Digitaler Gemischtwarenladen

Womit genau macht ProSiebenSat.1 seine großen Geschäfte, hat das noch was mit Medien zu tun? Oder hat sich der große deutsche TV-Konzern, was viele Branchenbeobachter behaupten, längst in einen digitalen Gemischtwarenladen mit angeschlossenen TV-Kanälen verwandelt? Warum wollen ProSiebenSat.1 und der Springer Konzern kooperieren? Quo vadis ProsiebenSat.1? eine Analyse.

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Digitaler Gemischtwarenladen

Die Quoten niedrig. Flops bei den Shows. Das große Sat.1-Experiment „Newtopia“ wird vorzeitig eingestellt. Frontman und Aushängeschild von ProSieben, Stefan Raab (48), der bislang ungezählte Sendeplätze in der Prime-Time besetzt, hat plötzlich keinen Bock mehr auf Fernsehmachen und zieht Ende 2015 von dannen. Die großen Programminvestitionen fehlen, die Qualität sowieso. Es sieht düster aus bei der ProSiebenSat.1-Gruppe, meinen Medienhistoriker. Doch wenn ProSiebenSat.1-Vorstand Thomas Ebeling anhebt, die neuesten Wirtschaftsdaten in Investor Relations-Manier der Börse zu verkünden, hängt der Himmel voller Geigen.

Seit seinem Amtsantritt vor rund sechs Jahren hat Ebeling Umsatz und Rendite kontinuierlich gesteigert. Den Wert der ProSieben-Aktie konnte er von unter einem Euro auf 46,50 Euro (6.8.2015) heben. „Wir treiben unsere Wachstumsstrategie mit voller Kraft voran“, betonte Ebeling anlässlich der Präsentation der Halbjahres-Bilanz 2015. Was die nackten Zahlen beweisen.

Content bleibt King

Im Vergleich zum ersten Vorjahres-Halbjahr konnte ProSiebenSat.1 seinen Gesamtumsatz um 12,2 Prozent auf 1,427 Milliarden Euro verbessern. Der größte Batzen davon, cirka 70 Prozent, in Höhe von rund einer Milliarde Euro wurde von der TV-Sendergruppe generiert. Fernsehen ist Kerngeschäftsfeld des Konzerns und Lieblingsmedium der Menschen geblieben. Immerhin 5,7 Millionen Euro trieb ProSiebenSat.1 allein im zweiten Quartal 2015 mit Programmen in HD-Qualität ein, für die die Zuschauer sogar extra zahlen. Darüber hinaus konnte die mittlerweile stark fragmentierte TV-Gruppe (Sat.1, ProSieben, kabel eins, sixx, Sat.1 Gold, ProSieben Maxx) sogar einen ganz besonderen Erfolg feiern. Man hat mit 29,8 Prozent den höchsten Zuschauermarktanteil seit zehn Jahren erreicht! Was zeigt: Erstens hat die Programm-Fragmentierung vollen Erfolg gebracht. Zweitens stört es Zuschauer und Liebhaber von Mainstream-Fernsehen offensichtlich im Gegensatz zu Kritikern nicht, wenn ProSiebenSat.1 etliche US-Serien wie beispielsweise „Big Bang Theory“ oder „Two and a half men“ in Dauerschleife sendet. Tatsache ist allerdings auch, dass die ProSiebenSat.1-Sender nicht üppig aber gezielt auch in neue eigenproduzierte Programme investieren. Beispielsweise hat Sat.1 für die TV-Saison 2015/2016 vier neue deutsche fiktionale Serien und drei deutsche Event-Movies mit renommierten Schauspielerstars geplant neben allerlei Show-, Comedy und Reality-Formaten. Bei ProSieben versucht man „Joko und Klaas“ als Alternative zu Stefan Raab zu positionieren und will ein Feuerwerk an neuen Shows zünden nebst einem „US-Serien-Power“-Programm. Auch die bei Jüngeren beliebte Samstagabend-Unterhaltung „Galileo Big Pictures“ soll im Spin off weiter entwickelt werden, unter anderem zur „vielleicht längsten Wissenssendung seit der Mondlandung“.

Erfolgreich ist auch der kleinste der drei Konzern-Geschäftsbereiche im ersten Halbjahr 2015 gewesen: Content Production & Global Sales, den die Tochterfirma Red Arrow verantwortet. Sie hat ihre Umsätze im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 76,5 Prozent auf 100 Millionen Euro gesteigert, wobei dies zuerst dem Produktionsgeschäft in den USA zu verdanken ist. Die für Sky Deutschland produzierte Krimiserie „100 Code“ ließ sich recht gut im Weltvertrieb vermarkten. Amazon hat bei Red Arrow bereits eine zweite Staffel von der Krimiserie „Bosch“ bestellt. Die Show „Married at First Sight“, die auch bei Sat.1 gute Quoten holte, wurde in 20 Ländern bis nach Australien verkauft. Ergo: Ebeling hat nicht vergessen, dass man im Fernsehgeschäft vor allem immer wieder neue Inhalte braucht, um die TV-Marken zu polieren. Er möchte aber offensichtlich speziell auch auf diesem Gebiet ein Global Player sein, um aus der Inhalte-Produktion möglichst viel Rendite im Weltvertrieb heraus zu holen, was mit typisch deutschen Produktionen nur selten gelingt. Aus dem klassischen Mediengeschäft, den Wurzeln von ProSiebenSat.1, hat sich Ebeling keineswegs verbschiedet.

Digital & Adjacent

Doch der wesentliche Wachstumsmotor, der laufend neue Geschäftsfelder erschließt, ist der zweitgrößte Konzernbereich, den man bei ProSiebenSat.1 „Digital & Adjacent“ nennt und der von Digital-Vorstand Dr. Christian Wegner geleitet wird. Hier wurde ein Umsatzplus im Vergleich zum Vorjahr von 26,1 Prozent auf 321,7 Millionen Euro erzielt. Die Musik, die in diesem Bereich spielt, klingt besonders gut, weil hier ein EBITDA-Anstieg von 17,8 Prozent erwirtschaftet wurde, wohingegen der EBITDA-Anstieg im TV-Geschäft bei mickrigen 4,7 Prozent liegt.

Es handelt sich um jenen Bereich, der für Außenstehende unübersichtlich wie ein Gemischtwarenladen wirkt, zumal Wegner beständig an verschiedenen Strippen zieht, um auszuprobieren, mit welchen digitalen Produkten man am meisten Geld verdienen kann. Es wird viel experimentiert. Und daraus werden Lehren für die Bündelung und Ordnung der einzelnen Geschäftsbereiche gezogen. Es werden neue Firmen und Internet-Portale gegründet oder eingekauft und Bestehende umorganisiert. Es ist auch jener Bereich, der künftig zusammen mit dem Springer-Konzern gemeinsame Geschäfte im Digitalen anstrebt.

Aktuell kapriziert sich Wegner im Bereich „Digital“ auf zwei Geschäftsfelder, nämlich E-Commerce-Portale einerseits. Das ist der aktuell wirtschaftlich wichtigere Bereich, weil er den größten Umsatz erzeugt. Und: Digitales beziehungsweise Internet-Entertainment andererseits, wobei hierzu auch der große Bereich Games mit rund 300 Mitarbeitern in Berlin gehört. Unter dem Rubrum „Adjacent“ übrigens werden die Bereiche Musik, Live-Entertainment, Events, Ticketing, Künstler- und Sportler-Management zusammengefasst, – Querfelder, die dem klassischen TV wie dem neueren digitalen Entertainment nutzen. Wegners Ziel ist, wie er selbst sagt, „die Sendergruppe zu einem digitalen Entertainment und eCommerce-Powerhouse“ auszubauen. Dabei, so wird der P7Si-Manager nicht müde zu betonen, bleibe TV „der Nukleus für unser Wachstum“. Gemeint ist insbesondere „die Reichweite und Werbekraft des Fernsehens“, mit der „jeden Tag Millionen Menschen angesprochen werden“. Diese Strahlkraft soll auch auf die neuen digitalen Produkte und Dienstleistungen übertragen werden.

Digitales Entertainment

Was hat ProSiebenSat.1 im Bereich Digitales Entertainment anzubieten? Da sind zunächst die verschiedenen TV-Senderportale im Internet, die sich an ihre speziellen Zielgruppen wenden. Einzelne Programme werden hervorgehoben, man kann Sendungen zeitversetzt gucken, alles ist bunt mit Zielgruppen-Werbung gemischt, die längst auch in Form von Bewegtbildern – als klassische Werbespots – platziert werden. Social Media wird als Marketinginstrument im Netz genutzt, um Zuschauer zu den Sendern und Programmen zu treiben und Kundenbindung zu betreiben. Relativ neu ist die 7TV-App, die alle ProSiebenSat.1-Sender und ihre Angebote in einer Mediathek bündelt – auch mit Games und Musikangeboten verknüpft. Wer über die App auch Live-Fernsehen gucken will, muss allerdings 3 Euro monatlich extra dafür bezahlen. Die App ist ausgerichtet auf das neue Mediennutzungsverhalten, das wiederum mit der Geräteausstattung verbunden ist. Speziell Jüngere schauen weniger über den großen Screen im Wohnzimmer TV, sondern über ihre mobilen Smartphones und Tablets.

Mit Maxdome und MyVideo hat ProSiebenSat.1 schon seit längerer Zeit zwei Video-Plattformen im Internet etabliert, die weitgehend vom TV unabhängige zusätzliche Unterhaltung bieten. Die kostenpflichtige VoD-Plattform-Idee Maxdome stammt noch aus Leo-Kirch-Zeiten. Hierfür hat man sich Rechte von Walt Disney und Sony Pictures Television gesichert wie auch von Events verschiedener Extrem-Sportarten. Maxdome hat im ersten Halbjahr 2015 ein deutliches Umsatzplus erwirtschaftet, zumal mit steigenden Online-Werbeeinnnahmen – zusätzlich zu den Pay-per-View oder Abonnement-Kosten.

Das werbefinanzierte Portal MyVideo, das am Standort Berlin entsteht, wurde einst gegründet, um beim Trend „Consumer Generated Content“ mitzumischen. Das hat sich nicht als Erfolg bewiesen, weshalb MyVideo umgebaut wurde. Anstatt nutzergenerierte Inhalte anzubieten, offeriert das Portal mittlerweile ausgewählte Programme aus dem Free-TV oder auch professionell produzierte Web-Only-Videos. Beispiel: „Der Lack ist ab“, eine Web-Serie mit jeweils 10-minütigen Episoden, in denen das renommierte Schauspieler-Paar Kai Wiesinger und Bettina Zimmermann die Herausforderungen des modernen Familienlebens parodieren, wozu es viel Productplacement gibt. Eingebunden sind hauseigene Musikportale sowie Promi-Klatsch und Tratsch. Jüngst hat die Sport1 GmbH mit MyVideo eine Bewegtbild-Kooperation vereinbart. Außerdem präsentiert MyVideo die Top 100 Web Video Charts, das heißt: die am häufigsten geklickten Videos im World Wide Web, wobei MyVideo auch von den Produktionen der ProSiebenSat.1-Tochter Studio 71 bestückt wird.

Studio 71 ist ein 2013 gegründetes Multichannel-Network (MCN) mit Sitz in Berlin. Um es zu internationalisieren, hat ProSiebenSat.1 bereits im letzten Jahr 82,8 Millionen US-Dollar investiert und dafür 75 Prozent der Anteile an Collective Digital Studio (CDS) erworben, einem der führenden MCNs in den Vereinigten Staaten. Was sind MCNs? Laut Definition von Googles Tochter YouTube handelt es sich um „Unternehmen, die mit mehreren YouTube-Kanälen verbunden sind“. Sie leisten, was auch Studio 71 tut: Unterstützung bei der Produktion von Web-Videos, der Finanzierung, Rechte-Verwaltung und Monetarisierung durch Aufbau eines möglichst großen Publikums. Studio71 produziert und aggregiert mittlerweile 200 Channels in seinem Netzwerk und generiert damit monatlich fast 300 Millionen Video Views. Wichtig für diese Web-only Formate ist es, YouTube-Stars aufzubauen, wofür Studio 71 rund 100 Partner unter Vertrag genommen hat. Darunter sind einige der bekanntesten so genannten YouTube-Creators in Deutschland wie Gronkh, Kelly MissesVlog und LeFloid, der als Kanzlerin-Interviewer Furore gemacht hat und obendrein für die ARD Schwung in den geplanten Jugendkanal bringen soll. Branded Entertainment Produktionen für Sony, Axe oder Ubisoft gehören ebenso zum Studio 71-Spektrum.

Nicht zu vergessen: Mit 7NXT hat ProSiebenSat.1 eine weitere Firma in Berlin gegründet, die man „Digital Business Builder“ nennt, und die für die Bereiche Gesundheit, Fitness und Wohlfühlen neue Videos für Internet-Portale kreiert. 7NXT hat eine Kooperation mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) vereinbart und 57 Prozent an der DOSB New Media GmbH übernommen, die die Plattform Sportdeutschland.tv betreibt. Diese Plattform, die bislang ein Nischendasein führt, will ProSiebenSat.1 über TV-Werbung promoten und mit Online-Video-Werbung kapitalisieren, um so das Thema Breitensport zu besetzen.

„Wir wollen in Sachen Webproduktion, Aggregation und Vertrieb neue Maßstäbe setzen – zum Vorteil der Online-Community ebenso wie für Werbetreibende, die ihre Zielgruppen passgenau erreichen können“, nennt Wegner als Ziel für digitales Entertainment und insbesondere Studio71. Um Online-Werbung treffsicher und automatisiert maschinell zu platzieren, hat er in den Ausbau der Kompetenz im Bereich „Programmatic Advertising“-Technologien investiert. So hat die ProSiebenSat.1-Gruppe 51 Prozent an der Virtual Minds AG erworben  und die Anteile an Smartstream.TV von 25 auf 80 Prozent aufgestockt. Virtual Minds ist einer der führenden europäischen Spezialisten im Bereich digitaler Advertising- und Mediatechnologien mit eigenem Rechenzentrumsbetrieb. Smartstream.TV ist eine automatisierte Handelsplattform für digitale Bewegtbildwerbung und mit mehr als 300 Millionen Video Views pro Monat einer der größten Anbieter von Video Advertising-Flächen in Deutschland und Europa. Laut Wegner „passen beide Unternehmen hervorragend zusammen und machen uns fit für den Wettbewerb im 21. Jahrhundert“.

E-Commerce-TV als Verkaufsmaschine

Schon 2010 hatte Ebeling eine super Geschäftsmodell-Idee, die operativ von Wegner umgesetzt wird, und immer mehr lukrative Früchte bringt und den höchsten Umsatzanteil in seinem Digital- und Adjacent-Bereich liefert. Er hat Startups Werbepräsenz bei den Sendern der TV-Gruppe ermöglicht, wofür man im Gegenzug von ihnen entweder Unternehmensanteile nach dem Prinzip „Media for Equity“ oder eine Umsatzbeteiligung nach dem Prinzip „Media for Revenue Share“ erhält. Hintergrund ist, wie Wegner erklärt, dass das Angebot an TV-Werbezeit schon seit vielen Jahren weit höher als der Bedarf dafür ist. Kein Wunder: Durch die Fragmentierung der ProSiebenSat.1-Senderkanäle steht auch ein Vielfaches an Werbezeiten zur Verfügung, das man nicht mehr an die werbetreibende Wirtschaft verkaufen kann, zumal wenn man die relativ hohen Preise, die für das Lieblingsmedium Fernsehen aufgesetzt worden sind, aufrecht halten will. Prominentestes Beispiel, wie TV-Werbepower eine E-Commerce-Plattform beflügeln kann, ist bis heute das Unternehmen Zalando. Das Geschäftsmodell läuft nach wie vor prima, wobei ProSiebenSat.1 über seine dafür verantwortliche Vermarktungstochter SevenVentures über 50 Media-Partnerschaften zu Startups aus dem E-Commerce-Bereich hält.

In diesem Prozess haben Ebeling und Wegner gelernt, dass es auch lukrativ für ProSiebenSat.1 sein kann, parallel zur Strategie aus neuartigem Werbezeiten-Verkauf Cash zu machen, die E-Commerce-Betreiber mit Mehrheitsbeteiligung als Tochterfirmen unter dem eigenen Konzern-Dach zu halten, zumal, wenn man sie als „Verticals“ bündeln kann. Ein Beispiel dafür ist die Seven Travel GmbH. Hier sind die Internet-Portale von Tropo (preisgünstige Pauschal- und Lastminute-Reisen), dem Online-Reisebüro „Reise.com“, Billiger-Mietwagen.de, weg.de, ferien.de, Wetter.com und MyDays gebündelt. Von Juni 2014 bis Juli 2015 hat ProSiebenSat.1 damit einen Umsatz von mehr als 160 Millionen Euro erwirtschaftet – bei einer EBITDA Marge über 20 Prozent! Dabei wird auch das Travel-Cluster mittlerweile internationalisiert: Wetter.com ist in Spanien gestartet als „tiempo.es“. Billiger-Mietwagen ging in Frankreich an den Start, unter dem Namen „carigami“. Tropo gibt es nun auch in den Niederlanden.

Beflügelt vom tollen Rendite-Erfolg will Wegner nun ein zweites Vertical bilden, ein „Online Comparison Portal“. Dazu hat ProSiebenSat.1 seine bislang größte Digital-Investition getätigt, um für einen Kaufpreis in Höhe von 170 Millionen Euro 80 Prozent von Verivox zu übernehmen, eine E-Commerce-Plattform, die unter anderem die Strompreise vergleicht. Das passt prima zum schon vorhandenen Vergleichsportal Preis.24. Auf der Suche nach E-Commerce-Portalen, die gut zur Zielgruppenstrategie des Konzerns passen, hat Wegener auch den Online-Shop für das Liebesleben, Amorelie, entdeckt, sowie Laconi.de, Deutschlands zweitgrößtem Online-Shop für Parfüm, Make-up und Kosmetik, an denen ProSiebenSat.1 jetzt 75 beziehungsweise 100 Prozent der Anteile hält. Langfristig geht Wegner davon aus, dass man den Verkaufserfolg der E-Commerce-Portale nicht nur durch die TV-Werbepower beflügeln kann, sondern hauseigene Produkte direkt über TV verkaufen kann, zumal wenn der TV-Zuschauer via HbbTV direkt zum Bestellvorgang im Internet gelangt. Das heißt: Kommerz-TV wird nicht nur zu einer automatisierten Werbe-, sondern auch zu einer echten Verkaufsmaschine. Schon seit 2013 hat Wegner in Berlin ein Förderprogramm für Startups in der frühen Gründerphase aufgelegt, wofür in München die ProSiebenSat.1 Accelerator GmbH gegründet wurde. An dem Programm haben bereits 30 Firmen teilgenommen. Künftig will Wegner das Programm verstärkt auf Consumer-Startups fokussieren, deren Unternehmen schon weiter vorangeschritten sind, und die mit TV-Werbung ihr Wachstum beschleunigen möchten. Wobei er nach solchen digitalen Handelsplattformen sucht, die wie der Reisemarkt oder einst Zalando, insbesondere für eine Bewegtbild-Werbung geignet sind und zu den ProSiebenSat.1-Programmen passen. So will Wegner den Accelerator stärker in den Konzern und seine Vermarktungsaktivitäten einbinden.

Internationalisierung

Ende Juli 2015 kündigte ProSiebenSat.1 an, künftig gemeinsam mit der Axel Springer SE innovative digitale Geschäftsideen und Startup-Projekte zu fördern, um – wie es patriotisch heißt – „den Digital-Standort Deutschland auch international besser zu positionieren“. Dazu sind gemeinsame Investitionen in Unternehmen und Fonds, eine Vernetzung der Inkubations- und Accelerator-Programme sowie Media-for-Equity-Investitionen geplant, heißt es etwas schwammig.

Tatsächlich haben beide Konzerne im Digitalbereich viele ähnliche Interessen. So generiert Springer Umsatz bereits zu über 60 Prozent aus digitalen Geschäften, wobei der größte Wachstumsmotor wie bei ProSiebenSat.1 der E-Commerce ist. Der wird bei Springer von zwei der drei operativen Konzern-Geschäftsbereiche vorangetrieben, die neben dem klassischen Verlagsgeschäft („Bezahlangebote“) mit gedruckten Zeitungen und Zeitschriften stehen und bei Springer „Rubrikenangebote“ und „Vermarktungsangebote“ heißen. Das sind viele erfolgreiche E-Commerce-Portale für Stellen- und Immobilien Angebote (etwa StepStone und Immonet), Preisvergleichs-Plattformen (etwa idealo und kaufDa) oder zielgruppenspezifische Konsumangebote wie aufeminin.com. Über die Zanox-Gruppe verfügt Springer auch über versiertes Technik-Know-how für das automatisierte Marketing. Im E-Commerce-Bereich sind ProSiebenSat.1 und Springer national gesehen in erster Linie Konkurrenten. Doch gilt die Faustregel: Je internationaler und global dominanter eine Internet-Plattform ist, umso größeren Cash kann sie mit geringeren Finanzierungsanstrengungen automatisiert machen, wie es beispielsweise Google beweist. Nur muss man erst einmal mächtig Kapital in das richtige Unternehmen investieren. Das könnte eine gemeinsame Anstrengung der beiden großen deutschen Medienkonzerne wert sein.

Wie ProSiebenSat.1 ist auch Springer als Accelerator auf der Suche nach Startups, die man erst fördern und dann daraus Cash machen kann. So hatte Springer beispielsweise im Oktober 2013 für 22 Millionen Euro einen Mehrheitsanteil (50,1 Prozent) an der Runtastic GmbH, einem Anbieter mobiler Apps zur Messung von Sport und Fitnessdaten, gekauft und Anfang August dieses Jahres für propere 220 Millionen an Adidas weiter verkauft.

Ob ProSiebenSat.1 oder Springer: Beide haben internationalen Scouting-Networks, insbesondere auch in den USA und Israel aufgebaut, um auf der ganzen Welt erfolgversprechende Startups ausfindig zu machen.

Das alles hat natürlich nichts mehr mit publizistisch ausgerichteten Medien zu tun. Alles dreht sich vielmehr um einen schnellen digitalen internationalen Handel. Längst unterstützt ProSiebenSat.1 auch zukunftsfähige US-Unternehmen im Rahmen seines Media-Investment-Modells dabei, sich im attraktiven deutschen Markt zu etablieren, zum Beispiel Shopkick, Betreiber der gleichnamigen Mobile-Shopping-App.

Um den digitalen Handel nicht nur national, sondern auch europaweit zu forcieren, hat Wegner die „European Media Alliance“ initiiert. Dazu gehören neben ProSiebenSat.1 acht weitere europäische kommerzielle TV-Sender, die einen Großteil des europäischen Kontinents abdecken. Namentlich: TF1 (Frankreich), Channel 4 (UK), Modern Times Group, MTG (Skandinavien), TVN (Polen), Dogan (Türkei), Antenna Group (Griechenland, Serbien, Slowenien), Samona (Benelux und Finnland), Mediaset (Italien & Spanien). Gemeinsam will man nach dem Ebeling-Modell „Media for Equity“/„Media for Revenue Share“ das Wachstum von E-Commerce-Plattformen nach vorne treiben.

So hat ProSiebenSat.1 schneller als die Politik das Fundament für einen europäischen Binnenmarkt gelegt, indem TV-Sender mit ihrer Werbepower den digitalen Handel nach vorne treiben können. Wegner: „‘Creating new grow‘ bleibt unser Leitmotiv“.

Erika Butzek

MB 6/2015

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