Anreize zur nachhaltigen Produktion

Das Thema „Green Producing“ steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Damit Produzenten und Herstellungsleiter von Film- und TV-Produktionen leichter in das Thema einsteigen können, entwickelt die „Green Film Initiative“ in Potsdam Arbeitshilfen, vernetzt die Akteure und versucht, das Bewusstsein für nachhaltiges Produzieren zu stärken. MEDIEN BULLETIN sprach darüber mit Michael Geidel von der „Green Film Initiative“.

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Anreize zur nachhaltigen Produktion

Wie die Kick-off Veranstaltung der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein zur ins Leben gerufenen Initiative des Grünen Drehpass im September und einem Expertengespräch an der Film- und Fernsehhochschule in Potsdam Ende Oktober zeigen, kommen Fragen der grünen Filmproduktion langsam auf die Agenda der Branche. Ist das Thema in der deutschen Produktionsszene angekommen?

Michael Geidel: Ja, zunehmend mehr Filmschaffende nehmen das Thema nach unserer Einschätzung bewusster wahr, vor allen Dingen weitsichtige Produzenten, die sich in anderen Ländern umschauen und dort gesehen haben, dass in England oder Frankreich der Umweltaspekt der Film- und TV-Branchen sehr viel intensiver und ohne negative Auswirkungen betreut und entwickelt wird. Mit der Green Film Initiative versuchen wir in Deutschland das Thema stärker voran zu bringen. Denn hierzulande gibt es noch viel Potenzial.

Wie ist die Green Film Initiative aufgestellt? Was kann sie leisten? Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?

Die Green Film Initiative ist ein Projekt der Climate Media Factory, einem Medienentwicklungslabor der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg und dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Durch diese Partnerschaft decken wir das Know-how der Filmbranche wie auch die Klimawissenschaft ab. Die Klimawissenschaft an sich ist eine sehr komplexe Materie. Um die Erkenntnisse für die Allgemeinheit verständlich zu kommunizieren, ist die Climate Media Factory gegründet worden. Einige unserer gemeinsamen Projekte sind recht erfolgreich gewesen und haben auch Preise gewonnen. Uns wurde dabei bewusst, dass unsere Formate und Projekte nur authentisch sein können, wenn sie selbst nachhaltig produziert werden – wir also mit gutem Beispiel vorangehen. Damit war der Grundgedanke der Green Film Initiative geboren. Als Initiative sind wir unabhängig und damit frei von Interessenskonflikten, wie wenn wir einer Seite der Branche zugerechnet würden. Wir wollen gemeinsam mit der Branche Guidelines, Policies und Tools zur nachhaltigen Filmproduktion entwickeln und sie auf dem Weg dorthin unterstützen. Beim Best Practice Guide zum Grünen Drehpass haben wir zum Beispiel mitgewirkt und planen auch, ihn gemeinsam mit der FCHSH weiterzuentwickeln. Da wir mit den anderen europäischen und internationalen Projekten zum Thema Green Producing gut vernetzt sind, sind wir in der Lage, Guidelines über Ländergrenzen – Stichwort Koproduktion – hinweg zu entwickeln.

Wie weit ist die deutsche Branche hinsichtlich vorbildlicher grüner Produktionsformen?

Gemessen daran, dass Deutschland international nicht erst durch die Energiewende der Bundesregierung als ein eher grünes Land gilt und das Bewusstsein dafür auch recht hoch veranschlagt werden kann, weil es im Medienumfeld einen breiten Raum einnimmt, mussten wir feststellen, dass gerade der Bereich Film- und TV-Produktion noch nicht so weit ist. Es gibt bislang so gut wie keine Unterstützung, weder von politischer Seite, von TV-Sendern oder auf Branchenebene. Wir fanden es erstaunlich, dass Green Producing trotz dem CSR-Boom kein aktuell diskutiertes Thema für viele der Film- und TV-Produzenten, aber auch TV-Sender war – ganz im Unterschied zu anderen bedeutenden Filmländern wie England, Frankreich und den USA. Die BBC hat eine klare und offene Strategie in dem Bereich, alle Hollywood-Majors sind im Bereich Green Producing aktiv. Aber auch direkt vor unserer Tür wird Green Producing gefördert. In Frankreich ist seit 2009 die nationale Initiative Ecoprod dazu aktiv. Natürlich gibt es auch vereinzelt positive Beispiele aus Deutschland: Die ZDF-Serie „Der Landarzt“ hat zu Recht als erste Produktion den Grünen Drehpass der Filmförderung Schleswig-Holstein erhalten, weil die Produktion unter Beweis gestellt hat, dass nachhaltige Produktionsweise bei gleichem Budget machbar ist, ohne alles von Grund weg auf den Kopf zu stellen oder die Kreativität einzuschränken.

Welchen Beitrag kann denn eine Kreativbranche wie der Film effektiv leisten? Im Vergleich zur Industrie, wo es um beträchtliche Emissionswerte geht, ist da der Beitrag der Filmbranche nicht eher sehr gering zu werten?

Man kann natürlich nicht die CO2-Bilanz eines Kohlekraftwerks mit der einer Spielfilmproduktion vergleichen. Aber die Film- und Medienbranche ist auch eine Industrie, mit der sich Städte wie Köln, Hamburg, München und Berlin gern schmücken. Bei über 400 Filmen und TV-Movies, die in Deutschland 2011 produziert wurden, kann man schon von einer Industrie mit einem bedeutsamen Emissionsvolumen ausgehen. Da in Deutschland die Film- und TV-Branche noch nicht so weit ist mit dem nachhaltigen Produzieren, lassen sich auch mit relativ kleinen Mitteln leicht relativ hohe Einspareffekte erzielen. Schließlich ist es ja nicht so, dass es jetzt darum ginge, die letzten zehn Prozent herauszuholen. Die Medienindustrie gehört auch ökonomisch zu den Wachstumsbranchen, die gleichzeitig einen hohen Imagewert besitzt. Filme richten sich direkt an die Konsumenten, an die Kinogänger oder TV-Zuschauer und erzielen deshalb eine große meinungsbildende Wirkung. Wenn große Mainstream-Filme und bekannte TV-Serien, die von einer breiten Zielgruppe gesehen werden, damit werben, dass bei der Herstellung auf eine grüne Produktionsweise geachtet wurde, erreicht das viele Menschen und trägt zu einem Umdenken in der gesamten Breite der Gesellschaft bei. Das ist auch ein Beitrag einer Green Production.

Lässt sich denn beziffern oder zumindest hochrechnen, auch durch die fortgeschrittenen Erfahrungen in anderen Ländern, was von der Film- und Fernsehbranche wirklich geleistet werden kann?

In Deutschland müssen wir es tatsächlich hochrechnen, anhand von Statistiken, die es im Ausland gibt. Das sind nur ungefähre Annährungen und ersetzen keine Erhebung, die nötig wäre, um zu beziffern, wie hoch die Einspareffekte genau sein können. Zu evaluieren wäre auch die hohe Bandbreite der Produktion und ihrer unterschiedlichen Formate und Budgets. In Frankreich und England wurden zum Beispiel bereits Erfahrungen dazu gesammelt. Ein durchschnittlicher französischer Spielfilm, heißt es dort, kommt auf rund 200 Tonnen CO2-Emissionsvolumen, ein Big-Budget-Spielfilm mit Dreh im Ausland kann jedoch auch bis zum Zehnfachen dessen verursachen. Eine aktuelle Studie in England zeigt, dass die Film- und TV-Produktion in London allein für die Emission von 125.000 Tonnen CO2 pro Jahr verantwortlich ist. Als eigenständige UK-weite Initiative zu nachhaltiger Filmproduktion hob das British Film Institute „Greeningfilm“ aus der Taufe, um die gesamte Filmindustrie in ihren Bestrebungen in Richtung Green Production aktiv zu unterstützen. Gerade Anfang Oktober hat das BFI ihren Fünf-Jahresplan bis 2017 veröffentlicht und „Sustainable Development“ ist dort ganz klar auf der Agenda. Ein weiterer, nicht weniger erheblicher Faktor stellt das Waste Management dar. Nur um eine Vorstellung zu geben, für einen großen Big-Budget-Film wie „X-Man-Origins“ aus Hollywood sind alleine 670 Tonnen Müll angefallen. Davon wurden 92 Prozent durch Recycling und Wiederverwendung eingespart. Das führte natürlich auch zu deutlichen Kostenein-sparungen, war also nicht unbedingt uneigennützig.

Da Filme häufig als internationale Produktionen entstehen, muss es da nicht auch darum gehen, für Green Producing weltweit verbindliche Standards zu etablieren?

Sicher. Wenn in den USA, Europa sowie in einzelnen Ländern unterschiedliche Standards gelten, ist das nicht sinnvoll. Denn bei grenzüberschreitenden Koproduktionen ist es wichtig eine vergleichbare Basis für alle zu haben. Daher können gemeinsame Standards nur im Interesse aller sein. Von Brüssel aus werden für die EU einheitliche Gesetze für gesamte Industrien verabschiedet. Und die Filmbranche wird ebenfalls von Brüssel stark gefördert. Wir bereiten uns daher schon auf europäische Richtlinien in dem Bereich vor und stehen besonders mit Frankreich und Großbritannien in Kontakt, um diese einheitlich zu entwickeln, damit sie allen Produzenten gleichermaßen zugute kommen. Darüber hinaus sind wir auch auf internationaler Ebene aktiv, wobei es im Augenblick schwer zu sagen ist, wann es zu den ersten Ergebnissen kommt. Vor allem sind wir auch in einem aktiven Dialog mit der Branche in Deutschland und versuchen so die Interessen der deutschen Filmindustrie einzubringen.

Wie sehen denn die Richtlinien aus, die Sie Produzenten als Empfehlungen heute schon mitgeben können?

Die sind allgemein gehalten, denn jede Produktion ist anders. Die Grundprinzipien sind aber eigentlich ganz einfach: „reduce, reuse, recycle“. Gleichzeitig kann man viele der Hinweise des Grünes Drehpass bei jedem Film dadurch einfach umsetzen. Vieles was da drin steht, ist für die meisten halbwegs Umwelt bewussten Menschen ohnehin völliger Konsens. Darüber wird gar nicht nachgedacht, weil das auch im privaten Leben schon so gehalten wird: dass man sich für einen Ökostrom-Anbieter entscheidet; dass weniger geflogen und mehr mit der Bahn gefahren wird; dass man lokale Anbieter mit lokalen Produkten wählt und dass recycelt wird, damit so wenig Restmüll wie möglich anfällt.

Es gibt Rechner, mit denen Produktionen die CO2-Footprints, die sie hinterlassen, kalkulieren können. Wie hilfreich sind solche Programme und was leisten diese?

Nur wer das einmal grundlegend durchrechnet, kann seine Produktion auch gezielt nachhaltig ausrichten und am Ende eine Einsparung nachweisen. Die CO2-Rechner sind ein zentrales Mittel, um das Einsparpotenzial nicht nur kalkulieren, sondern den CO2-Fußabdruck optimal reduzieren zu können. Zugleich kann es sehr motivierend sein zu planen und dann zu sehen, was man genau eingespart hat. In Frankreich gibt es den CO2-Rechner Carbon’Clap von Ecoprod, der von mehreren Sendern und auch der französischen Filmförderung, dem CNC unterstützt wird und im letzten Jahr von 250 Produktionen genutzt wurde. In Großbritannien ist die BBC der Vorreiter im Bereich der nachhaltigen Produktion und hat sich für 2013 ambitionierte Nachhaltigkeits-Ziele gesetzt. Bereits 2010 entwickelte die BBC zur Erreichung dieser Ziele den CO2-Rechner „Albert“, der den CO2-Ausstoß einer Produktion errechnet und Möglichkeiten aufzeigt, diese zu verringern. Letztes Jahr übergab die BBC ihren CO2-Rechner in die Hände der BAFTA (British Academy of Film and Television Arts). Diese stellt Albert all ihren Mitgliedern zur Verfügung, entwickelt ihn weiter und nutzt ihn, um das Thema Nachhaltigkeit weiter in der Industrie zu fördern.

Und auch die Producers Guild of America hat eine eigne Abteilung für grünes Produzieren gebildet. Ist die Branche in den USA dadurch schon weiter?

Ja, die Producers Guild of America hat 5.000 Mitglieder, das ist die zentrale Organisation der Produzenten. Dadurch, dass PGA Green dort direkt angegliedert ist, stellt das schon mal klar, welchen Stellenwert das Thema hat. Auf der jährlichen Produzententagung wurde das Thema prominent besprochen. Und auch die Major Studios unterstützen die PGA Green, die sich durch Aktivisten auszeichnet, die sich offen dem Thema verschrieben haben.

Treten neben den Sendern nicht auch schon Förderungen auf den Plan, die umweltschonendere Produktionsbedingungen zu ihren Auflagen machen?

Es gibt erste Überlegungen bei den Förderungen in England und auch in Frankreich, entsprechende Vorgaben zu machen. Auch bei der Filmförderung Hamburg-Schleswig Holstein beobachtet man das Thema genau. Es ist schon heute von Vorteil für Produzenten, den Grünen Drehpass zu bekommen. Sobald es aber zur Auflage wird, muss eine Möglichkeit da sein, die Einsparungen auch nachzuweisen. Und in Deutschland ist die Branche jetzt noch nicht soweit. Ich denke daher, dass ein System der freiwilligen Umstellung und Anpassung der Produktion erst einmal zu präferieren ist. Sollte das zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis führen, kann immer noch darüber nachgedacht werden, es verpflichtend fest zu schreiben. Wir glauben, dass nach und nach Anreize zur nachhaltigen Produktion geschaffen werden und so die Produzenten auch locken werden.

Wo liegen die größten Einsparpotentiale in der Produktion?

Wichtige Bereiche stellen Reisen und Transporte dar, für die meist externe Dienstleister genutzt werden. Da ohnehin der Fuhrpark für die Produktion angemietet wird und Flüge gebucht werden, bedarf es keiner großen Umstellung oder hoher Investitionskosten, um ein sparsames Auto oder Hybrid-Fahrzeuge zu mieten und anstatt Flugzeug die Bahn zu nutzen, wodurch sich zweistellige Einsparpotentiale beim CO2-Ausstoß erreichen lassen. Energie sollte man nur von einem Ökostromanbieter beziehen und möglichst immer versuchen mit Strom zu arbeiten und nicht mit Dieselgeneratoren. Selbst in der Prärie, wo es keinen Anschluss gibt, gibt es inzwischen Alternativen zu Dieselkraftstoff.

Beim Drehen gibt es durch den technischen Fortschritt neben dem digitalen Drehen gute Möglichkeiten, in vielen Situationen mit Energie sparenden Lampen zu arbeiten. TV-Filme werden inzwischen fast ausschließlich nur noch digital gedreht. Das ist ein gutes Beispiel, wie eine Kosteneinsparung ohne Qualitätsverlust auch zu einer CO2-Reduzierung führen kann, auch wenn diese Umstellung nicht aus ökologischen Gründen erfolgt ist, sondern um Geld zu sparen.

Wir können wie im privaten Umfeld auch am Set alle anfangen, grüner zu handeln. Wenn dabei auf Plastikbecher am Set verzichtet wird, hat das gewiss nur einen minimalen Einfluss auf den Fußabdruck des Films, wirkt sich aber auf das Bewusstsein aus. Mit solchen kleinen Sachen fängt es an.
Bernd Jetschin
(MB 11/12)