Frage stehe „im Mittelpunkt“ ob das, was über IP gesendet werde, „Rundfunk ist oder nicht“. Damit verbunden sei „die allgemeine Verfügbarkeit des Programms“, ob es „an die Allgemeinheit ausgerichtet“ sei, und „ob es ohne großen Aufwand zu empfangen“ sei. Es sei zu berücksichtigen, inwieweit vom Sender eine „Breitenwirkung“ ausgehe und „wie viele Stunden gesendet“ werden würden.

Aktiv würden die Landemedienanstalten, wenn sie bei einem IP-TV-Sender einen „Umgehungstatbestand“ registrieren würden. Ferner müsse man nach dem geltenden Rundfunkstaatsvertrag auch zwischen „Rundfunk und Mediendienst“ unterscheiden. Bei einem Mediendienst wie dem Verkaufssender QVC kämen weder Programmauflagen noch die Bestimmungen des Jugendschutzes zum Zuge.
Ganz wichtig, so wiederholt Widlok noch einmal, sei in Bezug auf die Zuständigkeit der Landesmedienanstalten für IP-TV-Sender, ob sie die erwähnte „Breitenwirkung“ erzielten. Dabei ginge es darum, „Geringfügigkeitsgrenzen zu erfassen“. Wenn ein Sender lediglich 400 Zuschauer parallel erreiche, handele es sich nicht um Rundfunk. Bei 1.000 parallelen Zuschauern werde die Geringfügigkeitsgrenze möglicherweise schon überschritten. Eine Frage, die die DLM noch grundsätzlich erörtern müsse. Laut Widlok gelten alle diese Richtlinien nicht nur für einzelne Sender, sondern auch für digitale Plattformen. Zum Beispiel müsse auch T-Home perspektivisch eine Sendelizenz beantragen. Noch aber sei die dafür vorausgesetzte Breitenwirkung nicht erreicht; man sei laufend mit der Telekom im Gespräch.

Grundsätzlich sei das IP-TV-Thema für die Landesmedienanstalten ein „Work in Progress“. Die technischen Möglichkeiten seien noch zu evaluieren, es sei „schwierig“, so Widlok, „zeitnah zu reagieren“.
Dabei wirft das Thema IP-TV schon seit längerer Zeit, die Frage auf, wie und ob Rundfunk im Zeitalter der Digitalisierung neu definiert werden soll und welche Rolle die Landemedienanstalten in Zukunft in welcher Organisationsform als Aufsichtsbehörde des privaten Rundfunks agieren sollen. Auch das Thema föderale und zentrale Kontrolle spielt dabei eine Rolle. Wer ein Printmedium neu gründen will, das räumt auch Widlok ein, muss auch nicht zuallererst zu einer Aufsichtsbehörde gehen, sondern muss erst einmal nur über das Kapital dazu verfügen. Es gilt die allgemeine Pressefreiheit in Verbindung mit strafrechtlichen und kartellrechtlichen Gesetzen.
Wie sich die Breitenwirkung von IP-TV entwickelt, das können die einzelnen Anbieter aufgrund der Rückkanalfähigkeit selber blitzschnell registrieren. Technisch möglich ist es jedenfalls nach Angaben unterschiedlicher IP-TV-Leitungsanbieter, die Geringfügigkeitsgrenze von 400 parallelen Zuschauern locker mit 300.000 oder mehr parallelen Zuschauern zu überspringen.
Ingo Wolf scheint sich nicht um die Probleme der Landemedienanstalten zu scheren: „Lizenziert“ würden seine Sender über die „Ethik-Kommission des deutschen IP-Fernsehen“, sagt Wolf und betont dazu: „Das ist aber keine staatliche Behörde.“ Offenbar hat er sie höchstpersönlich aus der Taufe gehoben, im Netz ist unter der Adresse nur eine Baustelle zu finden.
Erika Butzek (MB 05/07)

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