50 Millionen Besucher sind dem Kino durch die Veränderungen des Nutzungsverhaltens der Zuschauer schon verloren gegangen, referierte Kim Ludolf Koch, Geschäftsführer der Cineplex-Gruppe, einem Zusammenschluss mittelständischer Kinos. Insbesondere die jungen Zuschauer blieben weg, weil sie Filme immer stärker über die digitalen Vertriebswege konsumieren. Sie können nur noch mit großen Eventfilmen ins Kino gelockt werden. So kommt es, dass bei rund 500 Filmen pro Jahr lediglich 20 Prozent von ihnen 90 Prozent des Umsatzes erzeugen. Für spezialisierte Kinos, die nicht die gesamte Angebotsbreite abdecken, wird es dadurch immer schwerer. „Das Kino nur noch ein Marketing-Tool. Es gibt es eigentlich nur noch, weil es eine Lokomotive-Funktion für die nachfolgenden Auswertungsformen hat“, wird Koch deutlich. Allerdings gibt es eine ganze Reihe guter Argumente für eine parallele VoD-Auswertung, wie Prof. Dr. Thorsten Hennig-Thurau von der Universität Münster in seinem Impulsvortrag ausführte. Da ist zum einen der Zuschauer, der es sich nicht mehr vorschreiben lassen will wann, wo und wie er einen Film zu schauen hat; zum Anderen gibt es genügend Filme, die entweder gar nicht ins Kino gehören oder die nicht überall laufen und die man via Online-Videotheken Menschen außerhalb der Ballungsräume parallel zur Kinoauswertung zugänglich machen kann. Auch nutzt ein verkürztes Auswertungsfenster, kleinen Filmen ohne Marketingbudgets, indem das Momentum der Kinoauswertung nahtlos für die weiteren Auswertungsformen genutzt werden kann. Alles allerdings Argumente – wie die für den Erhalt der Auswertungsfenster – die schon in der Vergangenheit diskutiert wurden. Mit einigem Erfolg muss man einräumen, denn die Regelung im Filmfördergesetz zu den Auswertungsfenstern, die übrigens nur für Filme gelten, die in Deutschland Förderung erhalten, wurde geändert. Obwohl Day[&]Date-Starts nun unter gewissen Umständen möglich werden, hat sich an der Sperrfrist von sechs Monaten ab Kinostart prinzipiell nichts geändert. Anders sieht es im europäischen Rahmen aus. Hier hat das MEDIA-Programm ein Förderprogramm aufgesetzt. Mit insgesamt zwei Mio. Euro soll die Entwicklung von Distributionsplattformen und -strategien, die die gleichzeitige Herausbringung von Filmen im Kino, im Fernsehen und per Video-on-Demand ermöglichen, gefördert werden. In der anschließenden Diskussion sprach sich Johannes Klingsporn, Geschäftsführer des Verleiherverbands, dafür aus, dass es für Filme, für die es keinen Kinomarkt gibt, andere Vertriebslösungen geben muss.
Fest an den Video-on-Demand-Markt glaubt Andreas Wildfang, Geschäftsführer der Online-Arthouse-Videothek realeyz.tv. „Wir sind die Zukunft!“, ist er überzeugt. „In fünf Jahren wird VoD 99 Prozent des Home Entertainment-Markts ausmachen.“ Augenblicklich sind es 0,5 Prozent eines 1,5 Mrd. Euro starken Markts. Hier sind gerade die Jungen die treibende Kraft, die über mobile Facebook auf die Seiten der Betreiber kommen. Geschaut werden die Filme dann jedoch auf größeren Screens.
Ohnehin steht das große Umdenken noch bevor. Produzent Florian Koerner von Gustorf hält an der traditionellen Auswertung fest und sprach sich gegen einen frühen VoD-Start aus. Dafür fehlen nicht nur die Mittel für das erweiterte Marketing, so der Produzent von Christian Petzolds „Barbara“, der auf traditionelle Arthousefilm-Werbung setzt, die da ist: Kritiken, Festivalauftritte, Medialeistungen und die ein oder andere Plakatierung. Karin Haager vom österreichischen VoD-Portal flimmit.at erklärte in ihrer Präsentation, dass Produzenten nur über die Produktion Geld verdienen, nicht hingegen beim Vertrieb. Daher fehle ihnen das Interesse und Bewusstsein den Online-Vertrieb nutzbar zu machen.
In Deutschland versuchen sich zwei VoD-Portale als Anlaufstelle für den deutschen Film zu etablieren: Schätze des Deutschen Films, will allen deutschen Filmen eine Heimat geben (auch dem ‘Schulmädchen-Report’, wie Mitinitiator Joachim von Vietinghoff erklärte) und 31 Movies, als Tochter der DEFA-Stiftung, dem DEFA-Film. Beiden Plattformen ist gemeinsam, dass die angebotenen Filme kuratiert und mit Zusatzangeboten versehen werden, und dass sie ihre Chance eher als Abonnement- denn als Pay-per-View-Anbieter suchen. Cay Wesnigk von onlinefilm.org sieht in VoD-Plattformen die Möglichkeit illegale Nutzungen umzuleiten. „onlinefilm.org ist ein Nischenportal“, sagt er. „Wir wollen uns so breit wie möglich aufstellen, um möglichst viele Kunden zu bekommen. Unser Bestreben ist es daher, bei der Google-Suche noch vor den illegalen Angeboten aufzutauchen.“ Auch wenn VoD zahlreiche Chancen bereit hält Film zu verbreiten, so gibt es für Nischenanbieter zwei Hürden zu überwinden: die Konkurrenz der großen Quasi-Monopolisten, gegen die ein Preiskrieg nicht zu gewinnen ist und die Unübersichtlichkeit des Filmangebots, die es für manche Produkte schwer macht Aufmerksamkeit zu erhalten.
Thomas Steiger
(MB 12/12_01/13)