Wirkungen und Nebenwirkungen der Medien-Technologie

Wie lassen sich Auswirkungen der digitalen Technisierung sowohl wirtschaftlich erfolgreich als auch gesellschaftlich verantwortungsvoll von der Medien-Branche nutzen? Diese Frage hat zum Auftakt der MEDIENTAGE MÜNCHEN Dialoge, Diskussionen und Debatten des Medientage-Gipfels geprägt.

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Wirkungen und Nebenwirkungen der Medien-Technologie

Im Rahmen der von Klaas Heufer-Umlauf moderierten Auftaktveranstaltung des größten europäischen Medienkongresses gaben prominente Experten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft Einblicke in aktuelle Geschäftsmodelle und Einschätzungen zu gesellschaftlichen Folgen von Internetökonomie, Big Data und Künstlicher Intelligenz.

Siegfried Schneider, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der MEDIENTAGE MÜNCHEN, sagte, Technologien, die auf Künstlicher Intelligenz basierten, veränderten die Produktion, die Vermarktung und den Konsum von Medien. Gleichzeitig habe sich mit Social Media die Art und Weise, wie Menschen mit Nachrichten und Informationen umgehen, grundlegend gewandelt. So werde auch Öffentlichkeit neu definiert. „Parallel dazu haben Phänomene wie Fake News, Filterblasen oder Daten-Skandale die gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt“, wies Schneider auf Risiken digitaler Innovationen hin. Mit Blick auf das chinesische Social-Scoring-System betonte der BLM-Präsident, nicht jede Anwendung neuer Medien-Technologien sei „gesellschaftlich wünschenswert.“ Schließlich gehe es um die Frage, wie wir unsere Autonomie bewahren könnten, „wenn Algorithmen darüber abstimmen, welche Nachrichten wir hören, welche Partner wir treffen oder wie wir uns in Dilemma-Situationen zu entscheiden haben“. Umso wichtiger sei eine „moderne, zukunftsweisende Regulierung“, die auf den Grundwerten von Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten basieren müsse. Beim aktuell vorliegenden Entwurf des neuen Medienstaatsvertrags sei zu begrüßen, dass das Verfahren für Rundfunkzulassungen verschlankt werde. Allerdings müsse der klassische Rundfunkbegriff, der auf lineare Angebote abziele, aufgegeben werden. Vielmehr sollten für lineare und non-lineare Angebote identische Regeln gelten und müsse die „Fernsehzentriertheit der Konzentrationsregulierung“ korrigiert werden.

Der bayerische Staatsminister für Digitales, Medien und Europa, Georg Eisenreich, bezeichnete die digitale Transformation als „große Aufgabe“. Nun gelte es, Werte, Wohlstand und Demokratie ebenso zu sichern wie Meinungsvielfalt und -freiheit. Beim „Kampf um den Erhalt und die Entstehung von Geschäftsmodellen“ seien angesichts der äußerst dynamischen technologischen Entwicklung Kooperationen und Vernetzung gefragt. Dazu solle auch die neue Medienstandort-Agentur für Bayern beitragen. „Wir müssen Tempo machen, um nicht von der Entwicklung überrannt zu werden“, mahnte Eisenreich mit Blick auf die großen Online-Konzerne in den USA. Für den globalen Wettbewerb seien vergleichbare, transnationale Regeln für alle erforderlich. Dies betreffe etwa Bereiche wie Datenschutz, Steuerrecht und Vielfaltssicherung.

Der britisch-amerikanische Internet-Kritiker und Autor Andrew Keen („How to Fix the Future“) zeichnete in seiner Keynote ein sehr kulturkritisches Bild der digitalen Zukunft. Einst hätten zu den großen Versprechungen des Internets Chancengleichheit, mehr Arbeitsplätze, eine gerechtere Verteilung des Wohlstands und eine bessere Qualität von Kommunikation gehört. Das alles habe sich nicht bewahrheitet. Vielmehr würden Medien als Kulturgut inzwischen durch große Plattformen, unsoziale Online-Netzwerke, das Primat großer Reichweiten und gefährliche Monopole geprägt. Hinzu kämen die „enormen, furchteinflößenden Kräfte“ der Künstlichen Intelligenz. Umso wichtiger sei es, Mensch und Gesellschaft wieder handlungsfähig zu machen. Zu diesem Zweck müsse politische Regulierung die Privatsphäre, persönliche Daten und Verbraucherrechte schützen, müssten Bürger zur Wahrung ihrer Rechte aktiviert und das Bildungssystem zugunsten von Kreativität und Empathie umgebaut werden. Nur der Mensch, nicht die Technologie könne die Probleme der digitalen Gesellschaft lösen, lautete Keens abschließender Appell.

Dass der Mensch im Mittelpunkt medialer Inhalte stehen müsse, betonte auch Max Conze. „Entertainment ist ein Menschen-Geschäft“, merkte der Vorstandsvorsitzende von ProSiebenSat.1 Media an. TV-Programmmacher sollten „stärker auf die Konsumenten achten“, benötigten Mut für neue Ideen und Durchhaltevermögen. ProSiebenSat.1 werde deshalb Geld in News und deutsche Inhalte investieren. Darüber hinaus schlug er Kooperationen – etwa in Form einer Streaming-Plattform für Deutschland – vor, um sich gegen große Online-Player aus den USA oder China zu wehren. Ulrich Wilhelm, der als Intendant des Bayerischen Rundfunks zurzeit ARD-Vorsitzender ist, ging noch darüber hinaus. Er empfahl eine gemeinsame europäische Plattform, damit sich europäische Akteure gegen Facebook, Google oder YouTube durchsetzen können. Ziel einer entsprechenden Mediathek müsse es beispielsweise sein, den Interessenausgleich in der Gesellschaft zu erhalten. Weil Intermediäre aus den USA vor allem auf die Optimierung von Reichweite und Nutzungsdauer setzen würden, bewirke diese Form der Aufmerksamkeitsökonomie eine Verzerrung der öffentlichen Meinung durch Emotionalität und Demagogie. Das habe gefährliche Folgen für die Meinungsbildung und -vielfalt. Umso wichtiger sei die Stärkung einer pluralistischen Gesellschaft, in der Journalismus dafür sorgen müsse, dass Informationsquellen genannt würden und die Trennung zwischen Nachricht und Kommentar gewahrt bleibe.

Xiaoqun Clever, Chief Technology and Data Officer der Schweizer Ringier AG, bezeichnete Technologie als „überlebenswichtig“, wenn Medienunternehmen sich gegen den globalen Wettbewerb wappnen wollten. In China herrsche inzwischen ein „Gladiatoren-Kampf“, der ungleich härter sei als der Wettbewerb in Deutschland. Auf Dauer reiche es nicht aus, bestehende Geschäftsmodelle nur digital zu ergänzen oder punktuell zu korrigieren. Die Ringier AG habe deshalb ein vernetztes Ökosystem für Technologie, Inhalte und Nutzerdaten von annähernd hundert Tochterfirmen aufgebaut. Ausgangspunkt für alle Geschäftsmodelle müsse die Frage sein, warum Konsumenten bestimmte Inhalte nutzen. Dr. Alwin Mahler, der bei Google Managing Director für Partnerschaften im deutschsprachigen Raum ist, ergänzte, das Rezipienten-Verhalten passe sich den veränderten Lebensbedingungen und -stilen an. Algorithmen könnten dazu beitragen, auf die strukturellen Änderungen des Nutzerverhaltens optimal zu reagieren. Zu den von Google formulierten ethischen Grundsätzen für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz gehöre aber auch, dass die Technologie stets einen sozialen Nutzen haben müsse. Auf das Angebot des Google-Managers, mit klassischen Medienunternehmen zu kooperieren, reagierte Stefan Winners, der im Vorstand von Hubert Burda Media für die nationalen Digitalmarken verantwortlich ist, ablehnend. Eine solche Zusammenarbeit helfe den großen Konzernen mehr als den kleinen Partnern. „Wir müssen uns unsere eigenen Daten-Modelle bauen“, schlug Winners vor. Das größte Problem dabei sei, geeignete Entwickler zu finden. Im Fall von Burdas Produkt Cliqz, einem Browser mit integrierter Suchfunktion, der keine Nutzerdaten sammelt, sei dies gelungen.

Dass Algorithmen, soziale Online-Netzwerke und Künstliche Intelligenz die mediale Konstruktion von Wirklichkeit entscheidend prägen, wurde bei allen Gesprächen des Medientage-Gipfels deutlich. Martin Ott, der bei Facebook Managing Director für Zentraleuropa ist, versicherte, Facebook habe kein Interesse an Hate Speech oder Fake News. Inzwischen kümmerten sich mehr als 20.000 Mitarbeiter um die Inhalte der weltweit größten Social Community. Um Wahlmanipulationen zu verhindern, arbeiteten etwa zwanzig Experten in einem „War Room“ der Konzernzentrale in Menlo Park daran, Social Bots oder Falschmeldungen zu enttarnen. Auf die Frage, ob eine so große Plattform wie Facebook wirklich neutral sein könne, antwortete Ott ausweichend, versicherte aber, eigene Inhalte seien für das Unternehmen – mit Ausnahme kleinerer Pilotprojekte zu Erforschung von Geschäftsmodellen – kein Ziel.

Die Schweizer Kabarettistin Hazel Brugger machte sich im Gespräch mit Moderator Klaas Heufer-Umlauf so ihre eignen Gedanken über die sich ändernde Kommunikationskultur und formulierte folgenden kategorischen Imperativ: „Je digitaler alles wird, desto mehr Aufmerksamkeit braucht das Zwischenmenschliche.“ (10/18)