Anfang 2014 beschloss man bei der Bavaria, den Studio-Standort Unterföhring aufzugeben und die Studioproduktionen am Unternehmensstandort Geiselgasteig bei München, in der Bavaria Filmstadt, zu bündeln. Betroffen davon waren insbesondere die ZDF-Projekte „Lesch Kosmos“, die Kinder-Ratesendung „1, 2 oder 3“ und die Kriminal-Show „Aktenzeichen XY“. Sie mussten bis Ende 2014 nach Geiselgasteig umziehen, ebenso der Homeshopping-Sender „1-2-3.tv“, der allerdings schon ab Sommer 2014 aus einem neuen Studio der Bavaria Filmstadt täglich live senden konnte.
„Die Projekte, die in die Bavaria Filmstadt ziehen, werden wir mit dem bisherigen Mitarbeiterstamm bis spätestens zum 30. November 2014 in den neu bezogenen Studios in gewohnter Qualität produzieren“, hieß es Anfang 2014 bei den Bavaria Studios. Das hat am Ende auch so geklappt. Dazu musste allerdings der Umzug zunächst einmal technisch vorbereitet werden. In Unterföhring existierten vier Studios mit drei SD-Regien und einer HD-Regie. „Die SD-Regien und der dazugehörige Hauptschaltraum wurden nicht weiter genutzt, weil es sich hierbei letztlich um veraltete Technik handelte“, erklärt Günther Farrenkopf, Bereichsleitung Produktion und Technologie bei den Bavaria Studios [&] Production Services. Die HD-Regie wollte man jedoch weiter verwenden und soweit wie möglich von der Baugröße und der Funktionalität her in einen Ü-Wagen integrieren. Der Bau dieses Ü-Wagens mit der Bezeichnung OBU1 wurde beschlossen, nachdem zuvor verschiedene Konzepte geprüft worden waren, wie man am effizientesten den Produktionsbetrieb der 13 Studios in Geiselgasteig gewährleisten kann. „Wir haben uns mit dem Ü-Wagen bewusst für ein mobiles Regie-Konzept entschieden. Denn bei einer Festregie besteht grundsätzlich die Gefahr, dass ein Studio oder ein Studio-Block aus zwei Studios inklusive Zwischentrakt womöglich nicht ausgelastet werden können“, sagt Farrenkopf. Man habe unterschiedliche mobile Lösungen geprüft wie etwa eine transportable Container-Technik mit abgesetzten Regieräumen in den Studios. „Überlegt haben wir auch, ob es nicht sinnvoll sein kann, Einzelregien an den Studios zu verschalten. Zudem haben wir darüber nachgedacht, einen zentralen Geräteraum zu schaffen, mit dem, abgesetzt in den jeweiligen Studios, Bedienerräume für eine Art Remote-Produktion verbunden sind. Nach sorgfältiger Prüfung haben wir jedoch entschieden, dass die Ü-Wagen-Lösung für uns die beste ist.“
Farrenkopf: „Welche technischen Entwicklungen sich zukünftig durchsetzen, ist noch nicht klar. Spannend wird sein, welche Workflows entstehen, um neue Produktionen und Formate aufzusetzen. Erst dann sehen wir, wie eine finale Lösung aussehen kann. Möglicherweise arbeiten wir mit einer zentralen Technologie und abgesetzten Remote-Räumen. Der Ü-Wagen könnte dann bei Produktionsspitzen oder Doppelauslastungen zum Einsatz kommen. Das ist aber alles Zukunftsmusik.“
Aktuell befinden sich in drei Studios auf dem Gelände der Bavaria Filmstadt Festregien, die festen Langzeitprojekten zugeordnet sind. Das sind „Sturm der Liebe“ an fünf Tagen in der Woche, das „Wetter-Fernsehen“ der ARD an 365 Tagen und „1-2-3.tv“ 20 Stunden täglich live an 365 Tagen. „Für alle anderen Produktionen benötigen wir den Übertragungswagen“, erklärt Farrenkopf. Der verfügt über zwei Regien, die allerdings immer zusammengeschaltet sind. „Theoretisch könnte man aus dem Ü-Wagen heraus auch zwei Produktionen parallel fahren. Das ist aktuell aber nicht geplant“, sagt der Bavaria-Studios-Manager. Grund sei, dass der OBU1 in der Regel die großen Bestands- oder Showprojekte bediene. Dabei lege man Wert auf den „Wohlfühlfaktor“. Eine einheitliche Regie ist dabei Voraussetzung.
Zu den Bestands- und Showprojekten gehören Sendungen wie „Aktenzeichen XY“, „1, 2 oder 3“, „Verstehen Sie Spaß“ und „Die große Show der Naturwunder“. Deren Produktionsteams hätten bestätigt, dass die Arbeitsatmosphäre in dem neuen Ü-Wagen ausgezeichnet sei und dass man die gewohnte Arbeitsplatzanordnung dort leicht umsetzen könne. Der OBU1 ist seit Anfang des Jahres im Einsatz und hat dabei bis Ende Oktober 85 Produktionstage absolviert. Eine besondere Herausforderung beim Bau des Ü-Wagens bestand darin, die Funktionen und Arbeitsabläufe einer Festregie mit denen eines klassischen Ü-Wagens zu kombinieren. Der Wagen sollte so flexibel und vielseitig wie möglich konzipiert werden, dass er neben den Bestandsprojekten, allen voran „XY ungelöst“, auch bei anderen Projekten problemlos eingesetzt werden kann. Farrenkopf: „Anfangs wollten wir über den Ü-Wagen nicht nur Studio-, sondern auch Sportproduktionen bedienen können. Schnell wurde jedoch klar: Wir müssen uns auf etwas spezialisieren. Und dies waren eben Studioproduktionen.“
Bavaria OBU1-Technik
Gebaut wurde der neue Bavaria-Ü-Wagen OBU1 von BFE Studio und Medien Systeme aus Mainz. „BFE hat zum einen sehr viel Erfahrung im Ü-Wagen-Bau und zum anderen konnte uns das Unternehmen auch ein gutes Angebot zur Integration der bestehenden Technik in das von uns präferierte Chassis machen“, sagt Farrenkopf.
Der Übertragungswagen wurde als Sattelauflieger mit einem Drei-Achs-Fahrgestell realisiert. Die fünf Arbeitsbereiche sind in Tonraum, Bildregie A und Bildregie B, Bildtechnik mit Avid-Schnittplatz und einen zentralen Geräteraum unterteilt. Alle Bereiche lassen sich durch Glasschiebetüren voneinander trennen. Das Chassis des Ü-Wagens stammt von der britischen Karosseriebauer Spectra. Besonderheit ist eine Außenschublade, die sich über die gesamte Fahrzeuglänge (13,80 Meter) um 1,75 Meter ausfahren lässt. Sie ermöglicht mehr Raumhöhe im Inneren des Aufliegers und sorgt für ein insgesamt sehr großzügiges Raumangebot, das mit bis zu 25 Arbeitsplätzen genutzt werden kann. Die Multifunktions-Arbeitsplätze, die sich hinter den Bildregien befinden, verfügen über frei beschaltbare Monitore und sind somit universal für Slomo, Grafik und Redakteure nutzbar.
Der Auflieger verfügt zudem über eine automatische Niveauregulierung und auch das Ausfahrteil wird hydraulisch gesteuert. Die Rüstzeit des Aufliegers liegt bei rund 20 Minuten. „Der Ü-Wagen baut sich letztlich selbstständig auf, fährt die Schublade aus und nivelliert sich. Im Prinzip reicht eine Person, um ihn in Betrieb zu nehmen“, berichtet Farrenkopf.
Der Bavaria OBU1 ist für den Einsatz von bis zu 16 Kameras eingerichtet (Grass Valley LDK8000) und hat drei sechskanalige XT2 EVS-Server an Bord. Als Bildmischer kommt ein Sony MVS8000 mit vier Mischebenen zum Einsatz. Zu den weiteren Kernkomponenten gehören Miranda- und Imagine Communications-Multiviewer, Schriftgenerator von Pixelpower, 4-Kanal-Videoserver von Ross, 256 x 256 Kreuzschiene von Nevion und VSM-Steuersystem von LSB. Im Tonbereich wird mit Dolby E 5.1 gearbeitet. Dabei kommt ein Audio-Mischpult Lawo mc²66 und als Haveriepult ein Yamaha DM1000 zum Einsatz, als Zuspiel- und Bearbeitungssystem ProTools HD und die Audio Codecs sind von Mayah. In Sachen Interkom stehen Riedels Artist 128 und Artist 32 Matrix sowie drei Riedel Riface auf der Geräteliste. Alle verkabelungsintensiven Geräte befinden sich im feststehenden Teil. Somit ist laut BFE eine lange Lebensdauer der Kabelverbindungen gewährleistet und das Ausfallrisiko auf ein Minimum reduziert. Zur Anbindung via Glasfaser stehen dem Ü-Wagen zwei Video- und drei Audio-Stageboxen zur Verfügung. Farrenkopf sagt: „Der Übertragungswagen kann über das Gelände fahren und lässt sich überall flexibel andocken. Das ist ein Vorteil gegenüber einer Festregie, auch im Havariefall. Man ist nicht von einer fest verbauten Technik abhängig, die an einem Platz steht.
Alleinstellungsmerkmal ist die USV, die im Gegensatz zu gängiger Praxis die gesamte Produktionstechnik absichert. Nach acht Minuten Stromausfall wird automatisch auf ein Dieselaggregat umgeschaltet. „Bei uns geht die Produktionssicherheit über alles“, sagt Farrenkopf. Er berichtet, dass die Bavaria Studios den Ü-Wagen OBU1 künftig auch verstärkt bei TV-Show- und TV-Event-Produktionen auf dem Geiselgasteig-Gelände einsetzen wolle. Dazu stehe man auch schon mit einigen privaten TV-Sendern und Produktionsfirmen im Gespräch.
Eckhard Eckstein
MB 8/2015