Datenanalyse im Sport-TV: Nützlicher Zusatzservice oder Information Overkill

Datenerfassung und -Auswertung bei Sportevents können der TV-Berichterstattung zusätzlichen Input und deutlichen Mehrwert liefern. Die Möglichkeiten dazu sind vielfältig. Allerdings kann man auch viel falsch machen. Der Kommentar von Dr. Maximilian Schmidt in MEDIEN BULLETIN zeigt, welche Fallstricke es zu umgehen gilt.

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Datenanalyse im Sport-TV: Nützlicher Zusatzservice oder Information Overkill

Moskau, 15. Juli 2018. 37. Spielminute im FIFA WM-Finale zwischen Frankreich und Kroatien. Elfmeter für Frankreich nach Videobeweis beim Spielstand von 1:1. Bevor der französische Kapitän Antoine Griezmann zum Elfmeter antritt zeigt die TV-Regie der FIFA eine grafische Einblendung über die historische Platzierung von Elfmeterschüssen von Griezmann auf das Tor. Die Zuschauer können somit sehen, dass Griezmann bei seinen bisherigen Elfmetern keine bevorzugte Ecke hat, sondern sowohl links als auch rechts seine Schüsse platziert.

In meinen Augen ist dies eine sehr gelungene Einbindung von Spieldaten in die TV-Berichterstattung. Sie ermöglicht Zuschauer und Kommentator über die erwartete Ausführung und Platzierung des Elfmeters zu spekulieren und diskutieren. Leider ist dieses gelungene Beispiel immer noch die Ausnahme: Auch bei der FIFA WM 2018 in Russland wurde bis auf wenige klassische Spielstatistiken (u.a. Anzahl Schüsse, Schussgenauigkeit, Anzahl Pässe, Passgenauigkeit etc.) kein nennenswertes daten-basiertes Storytelling eingesetzt.

Dafür gibt es mindestens zwei wesentliche Gründe:

Erstens: In der Vergangenheit wurden oft Leistungsdaten ohne spielspezifischen Kontext im TV-Bild angezeigt. Das berühmtestes und leider auch oft sinnfreiste Beispiel: die Laufdistanz. Durch den nicht zur Verfügung gestellten Kontext der Leistungsdaten liefert die Information leider keinen Mehrwert für die Zuschauer. Was soll einem Zuschauer mit der Einblendung einer Laufdistanz mitgeteilt werden? Sind 12 km Laufdistanz für einen zentralen Mittelfeldspieler, wie beispielsweise Paul Pogba, viel oder wenig? Ist Bastian Schweinsteiger im WM-Finale 2014 gegen Argentinien mehr gelaufen? Läuft Paul Pogba normalerweise immer 12 km oder läuft er im Spielsystem der französischen Nationalmannschaft mehr als im Verein bei Manchester United? Der fehlende Kontext im Einsatz von Leistungsdaten und die daraus hervorgehenden enttäuschten Erwartungen sind sicherlich ein Grund dafür, dass die Nutzung von Leistungsdaten im TV-Bild teilweise zurückgegangen ist und mit einer gewissen Skepsis betrachtet wird.

Zweitens: Noch gelingt den Verbänden und Ligen nur unzureichend in engere Abstimmung mit TV- Rechteinhabern, Produktion , Regie und Redaktion ein daten-basiertes, redaktionelles Gesamtkonzept auf die Beine zu stellen. Eines wurde in der Vergangenheit oftmals vergessen: Datenanalyse als zusätzlicher Informationsgehalt funktioniert nicht ohne vernünftiges Storytelling. Die gesammelten Leistungsdaten können dem Fan das Spiel noch verständlicher vermitteln, Leistung wird greifbar und die Faszination für den Sport gesteigert. Ein Pressing-Index beispielsweise hilft dem Zuschauer ein besseres Gefühl dafür zu geben, in welcher Intensität und Qualität eine Mannschaft ein Gegenpressing ausübt. Und im Vergleich zu historischen Werten oder im Vergleich zur gegnerischen Mannschaft kann der Fan diese Leistung dann in einem relativen Zusammenhang setzen. Als Fan frage ich mich zum Beispiel: Ist das Pressing der Kroaten im Finale gegen Frankreich intensiver als das Pressing der Belgier im Halbfinale gegen Frankreich? Lassen sich womöglich dadurch unterschiedliche Spielverläufe erklären? Wie viele Torchancen sind nach einer intensiven Pressing- Phase entstanden und welche Spieler haben dazu am meisten beigetragen? Um diese Daten sinnvoll in das Spielgeschehen einzubetten, reicht es jedoch nicht, sie einfach einzublenden. Alle Beteiligten an der TV Übertragung müssen sich hierzu eng abstimmen und bereits im Vorfeld ein gemeinsames Konzept für die Elemente und Platzierung des Storytellings entwickeln.

Fazit: ein stärkerer Kontextbezug von Spieldaten sowie ein ganzheitlicher Ansatz zu daten-basierten Storytelling unter Berücksichtigung eines redaktionellen Konzeptes können in Zukunft ein noch besseres Spielerlebnis vermitteln.

Dr. Maximilian Schmidt ist Mitgründer und Geschäftsführer der KINEXON Sports & Media GmbH. Das Münchner Unternehmen entwickelt Technologien zur Echtzeitmessung und -analyse von exakten Positions- und Leistungsdaten für Vereine, Ligen und TV-Sender. (9/18)