Von der DDR-Zensur zur Internet-Freiheit

Mit der „Abwicklung“ des DDR-Rundfunks vor 20 Jahren entstanden in Ostdeutschland neue ARD-Länderanstalten. An diese medienpolitisch aufregenden Zeiten erinnerte ein prominent besetztes ARD-Symposium am 13. September in Berlin. Viele der damals verantwortlichen Protagonisten waren dabei. Gleichzeitig verwies das Symposium auf die laufende Medienrevolution mit ganz anderen Herausforderungen, die sich aus Digitalisierung und Globalisierung ergeben.

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Von der DDR-Zensur zur Internet-Freiheit

Die emotionalen Fernsehbilder vom Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 gingen und gehen auch heute noch um die ganze Welt. Freudetaumeln bei den Menschen in der DDR, weil man endlich die Freiheit gefunden hatte. Doch solche euphorischen Emotionen blendete das ARD-Symposium „Entstehung und Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den neuen Bundesländern“ völlig aus. Klar kamen bei denjenigen, die als Protagonisten beim medienpolitischen Umbruch beteiligt waren, auch wieder emotionale Erinnerungen hoch. Man konnte es beispielsweise an der intensiven Konzentriertheit im Gesicht von Jürgen Doetz ablesen, wie er als Symposiums-Gast den Erzählungen auf dem Podium lauschte. Doetz, damals noch Sat.1-Geschäftsführer und in Sachen Medienpolitik für Leo Kirch und dessen damaliges TV-Imperium unterwegs, war ja von Anfang an vom Mauerfall elektrisiert und wurde sofort in der DDR aktiv. Schließlich hat sich durch den Mauerfall auch ein neuer Markt für das deutsche private Fernsehen eröffnet. Der deutsche TV-Markt ist danach zum größten in Europa avanciert. Und Doetz genoss augenscheinlich, dass es im rasanten Wandel der digitalen Welt mal eine Atempause gibt, die auf eine scheinbar unendlich weit zurück liegende Vergangenheit blickt.

Medienpolitik historisch zu betrachten, hat nicht nur Seltenheitswert, sondern bislang überhaupt nicht stattgefunden. Medien sind heute für Politiker eine PR-Plattform und obendrein ein Wirtschaftsfaktor in Internetzeiten. Die Medienethik, die in früheren medienpolitischen Debatten eingebunden war, geht zunehmend den Bach herunter. Was zu einer Ratlosigkeit bei den Handelnden führt, wie sich am Ende des Symposiums herausstellen sollte.

Trügerische Rundfunkfreiheit

So betonte Prof. Dr. Heinz Glässgen, Vorsitzender der Historischen Kommission der ARD zur Einführung in das Symposium mit leisem ironischem Unterton: Zwar gewinne die Historische Kommission „jeden Tag an Bedeutung“, – naturgemäß, natürlich! Doch die meisten Menschen der Rundfunkbranche seien „mit der Gestaltung der Zukunft beschäftigt“. Viele, so Glässgen, wissen gar nicht, warum es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt. Dabei sei die Daseinsbegründung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wichtig.

Welche Zielsetzungen galten damals, welche heute? Um es vorweg zu nehmen. So genau kann man es gar nicht sagen. Die Zielsetzungen stehen in permanenter Wechselwirkung mit politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Interessen. Alle diese Interessen werden heute vom marktwirtschaftlichen Einfluss der technologischen Innovationen gesteuert, die nicht nur die klassischen Medien, sondern auch die Produktionsprozesse wie die Information und Kommunikation in der Weltwirtschaft prägen. Auch wenn öffentlich-rechtliche Sender in Deutschland mittlerweile eine Unzahl von Kanälen betreiben, müssen sie sich im Wettbewerb mit der noch gewaltigeren Flut an kommerziellen TV-Angeboten behaupten, egal ob sie via Satellit oder Internet ihr Publikum suchen und egal, ob die neuen Angebote von nationalen oder globalen Playern stammen. Es war Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, Ex-Ministerpräsident von Sachsen, der diesen „Wettbewerb“ betonte. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, so Biedenkopf, werde seine Legitimation in Zukunft nur dann behalten, wenn es ihm gelinge, sich trotz der neuen Unübersichtlichkeit in der Medienlandschaft in der Bevölkerung als präferierte Informationsquelle zu beweisen. Deshalb müsse der öffentlich-rechtliche Rundfunk selber „gegen Verhärtungen und Verkrustungen in seinen Hierarchien“ ankämpfen. „Offenheit“ sei dabei genauso wichtig, wie das permanente Bewusstsein, dass die Bevölkerung für öffentlich-rechtliche Programme zahle.

Prof. Jobst Plog, der in den Jahren 1991 bis 2008 als NDR-Intendant agierte, erklärte, es sei trügerisch zu behaupten, man habe einen freien Rundfunk realisiert. Für den müsse man vielmehr „immer wieder neu kämpfen“. Zuvor hatte Publizist Konrad Weiß in seinem langen Festvortrag zum Thema „Rundfunk und Freiheit“ beschrieben, wie sich die DDR-Zensur auf seinen Alltag als Filmemacher der DEFA ausgewirkt hatte, und wie er zu seinem politischen Engagement in den Medien und als Vertreter der Bürgerbewegung „Demokratie jetzt“ – gekommen war. Als die DDR in Zeiten von Glasnost und Perestroika zu kollabieren begann, ging es ihm wie anderen an den Runden Tischen zunächst darum, Medien als Volkseigentum zu betrachten, um Presse- und Meinungsfreiheit erreichen zu können. „Medienkontrollrat“, „Volkskammer“, „Rundfunküberleitungsgesetz“. Es gab viel Neues. Man beschäftigte sich mit so schönen Fragen, „wie man mit der Freiheit umgehen soll und mit denen, die sie brechen“.

Doch all dem, was in Bewegung gesetzt worden war, um aus eigenen Kräften die Heimat DDR in Richtung Demokratie zu bewegen, wurde plötzlich ein Riegel vorgeschoben. Im Rundfunkbereich war es der Artikel 36 im Einigungsvertrag zwischen DDR und BRD, der vom damaligen Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl urplötzlich durchgesetzt worden war und dem erarbeiteten Rundfunküberleitungsgesetz eine Klatsche erteilte. In Artikel 36 wurde festgeschrieben, dass der DDR-Rundfunk abgewickelt werden sollte und stattdessen eine neue Rundfunkordnung analog zum föderalen Prinzip der BRD aufgebaut werden sollte. Was damals ein Schock für Weiß und seine Mitstreiter war, beurteilt er heute als „positive Bilanz“. Im Prinzip sei dadurch, auch wenn es erst wehgetan habe, genau das erreicht worden, was man haben wollte: Meinungsfreiheit. Keine Zensur. Weiß gehört zu den Gewinnern, sonst wäre er nicht zum ARD-Symposium als Festredner eingeladen worden. Es wurde auf dem Symposium thematisiert, dass fast ausschließlich Leute aus dem Westen die Führerschaft bei den neuen ARD-Anstalten in der ehemaligen DDR übernommen hatten. Gleichzeitig wurde mehrfach gesagt, dass es kaum Menschen aus der DDR gab, die die Verantwortung hätten übernehmen wollen.

Rechtsanwalt Lothar de Mazière, der damals letzter Ministerpräsident der DDR war und als solcher den Einigungsvertrag unterschrieb, erläuterte, dass damals viele Dinge für das Leben der Menschen in der DDR wichtiger als der Rundfunk waren, Eigentumsrecht etwa und die Anerkennung der Schul- und Berufsausbildung im vereinten Deutschland. Deshalb habe das Rundfunküberleitungsgesetz auch keine hohe Priorität für den Einigungsvertrag gehabt. Der Rundfunk der DDR gehörte zum Propagandaministerium. Schlicht, das musste natürlich geändert werden. Und die zweite grundsätzliche Änderung in Bezug auf das Rundfunksystem bezog sich darauf, wie im Symposium erörtert wurde, die Stasi-Spitzel-Mentalität aus dem System zu entfernen. Ein Prozess, der lange andauernd bis teils – wie beim MDR – in die Gegenwart währt, zumal dies alles nicht nur mit politischen, sondern auch individuellen wirtschaftlichen Interessen verbunden ist, die auch Landsleute hegen, die nicht in der DDR, sondern der BRD aufgewachsen sind. Ein weites unübersichtliches Feld.

Mit zeitlichem Abstand zur deutschen Wiedervereinigung von rund einundeinhalb Jahren wurden jedenfalls von den neuen Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) am 1. Januar 1992 gebildet. Zeitgleich wuchs der NDR durch den Zuzug von Mecklenburg-Vorpommern von einer Dreiländeranstalt zu einer Vierländeranstalt an. Was Plog damit begründete, dass Mecklenburg-Vorpommern immer schon mehr als alle anderen neuen Bundesländer am Westen orientiert gewesen sei. In Brandenburg nahm zunächst der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg, ORB, seinen Betrieb auf, um am 1. Mai 2003 mit dem Sender Freies Berlin (SFB) zum Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) zu fusionieren. Der ehemalige Ministerpräsident von Brandenburg, Manfred Stolpe, erinnerte daran, dass es für Brandenburg zunächst darum gegangen war, neues Selbstbewussten und Identität zu entwickeln. Zu Zeiten der DDR habe Brandenburg unter dem historischen Stempel gelitten, zu Preußen zu gehören und sei deshalb von den DDR-Oberen unter ferner liefen behandelt worden.

Es gab bei der Bildung der neuen ARD-Anstalten eine Menge politisches Gezerre, wie sich die damals Beteiligten in vielen Andeutungen erinnerten und sich Spaßes halber noch einmal verbal anrempelten. Wobei auch nostalgische Eitelkeiten eine Rolle spielten. Es ging offensichtlich vor allem auch darum, sich gerne die neue Hauptstadt Berlin mit in die jeweilige ARD-Landesanstalt einzuverleiben. Das Problem: Berlin liegt geografisch mitten in Brandenburg und die beiden Länder konnten sich zunächst nicht einigen.

Indessen war der frühere DDR-Rundfunk mehr oder weniger in Berlin mit 15.000 Mitarbeitern, von denen 3.000 zur Post gehörten, zentralisiert. Zahlen, die de Mazière nannte. Diese Mitarbeiter wurden nach dem Beitritt der DDR zur BRD in eine „Einrichtung“ zusammengefasst, die es abzuwickeln galt. Dabei wurde versucht, erst einmal möglichst alle Stasi-Spitzel auszusortieren. Die waren es ja gewesen, so hatte Weiß referiert, die das „gesellschaftliche System der Zensur“ betonierten. Michael Albrecht, letzter Intendant des Deutschen Fernsehfunks (DFF) und heute ARD-Koordinator DVB, erläuterte, dass das gar nicht so einfach gewesen sei. So habe man schließlich als Hilfsmittel dafür zunächst die Gehaltslisten genommen. Es wurde geprüft, wer doppelte Gehälter bezog, vom Rundfunk und vom Ministerium für Staatssicherheit. Doch auch dieses Mittel reichte nicht aus, allen Stasi-Spitzeln auf die Schliche zu kommen.

Neue Ratlosigkeit

Schließlich war man sich auf dem Symposium einig, dass die Integration Ost-West gelungen sei. Die föderale Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Identität in den einzelnen Bundesländern zu stiften, bleibe aber weiter bestehen.

Mit diesem Ergebnis machte das Symposium einen Zeitsprung in die Gegenwart und landete bei vielen neuen Fragen. Wie soll heute das große Thema Europa in die Zielsetzungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eingebunden werden? Es wurde deutlich, dass zurzeit Ratlosigkeit besteht, ob und wie die Medienlandschaft in Deutschland und Europa auf Grund der Digitalisierung und des Einflusses globaler Internetgiganten, wie Google, neu reguliert werden müsse. Monika Piel, ARD-Vorsitzende und WDR-Intendantin, räumte ein, dass man sich mit etlichen „differenzierten Problemfeldern“ konfrontiert sehe, die so komplex seien, dass sie für Außenstehende – auch Politiker – „nicht nachvollziehbar“ und erklärbar seien. Sorge bereitet ihr aber insbesondere, dass im Zuge der Finanz- und Eurokrise in Portugal gar die Idee aufgekommen sei, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu privatisieren, um so Geld zu sparen. Es wurde über die Möglichkeit geredet, öffentlich-rechtlichen Anstalten in ärmeren europäischen Ländern mit Zulieferung von Programmen zu helfen. Zu aktuellen Problemfeldern gehören laut Piel insbesondere auch Google-TV, SmartTV, Urheberrecht, das Verhältnis von ARD und Zeitungsverleger rund um den Tagesschau-App-Streit sowie das Problem „europäische Netze“. Über letztere werde zurzeit auf EU-Ebene verhandelt. Dabei verfolgten die Telekommunikationsunternehmen das Ziel, sich die Datenübertragung im Internet einzeln bezahlen zu lassen, wohingegen man aus der Position des öffentlich-rechtlichen Fernsehens darum kämpfe, dass jeder User bedient werde, ohne dafür extra zahlen zu müssen.

Beim SmartTV sieht Piel beispielsweise die Gefahr, dass öffentlich-rechtliche Programminhalte mit Werbung überblendet werden könnten. Sie nannte als fiktives Beispiel einen „Tatort“, in dem der Kommissar aus einem BMW heraus steige und in diesem Moment ein BMW-Werbespot dazu eingeblendet werde mit weiterführenden Online-Informationen zu dem speziellen BMW-Typ. Zum Problem des Urheberrechts habe man über die „Content Allianz“, die sie zusammen mit VPRT-Präsident Jürgen Doetz initiiert habe, zwar mehrfach Gespräche mit der Justizministerin geführt. Es sei bislang aber nicht gelungen, mit Bundeskanzlerin Merkel dazu einen Termin zu erhalten.

Zugang und Auffindbarkeit

MDR-Intendantin Prof. Dr. Karola Wille nannte als Hauptproblem in der digitalen Welt „den Zugang und die Auffindbarkeit von Inhalten“. Das habe auch etwas mit „Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit“ zu tun. Dieses Problem sei speziell rund um SmartTV komplexer geworden, weil hier beispielsweise keine Regelungen für das Miteinander der Interessen von Geräteherstellern und derjenigen von TV-Sendern vorlägen. „Welches sind die regulatorischen Konzepte, die Antworten auf die konvergente Medienwelt geben?“, stellte Wille als Frage in den Raum und betonte: „Wir brauchen intelligente Antworten“. Mabb-Direktor Dr. Hans Hege, der auch als Gast anwesend war, denke in diesem Zusammenhang „über eine öffentlich-rechtliche Suchmaschine“ nach, sagte Wille: „Kann das aber die Lösung des Problems sein?“.

Kurt Beck, Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz und Vorsitzender der Rundfunkkommission der Länder, mahnte an, die meisten Probleme der digitalen Welt müssten von den Medienverantwortlichen selber gelöst werden. Politisch sei es wichtig, Menschen Möglichkeiten zu bieten an der Informationswelt teilzuhaben und damit auch am demokratischen Entscheidungsprozess. Die Politik werde aber „nicht über einzelne Inhalte entscheiden“. Beck: „Wir werden einen Teufel tun, uns da einzumischen“. Gleichzeitig beklagte er, dass man in Brüssel den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eher nur „unter Wettbewerbsgesichtspunkten“ betrachte. Deshalb sei auch immer noch nicht das Problem vom Tisch, ob die öffentlich-rechtlichen Gebühren in Deutschland eine unzulässige „Beihilfe“ seien.

Zum Problem des Streits zwischen ARD und Verlegern rund um die Tagesschau-App sagte Beck klipp und klar: „Setzt euch zusammen!“
Erika Butzek
(MB 11/12)