Alles andere als gesund

Technische Dienstleister für Live-Produktionen müssen sich immer breiter aufstellen, um überleben zu können. So stehen bei vielen mittlerweile Ü-Wagen, SNGs, Schnitt- und Grafikmobile genauso auf den Angebotslisten wie Redaktion, Rental, Event-Veranstaltungen oder Internet- und Mobile-Services. spezielle Technik kann bei einer Ausschreibung schon mal den entscheidenden Unterschied ausmachen.

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Alles andere als gesund

Thomas Busch, Geschäftsführer des Berliner Dienstleisters Betamobil, macht klar: „Je breiter man aufgestellt ist, desto besser. Der Markt ist alles andere als gesund.“ Als Grund sieht er die extremen Budgetkürzungen, die längst auch auf die öffentlich-rechtlichen Sender übergegriffen haben. „Das einzige, was dagegen hilft, ist eine breite Basis von verschiedensten Aufträgen und Produktionsdienstleistungen“, so Busch.

Betamobil hat mit einem SNG-Fahrzeug in Sprintergröße angefangen. Heute betreibt die Firma vier davon. Als nächstes kam der große Ü-Wagen. Der HD-5 kann mit maximal 20 Kameras arbeiten, hat einen Sony MVS-8000G Bildmischer und eine LAWO mc²66 Audiokonsole. Die beiden Schnittmobile, wovon eines mit zwei Schnittplätzen ausgestattet ist, und die beiden mittleren Ü-Wagen, beide ausgelegt für maximal acht Kameras und mit einem vollredundanten HD-Uplink ausgerüstet, kamen erst später hinzu.

Diese beiden Wagen waren unter anderem für den ORF bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi im Einsatz. Der ORF benötigte zwei Ü-Wagen, weil er neben seinem Olympiastudio im Österreichischen Haus, Satellitenstudios an der Skisprungschanze und der Alpinstrecke betreiben wollte. Beide Disziplinen gehören zu den österreichischen Kernsportarten, bei denen der ORF hautnah vor Ort dabei war. Mit seiner Technik konnte Betamobil die Produktionswünsche des ORF perfekt erfüllen. Dazu gehörte die komplette Anbindung von allen Kamerastandorten und allen ankommenden und abgehenden Leitungen über Glasfaser wie auch die komplett bandlose Produktionsrealisation über ein EVS-Netzwerk mit der eigenen EVS und einem EVS IP Director, angebunden an das zentrale Olympiastudio.

Zum Einsatz kamen an jedem „Außenstudio“ ein kleiner Kamerakran, drei Kameras, sowie Kommentatoren- und Interviewpositionen. Die Kameras, die normalerweise nach dem Standard SMPTE 311M über spezielle Glasfaser-Hybridkabel betrieben werden, mussten hier mit Hilfe spezieller Wandler auf einzelne Singlemode-Glasfasern der Vorverkabelung des Olympic Broadcasting Services (OBS) gesplittet werden.

Zusammen mit dem HD 6 und dem HD 7 sowie zwei Schnittmobilen hat Betamobil elf Mitarbeiter nach Sotschi geschickt. Auslandseinsätze sind für Betamobil keine Ausnahme. Der Dienstleister begleitet für Sky etwa Champions League-Spiele in ganz Europa, stellt zum Beispiel die Technik für „Ballermann-Hits auf Mallorca“ und steht mit seinen SNGs für die Live-Berichterstattung vor den politischen Schaltzentralen. Show, Sport und das politische Leben sind Hauptstandbeine. Die Auftraggeber sind sowohl die öffentlich-rechtlichen als auch privaten Sender, große Produktionsfirmen aber auch Filmverleihe, für die Betamobil für die Ausrichtung des In-House-TVs bei Premieren übernimmt oder Kulturinstitutionen, wie die Staatsoper Berlin, die jedes Jahr vor ihrem Haus auf dem Bebelplatz mit „Staatsoper für alle“ ein kostenloses Open-Air-Event ausrichtet. Für Betamobil ist es wichtig breit, effizient und schlagkräftig aufgestellt zu sein. „Es geht leider meist nur noch um Zahlen, nicht mehr um Qualität“, stellt Busch fest. Eine Erfahrung, die auch andere Anbieter teilen. Anderseits aber ist es auch nicht leicht qualifizierte Mitarbeiter zu bekommen. Wer länger im Geschäft ist, hat die benötigten Kenntnisse, ist aber entsprechend teuer. Nachwuchs lässt sich jedoch so gut wie kaum aus der Schwemme der Mediengestalter am Markt rekrutieren. „Wenn man gute Leute haben möchte, muss man selber ausbilden“, umreißt Busch den anderen Aspekt des Geschäfts.

Die Ansicht, dass der Markt alles andere als gesund ist, teilen auch andere technische Dienstleister, die MeBuLive zum Thema befragt hat. „Der Bereich Außenübertragung hat mit einer immer größer werdenden Konkurrenz zu kämpfen“, sagt Peter Lauterbach, Geschäftsführer der Wige Media AG. „Dabei werden allerdings nicht einzelne Teilnehmer durch Wachstum signifikant stärker, sondern die Zahl der Markteilnehmer ist durch neue Unternehmensgründungen gestiegen.“ Daher komme es in diesem stark unter Druck agierenden Markt überraschend zu einer Dezentralisierung statt, wie erwartet, zu einer Konsolidierung. Zusätzlichen Druck übe das Wachstum der Flotten der öffentlich rechtlichen Anstalten auf den Markt aus. Dies zwinge Anbieter dazu Alleinstellungsmerkmale zu entwickeln, mit Hilfe derer sie sich gegenüber anderen Marktteilnehmern behaupten könnten.

Stefan Hoff, Geschäftsführer von nobeo, kommt zu dem Schluss, dass sich jeder Dienstleister selber genauestens auf den Prüfstand stellen und seine Effizienz in allen seinen Arbeitsfeldern hinterfragen müsse. Hinzu komme die Optimierung des Leistungsportfolios, also der Zwang zu einer immer stärkeren Diversifikation. Gleichzeitig würde der Aufbau neuer Geschäftsfelder wie etwa WebTV immer höhere Anforderungen an das Personal mit sich bringen, die entsprechend aufgefangen werden müssten.

Dies schlägt sich in gewisser Weise immer auf den Preis nieder, der letztendlich über Zuschlag oder Absage entscheidet. Nach Erfahrung von Lauterbach ist Qualität in den allerseltensten Fällen das ausschlaggebende Entscheidungskriterium. Aber selbst wenn Erfahrung gefragt ist, entscheide immer die wirtschaftliche Komponente. Hoff sieht bei der Dominanz des Preises noch einen Unterschied in der Tageszeit: „Im Vormittagsprogramm steht der Preis recht offensichtlich zu 100 Prozent im Vordergrund. In der Prime Time ist dieses noch ein wenig ausgewogener, obwohl sich auch hier eine schleichende Tendenz zur einer stärkeren Bedeutung des Preises leider immer mehr bemerkbar macht.“ Sparen die Auftraggeber am Geld, erhalten sie auch nur die Qualität, die dafür herzustellen ist. Dennoch scheint mindere Qualität den Zuschauer kaum zu stören – obwohl man annehmen sollte, dass die Einführung von HD ein neues Qualitätsbewusstsein erzeugt haben sollte. „Diese spannende Frage stellen wir uns seit vielen Jahren“, sagt Hoff denn auch leicht verwundert. „Und immer wieder gelangen wir bei der Umsetzung der Produktionen an einen Punkt, an dem wir denken, jetzt ist die Grenze definitiv erreicht. Doch der Zuschauer verzeiht scheinbar einiges oder er gewöhnt sich schnell an gewisse Qualitätsstandards, denn wir werden – zumindest gemessen an den Quoten – doch immer wieder eines Besseren belehrt.“ Lauterbach sagt zur Qualitätsfrage: „Die Qualität des Tonsignals wird unserer Meinung nach als erster Punkt in der qualitativen Bewertung eines Zusehers herangezogen. Wenn man die verschiedenen Live-Fernsehproduktionen betrachtet, stellt man fest, dass häufig bei speziellen Kameraperspektiven die Bildqualität solcher Spezialkameras nicht mit normalen TV-Kameras mithalten kann. Trotzdem akzeptieren die Zuschauer solche speziellen Einstellungen, ohne einen Rückschluss auf die schlechtere Bildqualität zu ziehen.“

Doch auch wenn sich die Firmen durch Spezialisierungen einer Konsolidierung der Branche entziehen könnten, meint Lauterbach, so müsse man sich fragen, wie lange das noch so funktioniere. Für ihn wäre eine Marktbereinigung sogar wünschenswert, vorausgesetzt, es seien die öffentlich-rechtlichen Anstalten, die ihre Beteiligungen an privat-wirtschaftlichen Unternehmen in diesem Bereich beenden und somit dafür sorgen würden, den Druck vom privat-wirtschaftlichen Sektor zu nehmen. „Bisher werden solche Unternehmen scheinbar künstlich am Überleben gehalten“, so Lauterbach und weiter: „Ein Zusammenschluss mehrerer kleinerer Marktteilnehmer ist unwahrscheinlich. Eher denkbar ist, dass kleinere, Inhaber geführte Unternehmen, vereinzelt von größeren Unternehmen übernommen werden könnten. Von einer Marktkonsolidierung werden die großen Ü-Wagenbetreiber profitieren, die der permanenten technischen Weiterentwicklung nachkommen können.“

Nach Einschätzung von Hoff, wird die häufig diskutierte Marktbereinigung noch ein wenig auf sich warten lassen, da der kritische Punkt noch nicht erreicht ist: „Wie die aktuelle Dienstleisterstudie des VTFF zeigt, stehen zahlreiche Unternehmen der Branche auf wackeligen Beinen. Doch wahrscheinlich ist erst noch mit einer weiteren Verschärfung der Marktsituation zu rechnen, bevor eine mittel- bis langfristige finanzielle Perspektive in diesen Betrieben nicht mehr gegeben ist.“

Auch die TVN Group wurde von MeBuLive um eine Stellungnahme zur Situation der technischen Dienstleister gebeten. Die Geschäftsführung bat um Nachsicht, dass sie die vier schriftlich gestellten Fragen aus zeitlichen Gründen nicht beantworten könne – und weil die Antworten auch „auftraggeberseitige Belange berühren“ würden. Aber auch diese Antwort wirft ein Licht darauf, dass die Situation der technischen Dienstleister derzeit problematisch ist. Viele Player bleiben da lieber in Deckung.

Thomas Steiger

MB 4/2014

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