Neue Krise? Welche Krise?

Die mipcom in Cannes stand in diesem Jahr voll im Zeichen von 3D. viele Fragen dazu bleiben jedoch ungeklärt. In der Onlinewelt ist das Fernsehen aber inzwischen voll angekommen.

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Neue Krise? Welche Krise?

Es herrschte ein Gewusel, wie lange nicht mehr! Nicht nur die Bars und Cafés waren gut gefüllt, auch im Festivalpalais selbst drängten sich die Besuchermassen – ein geradezu ungewöhnliches Bild ob des hochsommerlichen Wetters, das die ganze mipcom in diesem Herbst begleitete. Von Krise keine Spur. Mochten die Weltbörsen zur gleichen Zeit ihre Kapriolen schlagen und die Wolken einer neuen weltweiten Rezession den Horizont verdunkeln, in Cannes jedenfalls zeigte man sich davon unbeeindruckt. Nur einer Griff das Drohszenario, wie immer launig, auf: Jan Mojto auf dem traditionellen Beta Brunch empfahl seinen Geschäftspartnern für eine Krise den optimalen Handlungskatalog:

„Punkt 1: Halten Sie Ihre Einkaufsbudgets auf heutigem Niveau. Punkt 2: Erhöhen Sie Ihre Einkaufsbudgets. Punkt 3: Sollte das nicht möglich sein, halten Sie sich an Punkt 1.“ Ähnliches Wunschdenken hatte er schon während der gerade erst vergangenen Krise augenzwinkernd geäußert. Dass er nun noch weitere bizarre Verhaltenspunkte anhängte mag als ein Hinweis darauf gelten, dass auch er noch nicht so ganz an das dunkle Szenario zu glauben vermag. Mit einigem Recht: Sprach man gegen Ende der Messe mit Ausstellern, so lieferten sie durch die Bank ein positives Fazit. Lebhafte Messe, produktive Meetings und Abschlüsse… „Die Nagelprobe wird auch erst die MIPTV im kommenden Frühjahr sein“, sagt Dom Serafini, Herausgeber des Fachmagazins Video Age International: „Jetzt haben noch alle gute Laune!“

Paul Zilk, Chef des Messeveranstalters Reed Midem, hofft, dass sich das so schnell nicht ändern wird: „Wir verspüren keinerlei Abschwächungstendenzen“, sagte er gegenüber MEDIEN BULLETIN. Nicht nur die Buchungsstände seien ausgesprochen gut gewesen, es hätte auch keine Stornierungen gegeben und es sähe auch nicht so aus, als ob doch einige zuhause bleiben würden. Sein Blick bleibt voller Optimismus auf die Zukunft gerichtet. „Connected TV, das wird ganz groß“, sagt er. In diesem Jahr freilich war 3D das groß herausgestellte Thema. Im Kongressprogramm des ersten Messetages stellte eine groß von Sony gesponserte Themenstrecke einen eindeutigen Schwerpunkt.

Dabei ging es etwa darum, die deutlich aufwendigere 3D-Produktion möglichst effizient zu gestalten oder um neue Einsatzfelder. Allerdings war auch die Skepsis bei vielen Teilnehmern nach wie vor groß: „So lange die Leute auf die Brille angewiesen sind ist das Potential beschränkt“, urteilte ein internationaler TV Manager, „und bis die Alternativen wirklich ausgereift sind und eine ausreichende Verbreitung haben wird noch einige Zeit vergehen.“ Dabei waren im Palais durchaus erste Exponate zu sehen. Ausgerechnet der Französische Erotikanbieter Marc Dorcel stellte eine erste, auf den ersten Blick sehr vielversprechende Lösung aus. Zwar wurde man vom Standpersonal auf einen Punkt gelotst, von dem aus der 3D-Eindruck gegeben sei, allerdings, anders als bei „klassischem“, verschwamm das Bild nicht aus einer anderen Position und selbst da war noch immer ein 3D-Eindruck vorhanden und das schon in einem Aufbau, der von Dorcel selbst noch als „Versuch“ betitelt wurde. Gelingt es tatsächlich einem Pornoanbieter die Lösung zu präsentieren und ist das der Durchbruch? Wohl kaum! Klassisch 3D produzierte Programme lassen sich auf dem Screen nicht darstellen. Der 3D-Effekt wird dadurch erzeugt, dass man drei Bildlagen, Hintergrund, Mittel- und Vordergrund aufeinanderlegt, ähnlich wie in der traditionellen Zeichentrickanimation Raumtiefe erzeugt wurde.

Alles was bislang in 3D produziert wurde, wäre nicht mehr verwendbar und müsste in einem technisch viel aufwendigerem Verfahren neu gemacht werden. Und das wäre bereits eine ganze Menge! „Wir produzieren schon sehr lange auch in 3D – für das Kino“, betont etwa Ben Pyne, unter anderem President Global Distribution der Walt Disney Company. Die Einschränkung ist allerdings bedeutsam. Im TV Bereich agiert der Entertainment Major eher vorsichtig. Lediglich im Sportbereich, die ESPN, unterhält in den USA sogar einen 3D-Sender. „Damit sind wir einer der Vorreiter“, sagt der Disney Manager, der aber gleichzeitig betont, dass er mit einem Durchbruch in naher Zukunft nicht rechnet. „Unsere Strategie ist es allerdings uns neuen Technologien oder potentiellen Verwertungsfenstern nicht zu verschließen.

Wir sind dabei, solange dadurch die Rechte unserer langjährigen anderen Partner nicht eingeschränkt werden.“ Im Klartext, die alten Verwertungsfenster bleiben bestehen, während für Disney immer neue Erlösquellen dazukommen. „In einigen Kabelverträgen, haben wir inzwischen bis zu 15 unterschiedliche Verwertungsbausteine. Sie sind nicht parallel sondern greifen ineinander, so dass wir für jede neue Nutzungsart einen zusätzlichen Deckungsbeitrag generieren.“ Da, wo das nicht garantiert ist, verweigert sich Disney konsequent: „Wir haben alle unsere Webseiten für den Zugriff von Goggle gesperrt, weil die sich mit Google TV nicht an diese doch sehr fairen Bedingungen halten wollten.“ Pyne betont, dass man ganz genau analysieren würde, was die Zuschauer wollten, was ihnen einen Mehrwert bieten würde. So hat sich etwa das Verwertungsrecht für Video-on-Demand (VoD), selbst erst vor wenigen Jahren neu dazugekommen, bereits aufgespalten. SVoD, Subscribed VoD, wo dem Nutzer also über eine monatliche Flatrate alle Inhalte zum Download zur Verfügung stehen, ist inzwischen ein eigenes Verwertungsfenster. Pyne gibt sich stolz darauf, dass Disney einer der ersten großen Contentpartner der amerikanischen VoD Plattform Netflix war, die inzwischen nicht nur in den USA neue Maßstäbe setzt.

Davon profitieren inzwischen sogar deutsche Programmvertriebe, wie Jens Richter, Chef der ProSieben Tochter SevenOne International auf der mipcom verkünden konnte. „Lilyhammer“ ist eine von Rubicon produzierte Norwegische Serie, die SevenOne in den internationalen Vertrieb übernommen hat, die in weiten Teilen auf Norwegisch produziert und trotzdem wurde sie von Netflix für den amerikanischen Markt gekauft. Trotz der teilweisen Untertitelung weiter Teile der Serie als Premiumprogramm auf dem US Markt – ein Ding, das bislang unmöglich schien. Allerdings war den Produzenten ein besonderer Coup gelungen: Die Hauptrolle wurde mit Steven van Zandt besetzt, dessen unvergessene Darstellung des Paten in der US Serie „Die Sopranos“ den Rockstar zusätzlich in den Schauspielerolymp hob.

Auch in „Lilyhammer“ spielt er wieder einen Mafiaboss, der, nachdem er bei der Polizei gesungen hat, in ein Zeugenschutzprogramm kommt und sich für die norwegische Kleinstadt entscheidet, weil ihn die Bilder von der Winterolympiade so beeindruckt haben. Erst dort merkt er in was für ein beschauliches „Nest“ er gekommen ist. „Konflikte“ sind in mehrfacher Hinsicht vorgezeichnet. „Ohne Steven als Zugpferd, wäre der Deal mit Netflix sicherlich nicht möglich gewesen“, analysiert Richter daher auch nüchtern.

Immerhin gut 40 Prozent der Serie sind auf Norwegisch und werden untertitelt ausgestrahlt werden. Allerdings ist dieser erste Deal auch eine Chance, betont der ProSieben Verkäufer, ein Türöffner um weitere fremdsprachige Programme in die USA zu verkaufen. Die starre Haltung bröckelt ganz langsam, so kaufen gerade die Kabelnetworks immer öfter auch nicht englischsprachiges Programm, das dann untertitelt, in einzelnen Fällen sogar synchronisiert wird. „Dafür bekommt man dann aber bislang so gut wie kein Geld“, bedauert Richter. Aber immerhin kann man feststellen, dass der Programmverkauf durch neue technische Plattformen und daraus resultierenden immer neuen Verwertungsfenstern nicht nur immer komplizierter wird.
Traditionelle Verhaltensweisen, die fast schon Gesetzescharakter hatten, weichen zunehmend auf. Der Markt wird globaler und eröffnet ganz allmählich Märkte, die bislang als verschlossen galten.

Davon scheinen im Moment besonders die Skandinavier zu profitieren. „Walander“ und ähnliche schwedische TV Serien sind schon länger international erfolgreich. Jetzt ziehen die Norweger und die Finnen nach! Bavaria Media wollte noch keine Verkäufe der finnischen Krimiserie „Vares“ nennen. Dem Vernehmen nach ist das Interesse aber sehr groß, immerhin so groß, dass Regisseur Anders Engstrom und der Hauptdarsteller Antti Reini extra nach Cannes gereist waren, um bei Presse und potentiellen Käufern die Besonderheiten der Serie vorzustellen, deren ersten drei Teile in ihrem Ursprungsland bereits in den Kinos liefen und sich dort nur Harry Potter geschlagen geben mussten.

Aus deutscher Sicht gab es noch ein Thema rund um den Vertrieb, der – fast – alles andere überdeckte: die Fusion der beiden öffentlich-rechtlichen Vertriebsorganisationen von Bavaria Media und Telepool, die inzwischen auch den Vertrieb der Fictionprogramme von RTL übernommen hat, in einem Konstrukt mit dem Namen Global Screens, das bis zum Jahresende vollzogen sein soll. Neu ist die Idee nicht, sie geistert schon viele Jahre, mit oder ohne Degeto, durch die Diskussionen der Branche. Gut sei es, dass es jetzt passiert sei. Mit Erstaunen wurde aufgenommen, dass Studio Hamburg bei der Einigung außen vor blieb und einen eigenen Vertrieb aufbauen will: „Das wird nicht von Dauer sein“, sagt eine mit den Strukturen der Gesellschaften vertraute Person, „Die werden recht zügig bei Global Screens dazu kommen. Sie sind gar nicht groß genug um alleine zu bestehen.“ Es bleibt also auch hier spannend!

Im Gespräch mit MEDIEN BULLETIN beschreibt Zilk noch einen weiteren Trend, der streng genommen gar keiner mehr ist, sondern der Normalfall: „Vor wenigen Jahren haben wir uns noch die Frage gestellt, ob Internet und jetzt die Social Networks, eine Sache von Dauer sind. Inzwischen ist diese Frage entschieden: Sie gehören auch zum TV-Business einfach dazu!“
Die Wirkung dieser Feststellung ist nachhaltig, wie auch andauernd, aber schleichend, wie Kevin Reilly, President of Entertainment der US amerikanischen Fox Broadcasting Company in einer „Creative Keynote“ feststellte. „Wir haben gegenüber den neuen Plattformen geöffnet und lassen zu, dass neue Serien bevor sie ins Fernsehen kommen Online präsent sind. Durch die Fangemeinschaften, die die Trailer auf Youtube oder Facebook teilen, entstehen Wellen und steigern die Popularität der unserer Inhalte in einer Weise, die mit klassischen Werbestrategien gar nicht zu erreichen wäre.“

Dabei steht auch diese Entwicklung wohl erst noch ziemlich am Anfang, wie ein gestandener Unternehmensberater im TV Business mit einigem Kopfschütteln wahrnehmen muss: „Die ganzen jungen Unternehmer, die heute Cannes fluten, die denken nur noch in Online und Streamings. Okay, da wird dann auch noch ein Channel mitgemacht, nicht etwa, weil er in der Strategie mit angelegt ist, sondern weil man sie darauf aufmerksam macht und die Inhalte sowieso da sind. Das ist eine ganz andere Denke!“
Dieter Brockmeyer
(MB 11/2011)

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