„Die Vernetzung über IP bietet bei Produktionen große Vorteile gegenüber herkömmlichen Punkt-zu-Punkt-Verbindungen, denn wir müssen vom Ü-Wagen aus jetzt nicht mehr jede Außenstelle und jede Box mit einem separaten Kabel betreiben“, erklärt Markus Maschke, Geschäftsführer der RecordLab TV [&] Media GmbH. „Wir gehen mit einer Hauptleitung heraus und können von dort aus verteilen. Wir können von jedem beliebigen Punkt, wo sich eine solche Box mit dem IP-Gerät befindet, wieder weggehen und haben alle Signale, die darin enthalten sind, auch sofort in jeder Außenstelle.“ Möglich macht dies die Vernetzung über die V_link4-Einheiten, dank der sämtliche Signale in einer Cloud verfügbar sind, so dass sowohl vom Ü-Wagen als auch von jeder Stagebox direkt auf sie zugegriffen werden kann.
„Das ist eine enorme Arbeitserleichterung“, versichert Maschke. Bisher mussten am Heck des Ü-Wagens viele dicke Kabelstränge angeschlossen werden. „Wir mussten jedes Signal einzeln durchstecken, was Zeit kostet.“ Zu diesem Zweck wurden im Vorfeld Pläne vorbereitet und die einzelnen Verbindungen auf Fehler hin überprüft. Dank der neuen Video-Netzwerktechnologie ist für diese Arbeit nun nur noch ein Techniker erforderlich. Die Kreuzschiene, über die sämtliche Signale laufen, ist aber auch im neuen Ü-Wagen noch im Einsatz. „Intern arbeiten wir noch ganz klassisch, doch alles, was ans Set herausgeht, ist IP-basiert“, erläutert der RecordLab TV [&] Media-Geschäftsführer, nach dessen Einschätzung es noch einige Zeit dauern wird, bis der Ü-Wagen komplett IP-gestützt betrieben werden kann. Dies erfordere entsprechende Switches. „Ich glaube, dass es in Zukunft keine Videokreuzschiene mehr geben wird, sondern große Netzwerk-Switches, wie wir sie aus der IT-Industrie kennen, die alles IP-basiert verschalten.“
Bereits jetzt werden durch die IP-basierte Arbeitsweise bei einer Produktion rund 25 bis 30 Prozent der Zeit sowie zahlreiche Geräte eingespart. Es müssen keine Signale mehr eingespeist werden, um die Außenstellen zu verbinden. Stattdessen wird das Endbild einmal in die Cloud gestellt und kann überall abgerufen werden. „Es gibt keine direkten Kamerawege mehr zum Ü-Wagen, sondern die Kameras sind an die Box angebunden, werden in die Netzwerkwelt hereingebracht und dort entsprechend den verschiedenen Gewerken wie Videomischer, Slomos, Audioproduktion und Kamerasteuerung zur Verfügung gestellt“, erläutert Felix Krückels, Business Development Director bei Lawo. „Eine Stagebox kann als Audio-/Video-Interface im Netzwerk vier SDI-Signale aufnehmen und wieder abgeben sowie 128 Audio-Signale aufnehmen und abgeben“, berichtet Krückels. Beim Fußball bedeute dies, dass an jeder Position linkes Tor, rechtes Tor, Kommentatoren-Platz, Studio – vier Kamerasignale aufgenommen und wieder abgeben werden können.
Bei der Produktion des Autoball-Events wurden die Bilder in der Arena in HD-Qualität auf knapp 30 Monitoren extern verteilt. Dazu gehörten die Hintersetzer-Monitore im Studio, weitere Monitore beim Licht, am Kommentator-Platz, bei der Zeitnahme und Grafik sowie in den Redaktions- und Produktionsbüros. Hinzu kamen Feldmonitore, die dem Feldreporter die Bildinformationen lieferten, so dass er sehen konnte, wann er auf Sendung ist. Darüber hinaus wurden über einen terrestrischen HF-Ring rund um die Arena weitere Programme verbreitet. Parallel zu diesem konventionellen Hauskanal erfolgte ein Test zur Einspeisung der Programme ins Netzwerk, so dass die Redakteure diese in Zukunft über ihr Notebook oder Tablet aufrufen können.
„Wir können 3G-Streams und ganz normale Standard 1,5 G-Streams aus den Aus- und Eingängen ziehen, die wir zur Verfügung haben“, sagt Maschke. Zudem ist es möglich, über IP-Monitore verschiedene Codec-Arten wie Dirac Pro, JPEG-2000 oder M-JPEG heraus zu schalten. Auch der H264 Internet-Stream steht überall zur Verfügung.
Die Zehn-Gigabit-Glasfaserleitung in der Arena ist ausreichend, um auch die acht Signale vom Ü-Wagen in und aus der Cloud zu bewegen. „Das reicht für diese Produktion. Wenn wir es herunter rechnen, brauchen wir nicht so viele Signale“, versichert der Ü-Wagen-Betreiber. „Wir denken alle nur in der klassischen Punkt-zu-Punkt-Verbindung, doch wir müssen Cloud basiert denken, denn ich muss kein Signal, das ich schon in dieser Wolke habe, ein zweites Mal dort ablegen.“ Ausschlaggebend sei, wie viele Stageboxen betrieben und welche Ressourcen dafür je nach den entsprechenden Anforderungen benötigt werden.
Bei Stefan Raabs Autoball-WM waren in der Arena insgesamt 18 Kameras im Einsatz. Neben den LDK 8000 Kameras von Grass Valley befanden sich darunter zwei LDK 8300 Super Motion von Grass Valley, vier Chip-Kameras von Riedel , die in den Autos verbaut wurden, sowie zwei weitere drahtlose Grass Valley LDK Kameras.
In dem hochmodernen Ü-Wagen können nicht nur Video- , sondern auch Tonsignale über die Cloud verschickt werden. „Neben den 128 Signalwegen über MADI lassen sich über das Netzwerk auch die Dallis-Träger von Lawo mit weiteren 128 Signalen tunneln und zwar kombiniert in analog, digital, Mikrofonpegel, und so weiter“, unterstreicht der Toningenieur. „Das ist ein sehr mächtiges Instrument.“
Darüber hinaus lässt sich ein Standard-Netzwerk durchtunneln und so an zusätzlichen Stellen LAN oder Internet zur Verfügung stellen. Derzeit testet RecordLab TV [&] Media, W-LAN Access Points an vielen Außenstellen zu errichten, um Programme für Smartphones oder Tablets zur Verfügung stellen zu können. „Die Idee ist, dies als Mehrwert anzubieten.“
Weniger Aufwand, geringere Kosten
Mit dem Einsatz der IP-basierten Live-Produktion lassen sich bei der Übertragung von großen Sport-Events wie Skispringen oder Fußball Aufwand und Kosten einsparen, da nicht mehr mehrere kilometerlange Kabel gezogen werden müssen. Das kann bedeuten, dass die Arbeit von acht Kabelhelfern am Ü-Wagen-Heck künftig von nur noch einem Mitarbeiter mit einer Handtrommel zu bewältigen ist.
„Im Fußballstadion steht eine Box relativ mittig und meistens zwei weitere Boxen Hintertor“, weiß Maschke. „Im alten Format würde ich dafür dreimal 500 Meter Kabel benötigen. Jetzt brauche ich einmal 500 und zweimal 50 oder 80 Meter, je nachdem, wo die Box positioniert ist. Das ist eine räumliche Arbeitserleichterung.“ Zudem kann sich ein zweiter Ü-Wagen mit einem Netzwerkkabel am Heck des neuen Ü-Wagens andocken und hat darüber sofort Zugriff auf alle externen Signale.
„In der IP-Welt steckt er sich mit seinen zwei CAT7-Kabeln in die Netzwerkcloud ein und greift die Signale direkt ab“, betont Krückels. „Das ist eine komplette Änderung in der Art und Weise, wie ein Live-Event produziert wird, denn das Kamerasignal vom benachbarten Ü-Wagen wird nicht mehr durchgeschliffen, sondern der Ü-Wagen holt es sich direkt von der Quelle ab.“ Die Voraussetzung dafür sind entsprechende Routing-Kapazitäten und IP-Mechanismen wie Multicast. Die Brücke zum Netzwerk erfolgt über zwei Glasfaseranbindungen für zehn Gigabit.
„Der zweite Ü-Wagen kann sich teilweise sogar unserer Ressourcen wie Kameras, Mikrofone oder gewisse Rücksignale bedienen, sofern wir das vorbereitet haben“, berichtet Maschke. Wenn wir diese Ressourcen frei geben, kann er sofort über eine einzige Leitung darauf zugreifen.“
Mit dem V_link4-System von Lawo verfügt der Kölner Dienstleister derzeit über ein Alleinstellungsmerkmal in Deutschland. „Unser Ziel ist es, für die Remote-Produktion vorbereitet zu sein. Wir möchten unsere Boxen über Fernnetzwerke absetzen können, um über weite Strecken Kameraverbindungen zustande bringen.“ Bedarf danach besteht bei Produktionen wie Radrennen oder Marathonläufen in der Stadt. „Wir müssen dort über sehr weite Strecken Kameras absetzen weil das über eine Triax-Verbindung nicht mehr funktioniert.“ Das Ziel ist, dort eine IP-basierte Box zu platzieren und die Kamerabilder über das Fernnetzwerk in den Ü-Wagen zu schicken.
Die Remote-Produktion per Glasfaser steckt jedoch noch in den Anfängen. „Nicht jede Produktion wird sich für eine Remote-Produktion eignen“, meint der RecordLab TV [&] Media-Chef, der Lawo sein Feedback gibt, damit weitere Funktionen in das Produkt implementiert werden. „Das ist der Beginn der IP-Ära. Der Kunde realisiert bisher nur, dass es weniger Leitungen gibt, das Signal eher am Start ist und die Bilder über seinen Laptop sehen kann.“
Seine Weltpremiere feierte der neue Ü-Wagen Anfang Mai beim Red Bull-Event „Wings for Life – World Run 2014“ das in Salzburg live aufgezeichnet wurde. „Es war das erste Mal, dass ein Marathonlauf in 34 Ländern der Erde gleichzeitig stattfand, was wir mit unserem Broadcast Center abgebildet haben.“ Über eine Dish-Farm wurden 34 Satellitensignale, die zu einem World Feed verarbeitet und wieder gesendet worden ist. „Der Wagen war komplett ausgelastet. Wir haben nicht nur 34 Sendesignale aus den Ländern angenommen, sondern auch die Signalverteilung in den dazugehörigen externen Produktionsräumen übernommen, wie zum Beispiel die Zeitnahme, Race Control, Social Media, und so weiter. Des Weiteren haben wir das komplette EVS-System aufgebaut. Im Broadcast-Center wurden 92 Intercom-Sprechstellen eingerichtet. Hinzu kamen 100 Fernsehmonitore für die Gewerke ausserhalb des Ü-Wagens, zwölf EVS XT3 Server, die SDTI- und Gigabit-vernetzt liefen und über ein großes Isilon Storage-System mit sämtlichen Clips gespeist wurden. Da auch das Kommando-System nicht mehr ausreichte, wurden fünf Riedel Nodes miteinander vernetzt. „Wir mussten ein Voice-Over IP-Netzwerk mit 80 Verbindungen aufbauen, um mit jedem Land kommunizieren zu können.“
Aber auch beim Autoball in Köln hat RecordLab TV [&] Media dafür gesorgt, dass jeder Mitarbeiter über verschiedene Kommunikationswege mit jedem sprechen kann. „Wir hatten dort insgesamt 80 Funkgeräte und 16 externe Sprechstellen im Einsatz.“ Ein ganz wesentlicher Vorteil der IP-gestützten Technik ist, dass die Bilder im Ü-Wagen nicht mehr bearbeitet werden müssen, weil dies bereits an der Quelle erfolgt ist. Wenn bei der herkömmlichen Produktion das Signal einläuft, kann das Bild im Ü-Wagen digital mit dem Frame-Synchronizer bearbeitet werden. „Das Bild muss Zeile für Zeile für den Monitor und Quelle richtig geloggt werden“, erläutert Krückels. „Wenn das Bild nicht den passenden Takt hat, muss ein fremdes Bild synchronisiert werden. Wenn das Bild nicht die gewünschten Farben hat, wird im Ü-Wagen die Farbkorrektur durchgeführt oder das Audio muss verzögert werden, damit der Ton synchronisiert wird.“ In der Netzwerkwelt erledigt dies das Gerät bereits gleich zu Beginn des Signalflusses: Das V_link4-System bringt das nicht synchronisierte Signal mittels Framestore in den Ü-Wagen und korrigiert die Farben bereits gleich an der Quelle. „Damit ist das Bild für alle, die es aus der Broadcast-Cloud erhalten, schon fertig aufbereitet.“
Birgit Heidsiek
MB 4/2014