Medienzukunft in der digitalen Welt

Kaum etwas wird in der Branche heute heftiger diskutiert als die Frage, was mit den klassischen Medien – also mit Print, Hörfunk und TV – in der digitalen Welt passiert. Auch auf dem Deutschen Medienkongress in Frankfurt war das nicht anders.

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Medienzukunft in der digitalen Welt

„Wenn ich nach Hause komme, läuft der Fernseher und meine Frau bemerkt mich gar nicht, weil sie auf ihrem iPad surft und mein vierjähriger Sohn hat einen Kopfhörer auf und schaut sich auf dem Laptop eine DVD an. Das hat mit dem alten Fernsehen nichts mehr zu tun“, beschreibt Jean-Pierre Fumagalli sein Familienleben. Der Vorstandsvorsitzende und Gründer der smartclip Holding AG, war einer der Referenten auf dem Deutschen Medienkongress in Frankfurt und eingeladen mit über die Zukunft des Fernsehens zu diskutieren. Die Alte Oper in Frankfurt war am zweiten Tag des Deutschen Medienkongresses gut gefüllt. Kein Wunder, ging es doch um die Zukunftsfähigkeit unserer Medienlandschaft, der alten Leitmedien, die langsam in Gefahr laufen eher zu Leidmedien zu mutieren.

So wurden auf dem Kongress, da die Fachzeitung Horizont einer der Gastgeber ist, aus Werbersicht unter anderem neben der des TV auch die des Radios hinterfragt. Schon am Vorabend, bei der Verleihung des Horizont Awards hatte Sir Martin Sorrell, CEO des weltgrößten Agenturkonglomerats WPP, in seinem Festvortrag eine für hiesige traditionelle Medienunternehmen eher düstere Prognose gestellt. „Unser weltweiter Umsatz ist im vergangenen Jahr etwa um fünf Prozent gewachsen. Das war die Gegenbewegung zu der Krise des Vorjahres.

Für dieses Jahr erwarten wir ein Wachstum in ähnlicher Größe, allerdings getragen von den neuen Märkten in Asien und Osteuropa und bei digitalen Medien.“ Anders ausgedrückt, WPP erwartet, dass in den USA und Europa sowie in den klassischen Medien in diesem Jahr stagniert. Für die Branche hier wahrlich keine schöne Aussichten. Zuvor hatte er schon ausgeführt, welche Bedeutung digitale Medien und neue Märkte bereits heute für WPP haben, Von den rund 15 Milliarden US-Dollar des aktuellen jährlichen Umsatzes der Gruppe wurde ein Drittel in den USA, ein weiteres Drittel in Europa generiert. Aber bereits das letzte Drittel verdankte sich heute schon den neuen Märkten und den digitalen Medien.Von der Prognose zeigten sich die TV Vermarkter sichtlich unbeeindruckt.

Man sei als Medium Fernsehen gut aufgestellt, behauptete etwa Thomas Wagner, Vorsitzender der Geschäftsleitung des Vermarkters der ProSiebenSat.1 Sender, SevenOne Media. Durch die neuen Video Ads, also Werbespots die im Umfeld der Bewegtbildangebote im Internet geschaltet werden, würde man als Vermarkter an dem rasanten Wachstum des Onlinemarktes partizipieren. Durch das sogenannte Hybridfernsehen, also der Einbindung von Internetdiensten in das klassische lineare Fernsehen würden zukünftig auch die interaktiven Möglichkeiten der Video Ads dorthin verlängert. „Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten“, so Wagner optimistisch. Er betonte aber, dass die Umsätze mit Video Ads trotz des starken Wachstums in dem Segment, nur einen Bruchteil der klassischen TV Umsätze ausmachen würden.
Martin Krapf, Geschäftsführer des direkten Konkurrenten, des RTL Vermarkters IP Deutschland, stieß in das gleiche Horn. Die Krise sei überwunden, das Leitmedium Fernsehen habe seine Stärke bewiesen, so Krapfens einhellige Meinung mit Jan Kühl, dem Chef des RTL2 Vermarkter El Cartel Media.

Unwidersprochen blieb das freilich nicht. „Sie reden hier von Preisen, von Reichweiten und letztendlich immer wieder nur von einem: vom TV Spot, und ist keine Innovation, das ist seit 30 Jahren immer wieder dasselbe nur in einer anderen Verpackung. Auch ein Video Ad ist nichts anderes als ein Spot. Blicken Sie doch auch einmal nach vorne!“, forderte Lothar Höcker, Chefeinkäufer von Werbeleistung beim Waschmittelriesen Proctor [&] Gamble. Dem widersprach Krapf heftig. „Man kann nur wirklich nicht sagen, das Fernsehen habe sich in den letzten 30 Jahren nicht weiterentwickelt. Gerade in den letzen zehn Jahren waren die Veränderungen enorm“, insistierte er mit Blick auf die neuen Sonderwerbeformen und auch die Video Ads. Doch davon hatte Höcker gar nicht geredet, wie er meinte: „Momentan verändert sich gerade so viel. Das Fernsehen, wie wir es heute kennen, wird in einigen Jahren ein ganz anderes sein. Und da vermisse ich offen gestanden ein wenig den Blick nach vorn. Sie haben sich da hoffentlich schon Ihre Gedanken gemacht!“

Krapf versuchte die Diskussion wieder auf das durch die Medienforschung Belegbare zu überführen, wobei ihm freilich Fumagalli mit der Eingangs zitierten Provokation einen Strich durch die Rechnung machte. Der Smartclip Gründer legte sogar noch nach: „Ich habe meinem Sohn schon mehrfach versucht lineares Fernsehen beizubringen. Jedes Mal, wenn ich mir mit ihm etwas anschaue, und ihm etwas besonders gefällt, ruft er sofort ‚noch mal sehen‘. Lineares Fernsehen, das kann er einfach nicht verstehen.“ Smartclip ist ein noch recht junges Unternehmen, wie die meisten, die sich speziell mit dem Thema auf dem so genannten Bewegtbildmarkt. Erst seit 2008 positioniert sich die Gruppe in Europa und den USA als Innovator in der Vermarktung von Webfilmen und prognostiziert einen beschleunigten Shift vom TV in das Internet. „In einigen Jahren wird der Vermarktungsmarkt ein völlig anderer sein als heute. Wir haben bereits heute eine zunehmend starke Position von US-Firmen in diesem Bereich. Wir haben dieser Entwicklung nichts entgegenzusetzen. Die beiden großen TV-Vermarkter, die zusammen heute den deutschen Markt fast alleine beherrschen, werden in einigen Jahren nur noch einen Marktanteil von vielleicht 25 Prozent haben“, so Fumagallis Radikalszenario.

„Das ist doch ein Blick in die Kristallkugel. Was einmal sein wird kann doch niemand heute schon vorhersagen“, griff Krapf seinen Faden wieder auf. Er halte sich lieber an belegbare Fakten. „Dass sich der Markt ändern wird, das ist klar. Wie aber die Marktanteile sich entwickeln werden, das kann heute noch niemand sagen. Ich vertrete seit Jahren die These, die sich inzwischen immer stärker bestätigt, dass wir das klassische Portfolio erweitern müssen, indem wir unsere TV-Vermarktung um andere verwandte Angebote ergänzen. Das haben wir gemacht, etwa mit „kochbar“, „wer kennt wen“ und so fort. Inzwischen zeigt sich, dass wir damit in der Gruppe ein zusätzliches und deutliches Wachstum generieren.“ Im Übrigen hätte das alte lineare TV seine Stärke erst wieder bewiesen. Nach den Einbrüchen im Krisenjahr hätte sich der TV Markt nachhaltig erholt, während die Erholung etwa im Printsektor deutlich geringer ausgefallen sei.

Jürgen Blomenkamp, Global CEO Trading des Mediaagenturkonglomerats GroupM, ließ das nicht gelten. Er beschwor das gleiche Gespenst, das am Vorabend bereits durch Sorrells Rede geisterte: „Machen wir uns nichts vor. Wir mögen uns jetzt freuen, dass das letzte Jahr so gut gelaufen ist. Vielleicht hält diese Freude noch einige Wochen an, dass es in diesem Jahr genauso weiter zu gehen scheint, doch dann wird uns die Wahrheit erbarmungslos einholen. Wir agieren in einem gesättigten Markt und das ist wirklich keine Freude!“ Man müsse den Markt neu denken: „Er wird deutlich fragmentierter, noch viel fragmentierter als er heute bereits ist, und die Zielgruppen werden nicht mehr so einfach zu erreichen sein. Anders wäre es mir auch lieber, weil es einfach komplizierter wird. Aber daran führt kein Weg vorbei“, so das klare Fazit des weltweit firmen Agenturmanagers.

Auch der Unternehmensberater Thomas Geiger von der I:Com GmbH in Wiesbaden verfolgte die Diskussion mit Spannung. Der Gründer und langjährige Vorstandsvorsitzende der Atkon AG, die Angebote wie etwa Bahn TV auf die Schiene setzen, bestätigt den Trend und malt für das lineare TV im Gespräch mit MEDIEN BULLETIN ein eher noch düstereres Bild: „Was die Verantwortlichen der TV Vermarkter noch gar nicht auf dem Schirm haben, ist die Bedeutung, die solche Kanäle wie Bahn- oder BMW-TV in Zukunft haben werden.“ Bahn-TV etwa erreicht über das Internet bis zu einer Million Nutzer, eine erhebliche Zahl, wenn man die potenzielle Qualität auch für Werbekunden bedenkt. „Das sind alles Menschen, die an einem bestimmten Thema interessiert sind, die ich ohne Streuverluste erreichen kann.

In Zukunft wird es für den Nutzer noch viel einfacher sein, solche Angebote anzusteuern. Auf meinem Bildschirm, wenn ich das Gerät einschalte, habe ich Kacheln mit meinen bevorzugten Angeboten aufgereiht. Ich möchte mir einen gemütlichen Golfabend machen, klicke also BMW-TV an, weil ich weiß, dass sie in diesem Bereich eine ganz hervorragende Berichterstattung haben. Das klassische Fernsehen verliert nämlich den exklusiven Zugriff auf diese Inhalte“, so die Analyse des Beraters. Schon heute sei aber ein Ausweg aus dieser Situation erkennbar. „Die Sender werden sich in Zukunft nur noch über eigene Events abheben können, wie es heute ja schon etwa mit DSDS oder dem Supertalent erkennbar wir.“ Fakt sei, dass sich Entwicklungen im Medienbereich enorm beschleunigt hätten. „Das Radio hat noch 38 Jahre gebraucht, bis es fünf Millionen Nutzer erreicht hatte, Facebook braucht nur ein Jahr um 200 Millionen zu erreichen“, stellte der Geschäftsführer von Force Innovation, der auch externe Berater der Deutschen Telekom ist, Babak Zeini, in seiner Keynote auf dem Radiopanel des gleichen Kongresses fest. Die Geschwindigkeit mag uns erschrecken. Aber wir haben keine andere Wahl als uns anzupassen.

Auch wenn die Kristallkugel vielfach trübe ist und Prognosen nur selten so eintreffen, wie sie von dem jeweilig Prognostizierenden beschrieben werden, eines ist klar: Wir befinden uns mitten in einem spannenden Umbruch – einer Phase mit Auswirkungen, die häufig – und wohl zu Recht mit denen nach der Erfindung des Buchdrucks oder Industriellen Revolution verglichen wird. Im „Digitalen Zeitalter“, wie die anbrechende Ära wohl genannt werden wird, wird es das Fernsehen, wie wir es kennen, nicht mehr geben, so viel jedenfalls scheint sicher!
Dieter Brockmeyer
(MB 04/11)

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