Filmrezeption ist eine subjektive Angelegenheit. Dem einen gefällt dies, dem anderen das. Auch Fiction-Redakteure haben einen persönlich subjektiven Blick auf Stoff und neue Talente, räumt Stefanie Groß ein. Sie ist zusammen mit zwei Kollegen für die Stoff- und Nachwuchsauswahl der SWR-Reihe „Debüt im Dritten“ verantwortlich. Dabei ist sie mit rund 150 Stoffeinreichungen seitens junger Regisseure im Jahr konfrontiert. Davon haben fünf eine Chance als Langfilme in der Debüt-Reihe beim SWR realisiert zu werden und zwei werden für die Debütreihe im Ersten auserkoren. Groß hat nicht nur ein hohes Lesepensum zu bewältigen.
Unter anderem ist sie auch viel in allen Filmhochschulen unterwegs, um an Pitches teilzunehmen, bei denen junger Regisseure ihre Erstlingswerke vorstellen. Persönliche Kontakte sind wichtig. In ihrer zehnjährigen Tätigkeit hat Groß gelernt, dass sich die angebotenen Geschichten und Themen wiederholen. Deshalb ist sie wie ihre Kollegen und ihre Chefin Martina Zöllner, die die Hauptabteilung Film und Kultur beim SWR leitet, permanent auf der Suche nach solchen Talenten, die eine neuartige Erzählweise wagen und beherrschen. Groß: „Es geht nicht allein um Originalität im Stoff. Das kann man nicht verlangen, viele Geschichten sind x Mal erzählt worden. Es geht vielmehr um den Blick auf eine Geschichte, um eine neue Perspektive, um einen neuen Aspekt, der hervorgehoben wird und der spannend ist, weil es nicht der Gängige ist“. Unisono betonen Groß und Zöllner, dass man dem Nachwuchs „keine Vorgaben“ machen wolle. Vielmehr verstehe man sich als Berater für die Filmentwicklung, wozu nicht zuletzt die Finanzierung gehört.
Dieses Konzept prägt die traditionsreichste Film-Nachwuchsreihe in der ARD bereits seit 1985. Es ist in den Jahren viel Preisgekröntes, Kontroverses, rundum Gelungenes aber auch Sperriges entstanden. Darunter Werke wie „Die fetten Jahre sind vorbei“ (Regie: Hans Weingartner) mit Daniel Brühl und Burghart Klaußner, der ersten deutschsprachigen Produktion, die es nach langer Zeit wieder zum Filmfestival in Cannes schaffte; „Novemberkind“ (Buch und Regie: Christian Schwochow) mit Anna Maria Mühe und Ulrich Matthes, der den Publikumspreis des Max Ophüls Filmfestivals gewann. Große Namen wie Thomas Strittmatter, Nico Hoffmann, Wolfgang Becker und Sönke Wortmann gaben bei „Debüt im Dritten“ ihren Einstand.
Neben der permanenten Suche nach neuen Erzählperspektiven zeichnet sich die fiktionale Talentschmiede des SWR im Vergleich zum Wettbewerb mit den anderen ARD-Anstalten und „Das kleine Fernsehspiel“ vom ZDF durch das stabil gebliebene Budget und insbesondere dadurch aus, dass der SWR den Nachwuchstalenten Prime-Time-Sendeplätze um 20:15 Uhr bietet und damit eine Startrampe mit der Chance schnell ein großes Publikum zu finden, erklärt Groß. Der Jahresetat für „Debüt im Dritten“ liege „im unteren kleineren Millionenbereich“, vermutlich irgendwas unter fünf Millionen Euro. 33,3 Prozent des Budgets kommen von den ARD-Sendern, weiß Groß. Je nachdem für welches Finanzierungskonzept sich der jeweilige Produzent, unter dessen Dach ein Regisseur-Nachwuchstalent geschlüpft ist, entschieden hat, werden neben dem SWR auch mal andere ARD-Anstalten als Finanzierungsquelle einbezogen. Aber auch bei Nachwuchsfilmen fallen Produktionskosten zwischen 900.000 und 1,5 Millionen Euro an. Die große Finanzierungslücke wird von den Produzenten durch Anzapfen der diversen in Deutschland zur Verfügung stehenden Filmfördertöpfe gestopft. Eine komplizierte Angelegenheit, weil dadurch bedingt aus dem Nachwuchsfilm sofort ein Kinofilm werden muss, der erst dann im Fernsehen ausgewertet werden darf, wenn er schon im Kino gezeigt worden ist, wo er dem Nachwuchs in der Regel eine enttäuschend magere Publikumsresonanz mit vielleicht nur 10.000 Zuschauern oder weniger beschert. Um den Nachwuchs schneller in einen großen Publikumsmarkt puschen zu können, schwebt Groß eine Revolution im Finanzierungssystem vor, die erlaubt, dass erst nach Fertigstellung des Films entschieden wird, ob er auch Kino-geeignet ist.
Flink hat man sich zum 30. Geburtstag selber ein Geschenk gemacht. Zusätzlich zum normalen Debüt-Pensum wurde mit „Pälzisch im Abgang“ (ab 27.10 wöchentlich auf SWR) erstmals auch eine TV-Serie dem Regie-Nachwuchstalent Matthias Schmidt in Auftrag gegeben. Entstanden ist eine, wie Zöllner sagt, sechsteilige „Endzeit-Comedy mit Tempo und viel schwarzem Humor“. Eine neuartige Mundart-Heimatserie, in der Familie Fröhlich, die pfälzisch-hessisch babbelt, sich auf den angekündigten Weltuntergang vorbereitet.
Erika Butzek
MB 7/2015
© SWR