Einfach weiter machen

Was im Internet geht und was nicht entscheidet oft der Augenblick. Von daher wird der Ruf nach einer Netzverfassung immer lauter. Das zu erreichen ist aber gar nicht so einfach. Das wurde auch wieder auf dem Zukunftsforum Medien der LPR-Hessen deutlich.

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Einfach weiter machen

Viktor Meyer-Schönberger ist Professor für Internet Governance and Regulation am Oxford Internet Institute. Auf dem Zukunftsforum Medien der LPR-Hessen im vergangenen Mai in Frankfurt kommentierte er, was das Internet am Laufen hält. Über eine Reform des ICANN, dass vor allem die weltweiten Domainnamen vergibt, hätte vor einigen Jahren die Chance bestanden, zu einer globalen Einigung zu kommen, meinte er. Gescheitert sei das an der Position der USA. Die Amerikanische Busch-Regierung hätte zuerst in der Folge von 9/11 andere Schwerpunkte gesetzt und später aber die Kontrolle von ICANN dann doch nicht aus den Händen geben wollen. Dabei ist eine solche Netzverfassung immer wichtiger, stellte Wolfgang Thaenert, der Gastgeber der Veranstaltung in seiner Begrüßung fest: „Da stellen Facebook-Nutzer überrascht fest, dass die Rechte an den eigenen Profil-Inhalten automatisch an den Community-Betreiber abgetreten werden oder Inhalte von Facebook, wie beispielsweise bei Mitgliedern der Occupy-Bewegung, blockiert werden. Die Freiheit im weltweiten Datennetz ist also nicht nur dort bedroht, wo, wie in China oder Saudi Arabien, Inhalte staatlich gefiltert werden.“

Meyer-Schönberger jedenfalls beklagte, dass das einzige, was sich bei ICANN bewegt habe, außer, dass man inzwischen auch die Reste des ursprünglich basisdemokratischen Ansatzes der Organisation, inzwischen getilgt worden sei, nur der weltweite Tagungstourismus weiter angeheizt worden. Der Grund heißt Meinungsbildung und die daraus resultierenden Treffen an unterschiedlichen Orten der Welt. Doch genau diesen Einwand wollte Annette Mühlberg, Leiterin des Referats eGovernment und neue Medien beim ver.di Bundesverband, nicht gelten lassen. „Dieser Austausch ist wichtig weil dadurch Kompetenz entsteht.

Diesen Kompetenz- und Wissenszuwachs brauchen wir aber dringend“, betonte sie und ergänzte, dass der Erfolg einer solchen Internetverfassung eher zweifelhaft sei. Zunächst müsse es erst einmal darum gehen, die globale Infrastruktur zu sichern, in dem etwa verhindert würde, dass VeriSign, das die Domains .com, .net und .name betreibt, sich mit seiner Forderung durchsetzt, einzelne Webseiten abschalten zu dürfen. Kaum verwunderlich war die Unterstützung, die sie von Jan-Philipp Albrecht, der für Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament sitzt und der feststellte, dass dieses „Fortwursteln“ doch eigentlich etwas recht Gutes sei, da es die Dominanz einzelner Interessen verhindere. „Ich halte auch wenig von der Idee, das alles an der ICANN aufzuhängen. Das greift zu kurz, da man dort nur die Domains verwaltet und das ist nur ein eingeengter Aspekt.“ Doch da konterte Mayer-Schönberg: „Sicher ist es nur ein Anfang. Mir geht es aber darum, einen Hebel zu finden, um an einer Stelle etwas zu bewegen und von wo aus man weiterarbeiten kann.“

Albrecht jedenfalls regte im Gegenzug eine Art „Bill of Rights“ an, mit der international Rechte aber auch Grenzen für den Umgang mit dem Internet festgelegt werden müsste. Wer das umsetzen oder gar überwachen soll blieb allerdings unklar. Von daher erklärt sich auch der Einwand von Pascal Schumacher, Mitarbeiter am Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht an der Uni Münster, der vor zu großen Erwartungen an eine solche Netzverfassung warnte: „In der Vergangenheit gab es bereits mehrere Versuche so etwas wie eine Weltinformationsordnung zu etablieren und alle sind gescheitert.“ Der CDU Bundestagsabgeordnete Peter Tauber erkannte ein weiteres Hindernis auf dem Weg zu einer Webverfassung.

So erfuhr er etwa aus einem Gespräch mit chinesischen Gaststudenten, dass die Internetzensur in deren Heimatland gar nicht als solche wahrgenommen wurde: „Die lebten schon eine ganze Weile hier und waren sicher keine Apparatschiks und trotzdem sagten die mir, die Regierung helfe ihnen damit nur Inhalte auszuwählen die auch wirklich sinnvoll für die Entwicklung der Gesellschaft seien. Götz Hamann, stellvertretender Wirtschaftschef der Zeit, oblag die Aufgabe einer Zusammenfassung der Veranstaltung, die er für eigene Duftmarken nutze. Er verglich die momentane Situation mit der jahrelangen Entwicklung in der Umweltschutzdebatte: „Vielleicht brauchen wir erst eine große Katastrophe. Dass jetzt BP die Milliarden an Entschädigung in die USA bezahlt wurde erst durch die Erfahrungen möglich, die wir mit bisherigen Katastrophen, wie mit Tschernobyl, Sandoz oder Bophal gemacht haben.“ Diese pessimistische Prognose macht durchaus Sinn, wie auch die Diskussion in Frankfurt wieder bewies. Die Diskutanten vertraten dezidiert die Positionen der politischen Lager, die sie vertraten, und eine Annäherung, obwohl sie vielfach nur kleiner Schritte bedürften, sind nicht zu erwarten. So wird weiter gemacht wie bisher, bis, ja, bis es vielleicht tatsächlich zu einer Katastrophe kommt, die alles verändert.
Dieter Brockmeyer
(MB 07/08_12)