Mit dem Untertitel „Neues aus der Welt der Superzeitlupe“ setzte das ZDF im März dieses Jahres die Naturdokumentation fort, die genau vor einem Jahr startete. Dabei beschränkten sich die beiden neuen Folgen keineswegs auf Highspeed-Aufnahmen: Extreme Zeitraffer, Röntgen-Bilder aus dem „Desy“-Teilchenbeschleuniger in Hamburg sowie 3D-Kamerafahrten mit dem Rasterelektronenmikroskop (REM) standen ebenfalls auf dem Programm.
Die Firma doc.station GmbH in Hamburg produzierte die Folgen. Das Unternehmen ist auf Wissenschafts- und Geschichtsdokumentationen spezialisiert, daneben produziert es die Talkshow „Maybrit Illner“. Luxart in Köln übernahm die Postproduktion. Die Herstellung der neuen Staffel begann kurz nach der Ausstrahlung der ersten Folgen im März 2012. Das Team drehte rund neun Monate, parallel bearbeitete Jonas Sichert, Geschäftsführer von Luxart, das Material im Schnitt. Gegen Ende wurde es knapp, das Team arbeitete über Weihnachten und Neujahr durch. Die letzten Aufnahmen wurden erst drei Wochen vor der Premiere gedreht. Das Drehverhältnis habe etwa 1:25 betragen, meinte Sichert, sodass rund 35 Stunden Material für die knapp eineinhalb Stunden der beiden Folgen zusammen kamen. Im Schnitt entstanden daraus 26 Blöcke, 13 je Folge, die erst in den letzten fünf Tagen der Produktion zusammengesetzt wurden. Sichert, Autorin Luise Wagner sowie ZDF-Redakteurin Sonja Trimbuch lieferten sich eine diskussionsfreudige Flipchart-Runde, um die finale Reihenfolge der Szenen festzulegen.
„Natürlich gab es ein Buch“, meinte Wagner dazu auf der Premiere, „vieles ließ sich jedoch nicht umsetzen, weil das Wetter im Winter oft zu schlecht war.“ Die Dreharbeiten in der dunklen Jahreszeit hätten häufig nicht das gewünschte Ergebnis geliefert, so Wagner. Außerdem ließe sich bei wissenschaftlichen Compilation-Filmen oft nicht im Voraus sagen, welche Aufnahmen die spannendsten Resultate lieferten. Ziel der Montage sei eine Balance aus wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn und schönen Bildern gewesen. „Der Zuschauer soll sich entspannen und zurücklehnen, aber auch gefesselt werden“, so Wagner. Dies sei gerade wegen des Ausstrahlungstermins am Sonntagabend wichtig. Man müsse verhindern, dass der Zuschauer um 20.00 Uhr zur Tagesschau umschaltet. Ein Problem des Teams seien die Sportübertragungen im Jahr 2012 gewesen. Durch die zahlreichen Superzeitlupen während der Olympischen Spiele und der Fußball-Europameisterschaft waren die Zuschauer bereits gesättigt von der Technik. Oft hätten sich spannende Motive durch Zufall ergeben. Wie die Unterwasser-Aufnahmen des Segelfisches, die rund 60 Kilometer vor der Karibikinsel Cozumel entstanden. Forschungen des Schwarmverhaltens waren das eigentliche Ziel der Expedition. Auf der Jagd nach Sardinenschwärmen kommen die Segelfische nahe an die Wasseroberfläche heran. Dem Filmteam gelang es erstmals, die Jagd des Segelfisches in Superzeitlupe zu filmen. Rudolf Diesel, Inhaber der Firma Science Media, bediente bei den Tauchgängen die Highspeed-Kamera. Ursprünglich waren fünf Drehtage geplant, doch nach deren Ablauf hätten sie noch keinen einzigen Fisch gesehen, erzählte Diesel. Schließlich wurden zehn Tage daraus, in denen sie bei zwei Tauchgängen nahe genug an die Segelfische heran kamen.
Das Unterwassergehäuse fertigte Diesel selbst. Der gelernte technischer Zeichner, studierte Maschinenbauer und promovierte Zoologe betätigte sich bereits im Alter von 18 Jahren als Fotograf und Naturfilmer. Sein Unterwassergehäuse wiegt samt Inhalt, einer rund 120.000 Euro teuren Highspeed-Kamera vom Typ Phantom Flex, genau 18 Kilogramm. Es ist so konstruiert, dass sein Gewicht genau dem des Wassers entspricht, das es verdrängt. „Dadurch schwebt das Kameragehäuse im Wasser“, erklärte Diesel. „Die Phantom-Kamera ist eigentlich ein Computer“, so Diesel weiter. „Die gesamte Steuerung erfolgt über fünf Tasten sowie einem Drehrad für das Menü.“ Die Steuerung der Kamera auf entsprechende Bedienelemente des Unterwassergehäuses zu führen, sei die eigentliche Schwierigkeit an der Gehäusekonstruktion gewesen.
Seine Kamera ist mit einem 16 Gigabyte großen Ringspeicher ausgestattet. Dieser fasse etwa 5.000 Bilder in voller HD-Auflösung, so Diesel. Bei 3.000 Bildern pro Sekunde lasse sich damit nicht einmal zwei Sekunden filmen. Manche Auftraggeber forderten einen größeren Speicher. „Doch für 90 Prozent der Aufträge lohnt sich ein größerer Speicher nicht“, so Diesel. Die Kunst sei vielmehr, im richtigen Moment den sogenannten Trigger-Punkt zu setzen, der das Ende der Aufnahmen markiert. Die Highspeed-Kameras zeichnen fortlaufend auf den Ringspeicher auf und überschreiben dabei permanent den Inhalt. Sobald ein Schlusspunkt gesetzt wird, verbleiben die Bilder davor im Speicher. „Dann musst Du entscheiden, ob die Aufnahmen gut sind oder nicht.“ Nur mit Erfahrung, so Diesel, ließen sich die Filme rasch bewerten. Dafür könne er die Bilder auf einem Monitor an der Kamera anschauen. Sei er zufrieden, übertrage er die Bilder vom Ringspeicher auf einen angedockten Cinemag-Speicher. Die Speicher der Highspeed-Kamera sind offenbar kein Schnäppchen: 16 GB Ringspeicher kosteten rund 15.000 Euro, 130 GB Cinemag-Speicher 20.000 Euro.
Diesel filmte für Terra X auch Wasserfledermäuse im Stockdunkeln. Dies gelang mit einer Infrarot-Highspeed-Kamera vom Typ Typhoon HD IR. Mit ihrem 12-Bit-CMOS-Sensor ist sie für Wellenlängen unter 720 Nanometer empfindlich – für Mensch und Tier nicht sichtbar. Mit Infrarotstrahlern lassen sich nachtaktive Tiere daher ungestört filmen. Bei 2.000 Bildern pro Sekunde schafft die Kamera eine Auflösung bis 1.280 x 1.024 Bildpunkten. Damit gelang es, seltene Jagdszenen der Wasserfledermäuse einzufangen. Die Tiere orientieren sich im Dunkeln mit Ultraschallimpulsen, wobei sie einen Schalldruck von bis zu 140 Dezibel erzeugen. Für den Menschen unhörbar, tritt dieser Schalldruck etwa beim Start eines Düsenjets auf!
Neuland betrat auch Fotograf Stefan Diller. Ihm gelangen erstmals Kamerafahrten mit einem Rasterelektronen-Mikroskop. Für flimmerfreie Aufnahmen müsse das Präparat lückenlos mit einer elektrisch leitfähigen Oberfläche überzogen sein, so Diller. Für diesen Überzug verwendete er das hochgiftige Osmiumtetroxid – und bekam beim ersten Mal prompt eine Ladung ab. Doch schließlich gelangen Fahrten um das 1.000-fach vergrößerte Präparat – einem Glasflügelfalter. Dafür konstruierte Diller eine spezielle Halterung mit 20 Millimeter Durchmesser, die sich in acht Freiheitsgraden bewegen lässt. Aufnahmen mit einer Auflösung von bis zu 4K seien mit seinem Elektronenmikroskop kein Problem, so Diller. Er arbeitete insgesamt drei Jahre an dem Projekt, investierte allein 60.000 Euro in Material. Ein Bekannter schrieb die Steuerungssoftware.
Pierre Tirier, Inhaber der Firma Metafilm in Köln, drehte mit der Weisscam „HS-2 MKII“ für Terra X. Metafilm ist seit 25 Jahren auf Industriefilme, Werbung aber auch Naturfilme spezialisiert. Vor etwa zwei Jahren stieg Tirier in den Highspeed-Markt ein. „Vorher waren die Highspeed-Kameras zu sperrig“, meint Tirier. Für Tirier ist die Weisscam der Inbegriff für solide deutsche Wertarbeit – im Gegensatz zur eher zierlichen Phantom. „Ich habe mir beide Highspeed-Kameras angeschaut“, meinte Tirier, „die Bedienelemente der Phantom waren mir zu fummelig.“ Die Software und die Bedienbarkeit sprächen für die Weisscam. Die könne er auspacken und direkt aufs Stativ stellen – damit wäre er in zehn Minuten drehbereit. „Mit der Phantom benötige ich die doppelte Zeit“, so Tirier. „Wir filmen auch unter extremen Bedingungen, wie in Kasachstan oder der algerischen Wüste“, erzählte Tirier. Dort komme es auf absolute Robustheit und Zuverlässigkeit des Arbeitsmaterials an. Für die Bildqualität der Kameras seien nicht die Auflösung oder eine hohe ISO-Empfindlichkeit entscheidend. Die Signalverarbeitung gebe den Ausschlag, so Tirier. Der Knackpunkt liege im sogenannten De-Bayering, also wie das Rohsignal des Chips in ein HD-SDI-Signal gewandelt werde. Die Besonderheit an den Highspeed-Aufnahmen sei der Blick in die Vergangenheit: Ein Ringspeicher wird fortlaufend beschrieben, der Operator bestimmt mit dem Schlusspunkt, welche Bilder im Speicher verbleiben. Der 34 Gigabyte große Ringspeicher der Weisscam fasst bei 2.000 Bildern pro Sekunde etwa sieben bis acht Sekunden Material. Die Speicher können einen enormen Datendurchsatz verkraften und seien daher auch etwas teuerer als gewöhnliche Consumer-Festplatten.
Besonders fasziniert hätten ihn bereits bei der ersten Staffel die Aufnahmen der Band- und Löschszenen. Die Elemente Feuer und Wasser begeisterten ihn. Bei der zweiten Staffel wären die Drehs der Artisten des Zirkus Roncalli spannend gewesen, aber auch die Regenaufnahmen. „Natürlich ist für die Highspeed-Aufnahmen viel mehr Licht erforderlich“, erklärte Tirier. Denn in der Fotografie gelte bekanntlich: halbe Belichtungszeit, doppelte Lichtmenge. Daher wurden für die Highspeed-Drehs mit 2.000 Bildern pro Sekunde schon mal 140 Kilowatt an Scheinwerfern aufgebaut. Dies habe Studio Hamburg übernommen. Die Vorschaltgeräte der HMI-Gasentladungslampen müssen für die Hochgeschwindigkeitsaufnahmen höher getaktet werden. Sonst machen sich die Lichtphasen in einem „Pumpen“ der Bildhelligkeit bemerkbar. Die übliche 50-Herz-Taktung funktioniere hier also nicht. Spezielle Vorschaltgeräte takten die Scheinwerfer mit 1.000 Hertz. Dies reiche auch für Aufnahmen mit bis zu 4.000 Bildern pro Sekunde, so Tirier. Natürlich würde man bei der benötigten Lichtmenge keine kleinen Einheiten, sondern 6-kW-Scheinwerfer aufbauen. Der Aufwand ist enorm: Ein Tag sei allein für den Lichtaufbau nötig, zudem kommt ein sogenannter Selbstfahrer: Ein LKW, der mit einem großen Generator bestückt ist. „Doch den Lichtleuten macht es richtig Spaß, wenn sie sich mal austoben können“, erläuterte Tirier. Für die Regenaufnahmen wurde eine Regenmaschine aufgefahren. „Sie können einem ganzen Filmteam schwer erklären, es solle auf den nächsten Platzregen warten“, lachte Tirier. Nicht nur Superzeitlupe und Rasterelektronenmikroskop, auch Zeitrafferaufnahmen und der sogenannte Timemorph-Effekt erweiterten bei der Terra-X-Folge das Spiel mit der Zeit. Der Effekt wurde mit dem Film Matrix bekannt, bei dem die Kämpfer in der Bewegung einzufrieren scheinen, während die Kamera um sie herum fährt. Bei Terra X kamen 64 digitale Spiegelreflex-Kameras zum Einsatz, die an Traversen halbkreisförmig um das Motiv aufgebaut wurden. Die DSLRs werden verkabelt und an Laptops angeschlossen. Eine spezielle Steuerungssoftware löst die Kameras auf die Millisekunde genau aus – je nachdem, welcher Effekt gewünscht ist, beispielsweise synchron oder in einer zeitlich vorgegebenen Abfolge. Auch damit eröffnete „Schneller als das Auge“ ungeahnte Einblicke in die Bewegungen von Balletttänzern, Kampfsportlern und Zirkusartisten.
Jan Fleischmann
(MB 06/13)