Neue Doku-Technik von Wim Wenders

Nicht zum ersten Mal ist Wim Wenders in Cannes mit tosendem Beifall und stehenden Ovationen für sein Werk belohnt worden. In diesem Jahr galt die Begeisterung seinem eindrucksvollen neuen Dokumentarfilm „Das Salz der Erde“. Kinostart In Deutschland war der 30. Oktober. Im Gespräch mit MEDIEN BULLETIN erklärt Wenders unter anderem, warum und wie er mit der „Teleprompter-Dunkelkammer“ eine neue Doku-Technik entwickelt hat.

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Das Salz der Erde / Juliano Ribeiro Salgado / NFP

Wim Wenders steht zur Begrüßung in einem kleinen Berliner Hinterzimmer, das über dem Kant Kino liegt, etwas breitbeinig standfest auf dem Boden. Der zierliche junge Alte, 1945 in Düsseldorf geborene, ist stylish angezogen. Ocean-blau sein Hemd, auf dem die breiten Hosenträger, die die weiten Jeans nach oben halten, in einer helleren Blau-Nuance leuchten. Wenders ist nicht nur die große lebendige Legende des deutschen Films, wofür er bei der kommenden Berlinale mit einem goldenen Bären und einer Hommage geehrt wird. Davor hat er bereits ungezählte internationale Preise und Ehrungen erhalten. Als Autorenfilmer ist er immer weitgehend unabhängig geblieben und ist gleichzeitig vielseitig als Fotograf und Autor rührig. Mit seinen Spots beispielsweise für Eiscreme ist er auch in der Werbebranche zu einer renommierten Größe avanciert.

Dabei interessiert sich Wenders selbstredend nicht nur für 3D („Pina“ Bausch), sondern alle neuen Filmtechnologien, so dass ihm beispielsweise Samsung vor zwei Jahren die kreative Leitung eines Wettbewerbs angetragen hatte, in dem der Filmnachwuchs ausschließlich mit dem Galaxy Note 2 drehte. Und für „Das Salz der Erde“ hat Wenders nun sogar selber eine neue Doku-Technik gefunden und entwickelt. „Eine Entdeckung, die aus dem Wunsch heraus entstand“, wie Wenders erklärt, „nahe an dem Protagonisten und seinen Geschichten dran zu sein und mich selbst als Interviewer aus dem Bild zu entfernen“. In der Tat konnte Wenders auf diese Weise die eher langweilige, in Dokumentationen aber häufig übliche Interview-Situation durch eine ganz neue Bilddramaturgie ersetzen, die dann den ganzen Film beflügelte und aus dem eigentlich als schlicht geplanten Dokumentarfilm etwas Besonderes machte. Worum geht es in dem Film?

Im Mittelpunkt steht das Leben und Werk des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado, der mit seiner Bildreportage über die freiwilligen Goldschürfer in der brasilianischen Mine von Serra Pelada, die sich aus Gier nach Geld mittelalterlichen Lebens-und Arbeitsbedingungen aussetzen, internationale Anerkennung als sozialer Fotograf erobert hatte. 30 Jahre lang reiste er rund um den Globus in Krisen- und Kriegsgebiete, in arme Länder, wo er das Leid der Menschen und ihre menschenunwürdige Umwelt mit seinen ausschließlich Schwarz-Weiß-Fotografien dokumentierte. Unter vielem anderen: Hungersnot in der Sahelzone, Völkermord in Ruanda, brennende Ölfelder im Irak-Krieg. Vor etwa zehn Jahren stellte Sagado dann fest: „Ich kann nicht mehr“. Er hatte so viel Leid in sich eingesogen, dass er nun selber seelisch auf der Kippe stand. Mit seinem Projekt „Genesis“ sattelte er um auf Naturfotografie. Seitdem widmet er sich der Schönheit unseres Planeten, den Naturparadiesen und versucht die Ursprünglichkeit des Lebens einzufangen. Zum Beispiel Menschen im Amazonas, den Papuas, die immer noch bunte Federn auf ihren Köpfen tragen. Und es kommt noch eine andere wichtige Dimension seiner Lebensgeschichte hinzu.

Salgado war als kleiner Junge in einem Paradies aufgewachsen, zwischen Krokodilen und Kalmaren und tausend Vögeln auf der Farm seines Vaters, die an den Regenwald grenzte, wie Wenders erzählt. Als er 50 Jahre später zurückkam, war das Paradies verschwunden. Es gab nur noch Dürre, die sich durch die Abholzung des Regenwaldes eingestellt hatte. Seine Frau Lélia und er begannen ein Projekt, das ganz klein anfing und sich dann aber doch als riesig und erfolgreich entpuppte, nämlich den Regenwald mit zwei Millionen Setzlingen wieder neu aufzuforsten.

Die Quellen sprudeln heute wieder! „Das ist eine gewaltige Nachricht“, sagt Wenders, „die Zerstörung kann rückgängig gemacht werden“. Und so zeichnet „Das Salz der Erde“ erst vornehmlich in Schwarz-Weiß und dann in Farbe einen großen Bogen vom Grauen bis zur Hoffnung und der Erkenntnis, dass Leben sich immer wieder erneuert, erneuern kann. Ein großes Filmthema, das aber eher zufällig und durch die beharrliche Auseinandersetzung mit dem Thema und seinem Protagonisten entstand. „Ich kann nicht sagen, dass wir von Anfang an ein ganz großes Thema geplant haben. Ich wollte einen Dokumentarfilm über einen Fotografen drehen. Dann habe ich allmählich gemerkt, dass wir ein viel größeres Projekt machen“. Den Bogen vom beschwerlichen zum paradiesischen Leben auf der Welt, hat Wenders zusammen mit dem Co-Regisseur und Sohn von Salgado, Juliano Ribeiro, auch als Augenweide inszeniert. Wobei man auf eine Fülle von Archivmaterial zurückgreifen konnte, die dadurch entstanden war, dass Juliano Ribeiro seinen Vater viele Jahre auf seinen Reisen filmisch begleitet hatte.

Weil Wenders am Anfang eine „bescheidene Geschichte“ drehen wollte, fing er an „ganz konventionell“ zu drehen: „Sebastião Salgado und ich haben am Tisch gesessen und zusammen in seinen Bildbändern geblättert oder uns seine Bilder an die Wand gepinnt. Er hat mir Bild für Bild etwas dazu erzählt.“ Das wurde von zwei Kameras eingefangen. Zunehmend fiel Wenders auf, dass Salgado „eine andere Wahrheit“ erzählte, wenn er nur auf sein Foto schaute und sich an die Situation erinnerte, als wenn er Wenders sozusagen als Öffentlichkeit direkt anschaute, um über seine Erinnerungen zu berichten. Daraus folgerte Wenders: „Blöd, wenn ich immer als Interviewer mit im Bild bin. Schöner wäre es, wenn man ihn allein mit seinen Erinnerungen lassen könnte“. Dann ist Wenders „das duselige Mittel des Teleprompters im Fernsehen“ eingefallen, mit dem es gelingt, Zuschauer in den Glauben zu halten, dass das, was von den Moderatoren erzählt wird, nicht abgelesen, sondern spontan auswendig kommt. So ist die Idee entstanden, das Teleprompter-Prinzip in der Art abzuwandeln, dass Salgado nicht einen Text sieht, sondern seine Fotografien. „Damit haben wir den Teleprompter zweckentfremdet“, freut sich Wenders: „Anstatt er Texte vorgibt, haben wir ihn als Mittel benutzt, dass Salgado seine Erinnerungen frei erzählen kann, ohne das Gefühl zu haben, in die Kamera zu schauen und mir und der Öffentlichkeit etwas mitzuteilen“. An der Umsetzung der Idee musste man tüfteln. „Wir haben Salgado in eine Dunkelkammer gesetzt, wo er nichts anderes als den leuchtenden Bildschirm mit seinen Fotografien vor sich hatte. Ich war dann weg. Die Kamera war weg. Er war alleine mit seinen Bildern und hat alleine erzählt“. Dabei sind Salgados Mimik und Emotionen bei seinen Erzählungen durch einen halbdurchlässigen Spiegel von der Kamera eingefangen worden. Auf diese Weise konnte „etwas ganz Intimes“ zwischen den Zuschauern und den Geschichten, die Salgado über seine Bilder erzählt, entstehen.

Wie aber finanziert man einen Film, der sich Zeit dafür nimmt, auf Zufälle und Lernprozesse mit Konzeptveränderungen zu reagieren? Wenders: „Wir haben den Film mit einem sehr kleinen Team und mit sehr einfachen Mitteln alleine gemacht. Da ist keine deutsche Filmförderung drin. Der Film ist in Frankreich produziert worden mit ein bisschen Förderung, nicht viel. Ein bisschen Förderung aus Brasilien. Der Film hat nicht viel gekostet – außer unserer Arbeitszeit“.

Das kleine Team bestand, wenn Wenders drehte, aus einem Kamera- und einem Ton-Mann, wobei man mit den verwendeten 2k-Kameras von Canon schon etwas Besseres als HD nutzte, wie Wenders weiß. Und Juliano hatte seinen Vater filmisch sogar ganz alleine begleitet. Ist es nicht wunderbar, dass man heute ambitionierte Filme dank der neuen digitalen Technik mit relativ wenig Geld hinkriegen kann? Wenders: „Es ist umgekehrt. Je mehr Geld man hat, umso weniger darf man wirklich erzählen“. Aber das ist ein ganz anderes Thema.

Erika Butzek

MB 7/2014

© Juliano Ribeiro Salgado / NFP

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