Traurig um den Wegfall seines Jobs als ARD-Vorsitzender ist SWR-Intendant Peter Boudgoust nicht. Als er vor der Presse in Berlin seinen Schlussbericht referierte, räumte er ein, dass die „Doppelbelastung“ in den beiden letzten Jahren nicht nur erfreuliche Momente gehabt habe. Ein ARD-Vorsitzender sei nämlich „kein Diktator auf Zeit“. Der Schwerpunkt der Tätigkeit liegt vielmehr auf der Koordination der verschiedensten Interessen der neun ARD-Anstalten, die zusammen Das Erste bilden.
Boudgoust bedauerte selbstkritisch, dass es auch unter SWR-Vorsitz nicht gelungen sei, die Anzahl der Arbeitsgruppen und Meetings „zur Vereinfachung und Beschleunigung der Entscheidungswege“ bei der ARD zu reduzieren. Im Gegenteil, sie seien sogar noch angestiegen. Dennoch sei ihm eines seiner Ziele gelungen, nämlich Kooperationen zwischen den einzelnen Landesrundfunkanstalten voranzutreiben. Mit schwäbischer Zurückhaltung lobte er sich selber: „Da sind wir nun wirklich erfolgreich gewesen und dürfen uns gegenseitig – ausnahmsweise auf die Schultern klopfen“.
Konkrete Kooperationen wurden zum Beispiel in Bezug auf Sportgroßveranstaltungen vereinbart, um den Einzelaufwand der Anstalten zu minimieren und Einsparungen zu realisieren. Ebenso soll es eine intensivere Abstimmung unter den einzelnen ARD-Verwaltungen geben, um bei Investitionen in Bezug auf die Digitalisierung und Verwaltungs- und Produktions-IT notwendig werden, günstigere Konditionen für die Beschaffung zu erzielen. So hat der SWR bereits Kooperationen mit dem HR, dem NDR und dem WDR vereinbart. Es gibt bilaterale Kooperationsvereinbarungen zwischen SWR und SR sowie NDR und RB. Seit letztem Jahr kooperiert der RBB mit dem MDR, auch in Bezug auf das Programm. Der WDR lagert seit Jahresbeginn seine IT-Abteilungen aus und will enger mit dem NDR zusammen arbeiten. Es wurde ebenso eine Online-Kooperation zwischen ARD und Deutsche Welle geschlossen.
Zudem haben beispielsweise SWR und WDR ihre Zuständigkeit für die Themenbereiche Recht und Europa so neu geordnet, dass sie sich nicht mehr überlappen. Als Resultat löst beispielsweise der SWR sein Fernsehstudio in Straßburg auf und bündelt seine Gerichtsberichterstattung (u.v.a. Bundesverfassungsgericht) in Karlsruhe, wohingegen sich der WDR jetzt mit seinem Studio in Brüssel auf die Berichterstattung über das Europaparlament und den Europarat kapriziert. Ebenso wurden etliche Umstrukturierungen und Veränderungen im gesamten ARD-Korrespondentennetz vorgenommen, zum einen mit Blick auf die Veränderungen der weltpolitischen Lage, zum anderen, um Synergien zu gewinnen.
Solche Kooperationen und Koordinierungen, die man von außen gesehen als selbstverständlich halten könnte, um Geldverschwendung zu vermeiden, sind im ARD-Gefüge nicht leicht zu realisieren, da jede Landesrundfunkanstalt eine politisch-föderale Autonomie besitzt, die sie in früheren Jahren operativ auch voll umgesetzt hat. „Jeder macht alles“ sei aber längst nicht mehr zeitgemäß und finanzierbar, warnte Bougoust und gab sich überzeugt, dass die Kooperationen auch „ein zentrales Thema der kommenden Jahre bleiben werden“.
Auch die ARD muss sparen. Schon aus strategischen Gründen gegenüber den Politikern, denen es zu beweisen gilt, dass weder die aktuellen Gebühreneinnahmen, noch die ab 2013 anvisierte Haushaltsabgabe für ARD/ZDF mit Geldverschwendungen verbunden sind.
Auch darf zum einen für integrierte Online- oder andere digitale Aktivitäten kaum mehr Geld bei der KEF beantragt werden. Zum anderen rechnet die ARD bis 2012 mit relativ drastisch sinkenden Gebühreneinnahmen in Höhe einer dreistelligen Millionenzahl, die durch Einsparungen aufgefangen werden muss. Allein Intendantin Monika Piel hat eine Finanzierungslücke von rund 100 Millionen Euro für den WDR ausgelotet. So will die ARD beispielsweise auch im Gemeinschaftsetat der Degeto und bei Sportrechten sparen, in den Jahren 2011 bis 2012 insgesamt 40 Millionen Euro in Bezug auf den Kauf von Rechten und Lizenzen. Nach Beendigung der analogen Satellitenverbreitung zum vereinbarten Termin am 30. April 2012 hofft die ARD ebenso einen großen Kostenbatzen zu sparen.
Insgesamt wurde die Amtsperiode von Boudgoust durch eine Reihe undankbarer Themen geprägt. Neben der komplizierten Gebührenreform hatte er allerlei unangenehme medienpolitische Auseinandersetzungen am Hals. Allein die Umsetzung der so genannten Dreistufentests hatte zu 300 Gremiumssitzungen der ARD-Rundfunkräte geführt und zu mehreren tausend Seiten Unterlagen und Gutachten.
Dabei war Boudgoust obendrein in einen unerklecklichen Zoff mit den Zeitungsverlegern geraten, die die ARD in ihren Blättern unter anderem wegen ihrer Internet-Expansionspläne wüst beschimpften.
Schon vor Amtsantritt hat WDR-Intendantin Monika Piel daraus Konsequenzen gezogen und neben ihrer eigenen Pressestelle zwei weitere Pressesprecher berufen, die ganz speziell die ARD-Argumentation in der Öffentlichkeit verbreiten sollen, zumal, wenn die ARD wiederholt in die Defensive geraten sollte, hieß es. In Bezug auf das Programm von Das Erste hat Boudgoust zusammen mit Programmdirektor Volker Herres vor allem eine neue Programmstruktur auf die Schiene gesetzt, die ab Herbst 2011 greifen soll, aber erst in der Ära Piel realisiert und konkretisiert werden muss.
Als Fixpunkt für das neue Programmschema von Das Erste wurde festgelegt, dass die „Tagesthemen“ in Zukunft von Montag bis Donnerstag einen einheitlichen Sendebeginn um 22.15 Uhr haben sollen und um Punkt 00.00 Uhr das „Nachtmagazin“ starten soll. Damit soll ein „verlässliches Gerüst an aktuellen Nachrichtensendungen über den gesamten Tagesverlauf im Ersten“ entstehen.
Weil nun aber Günter Jauch ab 2011 anstatt Anne Will den prominenten Sendeplatz des politischen Talk am Sonntag nach dem „Tatort“ übernehmen wird, obwohl auch Wills Quoten wie die von Frank Plasberg („Hart aber Fair“), „Maischberger“ und „Beckmann“ exzellent bis prima sind, gab es das Problem, wie die nun insgesamt fünf Prime-Time-Talks über die Woche verteilt werden sollen. Dabei gerieten auch der Sendeplatz für die politischen Magazine „Report“ und „Fakt“ wie der Sendeplatz für das Wirtschaftsmagazin PlusMinus mit in die Rochade. Hier soll es unter den einzelnen Redaktionen der jeweils verantwortlichen einzelnen ARD-Anstalten ein Hauen und Stechen um die besten Sendeplätze gegeben haben. Das, so kommentierte Anne Will, die 2010 zur erfolgreichsten Talk-Queen gekürt worden war, im Spiegel sei „nicht elegant“ gewesen und habe auch für sie zu einer „monatelangen Hängepartie“ geführt.
Neben Jauch ist Plasberg als Gewinner des neuen Programmschemas hervorgegangen. Plasberg darf ab Herbst 2011 dann jeden Montag schon um 21.00 Uhr „hart aber fair“ talken, ein Sendeplatz, der bislang für Dokumentationen reserviert ist, die künftig auf 22.45 Uhr geschoben werden sollen.
Diese Entscheidung hat der ARD eine Fülle von Protesten eingebracht, den insbesondere ein offener Brief der AG DOK ausgelöst hatte, in der sich die vielen kleineren deutschen Dokumentarfilmer – meist Einzelkämpfer, die sich gesellschaftspolitisch engagieren – zusammengeschlossen haben. Indem die Montags-Doku, so hatte die AG DOK aus widersprüchlichen Pressemitteilungen der ARD interpretiert, „verschwinden“ solle, wolle man dem Genre „den entscheidenden Schlag versetzen“.
Der ARD wurde unterstellt, der quotenorientierten Programmphilosophie von RTL näher zu stehen, als dem öffentlich-rechtlichen Auftrag, den sie zu erfüllen habe. „Mit dem auf wenige kümmerliche Reste zurückgedrängten Dokumentarfilm“, so der offene Brief, gehe „dem Gemeinschaftsprogramm der ARD der genaue, sorgfältig recherchierte und hintergründige Blick auf die Wirklichkeit verloren, denn Talk-Shows können den sozialen gesellschaftspolitischen und kulturellen Dimensionen des dokumentarischen Fernsehens nicht ersetzen“.
Dieser fundierten Analyse schlossen sich nicht nur die Medienberichte in den Zeitungen, sondern eine Reihe von prominenten Persönlichkeiten so oder so ähnlich an: von Ex-WDR-Intendant Fritz Pleitgen bis zum Kulturstaatsminister Bernd Neumann, der seinen Protest gegen die ARD-Entscheidung als eigene Pressemitteilung veröffentlichte, ohne damit direkten Erfolg zu haben.
Doch auch nachdem Boudgoust und Herres auf ihrer Pressekonferenz in Berlin die Entscheidung noch einmal bekräftigt hatten, distanzierten sich die Rundfunkräte von BR und HR von dieser Entscheidung, indem sie eine unzumutbare Talk-Show-Schwemme zu ungunsten der Dokumentation beklagten. Ein Thema, mit dem sich Piel als Nachfolgerin von Boudgoust gleich bei ihrem Amtsantritt in etlichen Interviews konfrontiert sah.
Allerdings waren die Proteste eher kurzatmig und schief geraten. Der Blick auf den aktuellen Dokumentationsplatz, montags 21 Uhr, zeigt, dass dort vorrangig Themen wie das Leben von Adligen oder „Fernsehlieblinge – Deutschland, deine Schlager“ behandelt werden. Die gesellschaftspolitisch engagierten Dokumentaristen sind schon seit einigen Jahren im Ersten vertrieben worden und haben Reihen wie „unter Deutschen Dächern“ oder „Das rote Quadrat“ längst verloren. Wenn überhaupt, gehen sie eher um Mitternacht auf Sendung.
Der eigentliche Skandal ist also eher, dass die gesellschaftsrelevante Dokumentation unterm Dach von Das Erste redaktionell nicht so gehegt und gepflegt worden ist, dass sie auch in der Akzeptanz von einem breiteren Publikum Erfolg haben kann. Zum Beispiel auch als Gegenpart zu den trivialen Doku-Soaps („Skripted Reality“) wie sie zum Beispiel RTL am Nachmittag unter dem Titel „Mitten im Leben“ zeigt, die Herres als „banal bis anal“ bezeichnete. In den Programmen der Dritten der ARD gibt es allerdings immer noch viele gute Dokumentationen zu sehen wie auch auf ARTE. Piel betonte gleich bei ihrem Amtsantritt als ARD-Vorsitzende Anfang Januar vehement, dass es nicht weniger, sondern eher mehr aktuell-politisch gefärbte Dokumentationen beim Ersten geben werde, zumal der Natur-Doku-Sendeplatz Montags um 20 Uhr 15 dafür geöffnet werde.
Und Herres hat in Bezug auf die Talk-Show-Schwemme angekündigt, „eine sinnvolle Abstimmung von Themen und bei der Gästeauswahl“ vorzunehmen. Dafür werde eine neue Koordination etabliert. Als Programm-Highlights 2011 hat Herres auch Dokumentationen an den Jahrestagen von Tschernobyl, der Love-Parade 2010 und des 11. September 2001 angekündigt, die die Hintergründe und Geschehnisse filmisch aufarbeiten sollen. Die beim Gesamtpublikum recht erfolgreichen fiktionalen Serien und Reihen von den Sonntagskrimis „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ über „Um Himmels Willen“, Tierärztin Dr. Mertens“ und „Mord mit Aussicht“ werden um die neue Serie „Das Glück dieser Erde“ ergänzt, es wird eine Reihe neuer Kommissare geben und wieder eine Vielzahl von Movies aus der Produktionsschmiede der Degeto, die alle zusammen den fiktionalen Schwerpunkt der Prime-Time von Das Erste prägen. Es wird ebenso mehrere neue fiktionale Event-Zweiteiler und Miniserien geben und Kinoproduktionen wie „Willkommen bei den Sch’tis und „Die Päpstin“ als TV-Premiere. Zu den Highlights im Unterhaltungsprogramm soll beispielsweise „Das neue Star Quiz“ mit Kai Pflaume gehören, der von Sat.1 zur ARD abgewandert ist.
Last but not least wird das Vorabendprogramm, die Werbezeit, zwischen 10 und 20 Uhr im Ersten umgestrickt. Dieser Reform fällt nach 18 Jahren „Marienhof“ ab Mai zum Opfer. Stattdessen wird die Telenovela „Verbotene Liebe“ verlängert und es soll neben wissensorientierter Unterhaltung „regionale, humorvolle Krimis“ wie das „Großstadtrevier“ geben.
Damit werden 2011 etliche neue Programmweichen für das Erste gestellt, die WDR-Intendantin Piel steuern und mit den verschiedensten Verantwortlichen koordinieren muss, insbesondere medienpolitisch. Gleich bei ihrem Amtsantritt als ARD-Vorsitzende ist Piel in die Offensive gegenüber den Zeitungsverlegern gegangen, denen sie Kooperationen anbieten möchte. So will sie zusammen mit den Verlegern ewas gegen „den Geburtsfehler des Internets – kostenlose Inhalte“ unternehmen. Auch ARD-Apps sollen nach ihrer Vorstellung kostenpflichtig werden. Eine Idee, die jedenfalls ein Zeitungsverleger, Springer-Chef Mathias Döpfner, grundsätzlich unterstützt. Und falls sich herausstellen würde, dass die ab 2013 geplante Haushaltsabgabe mehr Geld als die aktuellen Gebühren in die ARD-Kasse spülen werde, wäre „mein Traum“, so Piel, dass dies zu einer Senkung der einzelnen Haushaltsgebühren führen würde. Im Klartext: Piel gäbe sich mit dem Einfrieren der ARD-Einnahmen in Höhe von aktuell rund 5,4 Milliarden Euro jährlich zufrieden.
Rosarote Erwartungen an ihre Amtszeit als ARD-Vorsitzende hegt Piel aber offensichtlich nicht. Ihrem hauseigenen Radiosender WDR 2 verriet sie, dass es wohl nicht möglich werden könne, dass sie all das, was sie selbst für richtig halte, auch politisch durchsetzen könne: „Ich bin leider nicht die ARD-Vorgesetzte, sondern nur die Vorsitzende“, sagte sie. Anders als Herres, den es als Programmdirektor natürlich wurmt, dass RTL 2010 Das Erste die Quotenmarktführerschaft auch beim Gesamtpublikum abgenommen hat, ist von Piel die Ansage bekannt, sie könne auch gut damit leben, wenn das Erste nur auf Platz zwei oder drei liege.
Den neuen „Gespächssendungen“-Programmkurs, den das Erste dann ab kommenden Herbst realisieren will, hatte Boudgoust damit begründet, er würde genau die „Informationsvermittlung und Meinungsbildung“ unterstützen, die die Demokratie brauche. Die könne man „nicht erst fordern und dann darüber mäkeln“, sagte er in Richtung Politiker: „Wir machen es nicht wegen der Quote. Aber ohne Quote“, so Boudgoust, „macht der öffentlich-rechtliche Auftrag keinen Sinn“. Piel bleibt ganz auf Boudgousts Linie, drückt es aber mit anderen Worten aus: „Man kann nicht einfach ins Nirwana senden“, vielmehr müsse man mit dem vielen Geld „eine breite Mehrheit“ erreichen. Gleichwohl wünscht sich Piel für das Programm „mehr Innovation, mehr Schräges“. Und als ehemalige engagierte Radiojournalistin und WDR-Hörfunkprogrammdirektorin kündigte Piel an, als ARD-Vorsitzende das Radio stärker ins Visier zu nehmen.
Erika Butzek
(MB 02/2011)