Ein Experiment in Echtzeit

Mit dem Dreh eines Kinofilms im virtuellen Studio betritt der amerikanische Filmemacher und Technik-Guru Douglas Trumbull, der schon die visuellen Effekte für Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ und Ridley Scotts „Blade Runner“ kreiert hat, nun die nächste Dimension. Für sein ambitioniertes Science-Fiction-Projekt, das er in 3D, 4K mit einer Frame Rate von 120 fps filmt, werden sämtliche Sets und Schauplätze in Echtzeit im Rechner generiert.

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Ein Experiment in Echtzeit

Als Filmemacher möchten Sie dem Zuschauer stets das Gefühl vermitteln, dass sich dieser im Film befindet. Wie lässt sich das am besten erreichen?

Die beste Lösung, die ich derzeit kenne, ist das Projekt, an dem wir gerade arbeiten. Wir produzieren in unserem Studio einen zehnminütigen Demo-Film. Wir haben das Studio gebaut, um dieses Projekt zu realisieren. Es ist ein Experiment, das ich als „Hyper Cinema“ bezeichne. Es beinhaltet eine Frame-Rate von 120 Bildern pro Sekunde, 3D und 4k und ist für eine sehr große Leinwand konzipiert. Das Ergebnis ist ein täuschend echter Realismus, der eine direkte Beziehung zwischen den Darstellern und dem Publikum eröffnet. In dem Testfilm spricht der Darsteller oft direkt das Publikum auf eine sehr persönliche Art an, denn er fotografiert sein Tagebuch für ein Projekt, das er initiiert hat. Es ist ein Experiment, bei dem er das Publikum auf sehr persönliche Art in das Geschehen einbezieht.

Wobei geht es da genau?

Der Protagonist ist ein passionierter Fotograf, der sich auf UFOs spezialisiert hat und in äußerst brenzlige Situationen gerät. Er dokumentiert seine Arbeit, da er sich nicht sicher ist, ob er überlebt, verschwindet oder gar entführt wird. Er will der erste Mensch sein, der ein Foto von einem UFO aufnimmt, das wertvoll für die Wissenschaft ist. In unserem Filmtrailer sehen wir, wie er den Gipfel eines Berges besteigt. Dabei ist er mit viel Equipment wie Teleskope, Rekordern, et cetera ausgestattet. Mein Ansatz dabei ist, dem Publikum das Gefühl zu vermitteln, dass sie dort selbst mit ihm unterwegs sind.

Existiert der Berg nur virtuell wie der Dschungel in „Avatar“?

Ja, er ist komplett virtuell, denn wir haben alles im Studio vor einer Green Screen gedreht habe. Die Elemente dieser virtuellen Welt sind jedoch real; es sind echte Bäume, echte Felsen, echtes Wasser sowie ein echter Himmel mit Mond und Sternen, die wir dafür aufgenommen haben. Wir haben diese verschiedenen Elemente mit Hilfe des Compositing-Programms Eyeon kombiniert. Die Software ermöglicht es uns, diese fotorealistischen Elemente in einer fotorealistischen Art und Weise zusammenzustellen. Wir haben uns für Eyeon entschieden, weil dies die einzige Lösung ist, die unsere Anforderungen bezüglich der Auflösung und Frame Rate erfüllt. Wir konnten einen entsprechenden Regler in das Programm einbauen und dann mit einer Frame Rate von 120 fps arbeiten. Wir mussten weltweit nach einer Software suchen, mit der das funktioniert.

Warum haben Sie sich für eine Frame Rate von 120 fps entschieden?

Bei der Erschaffung einer hyperrealistischen Welt ist eine höhere Frame Rate besser, weil dadurch die Unschärfe zwischen den Einzelbildern reduziert wird. Ich habe vor einigen Jahren herausgefunden, dass alle digitalen Projektoren mit einer Frame Rate von 144 fps laufen, wovon jedoch keinen Gebrauch gemacht wird, weil das nicht bekannt ist. Das bedeutet, dass bei einem Film mit 24 Bildern pro Sekunde jedes Einzelbild sechsmal gezeigt wird. Bei einem 3D-Film wird jedes Einzelbild pro Auge dreimal pro Sekunde wiederholt. Ich habe mich anstelle der 144 fps für eine Frame Rate von 120 fps entschieden, weil das mathematisch der Konversionsrate von 60 Bildern pro Sekunde beim Fernsehen in den USA entspricht. Mathematisch erfolgt eine Konversion von 120 zu 60, 48, 36 oder 24 Bildern pro Sekunde, je nachdem welche Kombination von Einzelbildern gewählt wird. Inzwischen produzieren fast alle führenden Kamerahersteller wie RED, Arri, Panavision, Sony oder Canon digitale Kameras, die 60 oder 120 Einzelbilder pro Sekunde aufnehmen. Bei der Aufnahme mit High Frame Rates werden einfach mehr Daten aufgezeichnet.

Wie vermitteln Sie den Schauspielern das Gefühl, sich in einer Welt zu befinden, die sie gar nicht sehen können?

Wir produzieren das Compositing in Echtzeit, so dass die Schauspieler die virtuelle Welt sehen können, während wir drehen. Dadurch können wir dem Schauspieler genau zeigen, wo er sich gerade befindet, was sonst erst in der Postproduktion der Fall wäre. Die Schauspieler fühlen sich dadurch wesentlich wohler in ihrer Rolle. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob allen Schauspielern diese unmittelbare Nähe gefällt bei diesem Verfahren, bei dem jedes winzige Detail genau zu sehen ist; jeder kleinen Makel, jede Augenwimper und jede Nuance eines Ausdrucks sind sichtbar. Das ist nicht vollkommen unproblematisch, denn der Schauspieler muss darauf vorbereitet sein, dass er sehr verwundbar ist. Wir haben bei unserem Testfilm mit Ryan Nichols gearbeitet, der ein fantastischer Shakespeare-Schauspieler ist. Da es beim Dreh eines solchen Testfilms durchaus manchmal technische Verzögerungen geben kann, wollten wir dafür keinen großen bekannten Hollywoodstar engagieren. Doch mein Ziel ist, auf diese Weise einen ganzen Spielfilm mit einem bekannten Schauspieler zu realisieren, den das Publikum wiedererkennt. Das wird verblüffend eine verblüffende Erfahrung für den Zuschauer sein.

Worum wird es in Ihrem Spielfilm gehen?

Für meinen Testfilm habe ich mir diese Geschichte ausgesucht, weil sie recht einfach zu produzieren ist, denn für einen zeitgenössischen Film muss ich nicht eine komplett neue Welt erschaffen. Der Kinofilm, den ich plane, spielt jedoch 200 Jahre in der Zukunft. Das bedeutet, dass alles Science-Fiction ist und ich sämtliche Sets und Schauplätze dafür bauen muss, was wesentlich komplizierter und teuerer wird.

Welche Anforderungen muss ein Studio für eine solche Produktion erfüllen?

Ich habe zusammen mit meiner Produzentin Julia Trumbull ein Filmstudio gebaut, das über einen etwa 20 x 30 Meter großen Aufnahmebereich und hohe Decken verfügt. Wir haben das Studio so konzipiert, dass es für uns als ein Testlabor für Experimente fungiert. Insofern ist es nicht mit einem herkömmlichen Studio vergleichbar. An einem Ende der Bühne befindet sich eine große Psychorama Green Screen auf grünem Boden.

Mein Ansatz sieht vor, dass die Schauspieler völlig ohne Set und Schauplatz auskommen müssen. Sie bekommen nur eine minimale Ausstattung wie einen Tisch oder Stuhl, da sie sich in einer virtuellen Umgebung bewegen. Auf der anderen Seite des Ateliers befindet sich unser Kino, in dem wir den Film auf die Leinwand projizieren, den wir gerade drehen. Das ist keine riesige Leinwand, aber wir können die gesamte Ästhetik, den Bildausschnitt oder das Licht in einer Einstellung korrigieren, denn wir können uns alles sofort anschauen.

Was ist der Vorteil dieser Arbeitsweise?

Auf diese Weise verfügen wir über eine interaktive Lernkurve, was nicht mit einem Dreh in einem Studio in Hollywood vergleichbar ist, wo ein Film gedreht wird und das Ergebnis erst am nächsten Tag zu sehen ist. Wir schauen uns das Ergebnis sofort an, um unmittelbar daraus lernen zu können.

Es ist ein Echtzeit-Experiment, das wir in unserem eigenen Studio ausprobieren, so dass wir keine Miete zahlen müssen und zu jeder Zeit rund um die Uhr dort arbeiten können. Wir haben ein sehr talentiertes Team zusammengestellt, das bei uns arbeitet, denn unser Studio befindet sich ganz in der Nähe von New York und Boston.

Haben Sie für Ihr Studio bereits vorhandenes Equipment verwendet oder auch neue Techniken entwickelt?

Das meiste Equipment, das wir hier einsetzen, ist ganz normal erhältlich. Es gibt aber auch einige Anforderungen, für die ich bestimmte Techniken entwickeln musste. Dazu gehört der Zero-Gravity-Kran, an dessen Arm eine Kamera aufgehängt wird, die frei im Set schwebt. Dies ermöglicht es uns, die Kamera überall im Set zu positionieren, denn die Kamera wird somit zu einem schwebenden Objekt, das sich mit einem Finger bewegen lässt. Für die Aufzeichnung haben wird einen so genannten Shaft Encoder entwickelt, der die genauen Positionsdaten der Kamera aufzeichnet und an den Rechner übermittelt. Dadurch können im Computer die entsprechenden Hintergründe für das jeweilige Einzelbild oder die jeweilige Szene generiert werden, so dass das entsprechende Compositing sofort produziert werden kann.

Werden durch dieses Verfahren andere Kamera-Einstellungen ermöglicht?

Ja, das System gibt uns die komplette Freiheit bei den Kamerabewegungen. In den Kinofilmen, die heutzutage unsere Sehgewohnheiten prägen, ist die Kamera fast immer in Bewegung. Es gehört heute zum gängigen Filmstil, dass selbst bei Nahaufnahmen Fahrten oder Schwenks vorgenommen werden. Dieses Verfahren ermöglicht uns sämtliche Fahrten und Bewegungen, ohne dass wir dafür einen Dolly neu einstellen oder Equipment auf dem Boden aufbauen müssen, weil die Kamera schwerelos durch das Set schwebt. Ich kann damit ohne Umbaupausen ein Set-Up nach dem anderen vornehmen.

Bildet dies zugleich die Basis für eine neue Art von Storytelling?

Absolut, das ist mein Ziel. Ich glaube, dass jeder Filmemacher einen Science-Fiction-Film drehen kann. Ich persönlich interessiere mich für eine neue Umsetzung der Kinoerfahrung, bei der das Publikum den Eindruck hat, selbst Teil der Szene zu sein und nicht ein außenstehender Beobachter. Das setzt einen Paradigmenwechsel beim Aufnahmeprozess voraus, weil die Bilder äußerst echt aussehen müssen, was High-Frame-Rates, hohe Bandbreite, eine hohe Auflösung, bestimmte Linsen und Postproduktionsprozesse erfordert, aber auch eine Art des Drehbuchschreibens. Ich fühle mich von Geschichten in den Bann gezogen, in denen die Kamera plötzlich die Perspektive einer ganz anderen Person einnimmt.

Produzieren Sie in Ihrem Studio auch den Ton in 3D?

Ja, wir nehmen den Ton relativ konventionell mit hochempfindlichen Mikrofonen auf und mischen ihn mehrdimensional. Wir arbeiten mit Atmos, dem neuen Multi-Kanal-Tonsystem von Dolby, bei dem der Ton überall im ganzen Kino ertönt, sogar von oben. Wir machen damit erstaunliche Erfahrungen und lassen während des Films zum Beispiel einen Hubschrauber auf dem Dach eines Kinos landen.

Können die Zuschauer das nur wahrnehmen, sofern die Kinos entsprechend ausgestattet sind?

Ja, aber das ist nicht so aufwändig. Ich kenne allerdings nur wenige Regisseure, die sich über die Rezeption im Kino Gedanken machen. Ich setze mich intensiv damit auseinander, weil ich die Kinoleinwände für viel zu flach und zu klein halte, denn sie ähneln eher den Fernsehbildschirmen. Für ein großes, umfassendes Kinoerlebnis bevorzuge ich die riesigen IMAX-Leinwände oder das alte Cinerama mit dem extrem breiten Blickfeld auf der gebogenen Leinwand. Ich habe meine Filme in Kuppeln wie in den Planetarien vorgeführt. Durch meinen Film bei der Weltausstellung 1964 in New York sind Stanley Kubrick und Arthur C. Clarke auf mich aufmerksam geworden und haben mich als Mitarbeiter für „2001 – Die Odyssee im Weltraum“ engagiert. Insofern ist mir das alles äußerst geläufig. In der heutigen Filmindustrie gibt es vor allem Multiplexe, welche die großen Kinos abgelöst haben, in denen früher 70mm-Filme gezeigt wurden. Durch die Multiplexe können mehr Filme in verschiedenen Sälen zu unterschiedlichen Anfangszeiten angeboten werden, was das Ende der gigantischen Leinwand markiert, aber auch der Beginn einer neuen Programmvielfalt. Inzwischen hat sich die Filmbranche dahin gehend entwickelt, dass die Vielfalt nur noch in der eigenen Tasche stattfindet; auf dem Handy, dem Tablet oder dem Computer zuhause, wo es möglich ist, Filme überall und zu jederzeit zu streamen oder herunterzuladen – und zwar in jeder gewünschten Größe. Damit das Kino langfristig überleben kann, muss es eine Erfahrung bieten, die nicht austauschbar ist. Deshalb möchte ich Filmerlebnisse schaffen, die ähnlich faszinierend wie ein großes Live-Event sind.

Arbeiten Sie auch an der Entwicklung des holographischen Films?

Wir suchen noch einen Namen für das Verfahren, an dem wir gerade arbeiten. Eine Bezeichnung, die mir dafür gefallen könnte, ist das Holodeck; das ist Umgebungssimulator in „Star Trek“, in dem ganze Welten simuliert werden können; ein holographisches Universum. Bisher ist noch kein richtig guter holographischer Film produziert worden. In einem holographischen Film würde der Hauptdarsteller nur in eine Richtung blicken, was bedeutet, dass der Schauspieler immer nur einen einzigen Zuschauer ansehen würde. Das ist eine große Einschränkung, weil sich alle anderen Zuschauer nicht in seiner Blickrichtung befinden. Da die Schauspieler heutzutage stets direkt in die Kamera schauen, steht jeder Kinozuschauer stets in direktem Augenkontakt mit dem Schauspieler. Insofern wird der holographische Film ein komplett neues Konzept für das Kino erfordern.

Birgit Heidsiek
(MB 12/13_01/14)

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