Bewegtbild-Großoffensive beendet

Obwohl die digitalen Medien dem Axel Springer Verlag (ASV) den zweitgrößten Umsatz nach den inländischen Zeitungen und ein Rekordergebnis im ersten Quartal 2010 bescherten, werden die Web-TV-Aktivitäten des Konzerns jetzt wohl etwas zurückgefahren. Der bislang dafür zuständige Axel Springer Digital TV (ASDTV)-Geschäftsführer Klaus Ebert verlässt das Medienhaus im Juli 2010.

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Bewegtbild-Großoffensive beendet

Zur Erinnerung: Nachdem das Kartellamt 2006 dem Axel Springer Verlag die Übernahme der ProSiebenSat.1 AG verboten hatte, gab Vorstandschef Mathias Döpfner die Gründung der Axel Springer Digital TV (ASDTV) bekannt. Geplant war TV im Internet zu senden, Videos für das Internet zu produzieren und zu vermarkten. Das Internet-TV, so verkündete Döpfner damals, sei eine „interessante Alternative“ zur gescheiterten Übernahme der ProSiebenSat.1 AG. Das damalige Kartellamt-Urteil wurde übrigens Mitte Juni dieses Jahres noch einmal vom Bundesgerichtshof bestätigt.

Zum 1. Januar 2007 trat dann der RTL-Manager Klaus Ebert als Geschäftführer der ASDTV an, um digitales Fernsehen im Springer-Konzern aufzubauen. Seine Aufgabe war es eine digitale TV-Strategie für das Internet zu entwickeln, Videos zu besorgen, die Produktionslogistik und ein Video-Managementsystem im Hause ASV sicher zu stellen und perspektivisch neue eigene digitale TV-Kanäle für den Konzern auf die Beine zu stellen.
Das alles gelang Ebert, der zuvor Geschäftsführer und Programmchef von RTL Nord und Bereichsleiter Regionalkoordination bei RTL war, prima. Heute verfügt der ASV, zumal seine BILD-Gruppe, wohl über eines der größten Videoangebote unter den kommerziellen Web-TV-Anbietern.
Hinsichtlich der Nutzungsakzeptanz fand man beim ASV allerdings heraus, dass im Netz eher die kurzen, in den Web-Sites eingebundenen Videos beliebt sind, so dass man auf den Aufbau spezieller eigener Kanäle verzichtete.
Hingegen experimentierte Ebert mit Web-TV-Serien, wie sie im letzten Jahr noch Furore machten. Zusammen mit dem Versandhaus Otto als Sponsor und produziert von der MME ging die Berliner-Szene-Serie „Deer Lucy“ bei BILD.de auf Sendung, wofür die BILD natürlich PR-mäßig trommelte. Auch teamWorx produzierte für BILD.de eine 25teilige Comedy namens „Rauf und Runter“.

Danach schuf der ASV für Ebert die neue Position eines „Programmdirektor Bewegtbild“, womit er im September 2009 in die BILD-Gruppe im Range eines Mitglieds der BILD-Chefredaktion wechselte. Mittlerweile waren die ASDTV-Aktivitäten bereits so gut wie eingestellt, das Unternehmen gibt es gar nicht mehr. Nun gab der ASV bekannt, dass Ebert den Konzern Ende Juli 2010 verlässt, um sich selbstständig zu machen. Er werde das Unternehmen aber auch künftig bei der weiteren Umsetzung seiner Bewegtbildstrategie beraten. Dass nun die Online- und Mobile-Portale von BILD.de über eines der reichweitenstärksten deutschen Bewegtbild-Angebote im Internet verfügten, sei der erfolgreichen Arbeit von Ebert zu verdanken. Döpfner lobt: „Die Zusammenarbeit mit Klaus Ebert in den letzten vier Jahren war ein wichtiger Beitrag bei der Transformation der Axel Springer AG vom Printunternehmen hin zu einem multimedial integrierten Print-, Online- und Web-TV-Unternehmen. Wir danken ihm für seinen Einsatz und die erfolgreiche Weiterentwicklung im Online-TV-Bereich und freuen uns, dass wir auch in Zukunft auf seine Kompetenz nicht verzichten müssen.“

Einen Nachfolger für Ebert (56) wird es nicht geben. Denn die Verantwortung für die Web-TV-Aktivitäten bei BILD übernimmt das bestehende Bewegtbild-Team von BILD unter der Leitung von Daniel Durst (34). Durst, der auch schon den 100tägigen Blog von BILD-Chef Kai Diekmann mit Videos aufgepeppt hatte und den BILD-Lesern erklärte, wie sie gute Videos drehen sollen, damit diese eine Chance haben, auf der Plattform Bild.de gezeigt zu werden, soll offensichtlich das Angebot verjüngen.

So gibt es am 24. Juli einen Livestream von der Loveparade in Duisburg exklusiv auf www.bild.de zu sehen. Moderiert wird der zirka dreistündige Video-Livestream von Oliver Pocher.
„Die Übertragung einer Musikveranstaltung in dieser Größenordnung ist ein weiterer wichtiger Schritt in der Live-Berichterstattung von BILD.de“, so Durst. Die Livesendung präsentiert BILD.de in Kooperation mit der McFit GmbH, die 120 Fitnessstudios in Deutschland betreibt.
Überhaupt: Wie offensiv der ASV seine Bewegtbild-Strategie verfolgt, hängt nicht allein von der Akzeptanz der Nutzer ab. Wichtiger ist, ob sich die Aktivitäten auch in für den ASV nennenswerten Geldeinnahmen über Werbung oder Sponsoring umsetzen lassen. Zum Beispiel auch in Cross Media Kooperationen mit den ASV-Print-Produkten.
Während kleineren Web-TV-Betreibern die Einnahmen über geschaltete Werbespots vielleicht schon lukrativ genug sind, strebt ein Konzern wie der ASV natürlich immer nur riesige Reichweiten verbunden mit entsprechenden Einnahmen ein. Auch wenn immer mehr Web-TV im Netz geguckt wird, sind die Klickzahlen für jedes einzelne Video nicht so hoch, dass durch einen vor geschalteten Werbespot die Kasse tüchtig klingelt. Die großen Marken in der werbetreibenden Wirtschaft, die zu den ASV-Kunden gehören, zahlen erst dann höhere Summen, wenn die Effizienz und Wirkung nachgewiesen ist.

Die 149,2 Millionen Visits und erstmals über 2 Milliarden Page Impressions, die BILD.de laut IVW 5/2010-Messung im letzten Mai rekordverdächtig erzielte, waren nicht auf Bewegtbilder, sondern auf die Berichterstattung über aktuell interessante Themen zurückzuführen: der Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler und Lena Meyer-Landruts Beteiligung beim Grand Prix.
Welche Digitalen Medien sind es nun, die den ASV im ersten Quartal 2010 mit 160 Millionen Euro zu einem historischen Rekordergebnis mit verholfen haben? Das sind die eingekaufte Online-Jobbörse StepStone, die speziell in Großbritannien erfolgreichen Online-Marketingportale Digital Window und Perfiliate (buy.at) und die Content-Portale idealo (Preisvergleich) sowie gamigo, eine Plattform für Online-Games. Hier hat der ASV teils wieder Einnahmen zurück gewonnen, die durch die Abwanderung von Kleinanzeigen ins Internet als große Online-Portale etwa im Immobilien oder Gebrauchtwagenmarkt verloren gegangen sind. Zudem haben die Gewinnmargen beim ASV über Werbung in Zeitungen und Zeitschriften wieder zugelegt, weshalb Döpfner analysiert: „Der Abgesang auf das Print-Geschäft ist falsch“.
Erika Butzek
(MB 07/10)

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