Nur einen Schuß frei

Eine durchwegs positive Bilanz mit Blick auf die Entwicklung des digitalen Antennenfernsehens in Deutschland zogen die Referenten des Zukunftsforums DVB-T am 20. Oktober im ZDF-Kongresszentrum in Mainz. Die Veranstaltung wurde von der Fernseh- und Kinotechnischen Gesellschaft (FKTG) und MEDIA BROADCAST im Rahmen des Rhein Main Events (RME) 2009 organisiert. Die Teilnehmer des Forums forderten eine konzertierte Aktion zur Einführung der nächsten Generation der digitaler terrestrischer Übertragungstechnik (DVB-T2).

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Nur einen Schuß frei

„DVB-T ist eine Erfolgsstory“ erklärte Helmut Egenbauer, CEO von MEDIA BROADCAST in seiner Eröffnungsrede zum Zukunftsforum DVB-T in Mainz.
Seine Bewertung der ersten vollständig digitalisierten Rundfunkplattform in Deutschland und deren Weiterentwicklungschancen stieß auf breite Zustimmung des Auditoriums und anderer Redner. „Neue technische Entwicklungen bieten den Programmveranstaltern eine hervorragende Grundlage, um durch Programm- und Geschäftsmodell-Innovationen die Attraktivität des Antennenfernsehens für die Zuschauer weiter zu steigern”, erklärte er.

Die Weiterentwicklung von DVB-T war auch ein zentrales Thema der Impulsvorträge diverser Branchenvertreter. Es bestand Einigkeit, dass die Akzeptanz der Zuschauerhaushalte und die heutige installierte Basis von fast 20 Millionen DVB-T Empfängern in Deutschland nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden dürfen. Zukünftige Entwicklungsstufen von DVB-T können nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn die damit einhergehenden Veränderungen einen deutlichen Mehrwert für die Zuschauer bringen.

Egenbauer warnte vor einer Zersplitterung der DVB-T-Landschaft bei der Einführung der zweiten Generation des digitalen terrestrischen Fernsehens mit DVB-T2 und dem neuen Kompressionsverfahren MPEG 4. Die Einführung von DVB-T2 bedeute den Austausch aller bislang auf dem Markt befindlichen Empfangsgeräte. Die müsse gut vorbereitet sein. Egenbauer: „Wir haben bei der Umstellung nur einen Schuß frei.“
Alle Redner betonte, dass an der Einführung des deutlich leistungsfähigere DVB-T2-Systems (mehr Übertragungskapazität pro Multiplex) kein Weg vorbei gehe. Auch die Terrestrik müsse künftig in der Lage sein, hochauflösendem Fernsehen (HDTV) zu transportieren und interaktive Dienste anzubieten. Ansonsten laufe sie Gefahr, gegenüber anderen Verbreitungswegen ins Hintertreffen zu geraten. Die Einführung neuer Systeme wird jedoch erst mittel- bis langfristig erfolgen. Zunächst wird die Branche gemeinsam ein Konzept erarbeiten, das die Rahmenbedingungen für die erfolgreiche Einführung der nächsten Generation terrestrischer Fernsehsysteme in Deutschland definiert.

Eckhard Matzel, Geschäftsbereichsleiter Informations- und Systemtechnologie des ZDF, plädierte wie einige andere Referenten auch dafür, dass MPEG 4 und DVB-T2 in einem Schritt eingeführt werden. Damit äußerte man auch Kritik am Vorgehen der RTL-Gruppe, die in Stuttgart und im Ballungsraum Halle/Leipzig Projekte gestartet hat, bei denen Conax verschlüsselte Programme über das herkömmliche DVB-T und mit neuem MPEG 4-Kompressionsverfahren (mit sechs statt vier SD-Programmen pro Multiplex) ausgestrahlt werden. „Das ist ein Zwischenschritt den wir nicht brauchen und der den Endverbraucher nur irritiert“, meinte Matzel. Er zeigte sich überzeugt davon, dass sich in den nächsten drei bis vier Jahren nichts an der gegenwärtigen DVB-T-Übertragung ändern wird. „Und was danach passiere ist offen“, meinte er. Mit dem notwendigen Austausch der Empfangsgeräte für die nächste DVB-T-Generation seien noch viele offene Fragen verbunden. Ziel des ZDF sei es jedoch, seinen Zuschauern auch in Zukunft den portablen, mobilen TV-Empfang zu ermöglichen.

Übereinstimmung bestand auch dahingehend, dass die Zukunft des digitalen Antennenfernsehens direkt mit der Verfügbarkeit des notwendigen Frequenzspektrums verknüpft ist. Eine weitere Beschneidung der dem Rundfunk heute zugeordneten Frequenzen hätte zwangsläufig den Verzicht auf zukünftige programmliche und unternehmerische Entwicklungspotenziale der Terrestrik zur Folge und ist deshalb nicht hinnehmbar.

Dipl. Ing. Jörg Robert vom Institut für Rundfunktechnik der Technischen Universität Braunschweig wies darauf hin, dass DVB-T2 eine Toolbox sei mit der man auch Handhelds adressieren könne. Das physikalische Konzept sei so robust ausgelegt, dass man damit auch Audio-Programme mobil empfangen könne. „Mit DVB-T2 kann man nicht nur HDTV übertragen, sondern auch alle anderen Dienste, einschließlich Radioprogramme“, erklärte er.
Mit DVB-T2, sagte Robert, sei sehr spektrumseffizient. Damit sei ein Senderabstand von rund 160 Kilometer möglich. Bei DVB-T2 können in einem Multiplex acht SD-Programme oder zwei HD-Programme übertragen werden. Das aktuelle DVB-T-System hat nur Platz von vier SD-Programme pro Multiplex.

Dr. Oliver Ecke von TNS-Infratest bestätigte die Erfolgsbilanz von DVB-T in Deutschland. In einer aktuellen Erhebung für die ZAK weist das Münchner Forschungsinstitut DVB-T aktuell 11,3 Prozent Marktanteil zu. 6,2 Prozent aller TV-Hausahalte würden gar ausschließlich ihre TV-Programme via digitale Terrestrik empfangen, berichtete er. „In Regionen, wo ein guter Inhouse-Empfang vorhanden und die Programmvielfalt hoch ist, verzeichnen wir einen deutlich höheren Marktanteil für DVB-T“, sagte er. Demnach gibt es Regionen mit 20 Prozent der Haushalte DVB-T-Programme nutzen, 12 Prozent davon ausschließlich.

Roland Bohl von Loewe Opta bezeichnete das digitale terrestrische Fernsehen in Deutschland dennoch als einen Nischenmarkt. Er wies darauf hin, dass Deutschland im europäischen Vergleich hinsichtlich der Digitalisierung der Terrestrik „etwas abgehängt“ sei. Grund dafür sei unter anderem die Set-top-Box getriebene Fragmentierung des Digital-TV-Marktes insgesamt, die zu einer Konfusion unter den Verbrauchern geführt habe. Bohl bezeichnete HDTV als einen wichtigen Treiber für die Digitalisierung des TV-Empfangs – auch im Bereich der Terrestrik. „DVB-T auf einem großen Flachbildschirm ist nicht so toll. Deshalb ist die Einführung von DVB-T2 mit neuen Diensten einschließlich HDTV sehr wünschenswert“, erklärte er.

Herbert Tillmann, Technischer Direktor des Bayerischen Rundfunks (BR) und engagierter Fürsprecher des terrestrischen Rundfunks, forderte zur Einführung von DVB-T2 verbindliche Absprachen unter allen Beteiligten, ein verlässliches Finanzierungsmodell und eine konzertierte Marketingaktion. Er wandte sich gegen die Verschlüsselung des terrestrischen Fernsehens und forderte „freien Empfang für jedermann, zu jeder Zeit und an jedem Ort“. Auch Tillmann sprach sich gegen Zwischenschritte wie die von RTL auf dem Weg zu DVB-T2 aus. Er wandte sich zudem gegen die Versuche, DVB-T2 auch als Übertragungsstandard für Hörfunk zu positionieren. „Die UKW-Landschaft von heute ist im DVB-T-Spektrum nicht abzubilden“, sagte er. „Wie das funktionieren soll, muss uns Prof. Reimers erst noch erklären“, meinte er mit Anspielung darauf, dass der renommierte DVB-Verfechter Ulrich Reimers vom Braunschweiger Institut für Rundfunktechnik auch in seiner Funktion als KEF-Mitglied (KEF = Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs des öffentlich-rechtlichen Rundfunks) gegen den DABplus-Standard als digitales Nachfolgeübertragungssystem von UKW Stimmung macht.
„Einen eingeführten Standard abzulösen ist sehr schwierig. So etwas geht nur gemeinsam“, erklärte Tillmann. Man müsse bei der Systemumstellung mit Blick auf den Kunden sehr vorsichtig vorgehen. „Auch der Handel ist genervt von den Technologiesprüngen. Der muss diese seinen Kunden schließlich vermitteln“, meinte er.

Reiner Müller, technischer Leiter der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) nannte als Gründe für die Erfolgsstory von DVB-T, die besonderen Qualitätsmerkmale der neuen Übertragungstechnik, das gemeinsame Vorgehen der Marktpartner und ein gewisser marktpoltischer Druck. Diese drei Faktoren müssten auch bei der Einführung von DVB-T2 wieder greifen. Müller: „Wenn wir jetzt davon sprechen, den Marktanteil der digitalen Terrestrik von 11 Prozent auf vielleicht 25 Prozent zu steigern, dann geht das zu Lasten der Satelliten- und Kabelnetzbetreiber. Die werden sich zu wehren wissen. Allein deshalb ist ein gemeinsames Vorgehen wichtig.“

Die Teilnehmer des Zukunftsforums DVB-T in Mainz verständigten sich am Ende auf die Fortsetzung und Intensivierung der Zusammenarbeit, um gemeinsam die zukünftigen Entwicklungslinien der digitalen Terrestrik erfolgreich zu gestalten.
Eckhard Eckstein
(MB 10/2009)