Vier-Märkte-Strategie

EVS präsentiert sich zur NAB 2013 erstmals mit komplett neuem Markenbild. Das belgische Unternehmen will damit seine strategische Neupositionierung signalisieren. MEDIEN BULLETIN sprach mit Joop Janssen, seit September 2012 CEO bei EVS, über Hintergründe und Ziele der veränderten Marktpräsenz.

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Vier-Märkte-Strategie

Was ist der Grund für die EVS-Neuausrichtung?

Joop Janssen: Der bisherige EVS-Erfolg basiert auf den Aktivitäten in der Sport-Produktion. Anfangs waren wir hauptsächlich im Bereich Außenübertragung (AÜ) unterwegs, seit sechs Jahren auch verstärkt im Studio-Geschäft. Heute generieren wir jeweils die Hälfte unseres Umsatzes im Studio- und im AÜ-Bereich. 25 Prozent des Umsatzes macht EVS allerdings auch schon außerhalb des Sportsektors. Das ist ein großer Erfolg, wenn man bedenkt, dass früher der gesamte Umsatz daher kam. Und der Bedarf an EVS-Equipment bei Studio-Installationen wächst weiter.

Bei der Betrachtung der Non-Sport-Aktivitäten ist uns jedoch aufgefallen, dass es Märkte gibt, die für uns noch interessanter und dabei viel größer als der Sport-Markt sind. Das hat uns veranlasst, unsere neue Vier-Märkte-Strategie zu entwickeln. Sie zielt auf die Märkte Sport, News, Entertainment und Media. Getrieben ist sie einerseits von einer wachsenden Nachfrage, andererseits aber auch von der Tatsache, dass EVS in manchen Bereichen nicht auf der Favoritenliste potentieller Kunden steht – zum Beispiel bei News- oder Entertainment-Projekten. Man kennt uns eben hauptsächlich aus dem Sport. Die neue Vier-Markt-Strategie soll auch durch das neue Erscheinungsbild und Branding von EVS verdeutlicht werden. Außerdem haben wir organisatorisch dafür neu aufgestellt, um die einzelnen Bereiche auf dem jeweils notwendigen Level adäquat bedienen zu können.

Warum fiel die Wahl auf Entertainment, News und Media?

Diese Marktsegmente sind zusammen drei- bis viermal größer als der Sportmarkt. Und wir haben da nur zwei Prozent Marktanteil, wohingegen wir beim Sport im Ü-Wagen- und Studio-Geschäft zusammen 33 Prozent Marktanteil haben. Da sind unsere großen Wettbewerber nach wie vor Grass Valley, Harmonic, Avid etc.
Der geplante Geschäftsausbau bedeutet für uns keine Revolution, sondern eine natürlich Erweiterung dessen, was EVS ohnehin macht. Wir denken, dass das auch genau dem entspricht, was die Kunden von uns wünschen. Wenn diese zum Beispiel Entertainment-Shows machen, orientieren sie sich immer mehr an Workflows von Sportproduktionen: die Zahl der dort eingesetzten Kameras wächst, und es sind mehr Replays und Slowmotions gefragt. Hier bietet das EVS-Angebot gegenüber dem der Mitbewerber klare Vorteile. Der dedizierte Fokus auf einzelne Märkte macht für EVS also viel Sinn.

Dafür haben Sie ihre Management-Struktur anders aufgestellt. Was ist neu?

Henry Alexander wird im April 2013 CEO von Entertainment und News. Er kommt vom öffentlich-rechtlichen belgischen Fernsehen RTBF, wohin er vor drei Jahren von EVS aus gewechselt ist. Und ich bin sehr glücklich, dass er wieder bei uns einsteigt, wenn auch in einer völlig neuen Rolle. In den letzten drei Jahren hat er sehr wertvolle Erfahrungen auf der Broadcaster-, also auf der Kundenseite, sammeln können.

Luc Doneux leitet als EVP die Sport- und Benoît Février als SVP die Media-Division. Dazu haben wir für Kernregionen verantwortliche Salesmanager installiert, die direkt an mich berichten. Das sind Quentin Grutman als SVP EMEA, Frederic Garroy als SVP Americas und Olivier Heurteaux als SVP Asia Pacific.

Durch die Neustrukturierung versprechen Sie sich laut eigener Pressemeldung größere Effizienz in Forschung und Entwicklung und eine schnellere Markteinführung von Produkten. Warum?

In den letzten fünf Jahren ist die R&D-Gruppe um über 100 Prozent gewachsen. Wir haben nun 225 Entwickler. 150 sind neu dazu gekommen. Diese große Gruppe, die auch noch über verschiedene Standorte verteilt ist, konnte nicht mehr sehr effizient als eine Einheit geführt werden. Jetzt mit der neuen Division-Struktur mit den drei Bereichen News/Entertainment, Sport, und Media wird auch der R&D-Bereich in drei kleinere Teams aufgeteilt. Die können so agiler arbeiten und wir erwarten von ihnen dadurch mehr Leistung und höhere Effizienz.

Wo sind diese Teams angesiedelt?

Wir haben fünf Standorte, der größte ist in Liege, einer in Brüssel – hier arbeitet man hauptsächlich für die Media Division, ebenso wie das Open Cube Team in Toulouse. Dann gibt es noch eine kleine Gruppe in Paris, die im Grafikbereich aktiv ist. Und in Chengdou in China existiert ein weiteres Entwicklungscenter.

Bedeutet die Neustruktur auch einen Ausbau der Personalstärke?

Das Mitarbeiterwachstum der vergangenen Jahre werden wir so nicht fortsetzen. Allerdings suchen wir natürlich immer neue talentierte Leute. Wirtschaftlich wollen Sie dennoch wachsen. Planen Sie Firmenübernahmen?

Wir wollen noch schneller wachsen als in der Vergangenheit aber mit der aktuellen Personalstärke. Wir haben die R&D-Größe, um das zu erreichen. Das geht auch ohne Firmenübernahmen. Allerdings, wenn wir neue Technologien brauchen, bei denen es sich für uns nicht lohnt, sie selbst zu entwickeln, dann kaufen wir das ein. Auch wenn wir durch eine Firmenübernahme ein Produkt schneller auf den Markt bringen können als bei einer Eigenentwicklung, dann machen wir das.

Sie sind jetzt seit über einem halben Jahr bei EVS tätig. Davor waren sie bei anderen bekannten Broadcast-Unternehmen wie Thomson, Philips, Grass Valley und Vitec. Was hat sie besonders daran gereizt, bei EVS einzusteigen?

Das war in erste Linie das Wachstumspotential, das ich gesehen habe. Und mich hat gereizt, bei einer Firma zu sein, wo man neue Dinge machen kann. EVS hat ein sehr junges, fähiges Team. Das Durchschnittsalter ist 37. Ich habe schon viele Entwicklerteams zuvor gesehen und war sehr beeindruckt von dem bei EVS. Ich selbst habe zuvor 18 Jahre lang meist weit weg von meiner Familie gelebt. Der EVS-Einstieg bot mir eine gute Gelegenheit, wieder in der Nähe zu leben, wo ich aufgewachsen bin, im Raum Maastricht.

Sie haben bei EVS schon reichlich Umbauarbeit geleistet. Was steht noch an für die nahe Zukunft?

Wir haben in der Tat viel Arbeit in die neue Firmenstrategie gesteckt und sind davon überzeugt, dass es die richtige Strategie ist. Aber es bleibt zunächst nur eine Strategie, die wir jetzt erst mit Leben füllen müssen. Wir müssen sie implementieren, erklären, in und außerhalb der Firma vorantreiben. Die Arbeit fängt jetzt erst richtig an. Ich werde viele Kunden treffen und dafür sorgen, dass das auch passiert, was wir uns vorgenommen haben.

In Ihrem Geschäft wächst der Wettbewerbsdruck. Wo sehen Sie den USP von EVS?

Erstens: Unsere Produkte funktionieren immer. Wir setzen auf praktische Innovationen. Damit stellen wir sicher, dass das, was wir neu auf den Markt bringen, auch zuverlässig arbeitet. Gerade beim Sport ist der Wert der Inhalte so groß, dass man sich da keinen Ausfall leisten kann.

Zweitens: Es geht heute nicht mehr nur um Einzelprodukte wie Slowmotion- oder Replay-Server – die können andere Firmen vielleicht auch bauen – sondern mehr um den kompletten Workflow und die Geschwindigkeit, mit dem der erledigt werden kann. Viele kleine und auch größere Firmen können theoretisch zwar ähnliche Workflows abbilden, aber in der Praxis braucht man dort mehr Leute, mehr Operator, mehr Equipment und auch mehr Zeit. Deren Systeme können oft nicht parallel arbeiten. Alles muss nacheinander gemacht werden. Der Kunde, sprich der TV-Sender oder Inhaltebesitzer kann an der Stelle leicht viel Geld verlieren. EVS hat zu den Olympischen Spielen auf der ganzen Welt 750 Server im Einsatz gehabt, die meisten davon in London. Und wir waren damit in der Lage, das komplette Produktionsmanagement an 45 Venues für das TV-Liveprogramm, für Social Media und für Online Video Streaming zu gewährleisten. EVS ist am besten in einer komplexen Live-Umgebung, wo man alles gleichzeitig, mit dem geringsten Personaleinsatz und sehr zuverlässig machen will.

Sie wollen auch näher an die Kunden rücken zum Beispiel durch verbesserte Trainingmaßnahmen.

Das ist korrekt. Training gehört auch zu unserern USPs. Wir haben einen großen Pool an Freelancern unter den EVS-Operatoren – 8.000 weltweit. Davon bilden wir 2.000 im Jahr kostenfrei weiter. Die kennen also sehr gut unser System, nicht nur das Replay selbst sondern, wie gesagt, den ganzen Workflow, der damit verbunden ist. Und der Kunde weiß, dass es genug fähige Leute auf dem Markt gibt, die sehr komplexe Broadcast Programme damit abwickeln können und zwar absolut zuverlässig und problemfrei.

Daneben haben wir weltweit 20 Offices. Wir haben dort Demosysteme und Support-Ingenieure, die für unsere Kunden in den lokalen Märkten und in der lokalen Sprache immer verfügbar sind. Reparatur- und Austausch-Equipment wird immer nahe beim Kunden bereitgehalten. Auch im Service-Bereich ist EVS sehr gut. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass andere Firmen in dieser Hinsicht nicht so gut aufgestellt sind. Die haben zwar viele Offices, sind aber nicht so kundenorientiert wie EVS.

Stehen bei EVS jetzt auch Produktinnovationen an?

Ja, insbesondere für unsere Media Division. Wir haben für sie zwar schon einige passende Produkte im Portfolio, werden aber viele neue entwickeln. Wir werden uns auch nach neuen Distributionspartnern umsehen, die diese dann in den lokalen Märkten vermarkten und supporten werden. In den anderen Markt-Bereichen haben wir bereits eine gute Vertriebsinfrastruktur mit Direktverkauf in einigen Ländern über die eigenen Büros und indirektem Verkauf über gute Systemintegratoren und Vertriebsunternehmen. Das wollen wir nicht ändern und entspricht unserer Philosophie.

Die Media Division adressiert ganz andere, neue Kunden mit anderen Anforderungen an die EVS-Produkte. Was für Kunden sind das?

Die sind mehr im Non-Live-Bereich angesiedelt. Das sind zum Beispiel Postproduktionshäuser und Filmproduzenten, die Transcodierung, Archivierung und Management von Video-Inhalten benötigen. Diesen Markt haben wir bislang nur wenig mit Open Cube bedient. Jetzt aber wollen wir hier mit einer neuen Produktlinie einsteigen.

Wann soll die vorgestellt werden?

Die Produkte müssen erst noch entwickelt werden. Aber zur NAB werden wir die Richtung, in der wir da gehen, schon etwas genauer skizzieren. Die Markteinführung der neuen Produkte wird aber in den nächsten zwölf Monaten passieren. Angekündigt werden die Produkte erst, wenn wir sie haben. Die meisten Produktinnovationen, die wir zur NAB vorstellen werden, betreffen den Sport- sowie den Entertainment- und News-Bereich.

Die NAB 2013 ist für EVS ein wichtiger Meilenstein?

Ja, auf jeden Fall.

Eckhard Eckstein
(MB 04/13)

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