Kampf um Qualität wird schwierig

Markus Schächter war vor zehn Jahren nach parteipolitischen Ränkespielen als „Kompromisskandidat“ in das Amt des ZDF-Intendanten gekommen. Zuvor war er ZDF-Programmdirektor. Fünf Jahre später war er in seiner Position als Intendant hoch respektiert und wurde im Amt bestätigt. Überraschend kündigte er, der als Teamspieler und diplomatisch besonnen gilt, bereits Anfang letzten Jahres an, nicht für eine dritte Amtsperiode zu kandidieren. Prof. Schächter wird künftig als Hochschullehrer für Medienethik an der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München arbeiten. Im Interview mit MEDIEN BULLETIN nennt er Eckpfeiler seines strategischen Wirkens und nennt Probleme, die er für die Zukunft des Qualitätsjournalismus sieht.

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Kampf um Qualität wird schwierig

Herr Schächter, Ihnen ist das Kunststück geglückt, den einstigen gigantischen Schuldenberg des ZDF abzubauen und gleichzeitig den Einkanal ZDF zu einem innovativen Multimedia-Unternehmen mit mehreren Sendern und Internet-Plattformen auszubauen. Was war das grundlegende Konzept dafür?

Wir hatten von Anfang an recht klare Vorstellungen darüber, was uns in den Folgejahren erwarten sollte. Vordringlich war seinerzeit die finanzielle Konsolidierung des Senders, um ohne Altlasten für die Zukunft planen zu können. Die zweite Großbaustelle war die Festigung des ordnungsrechtlichen Rahmens. Der Brüsseler Beihilfekompromiss war nicht nur ein schwerer Verhandlungsbrocken, sondern zugleich der Durchbruch für die Sicherung der Zukunftsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. Und schließlich musste der bereits beschlossene Übergang von der analogen in die digitale Fernsehwelt organisiert werden. Dies gelang mit intelligenten Konzepten für die Digitalfamilie des ZDF und mit einer mehrfachen Häutung des Unternehmens im Rahmen eines breit angelegten Transformationsprozesses, bei dem wir unsere Strukturen erheblich verschlankt und effizienter gestaltet haben.

„ZDF-Mediathek“, „neues virtuelles Nachrichtenstudio“, die neue Senderfamilie mit ZDFneo, ZDFKultur und ZDFinfo, das ZDF-HbbTV-Angebot „heute journal plus“: Welchen strategischen Zusammenhang haben all diese digitalen Erneuerungen?

Am Ende geht es immer um zwei Faktoren: Um den Content und um die Frage, auf welchem Weg der Inhalt zum Nutzer kommt. Es ist kein Zufall, dass es unsere journalistischen Flaggschiffe sind, die in neuen Technologien die Treiber sind. Dafür steht „heute-journal plus“ im zukunftsträchtigen Hybridfernsehen. Wir sind überzeugt, dass sich Qualitätspublizistik auch im Netz am Ende durchsetzen wird. Und was die zweite Schiene, den Vertrieb angeht: Es bleibt dabei, dass wir alle Plattformen bespielen müssen, auf denen Zuschauer und Nutzer unsere Angebote suchen.

Ihre Digitalstrategie kann erst längerfristig das Ziel einer Verjüngung des ZDF-Publikums erreichen. Warum wollten Sie die Früchte nicht selber ernten und haben sich gegen eine dritte Amtsperiode entschlossen?

Der Zeitpunkt war wohl überlegt. Von den zwölf Punkten meiner Antrittsrede vor zehn Jahren sind elf abgehakt. Die zwölfte war die Verjüngung. Und spätestens seit diesem Jahreswechsel weiß ich, dass auch hier die Früchte zu reifen beginnen.
Verglichen mit dem Start vor zwei Jahren, als ZDFneo auf den Sender ging, haben die drei Digitalkanäle des ZDF bereits mehr jüngere Zuschauer hinzugewinnen können, als das ZDF-Hauptprogramm verloren hat. Und das, obwohl die anderen beiden Digitalkanäle, ZDFkultur und ZDFinfo, in ihrer neuen Form noch nicht mal ein Jahr auf Sendung sind.

Es sind medienpolitische Forderungen von Ministerpräsident Beck, Kulturstaatsminister Neumann und RTL laut geworden, die Digitalkanäle von ARD/ZDF wieder zu reduzieren. Was erwidern Sie?

Aus einem Denkanstoß von Kurt Beck haben die vom Erfolg der Digitalkanäle nervösen Wettbewerber mal eben eine „Kampfansage“ gemacht. Das ist leicht durchschaubare Polemik, der übliche Theaterdonner einer aufgeregten Branche. Erst wollten die privaten Kollegen die ZDF-Digitalkanäle aus Angst vor Wettbewerb nicht haben, jetzt, wo sie deutlich erfolgreich sind, wollen sie sie aus angeblicher Sorge um den Gebührenzahler nicht haben. Wir erfüllen mit den neuen Kanälen unseren gesetzlichen Programmauftrag und haben damit Erfolg. Die neuen Digitalkanäle haben wir durch Einsparungen möglich gemacht und keine zusätzlichen Gebühren dafür verlangt.

Welche Programm-Innovationen des ZDF waren und sind Ihnen besonders wichtig, liegen Ihnen am Herzen?

Die neue Programmfamilie startet ja jetzt gerade erst durch. Neue Formate werden erprobt, neue Gesichter, neue technische Hybridformen. „neo paradise“, „Stuckrad Latenight, „Login“, die Liveübertragungen von den großen Musikfestivals im Sommer – wir haben heute Formate im Programm, die noch vor wenigen Jahren niemand dem ZDF zugetraut hätte. Ich bin überzeugt, dass die Digitalkanäle ein Quell nachhaltiger Programmerneuerung sein werden. Was das klassische Hauptprogramm angeht, war die Wiederentdeckung und Etablierung des intelligenten Humors durch Formate wie „Neues aus der Anstalt“, „heute-Show“ und „Pelzig unterhält sich“ gewiss die größte Überraschung. Genauso wichtig war aber, dass wir unsere Spitzenposition im Dokubereich und im starken Erzählfernsehen gehalten haben.

Muss die Quote der Maßstab zur Bewertung der Existenzberechtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bleiben oder gibt es einen anderen Messparameter?

Der Begriff der Reichweite in einer Gesamtbetrachtung aus TV-Quote, VOD-Abrufen und Website-Klicks wird sich in naher Zukunft verändern. Wir wollen die Wahrnehmung im Markt – auf welchen Vertriebskanälen auch immer – auf dem erreichten Niveau halten und dabei den Kampf um die Aufmerksamkeit der Mediennutzer durch das deutlichste Qualitätsprofil gewinnen.

ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut hat in jüngerer Vergangenheit das Programmniveau von TV-Marktführer RTL scharf kritisiert. Was kann die Medienpolitik tun, um Programmverflachung im Rahmen Dualen Systems zu verhindern?

Der Medienpolitik stehen bereits heute alle Instrumente zur Verfügung, die zur Regulierung und Disziplinierung des Marktes notwendig sind. Was bei allen Diskussionen um Quote und Qualität immer bleibt, ist die grundsätzliche Auseinandersetzung um den Kern des dualen Systems: Fernsehen, das von seinen Gesellschaftern allein auf Gewinnmaximierung konstruiert ist und Fernsehen, das von der Gesellschaft über einen publizistischen Auftrag auf das Wohl der Gemeinschaft verpflichtet ist. Wem dieser Unterschied bewusst ist, der muss über Dschungel- und Nachmittagsprogramme nicht mehr diskutieren.

Sie haben kürzlich „mehr Public Private Partnership“, also mehr Kooperation zwischen öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Medienanbietern, gefordert. Was meinen Sie genau?

Es geht vorrangig um die inhaltliche Partnerschaft aller Marktteilnehmer – ob privat finanziert oder öffentlich-rechtlich -, die für Qualitätspublizistik stehen. Keine Region der Erde hat hier mehr zu bieten. Diese inhaltliche Stärke unseres Marktes müssen wir profilieren und stärken, wenn wir gegen die erdrückende ökonomische Gewalt der Internetriesen bestehen wollen.

Sie haben aus der KEF-Forderung, die Gebühren auch bei der neuen Haushaltsabgabe stabil zu halten, gefolgert, dass die Programmqualität leiden werde und ihre Mitarbeiter aufgefordert, Projekte und Stellen selber zu streichen. Richtig?

Fakt ist, dass die Gebühr bzw. der Beitrag über den Modellwechsel hinaus stabil bleibt und die Sender ohne jeden Inflationsausgleich auskommen müssen. Im Ergebnis heißt das: Effizienz steigern, Ausgaben kürzen. Die für uns problematische und schwer nachvollziehbare Forderung der KEF, darüber hinaus auch noch hunderte von Stellen abzubauen, erschwert die Aufgabe zusätzlich. Wenn wir sie erfüllen wollen – und das werden wir –, geht das nicht ohne Abstriche auch am Programm. Mit einem Priorisierungsprojekt werden wir versuchen, die Einschnitte ins Programm so erträglich wie möglich zu halten.

Hat das ZDF bereits die größten Herausforderungen, die sich durch die Digitalisierung ergeben, gemeistert, oder muss Ihr Nachfolger Thomas Bellut damit rechnen, dass es noch schwieriger wird?

Die Digitalisierung ist bereits gelebte Medienwirklichkeit, die alten Fragen sind beantwortet. Thomas Bellut wird sich neuen Fragen stellen müssen, die nicht minder schwierig sind. Welche Position werden wir im Kampf mit den Internetriesen halten können, die – jeder auf seinem Spezialgebiet – allesamt globale Marktführer sind? Der Allianz der Qualitätsanbieter steht ein schwieriger Kampf bevor.

Was war Ihre größte Enttäuschung, und was war das schönste Erlebnis als ZDF-Intendant?

Die öffentlich geführte Diskussion um die Vertragsverlängerung des damaligen ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender hat Wunden geschlagen, führt aber jetzt auch zu der notwendigen Klärung konstituierender Fragen. Ein ähnlicher Kraftakt war die Notwendigkeit, Brüssel von einem Kompromiss in der Beitragsfrage zu überzeugen. Das hat die Öffentlichkeit vielleicht gar nicht so wahrgenommen, aber hier wurde ein zukunftssichernder Grundstein für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland gelegt. Das hinterlässt bei mir ein gutes Gefühl.
Erika Butzek
(MB 03/12)

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