Eigentlich eine erfreuliche Nachricht für freie TV-Produzenten auf dem Deutschen Produzententag 2025: Es werden dringend neue Stoffe und Ideen für Shows und innovative Fiction gesucht. Erschreckend, dass ProSiebenSat.1 ohne Rücksicht auf Urheberrechte von der ARD Produktionen für seine Streaming-Plattform Joyn „stibitzte“ – ungewiss wie sich KI auf die Produktionswirtschaft auswirken wird.
RTL setzt auf Reality & lokale Fiction – 800 Mio. für Produzenten
Drittgrößter Auftraggeber der Produktionswirtschaft nach ARD/ZDF ist RTL Deutschland. CEO Stephan Schmitter berichtete klipp und klar, was er ihr bieten kann und was er umgekehrt von freien Produzenten erwartet. Danach wird seitens RTL das generelle Programm-Investment weder 2025 noch 2026 erhöht, soll aber immerhin stabil bei der so genannten „Content-Milliarde“ bleiben. Die splittete Schmitter auf: 20 Prozent davon flössen in Inhouse-Produktionen, insbesondere Nachrichten und Magazine für RTL und ntv sowie Shows und Reality-Formate. In diesen 20 Prozent sei sogar das Budget für das Raab-Entertainment enthalten referierte er vor staunendem Publikum und „800 Millionen bleiben für den freien Markt“, den Schmitter allerdings nicht näher definierte.
Wichtig seien für RTL Reality-Formate, wofür RTL Marktführer ist und mit dem „Dschungel“ auch über das „erfolgreichste Streaming-Format“ verfüge. Reality-Fans sind laut Schmitter „Content-Monster“, sie „futtern alles weg, was sie kriegen können“. Deshalb sei RTL permanent auf der Suche nach neuem Futter.
Eine sehr wichtige Rolle spiele auch die Fiction. RTL müsse Fiction „nicht im internationalen Markt skalieren“, deshalb fokussiere man sich voll auf lokale Stoffe, die von Aachen bis Frankfurt/ Oder funktionieren. Im Fiction Bereich wird die israelische Erfolgsserie „Euphorica“ adaptiert, Johanna Spyris „Heidi“ wird von RTL in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Fernsehen seriell produziert. Und die RTL-Serien „Der Lehrer“ und „Der Club der roten Bänder“ werden neu aufgelegt. Wichtig für RTL seien ebenso Nachrichten, Magazine und Dokumentationen, wobei Schmitter das durchaus einzigartige „Quadrell“ der vier Kanzlerkandidaten hervorhob.
Kreatives Loch & KI
Sorgen bereitet Schmitter hingegen das „große kreative Loch“, das er im Show-Format-Bereich sieht. Es gebe hier „zu wenig gute Konzepte“, was man auch zusammen mit freien Produzenten verbessern wolle. Wer als Produzent bei RTL zum Zuge kommt, so Schmitter, solle auch nachweisen, dass er in der Lage ist, KI einsetzen zu können, um Produktionsprozesse zu beschleunigen und effektiver zu machen. In Bezug auf die Produzentenbeauftragung werde man nämlich auch „Entscheidungen danach fällen, wer uns mit KI neue Zukunftsmöglichkeiten anbietet“.
Schmitter beklagte zudem, dass die US-amerikanischen Plattformen die großen Stücke vom Werbekuchen erhalten, obwohl ihre Reichweite gar nicht messbar und zweifelhaft sei. Dennoch hofft er weiterhin ab 2026 mit der Streaming-Plattform RTL + erstmals Profit machen zu können.
ARD setzt auf Vielfalt – und wehrt sich gegen „Piraterie“
ARD-Vorsitzender und HR-Intendant Florian Hager räumte indes ein: „wir sind in schwierigen Zeiten“, „wir müssen uns radikal ändern“. Gleichwohl erfahre man Woche für Woche aufgrund der Zuschauerresonanz, wie groß die gesellschaftliche Relevanz sei, die man mit der Gesamtheit der Programme habe. Man setze auf „Programmvielfalt“, wolle möglichst viele Inhalte als Basis für „Meinungspluralität“ bieten, wofür man die Produzenten brauche. Mit einem verfügbaren Volumen von rund 900 Mio. Euro sei man der größte Partner der Produzenten.
Schon vor Jahren habe man deshalb entschieden, mit dem linearen Programm und der Mediathek zweigleisig zu fahren. Für die Mediathek brauche man allerdings noch Erzählstoffe, um ein etwas jüngeres Publikum unter 50 Jahren ansprechen zu können. Man wäre sehr dankbar für Ideen seitens mutiger Produzenten. Und Hager versprach on top, dass der HR und SWR in Zukunft weniger selbst produzieren, sondern mehr Aufträge an die freie Produktion-Szene verteilen wolle, um den Markt zu stärken.
Wenig begeistert zeigte sich Hager davon, dass ProSiebenSat.1 Teile der Mediatheken von ARD/ZDF ohne konkrete Vereinbarung auf seine Streaming-Plattform Joyn eingebettet hat, wogegen man rechtlich vorgehe. Es handele sich „um eine neue Form der Piraterie“, die er sich nicht habe vorstellen können: ein Akt des Raubrittertums. Stellvertretend für die Produzenten hatte der CEO der Produzentenallianz Björn Böhning den Akt schon vor Hager als „Stibitzen unserer Produktionen“ bezeichnet – bei Aushebelung der Produzenten-Rechte. ProSiebenSat.1 verteidigt sich mittlerweile: Hager hätte zu dem Vorhaben doch gar nicht Nein gesagt.
Deutscher Produzententag 2025, Teil 1: „Rollback statt Fortschritt“ – Produzenten in Alarmstimmung