Multiroom und Multiscreen

Der Luxemburger Satelliten-Betreiber SES will gemeinsam mit Industriepartnern Sat>IP als neuen Standard für den IP-basierten Satelliten-Empfang einführen. Die damit verbundene Technologie demoduliert und konvertiert DVB-S- in IP-Signale zur In-House-Nutzung auf IP-basierten Endgeräten wie Smartphones, Tablets und PCs. Auf der ANGA in Köln waren erste Prototypen von Sat>IP-Empfängern zu sehen.

5
Multiroom und Multiscreen

Im Zeitalter der digitalen Medien gelangen immer mehr Internet Protokoll (IP)-basierte Dienste wie Google TV, Netflix, Amazon Video oder Apple TV auf die heimischen Bildschirme. Über IP-Netz-Infrastrukturen werden neben den TV-Geräten insbesondere auch mobile Endgeräte wie Smartphones, Tablets und Laptops adressiert. Als Transportmittel für diese Signale bleibt der Satellit bislang außen vor.

„Bei vielen Livestyle-Devices ist der Empfang per Satellit heute nicht mehr vorgesehen. Die meisten neuen Geschäftsmodelle – gerade im nichtlinearen Bereich – lassen sich nur auf dem IP-Weg realisieren. Wir haben deshalb frühzeitig Initiativen auf den Weg gebracht, damit der Satellit zukunftssicher bleibt“, erklärt Wilfried Urner, CEO der SES Platform Services, gegenüber MEDIEN BULLETIN. Man sei schnell zu dem Schluss gekommen, dass zumindest lineare Inhalte in Satellitenhaushalten leicht und in hoher Qualität über IP auf beliebige Endgeräte weiterverteilt werden können.

Bereits 2004 habe die Diskussion über ein so genanntes „IP-LNB“ begonnen. „Allerdings haben wir bis Ende vorletzten Jahres warten müssen, bis die Halbleiter-Technik so weit war. Seitdem sind wir dem Thema IP-LNB viel näher gekommen“, berichtet Thomas Wrede, Vice President Reception Systems bei SES. In einem Zwischenschritt – gemeinsam mit BSkyB und der dänischen Firma Craftwork – habe man ein Kommunikationsprotokoll entwickelt. „Darin wird klar festlegt, wie IP-Endgeräte ohne Satellitentuner mit einem Multituner-integrierten Server kommunizieren, um das gewünschte Programm über IP an ein tunerloses Endgerät zu übertragen“, erklärt er. Das SAT-IP-Protokoll liegt aktuell in der Version 1.1 vor, steht allen Herstellern zur freien Verfügung und wurde bereits der Standardisierungsorganisation CENELEC zur europäischen Standardisierung vorgelegt.

„Das Bestreben der SES ist es, das Protokoll als offenen, Hersteller unabhängigen europäischen Standard zu etablieren“, betont Tom Christophory, Manager Broadcast Systems Engineering bei SES in Luxemburg. „Bislang gab es nur einige punktuelle Ansätze in Sachen Sat-IP-Technik, aber keiner davon war so flexibel, so breit aufgestellt und so generischer wie der Sat-IP-Ansatz von SES. Und deshalb stößt das Ganze derzeit auf so viel Interesse“, meint er.

Erste Sat-IP-Geräte sollen bis Ende des Jahres auf den Markt kommen. Einige Prototypen waren bereits auf der ANGA zu sehen, so zum Beispiel bei Telestar. Das Unternehmen will als erstes mit seinem Digibit R1 Ende August ein Sat-IP-Gerät auf den Markt bringen. Dirk Muslewski vom Telestar Vertrieb berichtete in Köln über „ein enormes Interesse an dem Produkt“.

SES selbst zeigte zur ANGA 2012 Interessierten in einem Besprechungsraum einen Prototypen. Auch zur IFA wird erwartet, dass bereits einige Hersteller Sat-IP-Lösungen ankündigen beziehungsweise zeigen werden. Die ersten Sat-IP-Boxen werden voraussichtlich mit vier Tunern auf den Markt kommen. Es gibt allerdings auch schon Prototypen, die erlauben bis zu acht IP-Streams auf acht verschiedenen Screens und Endgeräten in einem Haushalt zu empfangen.

Urner erklärt: „Die meisten Modelle gingen bislang von einer Zwei-Tuner-Lösung aus. Das aber ist bei der Vielzahl potentieller Endgeräte im Haus deutlich zuwenig. Die ersten Modelle werden deshalb Vier-Tuner-Lösungen sein. Später wird es auch Acht-Tuner-Modelle geben. Wenn jeder in einem Haushalt individuell sehen will, was auf dem Satellit angeboten wird, dann muss sichergestellt sein, dass jedes Gerät für sich über einen DVB-IP-Konverter auf das Sat-LNB so zugreifen kann, dass es den richtigen Transponder findet und sich dort einwählt – und zwar unabhängig von den anderen. Jeder Tuner muss für sich den entsprechenden IP-Header standardkonform aufsetzen, damit jedes Gerät auf der anderen Seite diesen auch richtig interpretiert. Das ist schon eine anspruchsvolle Implementierung, die wir jetzt aber geschafft haben.“

Auch alle Endgeräte müssen für den Empfang der IP-konvertierten Sat-Signale entsprechend ausgestattet sein. „Für ein Tablet braucht man zum Beispiel eine App, die weiß, wie das TV-Signal auf dem iPad interpretiert werden soll“, sagt Urner.

Kleine Sat-IP-Konverter-Boxen

Die ersten Sat-IP-Systeme werden nach Angaben der SES-Manager als kleine Stand-alone-Boxen – wie die von Telestar mit der Möglichkeit gleichzeitig vier Streams auszuliefern – angeboten. Erst zu einem späteren Zeitpunkt rechnet man damit, dass auch andere Endgeräte wie Fernseher, Set-top-Boxen oder auch WLAN-Router Sat-IP-Konverter-Logik implementiert haben werden.

„In der Anfangsphase wird das Sat-IP-Gerät eine kleine Konverterbox mit integrierter Serverlogik sein, die direkt hinter der Antenne sitzt. Über die Zeit wird diese Box, die wir auch als IP-Multiswitch bezeichnen, so stark integriert werden können, dass sie in das LNB selbst hinein passt. Wir denken, dass das in zwei bis drei Jahren machbar ist“, meint Christophory.

Auch werde es möglich sein, eine moderne Set-top-Box so umzugestalten, dass sie als IP-Server für andere Clients dienen kann. „Das wird aber nicht der erste Ansatz sein. Der zielt vielmehr darauf ab, die Streams transparent durch die Sat-IP-Box weiter zu leiten an die IP-Geräte, die dann die Entschlüsselung vornehmen“, sagt Christophory. Laut Wrede lassen sich die Anwendungsszenarien für Sat-IP grundsätzlich in drei Kategorien einteilen: Bei Kategorie eins handelt es sich um eine kleine Sat-Box, die mindestens vier Tuner hat. Sie verteilt das gewünschte Sat-Programm IP-enkapsuliert über Ethernet, WLAN oder Powerline im Heimnetzwerk. Beim zweiten Anwendungsfall sind sowohl die Server-Technik (also die IP-Enkapsulierung) als auch ein normales DVB-Empfangsteil in eine Master-Set-Top-Box einbaut. „Das ist ein typisches Pay-TV-Operator-Szenario: Mit der Box kann man über HDMI direkt fernsehen, zusätzlich lassen sich andere Programme (oder auch TV-Mitschnitte) auf IP-Endgeräte umleiten“, erklärt Wrede. Bei der dritten Gruppe handelt es sich um eine Gateway-Lösung. Ein solches Medien-Gateway ist sowohl an DSL (oder an Satelliten-Internet) als auch an die Satellitenantenne angeschlossen und versorgt das ganze Netzwerk, sowohl mit Sat-TV, Internet oder mit Over-the-Top-Inhalten wie etwa Youtube.

„Das heißt, man wird künftig mehrere Möglichkeiten für einen Access-Point angeboten bekommen, wo man DVB in IP wandeln kann. Auch Router-Hersteller haben bereits großes Interesse an der Integration von Sat-IP-Konvertern bekundet“, berichtet Urner.

Die Zahl der theoretisch gleichzeitig auf einen Sat-IP-Server zugreifenden Endgeräte hängt indes von der Bandbreite des IP-Netzwerkes ab. „Über Ethernet stehen mindestens 100 MBit/s zur Verfügung, gleiches gilt für moderne Powerline-Adapter. Somit lassen sich immerhin acht HD-Programme oder 25 bis 30 SD-Programme gleichzeitig übertragen. Über WLAN steht weniger Bandbreite zur Verfügung, weil hier die Nettodatenrate von der Entfernung zum Access-Punkt und von Interferenzen zu Nachbarnetzen abhängig ist“, erklärt SES-Vice President Wrede. Und Urner betont: „Unser Ziel ist es, den Satellitenempfang in die heimischen IP-Netzwerke zu integrieren. Der TV-Zuschauer soll ohne Medienbruch in der Lage sein, TV-Programme auf verschiedenen Endgeräten und Screens zu sehen und zwar in der gewohnt guten Qualität der Satelliten-Übertragung und ohne dabei eine Internet-Verbindung nutzen zu müssen. Mit Veröffentlichung des IP-Sat-Standards wird die Grundlage dafür gelegt, dass alle Elektronik-Hersteller in die Lage versetzt werden, sich mit einem IP-basierten Gerät punktuell in unserem Sat-IP-Netzwerke einzuklinken.“

Gegenüber herkömmlichen IP-basierten Transportwegen bietet Sat-IP nach Angaben des SES-Mitgeschäftsführers deutliche Vorteile. „Der Satellit ist langfristig für die flächendeckende Verbreitung von Inhalten – insbesondere im Live-Broadcast-Bereich – die beste Option mit dem geringsten operativen und finanziellen Aufwand“, betont er. Auf vielen Endgeräten könnte man heute diesen Live-Content gar nicht oder nur in schlechter Qualität sehen. Dazu würden oft auch noch hohe Kosten für die Nutzung der IP-Netzwerke anfallen.

Alleinstellungsmerkmal

„Unser Alleinstellungsmerkmal ist eindeutig: Wir liefern Top-Qualität ins Haus, die wir an die IP-Umgebung übergeben können. Wenn ich das Satelliten-Signal auf meinen Second Screen wie den iPad bringe, dann hat das eine phantastische Qualität.

Das hat uns auch jeder bestätigt, der unsere Prototypen gesehen hat. Die Satelliten-Zuführung von Programmen ist also bei Weitem besser als der Weg über das Internet“, betont Urner. Die Qualität des Satelliten-Signals kombiniert mit einem intelligenten Multiroom- und Multiscreen-Ansatz sei allen anderen Konzepten ganz klar überlegen. „Mit Sat-IP verlängern wir die Reichweite des Satelliten in bester Qualität in die gesamte Hausumgebung. Und die Sprache, die in den Netzwerken dort gesprochen wird, ist IP“, sagt der SES-Manager. Was man mit Sat-IP jedoch nicht könne beziehungsweise auch gar nicht wolle, sei, Google, Apple, Amazon und Netflix auf den Satelliten zu bringen.

Für die Übertragung linearer Free-TV-Programme in die heimischen IP-Netzwerke will SES laut Urner keine Gebühren verlangen. „Das entspricht nicht unserer Philosophie als Sat-Betreiber. Alle Programme die free-to-air sind werden auch free-to-air bleiben. Nur die Kosten für die Anschaffung der nötigen Sat-IP-Box fallen an.“, betont er.

Und auch bei verschlüsselten Signalen, die mit IP-Header versehen würden, blieben die Kosten für den Endkonsumenten gleich. „Wir ermöglichen mit Sat-IP lediglich den Inhouse-Transportweg und der wird nicht kommerziell adressiert“, betont er.

Keine Transcodierung

Eine Transcodierung der Signale bei Sat-IP ist ebenfalls nicht vorgesehen. Wrede betont: „Wir schreiben im SAT-IP-Protokoll keine Transcodierung vor, weil wir die Industrie nicht zwingen möchten, die Inhalte unserer Kunden anzufassen. Zudem werden die Endgeräte immer leistungsfähiger und werden in der Regel auch HDTV-Signale verarbeiten können. Heruntercodierung von Signalen ist zudem nicht der Ruf des Satelliten, der immer die beste Bildqualität liefert Fakt ist aber: Die Industrie wird auch Versionen mit Transcodierungen liefern, entsprechende Chips sind recht einfach zu implementieren. Hintergrund: Wenn ich auf einem iPhone fernsehen möchte, brauche ich nicht diese hohen Datenraten und vergrößere durch eine Transcodierung meine WLAN-Distanz.“

Bei SES geht man davon aus, dass bis Mitte 2013 der CENELEC EN-Standard vorliegen wird. „Das ist wichtig, weil damit auch die Hersteller Investitions-Sicherheit für eine interoperable Lösung haben. Für SES ist dies der wesentliche Punkt: Die Geräte müssen miteinander funktionieren, auch wenn sie von verschiedenen Herstellern kommen“, betont Wrede.

Die SES-Manager sind sich darüber im Klaren, dass die Einführung von Sat[gt]IP kein Spaziergang ist. „Wir haben meiner Ansicht nach eine brilliante Geschichte standardisiert. Jetzt gilt es, den Endkunden davon zu überzeugen. Unsere Produktmarketing- und Sales-Kollegen haben da sicher noch viel Arbeit vor sich“, meint Urner und betont: „Wie bei allen anderen SES-Aktivitäten sind wir nur der Enabler. Wir bieten selbst keine Hardware- oder Software-Produkte an. Die Integration von Sat-IP in ihre Produkte müssen die Hersteller selbst in die Hand nehmen, um Mehrwerte zu generieren.“

SES verfolge aber auch bei Sat-IP eine eher „unaufgeregte Strategie der kleinen Schritte“. Urner: „Wir arbeiten ja schon eine ganze Weile daran und haben jetzt entschieden, mit dem Thema an die Öffentlichkeit zu gehen. Das Interesse der Industrie daran ist immens. Der Zeitpunkt für den Sat-IP-Start ist deshalb genau richtig.“
Eckhard Eckstein
(MB 07/08_12)

Anzeige