Via App auf den TV-Schirm

Vernetzte TV-Geräte sind einer der großen Branchentrends. Sie holen Video- und Textinhalte via Internet auf den großen TV-Schirm ins Wohnzimmer. Dies scheint gerade für Verlage und kleinere Medienunternehmen sehr verlockend. Doch welchen Aufwand müssen sie für die App-Entwicklung einplanen?

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Via App auf den TV-Schirm

Der Musiksender putpat war einer der ersten Anbieter, die ihre Inhalte über Smart-TVs verbreiteten. Der Web-TV-Sender startete bereits 2009 auf Samsung Smart-TVs. Die Produktionsfirma TVRL mit Sitz in Köln betreibt den Musiksender. Thomas Bayer, Projektmanager bei TVRL, unterstreicht die Bedeutung der Smart-TV-Technik: „Die gesamte Smart-TV-Entwicklung ist sehr wichtig für unser Unternehmen.“ Das Musikprogramm werde meist in einer Lean-Back-Situation angesehen. Deutlich mehr Zuschauer betrachteten das Programm daher auf einem Smart-TV als am PC-Bildschirm. Die gesamte Palette an Smart-TV- und Mobilgeräte-Apps entwickelt TVRL selbst. „Wir haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht, die App-Entwicklung komplett bei uns im Haus vorzunehmen“, erläutert Bayer. Zudem würde man das Know-how im Team belassen.

Zwar basiert die Smart-TV-App-Entwicklung auf herkömmlichen Web-Technologien, wie Tobias Eilert, Entwickler bei TVRL, erklärt: „Es gibt einen übergeordneten Standard, der auf klassischen Web-Technologien wie XHTML oder JavaScript basiert.“ Seit einigen Jahren werde zunehmend HTML5 eingesetzt. Doch im Detail unterscheiden sich die einzelnen Geräte der Hersteller. Daher müssten sie die Apps für jedes einzelne Modell anpassen. „Das lässt sich mit einer Webseite vergleichen, die für jedes Betriebssystem und jeden Browser optimiert werden muss“, erläutert Eilert. Durch die zahlreichen Endgeräte im Markt wird der Aufwand für die App-Entwicklung jedoch stark in die Höhe getrieben. Die Anwendungen müssen nicht nur für jeden Hersteller zugeschnitten werden – sondern auch für die verschiedenen Modelle eines Herstellers und noch für die einzelnen Gerätejahrgänge. Unterm Strich sei jedes Modell unterschiedlich – das gelte auch für smarte Blu-ray-Player, erläutert Eilert. „Wenn man neu dabei ist, ist es sehr komplex, Apps für jeden Hersteller und jedes TV-Gerät anzupassen. Wenn man es länger betreibt, weiß man schon, auf welche Details man achten muss und spart daher bereits in der Entwicklung Zeit.“

Ein Beispiel seien etwa die unterschiedlichen Bildschirm-Tastaturen der Geräte-Hersteller. Mal seien die Tastaturen auf der unteren Hälfte, mal auf der linken Bildschirmseite platziert. Entsprechend müssten die Bildschirmmenüs angepasst werden. Dieser Aufwand ließe sich leicht vermeiden, indem man eine eigene Tastatur in die App einbinde.

„Die spezifischen Unterschiede der Geräte belaufen sich zudem auf bestimmte Frameworks (fertige Softwarebestandteile, d. Red.) oder herstellereigene Programmiersprachen“, erklärt Eilert. Doch jedes Jahr verschwänden die Unterschiede immer mehr, und es werde immer einfacher, Apps für Smart-TVs zu entwickeln. Auch HbbTV, das technisch eng mit Smart-TV verwandt ist, spielt eine große Rolle für putpat. „Jeder Distributionsweg ist wichtig“, betont Bayer. So nutze putpat etwa die HbbTV-Verbreitung über die Multithek von Media Broadcast. Diese wird per DVB-T in Ballungsräumen bundesweit via Satellit verbreitet. Daneben findet sich putpat im HbbTV-Portal der ProSiebenSat.1-Sendergruppe. Welche Überlegungen in die Entwicklung einer Smart-TV-Anwendung hineinspielen, verdeutlicht Tobias Möller, Leiter der Kommunikation der Berlin Phil Media GmbH. Das Unternehmen überträgt und vermarktet Konzerte der Berliner Philharmoniker über das Internet. Das Angebot lässt sich über die sogenannte Digital Concert Hall empfangen, ein virtueller Konzertsaal im Web-Browser, auf Smart-TVs und Mobilgeräten. Doch wie kam es dazu?

Den Anstoß dazu gab Olaf Maninger, erzählt Möller. Maninger ist Solo-Cellist der Berliner Philharmoniker und heute zugleich Geschäftsführer der Berlin Phil Media GmbH. „Der Grund war, dass die Konzerte häufig ausverkauft sind, und das Internet bietet nun mal eine tolle Möglichkeit, Konzerte weltweit zu übertragen“, erläutert Möller. Die Herausforderungen bei der Umsetzung lagen sowohl im technischen, finanziellen wie im rechtlichen Bereich. Technisch musste ein komplettes Studio installiert werden – doch die Konzerthalle steht unter Denkmalschutz. Zudem sollte die Aufzeichnung allein mit der Saalbeleuchtung erfolgen, um die gewohnte Konzertatmosphäre nicht zu beeinträchtigen.

Für die Finanzierung wurde die Deutsche Bank als Partner gewonnen. Sie ermöglichte es, die Zeit zu überbrücken, bis tragfähige Einnahmen erzielt wurden. Sony sponserte die gesamte Videotechnik. „Ab 2010 haben wir mit verschiedenen Herstellern von Smart-TVs zusammengearbeitet“, sagt Möller. „Für diese Geräte haben wir Apps entwickeln lassen, um die Digital Concert Hall auf den Fernseher zu bringen.“ Klassische Konzerte auf dem PC-Schirm am Schreibtisch anzuschauen, brächte schließlich nur das halbe Vergnügen. Die Zusammenarbeit war für alle Seiten ein Gewinn, meint Möller.

Smart-TV-Spezialist metamorph Medien

Die verschiedenen Digital-Concert-Hall-Applikationen für Smart-TV- und Mobilgeräte setzte das Berliner Software-Unternehmen metamorph Medien GmbH um. Die Entwicklung der aktuellen App-Version habe rund zwei Jahre gedauert, erläutert Dirk Matthias Rudolf, technischer Leiter des metamorph. Ein enormer Aufwand – für schlichte Apps müsse man bereits drei Monate einplanen. Hinzu komme die Validierung durch die TV-Geräte-Hersteller. Bevor diese eine Anwendung in ihren Portalen freigeben, prüfen sie deren Funktionstüchtigkeit. „Das machen alle Hersteller“, erläutert Jan Beardi, Entwickler bei metamorph. Selbst Google, das auf dem Play-Store bislang keinerlei Überprüfung durchführt, habe bei dem Smart-TV-Betriebssystem Android TV damit angefangen.

Beardi ringt mit den gleichen Hürden wie seine Kollegen bei putpat: „Die Schwierigkeit sind die unterschiedlichen Smart-TV-Plattformen der Hersteller“, weiß Beardi. Bei dem anspruchsvollen Design unserer neuen Berliner-Philharmoniker-TV-App sind die Technik und die Leistungsfähigkeit der Geräte maßgebend. Dies müsse etwa für die Benutzerführung berücksichtigt werden, ergänzt Rudolf. Während die Steuerung lange Zeit ausschließlich per Pfeil- und Eingabetaste erfolgte, werde nun zunehmend eine Steuerung per Maus-Zeiger eingesetzt.

Doch gerade in solchen Details unterscheiden sich die Geräte der Hersteller. Bei LG werde beispielsweise der Mauszeiger, der sich per Magic-Remote-Fernbedienung auf dem TV-Schirm lenken lässt, über proprietäre Schnittstellen angesprochen, erläutert Beardi. Auch die Smart-TV-Allianz, ein Zusammenschluss führender TV-Geräte-Hersteller, überbrückt diese Unterschiede offenbar nicht. „Einige Schnittstellen hat die Smart-TV-Alliance ausgespart“, weiß Beardi. „Die Smart-TV-Alliance ist theoretisch eine gute Idee.“ Doch in der Praxis ließe sich das schlecht umsetzen. „Unser Anspruch ist daher, eine Code-Basis zu erstellen und dann zu sehen, was auf den einzelnen Geräten funktioniert“, erläutert Beardi.

Das Videostreaming erfolgt bei der Digital Concert Hall über den CDN-Anbieter Amazon Cloud. Es sei technisch sehr anspruchsvoll, ein HD-Signal weltweit auszuliefern und es bis nach Australien reinzubekommen. „Wir bieten eine HD-Auflösung von bis zu 1080 Zeilen, wobei das Streaming adaptiv erfolgt“, verrät Möller. Als Videoformat verwendet die DCH H.264/AVC mit Datenraten von 700 Kbit bis 2,5 Megabit pro Sekunde, die je nach verfügbarer Internetverbindung ausgeliefert werden.

Bleibt zu klären, welche Zugriffszahlen die beiden unterschiedlichen Musikangebote via Internet erreichen. „Derzeit haben wir 500.000 registrierte Nutzer, die wir auch per Mailing anschreiben können“, sagt Möller. Tagesaktuell seien 21.000 Tickets verkauft. Dem gegenüber erscheinen die drei Millionen registrierten Zuschauer von Smart-TV-Pionier putpat gewaltig. Ein Grund ist sicherlich die enorme Reichweite von 90 Prozent aller Smart-TV-Geräte, die der Kölner Musiksender mit seinen Applikationen und Partnerschaften abdeckt.

Jan Fleischmann

MB 3/2015

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